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Jener Tempel in reinstem indischen Stile, war der schönste, den Tremal-Naik je in den Sunderbunds gesehen hatte. Ganz aus grauem Granit erbaut, war er höher als sechzig Fuß und vierzig Fuß breit. Die prächtigen Kolonnaden, die ihn einfaßten, waren mit jener Geschicklichkeit ausgemeißelt, die die indische Rasse auszeichnet.
Allmählich stieg der Tempel an, verengerte sich nach und nach und endete in einer Art Kuppel, die von einer riesigen, mit scharfer Spitze versehenen Metallkugel überragt wurde. Diese Spitze trug die geheimnisvolle Schlange mit dem Frauenkopf.
An den Ecken des Tempels zeigte sich der indische Trimurti, mit drei Köpfen, einem Körper und drei Beinen. Hier und da stellten eine Menge seltsamer Skulpturen Personen aus der heiligen Geschichte der Indier dar. So Brama, Siwa, Wischnu, Parvadi, die unheilvolle Göttin des Todes auf einem Löwen sitzend, Darma Radscha, der indische Pluto, und viele andere Gottheiten. Außerdem befanden sich dort eine große Zahl schreckenerregender Ungeheuer und Elefantenköpfe mit erhobenem Rüssel.
Tremal-Naik hatte plötzlich haltgemacht, überrascht, hier einen Tempel zu finden, wo er nur wilde Dschungel vermutete. Er tat einen Blick um sich. Er befand sich in einer baumlosen Gegend, die sich ohne jeden Strauch über eine halbe Meile ausdehnte.
»Ich bin verloren!« murmelte er zornig. »Finde ich kein Versteck, so kommen mir jene Ungeheuer auf den Leib und erdrosseln mich.«
Für einen Augenblick hatte er den Gedanken, umzukehren, um sich in der Dschungel zu verstecken. Aber es waren achthundert Meter bis dahin, Zeit genug, daß ihn die Verfolger entdecken konnten. Er dachte an die Trümmer am Weiher, aber sie boten kein ausreichendes Versteck.
»Und wenn ich dort oben hinaufstiege?« murmelte er, die höchste Spitze des Tempels betrachtend. »Und warum nicht? – –«
Ein Mann wie er, mit allen denkbaren Leibesübungen vertraut, von herkulischer Kraft und affenartiger Geschicklichkeit, war fähig, bis an die Kuppel hinaufzuklettern, indem er sich an die Kolonnaden und Skulpturen anklammerte, die sich in einer Weise verbanden, daß sie eine Art steiler Stufen bildeten.
Nachdem er den Karabiner entladen und ihn über die Schulter geworfen hatte, eilte er zum Tempel, lauschte einige Augenblicke und, überzeugt von der tiefen Stille, die überall herrschte, begann er den Aufstieg.
Mit überraschender Schnelligkeit stieg er auf eine Säule und von da aus auf die Wände des Tempels, indem er sich an den Beinen der Gottheiten anklammerte, auf ihre Körper stieg, seine Füße auf ihre Köpfe setzte und sich an den Rüsseln der Elefanten und Hörnern der Ochsen des Gottes Siwa festhielt.
Es war eigenartig, geheimnisvoll. Wie er so allmählich aufstieg, fühlte er sein Herz heftig schlagen und seine Muskeln an Kraft zunehmen. Eine unwiderstehliche Kraft zog ihn zur Spitze des Tempels, und bei der Berührung jener kalten Steine fühlte er ungekannte, unbeschreibliche Gefühle.
Es konnte zwei Uhr morgens sein, als er, nach vielen Luftmanövern, vor denen jeder Turner zurückgeschreckt wäre, da er leicht kopfüber hinunterstürzen und sich den Schädel zerschmettern konnte, an der Kuppel ankam. Zu seiner Überraschung stand er schwebend über einer Öffnung, die, tief und dunkel wie ein Schacht, von einem Bronzeholz durchquert wurde, auf das er den Fuß gesetzt hatte.
»Wo bin ich?« fragte er sich. »Dieser Schacht führt zweifellos in das Innere des Tempels.«
Er klammerte sich an das Querholz und schaute hinunter, sah aber nichts vor Finsternis. Er strengte sein Gehör an, aber tiefstes Schweigen herrschte unter ihm. Es konnte sich niemand im Tempel befinden.
Was ihn stutzig machte, war ein ziemlich dickes Seil, aus Pflanzenfasern gedreht, glänzend und biegsam. Es war an das Querholz angeknüpft und verschwand unten in der Öffnung. Er packte es, nahm alle seine Kräfte zusammen und zog daran. Sofort bemerkte er, daß es am äußersten Ende an einem schweren Gegenstand befestigt war, der sich beim Anziehen läutend bewegte.
»Es muß eine Lampe sein,« sagte Tremal-Naik.
Plötzlich schlug er sich vor die Stirn.
»Jetzt entsinne ich mich!« rief er lebhaft.
»Ja – – jene beiden Männer sprachen von einem Tempel – – von einer Jungfrau, die wacht. Gerechter Wischnu, wenn es vielleicht gar – –«
Er hielt inne und griff mit beiden Händen ans Herz, das heftig schlug. Er fühlte eine ähnliche Erregung wie damals, als er sich abends vor jener seltsamen Erscheinung befand.
Blitzartig kam ihm eine Idee. Er klammerte sich an jenes Seil und ließ sich, ohne zu wissen, wohin er endlich kommen würde und was ihn da unten erwartete, langsam hinuntergleiten. Einige Minuten danach stießen seine Füße gegen einen abgerundeten Gegenstand, der einen metallenen Klang von sich gab, den die Echos des Tempels oftmals wiederholten.
Eben wollte er sich hinabbeugen, um zu sehen, was es sei, als ein Knarren, ähnlich dem einer Türe, die sich in den Angeln bewegt, an seine Ohren schlug. Er blickte hinab. Es war ihm, als wenn er einen Schatten sich in der Finsternis bewegen sähe, fast ohne Geräusch hervorzubringen.
»Was kann das sein?« fragte er sich schaudernd.
Bereit, bei einer Entdeckung sein Leben so teuer als möglich zu verkaufen, zog er eine Pistole, spannte sie und wartete unbeweglich wie eine Granitstatue.
Ein tiefer Seufzer drang zu ihm. Jener Seufzer machte einen neuen, geheimnisvollen Eindruck auf ihn. Es war ihm, als wenn man ihm einen Dolch ins Herz gestoßen hätte.
»Bin ich verrückt oder verhext?« murmelte er.
Der Schatten hatte vor einer enormen schwarzen Masse Halt gemacht, die sich direkt unter dem Seile befand.
»Hier bin ich, schreckliche Gottheit!« rief eine Frauenstimme, die Tremal-Naik bis auf den Grund der Seele erschütterte.
Tremal-Naik, aufs höchste erregt, hörte, wie etwas Flüssiges auf den Boden gespritzt wurde und empfand einen lieblichen Geruch.
»Abscheuliche Menschen!« dachte er. »Und doch hat jener Schatten eine liebliche Stimme, wie die Töne des ›Saranguy‹. Eine Art Violoncell, aber kleiner und kürzer als die unsrigen. Es gibt einen sehr zarten, hellen Ton. Es ist sonderbar. Ich zittere, als wenn ich das Fieber hätte. Warum?«
»Ich hasse dich!« rief dieselbe Stimme tief erbittert. »Ich hasse dich, schreckenverbreitende Gottheit, die du mich zur ewigen Marter verdammtest, nachdem du mir alles zerstörtest, was ich Liebes auf Erden hatte. Mörder, mögt ihr verflucht sein, auf Erden und im Jenseits!«
Ein Tränenerguß folgte der Verwünschung, die jenes geheimnisvolle Wesen auf jene Menschen schleuderte, die sie Mörder nannte. Tremal-Naik zitterte wieder an allen Gliedern, und er, der Unerschrockene, der wilde Sohn der Dschungel, der Schlangen Jäger, zum ersten Male in seinem Leben fühlte er sich erschüttert.
Einen Augenblick faßte er den Entschluß, sich hinabfallen zu lassen, aber ein gewisses Mißtrauen hielt ihn. Übrigens war es schon zu spät, denn der Schatten hatte sich entfernt und verschwand in der Dunkelheit. Kurz danach hörte er das Knarren einer Tür, die sich schloß.
»Werde ich dieses Geheimnis nie enthüllen können?« flüsterte Tremal-Naik fast zornig. »Wer sind jene Ungeheuer, die Menschen opfern? Wer ist nur diese schauerliche Gottheit? Wer ist das, das weint, während die anderen würgen? Das, während die anderen mir Schauder erregen, mich rührt? Ich weiß nicht warum, aber eine innere Stimme sagt mir, daß ich dieses Weib schon gesehen habe. Mir schlägt das Herz so heftig, ich glaube, dieses Weib ist – –«
Sehnsüchtig, fast erschreckt hielt er inne.
Eine Blutwelle stieg ihm ins Gesicht und bedeckte ihn mit Schweiß.
»Wenn es meine Vision wäre!« rief er mit vor Erregung zitternder Stimme.
Er ließ sich hinuntergleiten und setzte seine Füße auf einen harten, schwer zu bestimmenden Gegenstand, der einen, den metallenen Körpern und hauptsächlich den Bronzen eigenen Ton gab.
Er merkte, daß er sich über der schwarzen Masse befand, vor der das Weib jenen Wohlgeruch verschüttet und unter Verwünschungen geweint hatte.
»Was ist dies nur?« flüsterte er.
Er bückte sich, legte die Hände auf die Bronzemasse und stieg weiter hinab, bis er die Erde berührte. Seine Füße glitten auf einem glatten, feuchten Boden aus.
»Hier ist es, wo sie den Wohlgeruch verschüttete,« sagte er. »Morgen werde ich erfahren, wo ich mich befinde und mit wem ich zu tun habe.«
Er machte einige Schritte, in der Finsternis umhertappend. Dann kauerte er sich zusammen und wartete mit der Pistole in der Hand, daß ein Lichtstrahl den geheimnisvollen Tempel erleuchte.
Einige Stunden verstrichen, ohne daß irgendein Geräusch das feierliche Schweigen gestört hätte.
Dort oben, gegen die Öffnung, begann der Himmel sich zu erhellen und die Sterne erblichen in der ersten Morgendämmerung.
Tremal-Naik wartete immer noch wachsamen Auges und scharfen Ohres, mit der Geduld, die der asiatischen Rasse eigen ist.
Gegen vier Uhr erschien die Sonne am Horizont und erleuchtete die große Bronzekugel, die sich auf der Spitze des Tempels erhob. Durch die weite Öffnung fiel ein Lichtstrahl herab. Tremal-Naik sprang auf. Er war überrascht, betäubt von dem Schauspiele, das sich seinen Blicken bot.
Er befand sich in einer Art riesigen Kuppel, deren Wände sonderbar bemalt waren. Die ersten zehn Schöpfungen Wischnus, Es gibt einundzwanzig Schöpfungen Wischnus. Sie sind noch nicht vollendet. Die zehnte soll der indischen Sage nach ins 20. Jahrhundert fallen. Der Gott wird sich unter der Figur eines Pferdes zeigen, mit einem Säbel im rechten Fuße und einem Schild im andern. Und unter dieser schrecklichen Gestalt wird er alle Schändlichen verderben. Sonne und Mond werden sich verfinstern, die Erde wird zittern, Sterne werden fallen und die Schlange Adissescheu wird so viel Feuer speien, daß alle Erdkugeln und Kreaturen verbrennen. des schaffenden Gottes der Indier, waren dort, umgeben von den hauptsächlichsten, von den Indiern verehrten Halbgöttern.
Inmitten des Götzentempels erhob sich eine große Bronzestatue, die eine Frau mit vier Armen darstellte. Einer davon hielt ein langes Schwert, ein anderer einen Kopf.
Eine lange Kette von Totenschädeln hing ihr bis zu den Fußknöcheln herab und ein Gürtel von abgeschnittenen Händen und Armen umschloß ihre Hüften.
Das Gesicht jenes schrecklichen Weibes war tätowiert, ihre Ohren mit Ringen geschmückt. Die Zunge, blutigrot bemalt, hing ein Stück aus dem tierisch grinsenden, verzerrten Munde, die Armgelenke umspannten große Bänder und die ganze Gestalt erhob sich über einer Gruppe Verwundeter.
Der erste Blick zeigte, daß diese Gottheit vom Blute berauscht, auf den Körpern der Opfer tanzte.
Ein anderer seltsamer Gegenstand war ein Becken aus weißem Marmor, das in die leuchtenden Steine des Fußbodens eingesetzt war. Es war mit ganz klarem Wasser gefüllt, und darinnen schwamm ein prächtig rotgelb gefärbter, kleiner Fisch, der einem Mango aus dem Ganges glich.
Tremal-Naik hatte etwas Ähnliches nie gesehen. Er stand vor der scheußlichen Gottheit und betrachtete sie mit einem Gemisch von Bewunderung und Furcht. Wen stellte nur diese tückische, mit Schädeln und abgeschnittenen Händen und Armen behangene Figur vor? Was bedeutet der Goldfisch, der in dem weißen Becken schwamm? Welche Beziehungen hatten diese beiden seltsamen Symbole mit den tierischen Menschen, die ihresgleichen verfolgten und würgten?
Ein leises Knarren wurde hörbar. Mit dem Karabiner in der Hand drehte sich Tremal-Naik um, zog sich aber sofort zu der scheußlichen Gottheit zurück, indem er mit großer Mühe einen Schrei der Bewunderung und Freude zurückhielt.
Vor ihm, auf der Schwelle einer vergoldeten Türe, stand ein Mädchen von wunderbarer Schönheit. Auf ihrem Antlitz malte sich ängstlicher Schrecken.
Sie konnte vierzehn Jahre sein. Die in Indien geborenen Frauen entwickeln sich frühzeitig. Mit zehn Jahren sind sie heiratsfähig, mit 25 oder 30 beginnen sie schon zu altern. Ihre Gesichtszüge waren von einer antiken Reinheit und beseelt von jenem sprühenden Ausdruck des anglo-indischen Weibes.
Die Haut war rosig und von unvergleichlicher Weichheit, ihre Augen groß, schwarz und funkelnd wie Diamanten. Die feinen, korallenfarbigen, melancholisch geöffneten Lippen ließen zwei Reihen blendend weißer Zähne durchblicken. Der üppige, kastanienbraune Haarwuchs war von einer Gruppe großer Perlen auf der Stirn geteilt und mit Blumen des »Schambaga«, von lieblichem Gerüche, verflochten.
»Ada! – – Ada! – – Die Erscheinung der Dschungel,« rief Tremal-Naik mit gepreßter Stimme.
Er war nicht mehr fähig zu reden und verharrte stumm, keuchend, bestürzt, jenes stolze Geschöpf zu sehen.
Plötzlich tat das Mädchen einen Schritt vorwärts und ließ den weiten Seiden-»Sari« fallen, der mit einem breiten, himmelblauen Streifen und mit prächtigen Mustern verziert war.
Ein leuchtender Lichtstrahl traf sie. Der Schlangenjäger wurde so geblendet, daß er die Augen schließen mußte.
Das Mädchen war buchstäblich mit Gold und kostbaren Edelsteinen von unschätzbarem Werte bedeckt. Ein Panzer von Gold, mit den schönsten Diamanten Golgondas und Guzeratos reich geschmückt und der geheimnisvollen Schlange mit dem Frauenkopf, die die ganze Brust umschloß, verziert, verschwand hinter einem breiten, mit Silber gesteppten Kaschmirtuch, das die Hüften umspannte. Mehrreihige Halsketten von Perlen und haselnußgroßen Diamanten hingen ihr um den Hals. Breite, ebenfalls mit kostbaren Steinen besetzte Armbänder schmückten ihre nackten Arme, und die weiten Beinkleider von weißer Seide waren am Gelenk der kleinen nackten Füßchen mit Korallenreifen der schönsten Färbung zusammengezogen.
Der Lichtstrahl, der durch eine kleine Öffnung auf diese Verschwendung von Gold und Edelsteinen fiel, hatte das junge Mädchen sozusagen in ein Lichtmeer von zündendem Glänze getaucht.
»Die Vision! – Die Vision!« wiederholte Tremal-Naik zum zweiten Male, indem er die Arme gegen sie ausstreckte. »O! wie schön du bist!« – –
Das junge Mädchen schaute sich bestürzt um und hielt einen Finger an die Lippen, wie um ihn schweigen zu heißen. Dann lief sie direkt auf ihn zu.
»Unglücklicher!« sagte sie mit Schrecken. »Was willst du hier? – – Welche Tollheit bringt dich an diesen furchtbaren Ort?«
Der Schlangenjäger war, ohne zu wollen, in die Knie gefallen und hatte die Hände gegen sie ausgestreckt. Mit größtem Schrecken wich sie zurück.
»Rühre mich nicht an!« sagte sie leise.
»Wie schön du bist!« rief er leidenschaftlich.
»Schweig, Tremal-Naik!«
»Wie schön du bist!« wiederholte der wilde Sohn der Dschungel.
Sie legte wieder einen Finger auf die Lippen.
»Wenn du mich nicht verlieren willst, so mach kein Geräusch,« sagte sie mit mildem Vorwurf. »Du kennst die entsetzlichen Gefahren noch nicht, die uns bedrohen.«
»Ich bin Tremal-Naik! Wer ist jener Mensch, der dich bedroht? Sag es mir und ich, der Schlangenjäger, ich schwöre dir, daß dieser Feind morgen von der Erde vertilgt sein wird!«
»Sprich nicht so, Tremal-Naik!«
»Warum? – – Höre, Mädchen: Nie habe ich ein Frauenantlitz in der Dschungel gesehen, die nur von Tigern bewohnt wird. Als ich dich bei den letzten Strahlen der scheidenden Sonne zum ersten Male sah, dort, hinter jenem Mussendagebüsch, erbebte mein ganzer Körper. Wie eine vom Himmel gestiegene Gottheit kamst du mir vor und ich vergötterte dich.«
»Schweig! Schweig!« wiederholte das Mädchen mit gebrochener Stimme, indem sie das Gesicht zwischen den Händen barg.
»Ich kann nicht schweigen, liebliche Blume der Dschungel!« rief Tremal-Naik immer leidenschaftlicher. »Als du verschwandest, war es mir, als wenn sich etwas von meinem Herzen risse. Ich war wie trunken, vor den Augen tanzte mir deine Vision, in den Adern raste das Blut und Blutwellen stiegen mir ins Gesicht, bis zum Hirn. Man konnte glauben, du hättest mich verhext!«
»Tremal-Naik!« flüsterte das Mädchen ängstlich.
»Jene Nacht schlief ich nicht,« fuhr der Schlangenjäger fort. »Ich hatte das Fieber in den Knochen und eine wütende Raserei packte mich, dich wiederzusehen. Warum? Ich wußte es nicht, noch konnte ich mir begreiflich machen, wie es geschah. Es war das erstemal in meinem Leben, daß eine derartige Erregung über mich kam.
Vierzehn Tage vergingen. Jeden Abend, bei Sonnenuntergang, sah ich dich wieder hinter dem Mussenda, und ich fühlte mich glücklich bei dir, ich glaubte, in eine andere Welt versetzt zu sein. Du sprachst nicht mit mir, aber du schautest mich an und das war mir schon zuviel. Deine Blicke waren beredt, sie sagten mir, daß du –«
Ängstlich hielt er inne und betrachtete das Mädchen, das das Gesicht zwischen den Händen hielt.
»Ah!« rief er schmerzlich. »Du willst also nicht, daß ich rede?«
Das Mädchen schüttelte sich und betrachtete ihn feuchten Auges.
»Warum reden,« stammelte sie, »da doch zwischen uns eine Kluft besteht? Warum bist du hierher gekommen, Unglücklicher, und weckst mir im Herzen eine neue, vergebliche Hoffnung? Weißt du denn nicht, daß dieser Ort verflucht ist und dem besonders gefährlich, den ich liebe?«
»Den ich liebe!« rief Tremal-Naik freudig. »Wiederhole dieses Wort, liebliche Blume der Dschungel! Ist es wahr, daß du mich liebst? Ist es wahr, daß du jeden Abend hinter den Mussenda kamst, weil du mich liebtest?«
»Du treibst mich in den Tod, Tremal-Naik!« rief das Mädchen erbebend.
»Tod! Warum? Welche Gefahr bedroht dich? Bin ich nicht hier, um dich zu verteidigen? Was tut's, daß dieser Ort verflucht ist? Was tut's, daß eine Kluft zwischen uns besteht? Ich bin stark, so stark, daß ich für dich diesen Tempel erschüttern und jenes schreckliche Ungeheuer zermalmen würde, vor dem du Wohlgeruch ausgossest!«
»Wie, du weißt das? Wer sagte es dir?«
»Ich habe dich diese Nacht gesehen.«
»Ja, ich war hier, vielmehr dort oben, an jener Lampe angeklammert, die über deinem Haupte schwebt.«
»Aber wer führte dich in diesen Tempel?«
»Das Schicksal, oder besser, das Lasso der Menschen, die diese verwünschte Erde bewohnen!
»Sie haben dich also gesehen?«
»Verfolgt haben sie mich!«
»Ach, Unglücklicher, du bist verloren!« rief das Mädchen verzweifelnd.
Tremal-Naik stürzte sich gegen sie.
»Aber sag mir, was ist das für ein Geheimnis?« fragte er fast wütend. »Warum all der Schrecken? Was bedeutet jene scheußliche Figur, die Wohlgerüche bedarf? Was jener Goldfisch, der in dem Bassin schwimmt? Was bedeutet jene Schlange mit dem Frauenkopf, die du auf deinem Panzer trägst? Wer sind diese Menschen, die ihresgleichen würgen und unter der Erde leben? Ich will es wissen, Ada, ich will es wissen!«
»Frag mich nicht, Tremal-Naik!«
»Warum nicht?«
»Ach, wüßtest du, welch schreckliches Geheimnis auf mir ruht!«
»Aber ich bin stark!«
»Was gilt Kraft gegen diese Menschen?«
»Ich werde sie unerbittlich bekriegen.«
»Sie werden dich zertreten wie einen jungen Bambus. Auch Englands Macht bieten sie Trotz. Sie sind stark, Tremal-Naik, und furchtbar! Nichts widersteht ihnen, weder Flotte noch Heer. Alles fällt unter ihrem vergifteten Hauche.«
»Aber wer sind sie denn nur?«
»Ich kann es nicht sagen.«
»Und wenn ich dir's befehlen würde?«
»Ich würde mich weigern.«
»Also du – – mißtraust mir?« rief Tremal-Naik zornig.
»Tremal-Naik,« antwortete das Mädchen, »ein Urteil lastet auf mir, ein furchtbares Urteil, das erst mit meinem Tode von mir weichen wird. Ich habe dich geliebt, kühner Sohn der Dschungel, ich liebe dich immer, aber – –«
»Ah! du liebst mich!« rief der Schlangenjäger.
»Ja, ich liebe dich, Tremal-Naik!«
»Schwöre es bei jenem Ungeheuer, das neben uns steht!«
»Ich schwöre es!« sagte das Mädchen, indem es die Hand gegen die Bronzestatue erhob.
»Schwöre, daß du mein Weib sein wirst!«
Ein Krampf verzog die Gesichtszüge des Mädchens.
»Tremal-Naik!« flüsterte sie dumpf, »ich werde dein Weib sein, wenn es möglich sein wird.«
»Ah! Ich habe vielleicht einen Nebenbuhler?«
»Nein, keiner wird so kühn sein, einen Blick auf mich zu werfen. Ich bin dem Tode verfallen.«
Tremal-Naik hatte zwei Schritte rückwärts getan und die Hände an das Haupt gepreßt.
»Dem Tode!« – – rief er aus.
»Ja, Tremal-Naik, ich bin ein Kind des Todes. An dem Tage, an dem ein Mann seine Hände auf mich legen wird, werden die Lasso der Rächer mein Leben fordern. Zwischen uns ist ein Abgrund, den niemand ausfüllen wird.«
Ein Tränenerguß erstickte ihre Stimme und benetzte ihr Gesicht. Tremal-Naik stieß ein leises Seufzen aus und ballte die Fäuste.
»Was kann ich für dich tun?« fragte er, bis in den Grund der Seele bewegt. »Sage mir, was ich tun soll, befehle, und ich werde dir mehr als ein Sklave gehorchen. Willst du, daß ich dich aus diesem Orte heraushole, ich werde es tun, und müßte ich das Leben beim Versuche lassen.«
»O! Nein, nein!« rief das Mädchen mit Schrecken. »Das würde der Tod für uns beide sein!
»Willst du, daß ich mich entferne? Höre, ich liebe dich leidenschaftlich, wenn aber dein Dasein unsere ewige Trennung verlangt, so werde ich die Liebe zerbrechen, die mein Herz gebar. Zur fortwährenden Marter wäre ich verdammt, aber ich würde es tun! Sprich, was soll geschehen?«
Das Mädchen schwieg und schluchzte. Tremal-Naik zog sie sanft an sich und wollte eben die Lippen öffnen, als draußen das Ramsinga ertönte.
»Flieh! flieh! Tremal-Naik!« rief das Mädchen außer sich vor Schrecken. »Flieh, oder wir sind verloren! Wenn sie uns finden, opfern sie uns ihrer furchtbaren Gottheit.«
»Ich werde dich verteidigen!«
»Flieh, Unglücklicher, flieh!«
Tremal-Naik hob statt jeder Antwort den Karabiner von der Erde auf und spannte ihn. Das Mädchen verstand, daß dieser Mensch unbeugsam war.
»Hab Mitleid mit mir!« sagte sie ängstlich. »Sie kommen!«
»Nun wohl, ich erwarte sie,« antwortete Tremal-Naik. »Bei meinem Gotte schwöre ich, daß ich den ersten Menschen, der es wagen wird, Hand an dich zu legen, töten werde, wie einen Tiger der Dschungel.«
»Nun wohl, bleib, da du unbeugsam bist, kühner Sohn der Dschungel, ich werde dich retten!«
Sie hob ihren »Sari« auf und ging zur Tür, durch die sie eingetreten war. Tremal-Naik stürzte ihr nach und hielt sie zurück.
»Wo gehst du hin?« fragte er.
»Den Menschen empfangen, der sogleich ankommen wird, um zu verhindern, daß er hier eintrete. Heute abend, um Mitternacht, werde ich zu dir zurückkehren. Alsdann wird sich der Wille der ›Numen‹ erfüllen und vielleicht – – werden wir fliehen!«
»Dein Name?«
»Ada Corisanth.«
»Ada Corisanth? Ah! Wie schön ist dieser Name! Geh, edles Wesen, um Mitternacht erwarte ich dich!«
Das Mädchen wickelte sich in den »Sari«, schaute sich feuchten Auges nochmals nach Tremal-Naik um und ging hinaus.