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7. Kapitel.
Kammamurri

Kammamurri war nach der Trennung dem Weg zum Flusse gefolgt und hatte versucht, dem Indier nachzuspüren, der ihm vorausging. Alle zehn Schritte hielt er an. Er war unentschlossen, ob er vorwärts gehen solle. Er war noch keine halbe Meile weit, als er sich, auf Gefahr, den Zorn Tremal-Naiks über sich ergehen zu lassen, entschied, umzukehren.

Er machte kehrt und wandte sich von neuem nach Westen. Auf den Indier, der ihm bisher vorangeschritten war, gab er nicht mehr acht. Noch keine zwanzig Schritte hatte er getan, als er eine Stimme verzweifelt schreien hörte.

»Hilfe! Hilfe!«

Kammamurri machte einen Sprung zurück.

»Hilfe!« flüsterte er. »Wer schreit um Hilfe?«

Mit einer Hand am Ohre lauschte er. Der nächtliche Wind, der von Westen blies, brachte einen scharfen Pfiff zu ihm.

»Da unten geschieht etwas,« brummte der Maharatt unruhig. »Der Wind trägt, also muß der Hilferufende ungefähr eine halbe Meile von hier sein. Das ist die Richtung, die mein Herr genommen hat. Ob sie jemanden morden?«

Die Furcht, in die Hände der Indier zu fallen, war groß, aber die Wißbegierde siegte.

Er nahm den Karabiner unter den Arm und richtete sich nach Westen, indem er das Bambusgebüsch vorsichtig beiseiteschob.

In diesem Augenblick ertönte ein Knall.

Bei diesem Knalle fühlte der Maharatt das Blut in den Adern gerinnen. Den Karabiner Tremal-Naiks, den er so oft in der Dschungel hatte dröhnen hören, kannte er zu gut, um sich täuschen zu können.

»Großer Siwa!« murmelte er mit aufeinandergebissenen Zähnen. »Der Herr verteidigt sich!«

Der Gedanke, daß eine Gefahr Tremal-Naik bedrohe, flößte ihm außergewöhnlichen Mut ein. Ohne jede Vorsicht, daß ihm die Indier vielleicht nachspürten, lief er nach der Richtung, in der der Schuß gefallen war.

Nach einer Viertelstunde kam er an eine Art Lichtung, in deren Mitte sich ein langer mit Flecken bestreuter Körper schlängelte. Jener Körper stieß ein scharfes Zischen aus, wie die Schlangen, wenn sie gereizt sind.

»Eine Riesenschlange!« rief Kammamurri, der, an derartige Reptile gewöhnt, nicht die geringste Furcht empfand.

Eben wollte er sich entfernen, um die Gefahr, angegriffen und zermalmt zu werden, zu vermeiden, als er bemerkte, daß die Schlange zerstückt war und neben ihr ein Körper lag.

Die Haare standen ihm plötzlich zu Berge.

»Ob es der Herr ist?« flüsterte er.

Er packte den Karabiner am Laufe, wandte sich gegen das Reptil, das sich wütend schlängelte, und zerschlug ihm den Kopf.

Als er so vor dem Ungeheuer sicher war, lief er zu jenem menschlichen Körper, der kein Lebenszeichen mehr von sich gab.

»Wischnu sei gelobt!« rief er, indem er einen tiefen Seufzer ausstieß. »Mein Herr ist es nicht!«

Es war derselbe Indier, der, als er sich auf Tremal-Naik stürzen wollte, unter die Krümmungen der Riesenschlange gefallen war. Der weit geöffnete Mund war mit blutigem Schaum besudelt, die Augen aus den Höhlen getreten, Spitzen zermalmter Knochen drangen ihm aus der Brust und die Glieder waren zehnfach gebrochen.

Kammamurri beugte sich über ihn, um zu hören, ob er noch atme, aber das Fleisch war schon kalt.

»Dieser Indier kann nur einer von jenen sein,« sagte er, »die uns verfolgten, denn auf der Brust trägt er die geheimnisvolle Tätowierung.«

Ein leichtes Bambusrauschen ließ ihn aufsehen. Er wandte sich um und duckte sich ins Gras, wo er unbeweglich, wie die Leiche, die neben ihm lag, verharrte.

Wenn er noch nicht entdeckt worden war, konnte er den Blicken dessen entgehen, der sich im Bambus bewegte, da das Gras hoch war.

Das Rauschen war sofort verstummt, aber darauf war kein Verlaß. Die Indier sind geduldig wie die Rothäute Amerikas. Stunden-, ja tagelang spüren sie ihrer Beute nach, und Kammamurri, auch Indier, wußte das wohl.

Einige Zeit verharrte er unbeweglich, dann wagte er den Kopf zu heben und sich umzuschauen.

Ein geräuschvolles Sausen durchschnitt die Luft, und Kammamurri fühlte sich von einem Lasso gewürgt, das eine geschickte Hand um seinen Hals geworfen hatte.

Er erstickte den Schrei, der ihm eben entschlüpfen wollte, packte mit fester Faust den Strick und verhinderte so das feste Einschnüren. Dann fiel er ins Gras zurück und schlug wie ein Sterbender um sich. Die List gelang vollständig.

Der Indier, der sich hinter einer Gruppe wilden Zuckerrohrs verborgen hielt, sprang, im Glauben das Opfer nunmehr in seinen Händen zu haben, vor, um ihm mit Dolchstichen den Rest zu geben.

Kammamurri hatte eine der Pistolen gezogen und auf ihn gerichtet. Ein Blitz zerriß die Finsternis, ein Krach folgte. Der Würger fiel ins Gras. Ein Blutsturz kam ihm aus dem Munde. Er war tot.

»Schlagen wir uns durch,« murmelte Kammamurri, »bald werde ich seine Gefährten auf den Fersen haben.«

Er sprang auf und floh nach der Richtung, von der er gekommen war. Er war überzeugt, daß der Tote der Indier wäre, der ihm vorangeschritten war, und daß es Tremal-Naik gelungen wäre, sich zu retten.

Mehr als tausend Meter durchlief er so und drang immer mehr in die Dschungel ein. Er gab acht, geraden Weg zu halten, um das Flußufer zu erreichen und dort die Rückkehr seines Herrn abzuwarten, den er nicht verlassen wollte. Es war Mitternacht, als er am Rande eines Kokospalmenwaldes anlangte.

Der Maharatt wagte sich nicht weiter vorwärts. Er kletterte daher auf eine der Palmen und machte sich da oben einen Platz zurecht. So war er sicher, weder von Indiern, noch von Tigern angegriffen zu werden.

Er setzte sich oben auf den Stamm und band sich mit dem Strick fest, den er dem Würger genommen hatte. Nun konnte er getrost schlafen und ruhte länger, als er wollte. Als er die Augen öffnete, hatte die Sonne fast ihren ganzen Lauf beendet und neigte sich rasch nach Westen. Er spaltete eine reife Kokosnuß, aß davon und rüstete sich zum Aufbruch. Diesmal nicht in der Absicht, sich nach dem Ufer zu begeben, sondern seinen Herrn aufzusuchen.

Einige Stunden wanderte er durch den Kokoswald, betrat dann, obgleich die Nacht schon weit vorgeschritten war, wieder die Dschungel und bog nach Süden ab. So setzte er seinen Marsch bis Mitternacht fort und hielt von Zeit zu Zeit inne, um den Boden zu untersuchen, in der Hoffnung, eine Spur seines Herrn zu finden. Da er nichts entdecken konnte, war er eben im Begriffe, einen Baum zu suchen, auf dem er den Rest der Nacht verbringen könnte, als ihn zwei dumpfe, in kurzer Entfernung nacheinander abgegebene Schüsse überraschten.

»Da!« rief er aus. »Der Herr!« Er eilte nach Süden. Nach einer halben Stunde erreichte er eine weite Lichtung. Inmitten derselben, vom Mondschein prächtig erleuchtet, erhob sich eine prunkvolle Pagode. Er trat einige Schritte vor, dann kehrte er rasch zurück, um das Bambusgebüsch zu gewinnen.

Zwei Männer waren in der Lichtung erschienen, die eine dritte, anscheinend tote Person trugen und sich gegen die Dschungel bewegten.

»Was hat das zu bedeuten?« brummte der Maharatt, der aus einer Überraschung in die andere fiel. »Ob sie jene Leiche in der Dschungel begraben wollen?«

Er zog sich noch mehr zurück und duckte sich in ein dichtes Gebüsch, von wo aus er sehen konnte, ohne entdeckt zu werden.

Die beiden Träger, die er für Indier hielt, durchschritten schnell die Lichtung und machten bei den Bambussträuchern halt.

»Mut, Sonephur!« sagte der eine. »Werfen wir ihn dort hinein! Morgen werden wir sicher nichts als Knochen finden, wenn die Tiger Lust haben, sie liegen zu lassen!«

»Glaubst du?« fragte der andere.

»Ja, unsere verehrte Göttin wird es übernehmen, ein halbes Dutzend dieser Bestien dazu einzuladen. Dieser Indier ist ein schönes Stück Fleisch und noch jung!«

»Vorwärts denn! eins, zwei – –«

Die beiden Indier schwangen die Leiche und schleuderten sie in die Dschungel.

»Viel Glück!« rief der eine.

»Gute Nacht!« sagte der andere. »Morgen früh werden wir dich besuchen!«

So entfernten sich die Indier und lachten aus vollem Halse.

Kammamurri hatte der Szene beigewohnt. Er wartete, bis sich die Indier entfernt hatten, verließ dann sein Versteck, und von Neugierde getrieben, näherte er sich der Leiche.

Ein erstickter Schrei entfloh seinen Lippen.

»Der Herr!« rief er mit herzzerreißender Stimme.

In der Tat war es Tremal-Naik. Die Augen waren geschlossen, das Gesicht schrecklich verzerrt und mitten in der Brust stak ein Dolch bis ans Heft. Die Kleider waren von Blut besudelt, das noch aus der tiefen Wunde drang.

»Mein armer Herr!« seufzte der Maharatt.

Er legte beide Hände auf den Körper und, wie von einem elektrischen Schlag getroffen, zuckte er plötzlich empor. Es war ihm, als wenn er das Herz noch hätte schlagen fühlen. Er legte das Ohr an, hielt den Atem zurück und lauschte. Tremal-Naik war noch nicht tot, das Herz schlug leise.

»Vielleicht ist er nicht tödlich verwundet,« murmelte er, zitternd vor Aufregung. »Ruhe, Kammamurri, handeln wir, ohne Zeit zu versäumen!«

Vorsichtig entfernte er Tremal-Naiks Gewand und entblößte die breite Brust. Der Dolch war ihm zwischen die sechste und siebente Rippe gedrungen, in der Richtung zum Herzen, ohne es jedoch berührt zu haben.

Die Wunde war furchtbar, aber vielleicht nicht tödlich. Kammamurri, der sich besser als ein Arzt darauf verstand, hoffte, den Unglücklichen zu retten.

Er ergriff den Dolch und zog ihn ohne Erschütterung langsam aus der Wunde.

Ein warmer, roter Blutwurf kam über Tremal-Naiks Lippen.

Das war ein gutes Zeichen.

»Er wird genesen,« sagte der Maharatt.

Er riß ein Stück von seinem Gewand ab und hemmte so den Bluterguß, der für den Verwundeten verhängnisvoll werden konnte.

Jetzt waren Wasser und einige Youmablätter nötig, die auf die offne Wunde ausgepreßt werden mußten, um die Vernarbung zu beschleunigen.

»Wir müssen uns vor allen Dingen von hier entfernen, um einen Weiler zu suchen,« flüsterte er dann. »Tremal-Naik ist stark, ein wahrer Mensch von Stahl und wird den Transport vertragen, ohne daß sich die Wunde verschlimmert. Mut, Kammamurri!«

Er nahm seine ganze Kraft zusammen, faßte Tremal-Naik, so sanft er konnte, unter die Arme und wandte sich nach Osten, in der Richtung zum Flusse.

Von Zeit zu Zeit ruhte er aus, um Atem zu holen und nachzusehen, ob sein Herr noch Lebenszeichen gab. Schweißtriefend, sich mit Mühe auf den Beinen haltend, lief er ungefähr eine Meile und machte am Ufer eines Weihers von reinstem Wasser halt. Der Teich war von einer dreifachen Reihe kleiner Bananen und Kokosbäumen umgeben. Er hob den Verwundeten auf eine dichte Lage Kräuter und legte ein durchnäßtes Tuch auf die blutige Wunde. Bei dieser Berührung kam ein schwacher Seufzer von Tremal-Naiks Lippen.

»Herr! Herr!« rief der Maharatt.

Der Verwundete bewegte die Hände, öffnete die blutunterlaufenen Augen und starrte Kammamurri an.

Ein Freudenstrahl erleuchtete sein bronzefarbiges Antlitz.

»Erkennst du mich wieder, Herr?« fragte der Maharatt.

Der Verwundete nickte und bewegte die Lippen, wie um zu sprechen, brachte aber nur unverständliche Laute hervor.

»Du kannst noch nicht reden,« sagte Kammamurri. »Du wirst mir später alles erzählen. Verlaß dich darauf, Herr, später rächen wir uns an den Elenden, die dich so zugerichtet haben!«

Tremal-Naiks Augen leuchteten in düsterem Feuer, seine Finger krampften sich zusammen und rauften das Gras.

Zweifellos hatte er ihn verstanden.

»Ruhig, ruhig, Herr! Ich suche jetzt einige Kräuter, die dir gut tun werden. In vier bis fünf Tagen verlassen wir dann diesen Ort und suchen unsere Hütte auf, wo du deine Genesung beenden wirst.«

Er empfahl ihm nochmals Schweigen und völlige Unbeweglichkeit, klopfte das Gras in einem Umkreis von ungefähr dreißig Schritten ab, um sich zu versichern, daß sich keine Schlangen versteckt hielten, und entfernte sich. Er brauchte nicht weit zu gehen, bis er einige Youmapflänzchen, im Volke »Schlangenzunge« genannt, fand, deren Saft ein kostbarer Balsam für Wunden ist.

Er pflückte eine Handvoll und wollte eben umkehren, als er plötzlich innehielt und zur Pistole griff. Es war ihm, als hätte er eine schwarze Masse sich lautlos durch den Bambus drängen sehen. Sie hatte mehr die Form eines Tieres, als eines menschlichen Wesens. Er sog die Luft ein und nahm einen durchdringenden Wildgeruch wahr.

»Achtung, Kammamurri!« murmelte er. »Ein Tiger ist in der Nähe!«

Er nahm das Messer zwischen die Zähne und ging unerschrocken gegen den Weiher vor, indem er aufmerksam um sich blickte. Er war darauf gefaßt, sich jeden Augenblick dem blutdürstigen Raubtiere gegenüber zu finden, gelangte aber an die Bäume, ohne das Tier gesehen zu haben.

Tremal-Naik war noch am gleichen Orte und schien eingeschlummert zu sein, was den braven Maharatt freute.

Er legte Karabiner und Pistolen zurecht, um sie jederzeit zur Hand zu haben, kaute die Kräuter, trotz ihrer unerträglichen Bitterkeit, und legte sie auf Tremal-Naiks Wunde.

Da erscholl plötzlich ein furchtbares Tigergebrüll. Er wandte rasch den Kopf und griff instinktiv zu den Waffen.

Fünfzehn Schritte entfernt, sprungbereit, stand ein riesiger Königstiger, der ihn mit funkelnden, stahlblau glänzenden Augen maß.


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