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Im Thüringerwalde. Juli 1523.
Fritz und ich sind sicherlich weit glücklicher hier im Pfarrhause als im Schlosse; hier unten, umringt von den Wohnungen der Menschen und den geheimnisvollen, herrlichen Wäldern, statt droben allein auf einer befestigten Anhöhe zu thronen. Nicht als ob ich damit sagen wollte, daß das Herz im Schlosse nicht eben so demütig sein könnte, als in der Hütte, über es scheint mir ein reicheres und nützlicheres Leben unter den Menschen, als wenn man so hoch über ihnen steht. Wie die Wohnstätte, so ist meistens die Lebensweise. Und wo kann es ein gesegneteres Los geben, als das unsrige?
Mit den verschiedenen Klassen verbunden, können wir desto besser dem Herrn dienen, der gekommen ist, um allen zu helfen. Was die Erziehung betrifft, dem Adel oder vielmehr Den Patriziern der großen Städte gleich, welche weit gebildeter sind als die Rittergutsbesitzer, steht der meist nicht sehr bemittelte Pastor dem Bauern näher, da er aus Erfahrung die Versuchungen der Armut kennt; daher ein Austausch kleiner Liebesdienste zwischen beiden stattfinden kann. Muhme Trudchen findet ein wahres Vergnügen daran, mir ein Körbchen frisch gelegter Eier zu bringen, als Beweis ihrer Dankbarkeit für die Besuche, welche Fritz ihrem kranken Sohne macht. Wir dagegen fühlen eine um so süßere Freude, der Familie eines armen Köhlers in einer Lichtung des Waldes Nahrung zu bringen, da unsere eigene Mahlzeit darum ein wenig einfacher sein muß. Ich meine, Gaben, welche erfinderische Liebe erdacht und die ein wenig Selbstverläugnung gekostet haben, müssen wohlthuender sein als das bloße Ueberströmen des Reichtums. Jedenfalls gewähren sie dem Geber süßere Freude. Unser einfaches Pfarrhaus ist gleichsam das Vaterhaus für das ganze Dorf; und solche geheiligten Stätten der Liebe und der christlichen Unterweisung schenkt Gott nach und nach durch unsern Luther einem Dorfe nach dem andern.
Jedoch ich muß mich hüten, wie Fritz sagt, unser Pfarrhaus nicht auf einen noch höheren Gipfel zu bauen, als das Schloß, nur um ihm als Piedestal zu dienen, ein Unrecht, bei dem ich mich freilich manchmal ertappte. Er hat so herrliche Gaben, einen solch edlen Charakter, daß ich natürlich seinen Beruf für den höchsten in der Welt halten muß; und im Geheimen bin ich auch davon überzeugt, so lange er zugleich der Demütigste bleibt.
Die Landleute fangen an ganz zutraulich gegen uns zu werden. Weder große Thore, noch Gräben, noch mächtige Zugbrücken trennen uns von den Bauern. Unsere Thüre steht immer offen; und schüchterne Hände, welche es nie wagen würden an das Schloßthor und die Klosterpforte zu pochen, um Einlaß zu begehren, schieben getrost unsere Riegel zurück. Mütter schleichen mit ihren kranken Kindern in die Küche, um Kräuter und allerlei Heilmittel zu holen, die ich im Kloster zubereiten gelernt habe. Dann fordere ich sie auf. sich zu setzen, und so fangen wir oft an von Dem zu reden, der mit einem Worte die Kranken gesund machte und Der die Kindlein auf Seine Arme nahm und sie herzte und segnete. Oft höre ich auch von Sünden und Kummer erzählen, welche kein irdischer Balsam zu heilen vermag und weise dann die Betrübten auf Ihn, der allein helfen kann, weil Er allein das Recht hat, Sünden zu vergeben. –
Fritz sagt auch, es sei so viel leichter für ihn hier zu predigen, weil er die Sorgen und Lasten seiner Gemeinde kennt, und die Zuhörer lauschen in der Kirche mit erhöhtem Interesse auf die heiligen Worte und Geschichten, welche sie schon vorher zu Hause gehört haben.
Einige Mädchen kommen überdies zu mir, um nähen und stricken zu lernen und um in der Bibel zu lesen oder wenigstens vorlesen zu hören. Mittlerweile unterrichtet Fritz die Knaben in der heiligen Schrift und im Kirchengesang, weil der Schulmeister alt ist und die Kinder wenig mehr lehren kann, als mechanisch einige lateinische Gebete hersagen und ein wenig deutsch buchstabieren.
Ich hatte keinen Begriff von solcher Unwissenheit, wie die, welche wir hier gefunden haben. Fritz sagt, die ersten Verkündiger des Christentums unter den Deutschen müssen es mit den Herzen gemacht haben wie die ersten Ansiedler mit den Wäldern; hin und wieder haben sie eine Lichtung ausgehauen und eine Kirche gebaut, während sie rings umher alles unverändert und unbebaut ließen.
Die Bären und Wölfe, die im Walde heulen und sich des Winters zuweilen ganz nahe zu den Häusern heranwagen, sind nicht wilder als die schrecklichen Sagen, welche die Bauern sich erzählen.
Am Sonntag kommen sie festlich gekleidet in die Kirche, um die Messe zu hören, das Allerheiligste, das Kreuz und das Bild der Mutter Gottes anzubeten, aber die Woche hindurch fahren sie fort, den Waldgeistern in abergläubischer Furcht zu dienen. Es ist, als ob sie sich einbildeten, unser Herr Jesus sei der Gott der Kirche und des Dorfes, während die alten heidnischen Götter noch im Besitz des Waldes seien. Ja es scheint sogar, daß sie die Frage des heiligen Christophorus: »Welches ist der Stärkste, damit ich ihm dienen kann,« noch nicht recht entschieden haben.
Doch ach! der ganze Gottesdienst, sowohl in der Kirche als im Walde, den man sie gelehrt hat, ist eigentlich nur eine abergläubische Furcht. Kobolde und verschiedene böse Geister, glauben sie, verhexen ihr Vieh, stecken ihre Heuschober in Brand, führen sie irre in den Wäldern, stehlen ihre Kinder aus der Wiege, um ihnen unheimliche Wechselbälge dafür hineinzulegen. Daher suchen die Bauern den Zorn dieser boshaften Wesen zu besänftigen, indem sie ihnen Korn und Nüsse zur Nachlese stehen lassen, mit verstellter Ehrfurcht von ihnen reden oder christliche Worte und Gebete als Bannsprüche gebrauchen.
Noch Schlimmeres fürchten sie von dem allmächtigen Gott. An dem schrecklichen Tage des Gerichts sitzt er, wie sie denken, auf seinem furchtbaren Throne und fordert strenge Rechenschaft über alle ihre Vergehungen. Auch hat man sie, um seinen Zorn abzuwenden, gelehrt verschiedene Mittel zu gebrauchen, welche uns wenig besser scheinen als eine Art geistlicher Zauberformeln; das Herplappern vieler Paternoster, Ave, Bußübungen, Beichte und Ablaß.
Gegen die Waldgeister nehmen sie insgeheim ihre Zuflucht zu gewissen klugen Leuten, meistens runzelige, alte, in Zauberkünsten erfahrene Weiber (Nachfolgerinnen, sagt Fritz, der alten heidnischen Prophetinnen), die für Geld seltsame Zauberformeln gebrauchen oder ihnen Amulette geben, welche sie umhängen, oder sie Zaubersprüche hersagen lehren.
Um sich vor Gottes Ungnade zu beschützen, pflegten sie sich an den Priester zu wenden, der Messen für sie las, Geister bannte, Ablaß der Sünden verkaufte und versprach, die Rache der beleidigten Gottheit von ihrem Haupte abzuwenden.
In beiden Fällen aber hegen sie die traurige Ueberzeugung, daß das höchste Wesen ihnen feindlich gesinnt sei. In beiden Fällen ist die Religion nicht sowohl ein Gottesdienst als ein Zauberwerk; nicht sowohl eine Annäherung zu Gott als ein Versuch, seiner gefürchteten Gegenwart zu entrinnen.
Im Anfänge kostete es mich manche Thränen, als wir dies zuerst begriffen.
»Woher kommt es nur,« fragte ich Fritz eines Tages, »daß alle Welt so falsche Begriffe von dem lieben Gott zu haben scheint?«
»Es gibt einen Feind in der Welt,« sagte er feierlich, »welcher Lügen in die Herzen der Menschheit säet.«
»Aber Gott ist ja mächtiger als der Satan,« wendete ich ein; »warum dringt denn kein Lichtstrahl durch die tiefe Dunkelheit und zeigt den Menschen an Sonnenschein und Regen, an der Schönheit des Frühlings und dem reichen Herbst- und Erntesegen, daß Gott die Liebe ist?«
»Ach Eva,« erwiderte er traurig, »hast du vergessen, daß nicht nur der Teufel in der Welt, sondern auch die Sünde in dem Herzen ist?« Freilich verleumdet er Gott, wenn er uns überredet, Gott mißgönne uns das Glück; aber er spricht die Wahrheit, wenn er uns daran erinnert, daß wir Sünder sind, unter dem Fluche des guten und heiligen Gesetzes. Wäre die Lüge nicht auf Wahrheit gegründet, so würde sie keinen Augenblick bestehen können. Nur indem wir die Wahrheit bekennen, auf welche er seine Lüge gründet, können wir die letztere zerstören. Eure Furcht ist gegründet, müssen wir den Bauern sagen; seht an diesem Kreuze, was eure Sünden gekostet haben!«
»Aber die alte Religion hat das Kreuz noch aufgepflanzt,« fuhr ich fort.
»Das hat sie, Gott sei Dank!« erwiderte Fritz. »Allein statt vom Krucifixe müssen wir von einem Kreuze reden, das der Gekreuzigte verlassen hat; von einem leeren Grabe, von einem auferstandenen Heilande; wir müssen sie lehren, daß der Fluch hinweggenommen ist, daß Gott, der selbst das Opfer geschenkt, den Geopferten wieder zu sich auf seinen Thron erhoben hat.«
Bei dem öffentlichen Gottesdienst haben wir nicht viel Veränderungen vorgenommen. Anstatt des Meßopfers feiern wir das heilige Abendmahl; keine Hostie wird mehr zur Anbetung der Gemeinde emporgehoben, keine Seelenmesse mehr gelesen und alle Gebete und Gesänge sind in deutscher Sprache.
In Wittenberg behält Dr. Luther bei einigen Gottesdiensten noch die lateinische Sprache bei, weil es eine Universität ist und er für gut findet, daß die Jugend in den alten Sprachen geübt werde. Ja, er sagt, er möchte gerne einige Gottesdienste auf Griechisch und Hebräisch halten, damit das Studium dieser Sprachen ebenso in Aufnahme käme, wie das der lateinischen.
Hier im Walde aber unter den unwissenden Bauern und den Rittern, welche meistens nur zu bald das bischen Gelehrsamkeit vergessen haben, das sie sich in der Jugend erworben, sieht Fritz keinen Grund, die alte Sprache beizubehalten: und es ist eine große Freude, den Ausdruck auf den Gesichtern zu beobachten, wenn er aus der Bibel oder aus Luthers Liedern vorliest, denn sie fangen nun an zu begreifen, daß der Gottesdienst keine bloß äußerliche Ceremonie ist, die man für sie vollbringt, sondern daß ihr Geist und Herz dabei sein müssen.
Auch besuchen wir sehr gerne Chrimhilde und Ulrich auf dem Schlosse. Der alte Ritter und Dame Hermentrud waren anfangs ziemlich zurückhaltend und steif gegen uns; doch erwies mir der Ritter immer große Artigkeit und Dame Hermentrud empfängt uns sehr freundlich, seitdem sie sich überzeugt hat, daß wir nicht die Absicht haben, uns in ihren Stand einzudrängen.
Ueberdies sind wir noch durch ein anderes zartes Band mit einander verknüpft, seitdem sie sich so weit überwunden hat, mit mir von ihrer Schwester Beatrix zu reden, die ich nur als die verwelkte, gedrückte, alte Nonne gekannt habe, derer sich aber Dame Hermentrud, die alten Diener der Familie und einige betagte Bauern im Dorfe noch als eines frischen, heitern Mädchens erinnern, das nur zu früh auf alles Glück der Erde verzichten mußte.
Immer und immer wieder muß ich der Schwester erzählen, wie sie allmählig aus dem Zustande dumpfer Hoffnungslosigkeit in den demütiger, himmlischer Ruhe und freudigen Vertrauens auf Christum übergieng und von ihrem sanften friedlichen Heimgang.
»Ja, Frau Pastorin,« sagte eines Tages Dame Hermentrud, »der Ehre einer adeligen Abkunft müssen nicht selten große Opfer gebracht werden. Auch ich habe schweren Kummer zu tragen gehabt.« Bei diesen Worten öffnete sie die Schublade einer Kommode und zeigte mir die Miniaturbilder eines Ritters und seines Knaben, beide in kriegerischer Rüstung; es war ihr Gatte und ihr Sohn. »Beide kamen um in einer Fehde mit der Familie, welcher Beatrixens Verlobter angehörte,« sagte sie bitter. »Wie hätten unsere Geschlechter sich je mit einander zu einem verbinden können?«
»Aber sollen denn diese Fehden gar kein Ende nehmen?« fragte ich.
»Ja,« versetzte sie finster, indem sie mich an das Fenster führte, von welchem aus ein zerfallenes Schloß sichtbar wurde, »diese Fehde hat ein Ende. Die Familie ist ausgestorben.«
»Der Herr Jesus will, daß wir unseren Feinden vergeben,« sagte ich ruhig.
»Ohne Zweifel,« erwiderte sie; »aber die von Bernsteins hatten sich freche Eingriffe in unsere Rechte erlaubt; sie waren Räuber und Mörder. Solches Unrecht muß gerächt werden, sonst geht die menschliche Gesellschaft zu Grunde.«
Gegen die Bauern ist Dame Hermentrud sehr herablassend und gütig und gibt uns oft Nahrungsmittel und Kleidungsstücke, um sie unter die Bedürftigen auszuteilen; doch zweifelt sie noch immer, ob es wohlgethan sei, sie lesen zu lehren.
»Man sollte jeden an seinem Platze lassen,« sagte sie.
Und ich glaube, daß sie sich bis jetzt noch keinen andern Begriff vom Himmel machen kann, als den einer wohl geordneten Gemeinde, in welcher die Seelen der Adeligen auf hoch erhabenen Sitzen thronen, während die Seelen der Bauern ich demütig in den Thälern aufhalten; und der Hauptunterschied zwischen Himmel und Erde besteht nach ihrer Meinung besonders darin, daß im Himmel Jedermann an seinem Platze zu bleiben versteht.
Und in einem gewissen Sinne hat sie damit auch ganz Recht. Aber wie würde ihr wohl die Regel gefallen, nach welcher im Himmel die Plätze angewiesen werden?
» Die Ersten werden die Letzten, und die Letzten die Ersten werden.«
» Wer unter Euch der Erste sein will, der sei aller Diener.«
Auf der andern Seite erschrickt Fritz oft über den bittern Haß, welchen die Bauern gegen ihren Lehnsherrn hegen; wie man das Unrecht von Geschlecht zu Geschlecht nachträgt und wie das Landvolk Luther hauptsächlich verehrt, weil es die unbestimmte Idee hat, er, der Bauernsohn, werde die Bauern frei machen.
Ach! wann wird doch Gottes Ordnung in der Welt hergestellt werden, wo jeder, anstatt aus selbstsüchtigem Ehrgeize sich emporschwingen zu wollen, und mit niedrigem Stolze andere hinunterzudrücken, anstatt emporzuschauen, um zu beneiden, und hinabzusehen, um zu verachten, hinaufsehen wird, um zu ehren, und hinab, um zu helfen! Wann werden alle »aus Liebe einander dienen?«
Im September 1523.
Wir haben einen Gast, von dem ich Dame Hermentrud nichts zu sagen wage. Ueberhaupt werden Fritz und ich die ganze Geschichte niemand hier anvertrauen.
Vor einigen Tagen kam ein alter, von Gram gebeugter Mann mit grauen Haaren zu uns, den Fritz als einen alten Freund willkommen hieß, es war der Priester Ruprecht Haller aus Franken. Fritz hatte mir von ihm erzählt, so daß ich wohl verstand, was er meinte, als er plötzlich Fritz bei Seite zog und mit zitternder Stimme zu ihm sagte:
»Bertha ist sehr krank, vielleicht am Sterben. Ich darf sie nicht mehr besuchen. Ich weiß, sie will es nicht mehr zugeben. Könnt Ihr zu ihr gehen und ihr Trost zusprechen?«
Fritz versicherte ihn seiner Bereitwilligkeit, alles zu thun, was in seiner Macht stünde, und so kam man überein, daß der Priester bei uns übernachten und beide am folgenden Morgen nach dem Bauernhause aufbrechen wollten, wo Bertha im Dienste ist und das nur wenige Meilen von uns entfernt im Walde liegt.
In der Nacht aber kam mir ein Gedanke, den ich in Ausführung brachte, ehe ich Fritz etwas davon sagte, weil er oft in eine Sache willigt, die schon begonnen ist, die er aber, wenn man sie ihm blos vorschlüge, für ganz unausführbar halten würde, besonders wenn ich dabei im Spiele bin. Ich stand daher am nächsten Morgen sehr früh auf, ging zu unserm Nachbar, dem Bauern Herder, und bat ihn, uns sein altes graues Pferd auf einen Tag zu borgen, um eine Kranke heimzubringen. Er gewährte mir's gerne, und noch ehe das Frühstück eingenommen war, stand das Pferd vor der Thüre.
»Was ist denn das?« fragte Fritz.
»Es ist Nachbar Herders Pferd, mit dem ich zur Bertha, reiten und sie zurückbringen will,« erwiderte ich.
»Unmöglich, meine Liebe,« versetzte Fritz.
»Du siehst, daß alles angeordnet und begonnen ist,« sagte ich. »Das Zimmer ist bereit sie zu empfangen, und ich bin fertig angekleidet, um sie zu holen.«
Priester Ruprecht stand auf, kam auf mich zu, indem er gerührt ausrief:
»Gott segne Euch!« Dann, als ob er fürchte eine Unbescheidenheit begangen zu haben, setzte er hinzu: »Gott segne Euch für diesen Gedanken. Doch es ist zu viel!« Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.
»Was wolltest Du thun, Eva?« sagte Fritz, mich besorgt anblickend.
»Bertha wie eine Schwester aufnehmen und pflegen, bis sie hergestellt ist,« antwortete ich.
»Wie kann ich zugeben, daß Du mit ihr unter einem Dache weilst?« sagte er.
Mein Augen füllten sich unwillkürlich mit Thränen!
»Der Herr Jesus bat sich von einer solchen Unglücklichen die Füße salben lassen, sagte ich. »Und Du hast mir erzählt, daß sie Ihn liebt und das Teuerste aufgegeben hat, um Sein. Wort zu befolgen. Laß uns die Vergangenheit auslöschen, und laß sie von uns aus ein neues Leben beginnen, wenn es Gottes Wille ist.«
Fritz machte keine Einwendungen mehr. Und so zogen wir drei durch den betauten Wald, und mit uns war –dies fühlten wir alle –der gute Hirte, der das verirrte Schäflein sucht.
Noch nie hatten mir die grünen Lichtungen und Waldblumen, die schlanken Fichten frischer und herrlicher gedäucht, –und mich mehr an eine heilige Domkirche erinnert, als an diesem Morgen.
Nach kurzem, schwachem Widerstande ließ sich Bertha überreden, mit uns zu kommen. Ihre Krankheit schien mir das Schwinden der Kräfte, wenn des Lebens Werk und Hoffnungen vorüber sind. Mit Vorsicht brachte das graue Pferd sie sicher heim.
Nie schien unsere liebe Heimat uns so heiter anzulächeln, als da wir sie mitbrachten, die hier eine Ruhestätte, ein Asyl gegen böse Zungen finden sollte.
Wir hatten ein kleines Stübchen über der Hausthüre zu unserm Gastzimmer bestimmt; und es war mir ein süßer Gedanke, daß Bertha es zuerst bewohnen und unser Haus, wie das Herz unseres Heilandes, eine Zuflucht für die Ausgestoßene, Reuige, Einsame und Bekümmerte werden sollte.
Eine sanfte Ruhe verbreitete sich über ihr bleiches abgehärmtes Gesicht, nachdem ich sie zu Bette gebracht hatte.
»Ich glaube, ich werde bald wieder gesund sein,« sagte sie den nächsten Morgen, »und dann erlaubt Ihr mir, bei Euch zu bleiben als Eure Magd; ich kann hart arbeiten, wenn ich wohl bin, und es ist mir hier bei Euch, als ob ich zu. Hause wäre.«
»Wir wollen zu erkennen suchen, was Gottes Wille ist,« sagte ich zu ihr.
Sie wird täglich besser. Gestern verlangte sie zu spinnen oder sonst etwas zu arbeiten, und dies erheitert sie ungemein. Heute saß sie mit ihrem Spinnrädchen in der Wohnstube, und ich stellte sie den Landleuten, welche zu uns kamen, als eine Freundin vor, die krank gewesen ist. Von ihrer Geschichte wissen sie nichts.
Im Januar 1524.
Alles ist nun vollbracht. Unser kleines Gastzimmer ist wieder leer und Bertha ist fort.
Als sie sich wieder etwas erholt hatte, erhielt Fritz einen Brief von dem Priester Ruprecht, den er still für sich las und dann einsteckte, bis wir beide allein uns auf den Weg gemacht hatten, um, wie wir oft zu thun pflegen, den alten Köhler im Walde zu besuchen.
»Haller,« begann Fritz zweifelnd, »wünscht Bertha noch einmal zu sehen.«
»Und warum sollte er es nicht?« sagte ich. »Warum sollte das frühere Unrecht nicht so viel als möglich wieder gut gemacht und die, welche sich auf Gottes Gebot von einander getrennt haben, auf Sein Gebot wieder vereinigt werden?«
»Ich habe das oft gedacht, meine Liebe,« versetzte Fritz; »allein ich wußte nicht, was Du hievon denkst.«
Nach einigen Schwierigkeiten und Verzögerungen wurden Bertha und der Priester Ruprecht in aller Stille hier in der Dorfkirche getraut und reisten dann nach einem weit entfernten Dorfe in Pommern, am baltischen Meere, dessen Bewohner Dr. Luther gebeten hatten, ihnen einen evangelischen Prediger zu senden.
Es schnitt mir durchs Herz, als ich die beiden, deren Jugend durch unmenschliche Gesetze und menschliche Schwachheit so getrübt und vernichtet worden war, mit einander das Dorf hinabwandern sah. Es lag solche Verehrung in seiner Zärtlichkeit gegen sie, solche Demut in der ihrigen, welche zu sagen schien: »Alles, was Du um meinetwillen verloren hast, will ich, soweit es möglich ist, in den noch übrigen Jahren Dir zu ersetzen suchen.«
Als wir aber ihr bleiches Gesicht und ihren müden Gang und seine gebeugte, obschon noch kräftige Gestalt bemerkten, nahm Fritz meine Hände, um mit mir ins Haus zurückzukehren und sagte:
»Es ist gut, aber es wird schwerlich lange dauern.«
Thränen verhinderten mich, ihm zu antworten.