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12. Kapitel.
Der Hinterhalt

Obgleich Tremal-Naik halb erwürgt war, erhob er sich, sobald er den Lasso sich lockern fühlte, packte den Karabiner und lief zum Flusse, in der Hoffnung, den Verräter noch zu erreichen. Als er jedoch das Ufer erreichte, war Mantschadi verschwunden.

Er fiel ins Wasser, erschien aber nicht wieder an der Oberfläche. Vielleicht hatte die Strömung den Mörder mit sich fortgerissen, der zweifellos vom Karabiner oder der Pistole des Maharatt getroffen war.

»Herr!« rief Kammamurri, der in Begleitung des Tigers und Hundes herbeieilte. »Wo ist der Schurke?«

»Verschwunden, Kammamurri. Aber wir werden ihn wiederfinden.«

»Bist du verwundet?«

»Tremal-Naik läßt sich von solchen Menschen nicht würgen!«

»Das Blut stockt mir in den Adern, Herr. Ich fürchtete, nicht mehr zur Zeit anzukommen, um dich zu retten. Ah, die Kanaille! Wenn er mir in die Hände fällt, lasse ich kein rupiengroßes Stück an ihm! Uns Schlangenjäger so zu betrügen! Weißt du, Herr, daß du wie durch ein Wunder gerettet bist?«

»Ich weiß es, Kammamurri. Und Aghur? – Was geschah mit Aghur?«

»Er ist tot, Herr,« stammelte Kammamurri, »mit eigenen Augen habe ich ihn gesehen und mit eigenen Händen berührt. Bei einem Weiher lag er hingestreckt, mit dem Lasso am Halse und dem Dolche in der Brust. Der elende Mantschadi hatte ihm, nachdem er ihn zu Boden gerissen, den Garaus gemacht.«

»Also Mantschadi ermordete ihn?«

»Ja, Herr, er mordete Aghur, um mich wegzulocken und dann dich zu überfallen. Zum Glück merkte ich es und kam rechtzeitig an.«

»Aber hattest du vordem keinen Verdacht?«

»Nein, Herr! Ich merkte nichts davon, ich zweifelte nicht einmal. Er täuschte uns zu gut. Welchen Grund mochte er haben, uns zu morden?«

»Ich fürchte, die Indier von Raimangal sandten ihn uns.«

»Glaubst du, Herr?«

»Ich bin überzeugt davon. Sahst du seine Brust?«

»Nein. Er hielt sie ja immer bedeckt. Ich weiß nicht, warum.«

»Um die geheimnisvolle Tätowierung zu verbergen!«

»Jetzt begreife ich, so muß es sein! Warum aber sind sie so erbittert auf dich?«

»Weil ich Ada liebe!«

»Und glaubst du, daß sie uns wieder angreifen werden?«

Tremal-Naik antwortete nicht. Er blickte nach Süden und erhob sich plötzlich.

»Hast du etwas bemerkt?« fragte der Maharatt furchtsam.

»Ja, Kammamurri. Ich glaube einen seltsamen Schein hinten in der Dschungel entdeckt zu haben. Kurz nach seinem Aufleuchten erlosch er.«

»Gehen wir in die Hütte, Herr. Hier sind wir nicht sicher.«

Tremal-Naik betrachtete nochmals Dschungel und Fluß und begab sich langsamen Schrittes zur Hütte. Dort streckte er sich auf die Hängematte und verbarg sein Gesicht zwischen den Händen. Kammamurri lehnte sich an den Türpfeiler, die Augen auf die Dschungel gerichtet.

Drei lange Stunden vergingen, ohne daß sich der Maharatt bewegte. Der scharfe Ton des Ramsinga riß ihn aus seinem Nachdenken.

»Verhängnisvolle Trompete,« murmelte er zornig. »Also noch ein Unglück! – Nur gut, daß du mir's anzeigst!«

Er lief mehrmals um die Hütte herum und schaute aufmerksam ins Gras, entdeckte aber nichts Bemerkenswertes. Er trat wieder ein, nahm Darma und Punthy mit, verbarrikadierte die Tür und legte sich so dahinter, daß ihn das kleinste Geräusch weckten mußte.

Mehrere Stunden vergingen, ohne daß sich etwas ereignete. Kammamurri konnte vor wachsender Unruhe die Augen nicht schließen und erhob sich häufig, um sich ans Fenster zu stellen.

Gegen Mitternacht ging der Mond unter und ließ die Dschungel in völliger Dunkelheit. In dem Moment bellte Punthy dreimal.

»Jemand nähert sich,« murmelte Kammamurri. »Punthy bemerkt es.«

Er betrat Tremal-Naiks Zimmer. Dieser schlief tief und sprach im Traume von der unglücklichen Ada.

Noch dreimal ließ Punthy ein leises Knurren hören und warf sich zähnefletschend gegen die Tür. Auch der Tiger war unruhig und knurrte.

Nachdem sich Kammamurri mit einem paar Pistolen bewaffnet hatte, spähte er durch alle Fenster und glaubte im Süden einen Feuerschein zu bemerken. Sonst aber war nichts zu hören und zu sehen.

Mehrere Stunden blieb er noch wach. Dann schlief er, überwältigt von Anstrengung, ein. Weder Hund noch Tiger gaben während des Restes der Nacht irgendein Zeichen.

Am Morgen, gespannt, etwas zu erfahren, beeilte sich der Maharatt, vor die Hütte zu treten. Das erste, was er bemerkte, war ein Dolch, der wenige Schritte von der Hütte in der Erde stak und ein Stück Papier von zarter, blauer Farbe hielt.

»Oh!« rief er aus, indem er einen Schritt zurücktrat. »Also, hat es jemand gewagt, bis hierher vorzudringen!«

Vorsichtig näherte er sich, faßte mit Widerwillen diese Gegenstände und hob sie zitternd auf. Der Dolch war von poliertem Stahl und eigener Form, mit seltsamen Eingravierungen auf der Klinge.

Er öffnete das Papier und entdeckte eine gezeichnete Schlange mit dem Frauenkopf, das geheimnisvolle Zeichen der Indier von Raimangal, und darunter einige Zeilen roter Schrift.

»Was bedeuten diese Zeichen?« fragte sich der Maharatt.

Er lief zu Tremal-Naik, der vor einem Fenster saß. Den Kopf zwischen den Händen, blickte er traurig zum nebligen Horizont des Südens.

»Herr!« sagte der Maharatt.

»Was willst du?« fragte der Indier leise.

»Laß jene Gedanken und schau diese Gegenstände! Hier gilt es ein Geheimnis zu entziffern!«

Tremal-Naik drehte sich mühsam um. Beim Betrachten des Dolches, den ihm Kammamurri zeigte, zuckte sein Gesicht nervös zusammen.

»Was ist das?« fragte er schaudernd. »Wer gab dir diese Waffe?«

»Ich fand sie vor der Hütte! Lies diesen Brief, Herr!«

Tremal-Naik riß ihm das Papier aus der Hand und las:

 

»Tremal-Naik!

Die geheimnisvolle Gottheit, die gewaltig über ganz Indien herrscht, übersendet Dir den Todesdolch. Eine leichte Aufritzung der Haut mit seiner vergifteten Spitze genügt, auf daß Du in die Gruft steigest. Tremal-Naik, Du mußt von der Erdfläche verschwinden, die Gottheit will es. Nur um diesen Preis kannst Du den Wetterstrahl ablenken, der im Begriff steht, auf deren Haupt zu fallen, die verurteilt wurde. Heute abend, bei Sonnenuntergang, erwartet Mantschadi Deine Leiche.

Suyodhana.«

 

Während des Lesens war Tremal-Naik blaß geworden.

»Was?« rief er. »Mein Leben! – Mein Leben, um den Wetterstrahl abzulenken, der im Begriff steht, auf deren Haupt zu fallen, die verurteilt wurde! – Was bedeutet diese Drohung?« –

Er las den Brief noch einmal. Eine furchtbare Bestürzung malte sich auf seinem Antlitz. »Großer Siwa!« rief er mit halb erstickter Stimme. »Ein Wetterstrahl steht im Begriff, auf die zu fallen, die verurteilt wurde! – Wenn es – –«

»Wer? Herr, wer?«

»Ada!« rief der Indier herzzerreißend. »Oh! meine arme Ada! Die wollen nicht, daß sie einen Sterblichen liebt. Aber ich will nicht, daß sie stirbt, so jung, so schön! – Also werde ich sterben müssen? – Nie, nie, es ist unmöglich! Ich liebe sie zu sehr, um in die Gruft zu steigen, ohne sie vorher ein letztes Mal gesehen zu haben, ohne ihr zu sagen, daß ich für sie sterbe!«

Tremal-Naik wand sich wie eine Schlange. Plötzlich sprang er auf, wie ein Tiger, der sich auf seine Beute stürzen will. Ein lauernder Blick zuckte in seinen Augen.

»Die Stunde der Rache hat geschlagen!« sagte er in nicht wiederzugebendem Tone. »Ada! Ich komme! – Zu mir, Darma!«

Mit einem Sprunge war der Tiger an der Hüttentür und ließ ein gewaltiges Knurren hören. Tremal-Naik hatte einen Karabiner vom Nagel gerissen und wollte eben gehen, als Kammamurri ihn zurückhielt.

»Wo gehst du hin, Herr?« fragte er, indem er ihn am Körper packte.

»Nach Raimangal, um sie zu retten, bevor sie sie töten!«

»Fasse dich, Herr, und höre mich an. Die Stunde ist noch nicht gekommen, um nach jener verwünschten Insel zu gehen. Auch bist du noch nicht stark genug, um zu kämpfen,« sagte der Maharatt. »Sie wollen deine Leiche, schreiben sie. Nun wohl, sie sollen sie haben; aber eine Leiche, die noch atmet und ihnen an die Kehle springen wird. Vertrau dich nur mir an, Herr! Die Maharatt sind schlau, du weißt es.«

»Was meinst du?« fragte Tremal-Naik, der sich nach und nach ergab.

»Ich meine, daß wir einen Menschen brauchen, der alles beichtet, um das zu erfahren, was wir tun müssen, und dieser Mensch wird Mantschadi sein. Hör mir aufmerksam zu: Heute abend, bei Sonnenuntergang, werde ich dich in die Dschungel tragen und du stellst dich, als ob du tot wärst. Ich und Darma verstecken uns wenige Schritte von dir im Wald, damit dir kein Unglück geschieht. Kommt der Schurke, der Aghur mordete, werfen wir uns auf ihn und nehmen ihn gefangen. Ich übernehme es, daß er uns den Ort verrät, wo sie das Weib versteckt halten, das du liebst, und uns über Zahl und Mittel unserer Feinde berichtet.«

Tremal-Naik nahm die Hände des Maharatt und drückte sie herzlich.

»Wirst du bleiben?« fragte Kammamurri freudig.

»Ja, ich bleibe!« sagte Tremal-Naik, indem er einen tiefen Seufzer ausstieß. »Morgen aber, und wäre es allein, gehe ich nach Raimangal! Ich fühle, Ada droht Gefahr!«

»Allein nicht!« sagte Kammamurri. »Ich und Darma werden dich begleiten. Jetzt Ruhe und die Augen offen: heut abend werden wir Mantschadi in unserer Hand haben!«

Kammamurri verließ seinen Herrn, der sich in tausend Sorgen und düsteren Gedanken auf die Türschwelle gesetzt hatte, und begab sich an den Fluß, um das Boot mit Waffen zu versehen.

Während des Tages geschah nichts Neues. Kammamurri betrat mehrmals, bis an die Zähne bewaffnet, die Dschungel, in der Hoffnung, jemand zu entdecken, vielleicht Mantschadi selbst. Aber er sah weder ein lebendes Wesen, noch hörte er irgendein Zeichen oder Geräusch.

Gegen sieben berührte die Sonne den westlichen Horizont. Da ertönte plötzlich das Ramsinga.

»Die Kanaille nähert sich,« sagte Kammamurri, »ich trage dich in die Dschungel, Herr, kein Wort, auch nicht die kleinste Bewegung, wenn du dich nicht verraten willst! Sobald der Mörder erscheint, wird ihn der Tiger zu Boden reißen.«

Er packte den Herrn, lud ihn, nachdem er ihm ein paar Pistolen unter das weite Gewand gesteckt hatte, auf die Schulter und begab sich schwankend zur Dschungel.

Die Sonne sank hinter den riesenhaften Pflanzen des Westens, als er bei dem ersten Bambus ankam. Er legte Tremal-Naik, der unbeweglich wie eine Leiche blieb, ins Gras nieder und beugte sich dann über ihn.

»Herr, keine Bewegung!« sagte er, »Sobald sich der Tiger auf Mantschadi wirft, erhebst du dich und hältst dem Elenden den Mund zu. Vielleicht sind noch mehr Indier in der Umgebung.«

»Überlaß es mir!« lispelte Tremal-Naik. »Alles wird glatt gehen.«

Kammamurri entfernte sich gebeugten Hauptes, wie ein betrübter Mensch. Als er an der Hütte ankam, ertönte ein zweiter Trompetenstoß durch die stachligen Bambus der Dschungel. »Mantschadi ist noch weit,« sagte er. »Alles geht gut.«

Er trat in die Hütte, bewaffnete sich mit Pistolen und einem großen Messer und trat wieder heraus, indem er Fluß und Dschungel aufmerksam musterte.

»Darma, folge mir!« sagte er.

Mit einem Sprunge war der Tiger bei ihm und so begaben sich beide eilig nach Süden, gedeckt durch Mussenda- und Indigopflanzen. In weniger als fünf Minuten erreichten sie den Bambus und verbargen sich im Gehölz, etwa acht Schritte von Tremal-Naik entfernt.

Ein dritter Trompetenstoß, bedeutend näher, zerriß das tiefe Schweigen der Sunderbunds.

»Gut!« murmelte Kammamurri, indem er eine der beiden Pistolen ergriff. »Der Elende ist uns nahe!«

Er blickte nach dem Herrn. Tremal-Naik schien eine wahre Leiche. Er lag auf der Seite und hatte den Kopf unter einem Arm versteckt. Auch einen Marabu oder Schakal hätte er so getäuscht.

Plötzlich erhob sich ein prächtiger Pfau zwischen dem Bambus und flog schnell davon. Kammamurri legte die Hand auf den Tiger, der die Luft einsog und nach Katzenart den Schwanz bewegte.

»Beweg dich nicht, Darma!« murmelte er.

Sich wie eine Schlange windend, näherte sich Mantschadi, ohne das kleinste Geräusch hervorzubringen.

Kammamurri erhob sich auf die Knie und streckte die mit der Pistole bewaffnete Hand hervor. Dort, ihm gegenüber, sah er den Bambus sich unmerklich bewegen, dann kamen zwei Hände hervor und endlich ein gelblich leuchtender Kopf.

Es war Mantschadi, der Mörder des armen Aghur. Er betrachtete Tremal-Naik mit düster blitzenden Augen und brach in ein schreckliches Lachen aus.

»Darma, pack ihn!« rief Kammamurri, indem er auf die Füße sprang.

Der Tiger machte einen Sprung von fünfzehn Schritt und fiel wie ein Blitz auf den Mörder, der heftig zur Erde geschleudert wurde.

Tremal-Naik stürzte sich auf ihn, und mit einem furchtbaren Schlage betäubte er ihn.

»Halte fest, Herr!« rief der Maharatt herbeieilend. »Zerschmettere ihm ein Bein, um ihn an der Flucht zu hindern!«

»Es ist unnütz, Kammamurri,« sagte Tremal-Naik, indem er den Tiger zurückhielt. »Ich habe ihn halb erschlagen.«

In der Tat gab der Indier, in der Stirn von einem Faustschlag des Schlangenjägers getroffen, kein Lebenszeichen mehr.

»So ist's gut!« sagte Kammamurri. »Jetzt werden wir ihn das Reden lehren. Lebend wird er nicht aus unseren Händen kommen, das schwöre ich dir, Herr! Aghur soll gerächt werden!«

»Sprich nicht so laut, Kammamurri!« murmelte Tremal-Naik, der den Tiger entfernte, da er den Gefangenen zerreißen wollte.

»Glaubst du, daß noch andere Indier in der Nähe sind?«

»Es wäre möglich. Auf, der Himmel verfinstert sich, ein Orkan droht! Fragen wir ihn in der Hütte!«

Kammamurri nahm Mantschadi bei den Beinen und Tremal-Naik an den Handgelenken. So brachen sie schleunigst auf, während riesige, schwarze Wolken mit schwindelerregender Schnelligkeit von Süden her anstürmten.

Wenige Minuten danach kamen sie an der Hütte an und verrammelten die Tür hinter sich.


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