Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ebernburg, 2. April 1526.
Eine Kluft hat sich zwischen mir und dem Klosterleben aufgethan. Ich habe im Gefängnis gelegen, und hier erst gewann ich meine völlige Emancipation. Die Bande, welche ich zu zerreißen mich scheute, sind ohne mein Zuthun zerbrochen worden, und ich bin nicht länger mehr ein Mönch.
Ich hatte mich nicht enthalten können, meinen Klosterbrüdern von der frohen Botschaft zu reden, die mich so beseligte. Es ist der christlichen Ueberzeugung ebenso unmöglich, sich nicht mitzuteilen, wie dem Strome, nicht zu fließen, und der Flamme, nicht emporzuflackern. Allmälig sammelte sich eine Schar durch Christum Erlöster um mich her. Ich sprach zuerst nicht viel von Dr. Luthers Schriften mit ihnen; ich wollte ihnen lieber zeigen, daß Luthers Lehre nicht von ihm selbst, sondern von Gott ist.
Allein die Zeit kam, wo Dr. Luthers Name in jedermanns Munde war. Vom Vatikan wurde der Bannstrahl nach ihm geschleudert. Sein Name wurde von den Anhängern des Papstes als der des elendesten Ketzers gebrandmarkt. In manchen Kirchen, besonders in denen der Dominikaner, wurde das Volk unter Glockenschall zu einer feierlichen Verfluchungsceremonie zusammengerufen, wo die ganze Priesterschaft um den Altar der schwarz verhangenen Kirche die schauderhaften Verfluchungsworte aussprach, indem sie ihre brennenden Fackeln auf dem steinernen Boden auslöschten, zum Zeichen, wie sie sagten, daß durch diesen Bann für die Seele des Verfluchten jede Hoffnung erloschen sei.
Zufälliger Weise wurde ich Zeuge einer solchen Ceremonie. Und mein Herz war nicht das einzige, welches vor Entrüstung entbrannte, zu hören, wie der teure Name zu den Apostaten und Ketzern gezählt und dem allgemeinen Abscheu überliefert ward. Allein in keinem Herzen wurde ein solches Feuer entflammt, wie in dem meinigen. Denn ich kannte ja die Quelle, aus der diese Verwünschungen flossen, wußte, wie leichtsinnig, wie sorglos diese Feuerbrände geschleudert werden, nicht in der fanatischen Wut verblendeter Gewissen, sondern fröhlichen Mutes, mit Ueberlegung als eine Sache der Staatsklugheit, von den grausamen Händen solcher Menschen, denen weder an Gottes Fluch noch an seinem Segen gelegen ist. Und ich kannte auch das Herz, das sie zu verwunden bestimmt waren, das aufrichtige weiche Herz Dr. Luthers, das so langsam und unter tausend Schmerzen erst gelernt hatte, die Götzen seiner Jugend als eine Lüge zu erkennen, dem es solch schweren Kampf gekostet hatte, als es endlich zwischen dem Worte Gottes und der Stimme der Kirche wählen und auf alle Hoffnungen, alles Vertrauen, alle Freunde seiner früheren Jahre verzichten mußte, und wie bitter noch immer diese Trennung für ihn ist, wie gerne er, als ein demütiges Kind, sich um jeden Preis –ausgenommen den der Wahrheit und des Heils, der Seelen –in den Schoß der Kirche geworfen hätte, der er in jugendlicher Inbrunst alles geopfert hat, was das Leben wert machen kann.
» Sie fluchen, du aber segne.« Diese Worte kamen mir ganz unwillkürlich in den Sinn, und entschlüpften fast unbewußt meinen Lippen. Mehr als ein »Amen« antwortete mir rings umher; allein zu derselben Zeit bemerkte ich, daß. ich von boshaften Augen beobachtet wurde.
Nachdem diese Exkommunikation publiziert war, wurden Dr. Luthers Schriften auf dem Marktplatz öffentlich verbrannt. Mainz war die erste Stadt Deutschlands, von welcher ihm. diese Schmach widerfuhr.
Traurig kehrte ich in meine Zelle zurück. In allen Klöstern unseres Ordens sind die Meinungen in Hinsicht Luthers sehr geteilt. Die Schriften des heiligen Augustinus haben bei uns in vielen Herzen die Wahrheit lebendig erhalten, und überdies herrscht hier eine natürliche Neigung für einen Mann unseres Namens und ein starker Parteihaß gegen die Dominikaner, gegen Tetzel und Eck, Luthers erbitterte Feinde. Wahrscheinlich gibt es kaum ein Augustinerkloster, in welchem nicht in Bezug auf Luther ein mächtiger Zwiespalt sich fände.
Wenn ich die großen Wahrheiten, daß Gott aus freier Gnade dem Sünder vergibt, weil Christus für ihn gestorben ist (daß der Richter losspricht, weil der Richter selbst für den Schuldigen gelitten hat) verkündigte, so hatte ich, wie gesagt, gesucht, sie nicht auf menschliche Worte, sondern auf göttliche Autorität zu gründen. Jetzt aber schien es mir, daß ein freies Bekenntnis für Luther mit dem Bekenntnis Christi identisch geworden sei. Zu allen Zeiten ist es gerade die Wahrheit, welche angegriffen wird, an der unsere Treue sich erproben soll. Es ist Pflicht, die Wahrheit nicht bloß auszuüben, sondern auch freimütig zu bekennen. Wenn ich aufs lauteste und klarste jeden Teil der göttlichen Wahrheit bekenne, den kleinen Punkt ausgenommen, welchen Welt und Teufel gerade in diesem Augenblicke angreifen, so bin ich kein Bekenner Christi, wie kühn ich auch das Christentum verteidigen mag. Da, wo die Schlacht wütet, wird die Treue des Kriegers erprobt, und wenn er auch auf andern Stellen des Schlachtfeldes fest bleibt, so ist dies nichts als schimpfliche Flucht, wenn er von jenem Punkte zurückweicht.
Auch scheint es mir durch Erfahrung bewiesen, daß zu allen Zeiten sich der Kampf um einen gläubigen, von Gott gesandten Menschen entspinnt, dem anzuhängen die Treue gegen Gott gebietet. In den Tagen des ersten judaisierenden Angriffes auf die noch junge christliche Kirche war der heilige Paulus dieser Mann. In dem großen arianischen Streite war es Athanasius –» Athanasius contra mundum« In unsern Tagen und in unserm Lande, glaube ich, ist es Luther; und ihn zu verleugnen würde für mich, der aus seinem Munde die Wahrheit gelernt hat, eine Verleumdung Christi selbst sein. Ich bin überzeugt, daß Luther der Mann ist, den Gott in unserer Zeit der deutschen Kirche erweckt hat. Darum will ich ihm folgen, –nicht als einem vollkommenen Vorbilde, sondern als einem von Gott gesandten Führer. In wichtigen religiösen Kämpfen können wir unmöglich neutral bleiben; und wenn wir wegen eines kleinen Unrechts bei der guten Sache oder wegen eines geringen Fehlers an dem frommen Manne uns weigern, auf die Seite des Rechtes zu treten, so stellen wir uns damit stillschweigend schon auf die Seite des Unrechts.
Als ich ins Kloster zurückkam, fand ich das Gewitter im Anzuge. Man fragte mich, ob ich Schriften von Dr. Luther besitze; ich bejahte es. Man verlangte ihre Auslieferung. Ich sagte, daß man sie mir wegnehmen könne, daß ich sie aber nicht freiwillig der Zerstörung überliefern werde, weil ich glaube, daß sie göttliche Wahrheit enthalten. Dabei verblieb es, bis wir uns alle für die Nacht in unsere Zellen zurückgezogen hatten; dann kam ein älterer Mönch zu mir und beschuldigte mich, insgeheim lutherische Ketzerei unter den Brüdern verbreitet zu haben.
Ich gestand, daß ich eifrig, aber nicht heimlich, mich bemüht habe, die in Luthers Schriften enthaltenen Wahrheiten, jedoch nicht in seinen, sondern mit St. Pauli Worten unter den Brüdern zu verbreiten. Ein heftiger Streit folgte hierauf, der damit endigte, daß der Mönch mit der Drohung meine Zelle verließ, man werde Mittel finden, die weitere Verbreitung des Giftes zu verhindern.
Am folgenden Tage führten sie mich in das Gefängnis, in welchem Johann von Wesel starb. Die schweren Riegel wurden vorgeschoben und ich blieb in dem düsteren Kerker allein.
Beim Hinausgehen sagte jener Mönch, mit dem ich abends zuvor den Streit gehabt, bedeutungsvoll zu mir: »Hier starb vor noch nicht vierzig Jahren ein solcher Ketzer wie Martin Luther.«
Diese Worte, welche mir eine heilsame Furcht einflößen sollten, wirkten als ein kräftiges Stärkungsmittel. Der Geist des Siegers, der hier vernichtet schien, aber nun mit der Siegespalme vor dem Lamme steht, war mir nahe. Der Geist der Wahrheit, für die er gelitten, war bei mir, und was ich in der Einsamkeit dieses Kerkers gelernt habe, würden mich anderswo Jahre nicht gelehrt haben.
Keiner, als der sie selbst getragen hat, weiß, wie stark die Fesseln find, womit ein falscher Glaube, den wir auf dem Schoße der Mutter gelernt und dem wir Jahre unseres Lebens geopfert haben, uns gefangen hält. Vielleicht hätte ich nie vermocht, sie zu zerbrechen. Allein feindliche Hände haben sie für mich, sowie für tausend andere mit Gewalt zerrissen. Doch es war der Ritterschlag, der mich aus einem Mönche zu einem Ritter und Streiter Christi machte.
Ja, im Gefängnisse erst lernte ich, daß diese Gelübde, die mich so viele Jahre hindurch gebunden, ein Band sind, das die Menschen nicht an Gott, sondern an eine falsche, lügenhafte Tyrannei kettet. Das einzige, wahre Gelübde ist, wie Dr. Luther sagt, unser Taufgelübde, –zu entsagen der Welt, dem Fleische und dem Teufel, als Streiter Christi. Der einzige göttliche Orden ist der allgemeine Orden des Christentums. Alle andern Orden sind Unordnung; nicht Verbindungen innerhalb der Kirche, sondern Verschwörungen gegen dieselbe. Wenn in einem Heere die Truppen sich's einfallen ließen, die Anordnungen des Feldherrn zu übertreten, nach eigenwilligen Regeln sich selbst aufzustellen, in besondern Uniformen, unter selbsterwählten Anführern, so würden sie nicht mehr Soldaten, sondern Aufrührer sein.
Es ist, glaube ich, Gottes Ordnung, daß der Staat alle Menschen, die Kirche alle Christen umfasse; und der Kern des Staates und der Typus der Kirche ist die Familie. Gott ruft die Menschen in's Dasein, um Säuglinge, Kinder, Söhne, Töchter, Gatten, Gattinnen, Väter, Mütter zu werden. Er sagt: »Gehorchet Euern Eltern, liebet Eure Weiber, ehret Eure Männer, liebet Eure Kinder.« Als Kinder laßt den Sohn Gottes in Nazareth Euer Vorbild sein, als verheiratet sei der Herr, der Seine Kirche mehr liebte als Sein Leben, Euer Vorbild; als Eltern nehmt den himmlischen Vater zu Eurem Führer! Wenn wir nun, auf jeden heiligen Namen der Familienliebe, die Er geweiht hat, verzichtend, und jede stille, unscheinbare Pflicht, die Er eingeschärft hat, vernachlässigend, neue, selbstgewählte isolierte Verbindungen von Männern oder Frauen gründen, die nur durch gemeinsamen Namen und Kleidung mit einander verwandt sind, so beweisen wir uns nicht blos als liebenswürdige Schwärmer, sondern auch als Rebellen gegen die göttliche Ordnung in der Menschheit.
Freilich kann Gott wohl einzelne besonders berufen, Vater und Mutter, Weib und Kinder und alles Ihm zu Liebe zu verlassen. Aber wenn er zu solchem Opfer beruft, so geschieht dies durch die deutliche Stimme der Vorsehung oder den bittern Ruf der Verfolgung, und dann ist der einsame Pfad des Märtyrers oder des Apostels eben so gut ein Pfad demütigen Gehorsams als der einer Mutter oder eines Kindes. Dasselbe heilige Oel, welches das Haupt der Braut, der Mutter und des Kindes salbt, weiht auch die Märtyrerkrone, nämlich die Weihe der Liebe und des Gehorsams. Es gibt keine andere. Was nicht Pflicht ist, das ist Sünde; was nicht Gehorsam ist, das ist Ungehorsam; was nicht aus der Liebe kommt, das ist aus Selbstsucht; und sich in einem Kloster mit Dornen krönen, ist eben so egoistisch, als zu einer weltlichen Lustbarkeit das Haupt mit Blumen bekränzen.
Darum habe ich auf immer der Kutte und dem Kloster entsagt. Ich bin nicht länger mehr Bruder Sebastian vom Einsiedlerorden des heil. Augustinus. Ich bin wieder Friedrich Cotta, Margaretha Cottas Sohn, Elsens und Theklas Bruder Fritz. Ich bin kein Mönch mehr, sondern ein Christ, nicht mehr ein gelobter Augustiner, sondern ein getaufter Christ! Schon auf den Armen meiner Mutter Christo geweiht, und durch den Glauben meiner reifern Jahre mit ihm vereint. Mein Leben soll hinfort nicht mehr durch auferlegte Uebungen eines schon vor mehreren hundert Jahren verstorbenen Menschen geregelt sein, sondern Tag für Tag will ich suchen, mich selbst, Leib, Seele und Geist in den Willen meines allmächtigen, liebenden Gottes zu übergeben; jeden Morgen will ich Ihm sagen: »Mein täglich Brot gib mir heute; meine tägliche Aufgabe zeige mir heute.« Und nie wird Er ermangeln, mich zu erhören, wie oft ich auch versäumen mag, Ihn zu bitten.
An Zeit zu solchen Gedanken fehlte es mir in meinem Gefängnisse nicht; denn während der drei Wochen, die ich darin eingekerkert war, hatte ich, da Wasser und Brot mir jeden Morgen nur stumm hingereicht wurden, nur zwei Besuche von meinem Freunde, dem alten Mönch, der mir zuerst von Johann von Wesel erzählt hatte.
Das erste Mal kam er, wie er sagte, um mich zu einem Widerruf zu bereden. Allein was er auch immer für Absichten gehabt haben mochte, so sprach er doch sehr wenig vom Widerrufen, und viel mehr von seiner eigenen Schwachheit, die ihn hindere dieselbe Wahrheit zu bekennen.
Das zweite Mal brachte er mir eine Verkleidung, und sagte, daß er für diese Nacht alles zu meiner Flucht vorbereitet habe. Als daher das Geräusch der mächtigen Riegel, welche die schwerfälligen Thüren verschlossen, in den langen, steinernen Gängen verhallt, kein Fußtritt mehr zu hören war; als eine Zelle nach der andern geschlossen und jeder Ton in dem weitläufigen Klostergebäude erstorben war, legte ich die Mönchskutte und Kaputze ab und hüllte mich in den Bürgeranzug, den mein Freund mir verschafft hatte.
Dies war eine frohe und zugleich feierliche Handlung für mich, und, auf den steinernen Boden des Gefängnisses niederknieend, dankte ich dem Herrn, der durch Seinen Versöhnungstod und durch das freisprechende Wort Seines Geistes mich zu einem freien Menschen, ja noch viel besser zu Seinem Erlösten gemacht hatte.
Die körperliche Freiheit, die meiner wartete, war eine geringe Gabe im Vergleiche mit der geistigen Freiheit, die mir schon zu Teil geworden. Das Anlegen dieser gewöhnlichen Kleidung des bürgerlichen Lebens war mir gleichsam eine Belehnung mit der Freiheit der Gottesstadt, des Gottesreiches. Hinfort sollte ich nicht mehr ein Glied einer engen, abgeschlossenen Gesellschaft, sondern des ganzen Menschengeschlechts sein, nicht mehr allein auf stolzer Höhe erstarren, sondern den demütigen Pfad der allgemeinen Pflichten wandeln, meinen Brüdern dienen, nicht wie Reiche, die an einer köstlich besetzten Tafel schwelgen, Bettlern und Hunden einige Brocken zuwerfen, sondern unter und mit ihnen leben, mein Lebensbrot mit ihnen teilen; nicht mehr wie der Vorläufer in der Wüste, sondern wie der Herr auf den Gassen und Landstraßen und in den Häusern; keinen edlern Namen verlangen, als den eines nach dem Bilde Gottes geschaffenen Menschen; nach keinem höhern Titel streben, als nach dem eines Christen, erlöst durch das Blut Christi, und wiedergeboren, um in sein göttliches Bild verklärt zu werden. Ja, diese Bürgerkleidung war mir das Symbol eines Freigelassenen, die Uniform eines Kriegers, die Rüstung eines geschworenen Ritters; und mit frohem Herzen schritt ich hinter dem alten Mönche her, als er kam, mich hinaus zu führen, meine Mönchskutte in einem Winkel des Kerkers zurücklassend, als die Hülse eines bisherigen leblosen Lebens.
Vergebens suchte ich meinen Befreier zu überreden, mit mir zu entfliehen. »Für mich würde die Welt ein Gefängnis sein, Bruder,« sagte er mit einem trüben Lächeln. »Alle, die ich dort liebte, sind tot; und was sollte ich dort thun mit dem Körper eines Alten und der Unerfahrenheit eines Kindes? Sei unbesorgt um mich,« fügte er hinzu; »ich werde gewiß auch einst eine Heimat haben, doch nicht auf dieser Erde.«
So trennten wir uns; er kehrte in's Kloster zurück, und ich setzte meinen Weg fort durch Fluß und Wald bis zu dem Schlosse des edlen Ritters Franz von Sickingen, welches auf einer steilen Höhe in einem durch den Zusammenfluß von zwei Strömen gebildeten Winkel liegt.
Während meiner einsamen Gefangenschaft hatte sich draußen in der Welt wichtiges ereignet. Als ich das Schloß Ebernburg erreichte, fand ich seine Bewohner alle in großer Aufregung wegen Luthers Vorladung nach Worms. Sein Name und meine Gefangenschaft um seines Glaubens willen waren hinreichende Empfehlungen für mich, um in dem Schlosse gastliche Aufnahme zu finden, und ich wurde auf's herzlichste willkommen geheißen.
Welch ein Kontrast zwischen dem einförmigen Schlendrian des Klosters, der Stille des Gefängnisses und dem Leben und Treiben hier im Schlosse. Hier ist alles in Bewegung. Man beratschlagt eifrig, was man wohl für Dr. Luther thun könne; Boten zu Fuß und zu Roß eilen beständig zwischen Ebernburg und Worms hin und her, wo gerade jetzt der Reichstag versammelt ist, und der wackere Ritter Franz viele Zeit im Gefolge des Kaisers zubringt.
Auch Ulrich von Hutten ist hier und macht ziemlich heftige Ausfälle auf die fanatischen Mönche und die mattherzigen Fürsten, und Dr. Bucer, der durch Luthers heilsame Worte bei der großen Konferenz des Augustinerordens in Heidelberg von der römischen Sklaverei befreit worden ist.
30. April 1521.
Die Ereignisse einer ganzen Lebenszeit scheinen sich in dem vergangenen Monat zusammengedrängt zu haben. Wenige Tage, nachdem ich obiges geschrieben, wurde beschlossen, Dr. Luther, der schon auf der Reise nach Worms begriffen war, eine Botschaft zu schicken mit der Bitte, sich nicht nach Worms zu wagen, sondern sich nach Ebernburg zu wenden. Glapio, der Beichtvater des Kaisers, hatte den Ritter von Sickingen und den Kaplan Bucer überredet, daß alles sich leicht würde ausgleichen lassen, wenn nur Dr. Luther den verhängnisvollen Schritt vermiede, auf dem Reichstage zu erscheinen.
Eine berittene Schar wurde daher Dr. Luther entgegengesandt, um ihn, wenn er einwilligte, nach Ebernburg zu geleiten, der »Zuflucht und Freistätte der Frömmigkeit,« wie man das Schloß genannt hat.
Ich begleitete die Abgesandten, deren Hauptsprecher Dr. Bucer sein sollte; doch glaubte ich nicht, daß Dr. Luther mit uns ziehen werde. Ich allein von allen hatte ihn gekannt, noch ehe er auf der großen Weltbühne als der mutige Gegner der Falschheit erschien, da er noch nichts anderes war, als ein einfacher, aufrichtiger, unbekannter Mönch. Ich wußte, daß der Schritt, welcher andern so groß schien, weil er ihn aus sicherer Dunkelheit auf einen gefährlichen Standpunkt vor die Augen der ganzen Christenheit führte, für ihn kein großer augenblicklicher Entschluß, sondern nur einfach ein kleiner Schritt war auf dem Pfade des Gehorsams und demütiger Pflichterfüllung, den er so viele Jahre schon zu wandeln sich bestrebte. Allein mir war sehr bange. Ich mißtraute Glapio und glaubte, daß alle diese Bemühungen der päpstlichen Partei, Luthers Erscheinen auf dem Reichstage abzuwenden, nicht seinen Nutzen, sondern den ihrigen zum Zwecke hatten.
Meine Ahnung ward erfüllt. Wie beredt und mit welch liebender Besorgnis Bucer ihn auch bat, so daß selbst seine Begleiter und treuen Freunde, Jonas, Amsdorff und Schurff, ungewiß wurden. Luther schwankte keinen Augenblick. Er war auf dem Wege des Gehorsams. Der nächste Schritt war eben so unzweifelhaft und notwendig, wie alle übrigen, und sollte er gleich, wie er einmal gesagt hatte, »durch Flammen gehen, die von Wittenberg bis Worms reichten und gen Himmel schlügen.« Jetzt gebrauchte er jedoch keines dieser schrecklichen. Bilder, so natürlich sie ihm waren, sondern sagte nur einfach:
»Ich ziehe weiter. Wenn der Beichtvater des Kaisers mir etwas zu sagen hat, so kann er es in Worms sagen. Ich will gehen, wohin ich berufen bin.«
So zog er weiter, und die Abgesandten seiner Freunde kehrten unverrichteter Sache nach Ebernburg zurück.
Ich trennte mich nicht von ihm. Unterwegs erzählten mir seine Begleiter, mit welcher Verehrung er allenthalben empfangen worden, wie viele ihn mit Thränen der Liebe gebeten hätten, nicht weiter zu ziehen, da der Weg, den er gehe, zum Scheiterhaufen führe, und wie sie geweint, daß sie sein Angesicht nie wieder sehen sollten; wie er unter körperlicher Schwäche und vielen Schmerzen, unter Zurufungen und Thränen seine Reise fortgesetzt habe; wie er in den Schulen, die er besuchte, die Kinder segnete, und sie ermahnte, in der Schrift zu forschen, die Zaghaften und Alten tröstend, alle Herzen zum Glauben und Gebet ermunternd, und durch sein Vertrauen und seinen Mut mehr als ein Mal seine Feinde selbst gewinnend.
»Seid Ihr der Mann, welcher das Papsttum zu stürzen gedenkt?« redete ihn ein Soldat ziemlich verächtlich an. »Wie wollt Ihr das vollbringen?«
»Ich verlasse mich auf den allmächtigen Gott, dem ich gehorche,« versetzte Luther.
Da erwiderte der Soldat ehrfurchtsvoll:
»Ich diene dem Kaiser Karl; Euer Herr ist größer als der meinige.«
Noch ein Angriff, doch aus Freundesmund, erwartete Dr. Luther, ehe er seinen Bestimmungsort erreichte. Als wir uns Worms näherten, kam uns ein Bote seines vertrauten Freundes Spalatin, Kaplan des Kurfürsten, eiligst entgegengeritten, der ihn dringend bitten ließ, um keinen Preis sich in die Stadt zu wagen.
Bei dieser Versuchung, die ihm so nahe dem Ziele noch entgegentrat, erwachte des Doktors gewohnte Heftigkeit des Ausdrucks und er sprach:
»Geh', sag deinem Herrn, und wären auch in Worms so viele Teufel, als Ziegel auf den Dächern, so wollte ich doch hineingehen.«
Und hinein ging er. Hundert Ritter zogen ihm vor das Thor entgegen und geleiteten ihn in die Stadt. Zweitausend Menschen waren versammelt, mit Ungeduld ihn erwartend, und drängten sich, ihn zu sehen, als er durch die Straßen fuhr. Doch waren es nicht lauter Freunde; denn fanatische Spanier waren auch darunter, die seine Bücher in Fetzen gerissen und bei seinem Anblick sich bekreuzt hatten, als ob er der Teufel wäre, blinde Anhänger des Papstes; doch aber fanden sich auch daselbst furchtsame Christen, die alles von seinem Mute hofften; Männer, die längst auf diese Befreiung gewartet, durch seine Worte das Leben erlangt haben und sein Bild in ihren Häusern und Herzen bewahrten, wie das eines kanonisierten Heiligen. Und so schritt er durch die Menge, er selbst vielleicht der einzige, welcher Dr. Luther nicht durch einen Dunst von Haß oder Ruhm sah, sondern sich als einen schwachen, hilflosen Menschen erkannte, der sich einzig und allein, aber auch mit vollkommener Sicherheit auf den Arm des Allmächtigen lehnte.
In den nun folgenden Tagen bewunderte ihn vielleicht niemand mehr, als diejenigen, die ihn am genauesten kannten. Nicht über seinen Mut –den konnten wir erwarten –sondern über seine Ruhe und Mäßigung mußten wir staunen. Mir schien bei diesem heftigen Charakter dies das sicherste Siegel Gottes, das dem Manne und dem Werke das Zeichen göttlichen Wohlgefallens aufdrückte.
Keiner von uns wußte, wie er vor dieser erhabenen Versammlung antworten würde. Einige der unsern fürchteten, er möchte das erste Mal zu heftig gewesen sein. Allein der Kurfürst Friedrich selbst hätte nicht gemäßigter und ruhiger sein können. Als man ihn fragte, ob er widerrufen wolle, waren wenige unter uns, die sich nicht über die edle Selbstbeherrschung verwunderten, womit er antwortete:
»Allergnädigster Kaiser, gnädige Fürsten und Herren! Was die erste Anklage betrifft, so gestehe ich, daß die aufgezählten Schriften von mir sind. Ich kann sie nicht verleugnen. Was die zweite angeht, da sie den Glauben, das Heil der Seelen und Gottes Wort betrifft, den köstlichsten Schatz im Himmel und auf Erden, so würde es unvorsichtig von mir sein, rasch darauf zu antworten. Ich möchte sonst weniger behaupten, als die Sache verlangt, oder mehr als die Wahrheit fordert, und mich an dem Worte Christi versündigen: »Wer mich verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem Vater im Himmel.« Ich bitte daher Eure kaiserliche Majestät unterthänigst, mir Zeit zu gönnen, daß ich antworten kann, ohne mich gegen das Wort Gottes zu versündigen.«
Er brauchte es nicht zu scheuen, eine kurze Zeit für einen Feigling gehalten zu werden, der, wie manche seiner Feinde höhnisch erklärten, in seiner Zelle mutig sei, aber ängstlich, wenn er der Welt gegenüberstehe.
Den übrigen Rest des Tages war er sehr freudig: »wie ein Kind,« sagten einige, »das nicht weiß, was ihm bevorsteht;« »wie ein Veterane,« sprachen andere, »der alles zur Schlacht vorbereitet hat;« wie beide, dachte ich, denn die Kraft des bewährten Kriegers in den Schlachten Gottes ist die Stärke des Kindes, das von des Vaters Auge sich leiten läßt und auf des Vaters Arm sich stützt.
In der Nacht aber wartete seiner noch ein Kampf, von dem einer der unsrigen Zeuge war, und der es dem Ohrenzeugen nicht mehr wundersam erscheinen ließ, daß am Morgen Luther in Gegenwart des Kaisers gar keine Bangigkeit fühlte.
In dieser Nacht focht unser Anführer allein den Kampf, gegen den alle andern Kämpfe nur wie festliche Turniere sind.
Auf den Boden niedergeworfen betete er unter Seufzern und bittern Thränen:
»Allmächtiger, ewiger Gott, wie schrecklich ist diese Welt! Wie gerne möchte sie ihren Rachen aufsperren, mich zu verschlingen, und wie schwach ist mein Vertrauen zu Dir! Das Fleisch ist schwach und der Teufel ist stark. O mein Gott, hilf Du mir gegen alle Weisheit dieser Welt! Thue Du das Werk! Du allein mußt es vollbringen; denn es ist nicht mein, sondern Dein! Nicht meinetwegen bin ich hieher gekommen. Mich verlangt nicht, mit den Großen der Erde zu streiten. Auch ich möchte, daß meine Tage glücklich und in Frieden dahin glitten. Aber die Sache ist Dein; sie ist gerecht und ewig. O Herr, hilf mir; Du bist treu und unwandelbar. Nicht auf Menschen setze ich meine Zuversicht; das wäre ganz vergeblich. Alles, was im Menschen ist, gibt nach; alles, was von ihm kommt, wird zu nichte. O Gott, mein Gott, hörst Du mich nicht? Bist Du tot? Nein, Du kannst nicht sterben. Du verbirgst Dich nur. Ich weiß, Du hast mich erwählet zu diesem Werke. O, so erhebe Dich denn und wirke. Steh Du mir zur Seite, um Deines lieben Sohnes Jesu Christi willen, der mein Schutz und mein Schild und meine feste Burg ist.
»O mein Herr Gott, wo bist Du? Komm, komm; ich bin bereit, –bereit mein Leben zu lassen für Deine Wahrheit, geduldig wie ein Lamm. Denn es ist eine gute, es ist Deine eigene Sache. Ich will nicht von Dir lassen, weder jetzt, noch in Ewigkeit. Und wenn die Welt auch voller Teufel wäre; und wenn mein Leib, der doch ein Werk Deiner Hand ist, in den Staub geworfen, auf die Folter gespannt, in Stücke zerhauen, zu Asche verbrannt werden sollte, so ist die Seele doch Dein. Ja, diese Versicherung gibt mir Dein Wort. Meine Seele ist Dein. Sie wird bei Dir bleiben in alle Ewigkeit. Amen. O Gott, hilf Du mir! Amen.«
Ach, wie wenig ahnen diejenigen, welche nachkommen, welche Seelenangst es kostet, den ersten Schritt zu thun, sich auf den gefährlichen Boden zu wagen, den keine menschliche Seele zuvor versucht hat.
Ja, wahrlich unbedeutend und gering ist die Furcht vor den Mächtigen der Erde für den, der die Schrecken des Allmächtigen erfahren hat. Unbedeutend sind die Angriffe von Fleisch und Blut für den, welcher Fürsten und Gewaltigen und dem Heere der Engel der Finsternis widerstanden hat.
Um vier Uhr holte ihn der Reichsmarschall ab, um ihn in's Verhör zu führen. Aber die eigentliche Stunde der Prüfung war vorüber, und mit freudiger Ruhe durchschritt Dr. Luther die belebten Straßen, um vor dem Kaiser zu erscheinen.
Als er sich dem Portale näherte, klopfte ihm der alte General Frundsberg auf die Schulter und sagte:
»Mönchlein, Mönchlein, du gehst jetzt einen schweren Gang, dergleichen ich und mancher Oberste in der ernstesten Schlacht nicht gethan haben. Doch, wenn du weißt, daß deine Sache gerecht ist, so gehe vorwärts im Namen Gottes, und fürchte dich nicht! Gott wird dich nicht verlassen.«
Ermunterndes Wort! Allein er wußte nicht, daß unser Martin Luther schon von dem Schlachtfelde kam, und blos als Sieger dahin ging, um vor den Menschen den Sieg auszurufen, den er über mächtigere Feinde gewonnen.
So stand er denn endlich, der Mönch, der Bauernsohn, vor allen Fürsten des Reichs, unter allen das königlichste Herz, gekrönt mit einer unverwelklichen Majestät, eben weil sie dem irdischen Auge unsichtbar war; einer gegen Tausende, die auf sein Verderben sannen; einer an der Spitze von Tausenden, die sich auf seine Treue stützten; unerschüttert, weil er auf dem unsichtbaren Arm im Himmel ruhte.
Die Worte, welche er an diesem Tage gesprochen, hallen durch ganz Deutschland wieder, und nie wird man den Schluß seiner Rede vergessen:
»Hier steh ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.«
Heldenthaten sind für ihn blos Handlungen einfachen Gehorsams; jeder Schritt ist unvermeidlich; denn jeder ist von der Pflicht geboten. Auf diesem Pfade lehnt er sich völlig und einzig auf Gottes Beistand; und alle gläubigen Herzen im Lande antworten Amen.
Manche glatte Höflinge und schlaue römische Staatsmänner fanden jedoch gar keine Beredsamkeit in seinen Worten, die jedes aufrichtige Herz aufs tiefste erschütterten. »Dieser Mensch,« sagten sie, »wird uns nie überzeugen.« Wie sollte er auch? Seine Beweisgründe waren nicht in ihrer Sprache, und nicht an sie gerichtet, sondern an aufrichtige, treue Gemüter; und solche gewann er.
Männern, welche unter Beredsamkeit künstliche Wendungen und bilderreiche Sprache verstehen, wodurch die Schlechtigkeit bemäntelt, die Leerheit verschleiert wird, würde ein heiliger Paulus selbst nur ein »Schwätzer« scheinen.
Alle ernster Gesinnten erkannten ihre Gewalt an; seine Feinde durch zorniges Geschrei, daß man ihn solle zum Schweigen bringen; seine Freunde dagegen durch bewunderungsvollen Dank gegen Gott, der ihm beigestanden hatte.
Es war fast dunkel, ehe die Versammlung aufbrach. Als Dr. Luther, von den kaiserlichen Offizieren begleitet, herauskam, verbreitete sich ein panischer Schrecken durch die auf der Straße versammelte Menge und von Mund zu Mund ging der Angstruf:
»Sie führen ihn in's Gefängnis.«
»Sie führen mich nach meiner Herberge,« sagte die ruhige Stimme dessen, den dieser Tag zum Helden Deutschlands gemacht hat.
Bei diesen Worten legte sich der Tumult.
Ebernburg, im Juni 1521.
Dr. Luther ist verschwunden! Niemand weiß in diesem Augenblicke, wohin er gebracht worden, ob er in Feindes- oder Freundeshänden, ja, ob er überhaupt noch auf Erden ist. –
Schon lange sollten wir von seiner Ankunft in Wittenberg gehört haben. Aber alle Nachforschungen führen nicht weiter als bis zu dem Dorfe Möhra im Thüringer Walde. Dorthin begab er sich auf der Heimreise von Eisenach aus, um seine betagte Großmutter und einige Verwandte seines Vaters, welche als Bauern in den Lichtungen des Waldes wohnen, zu besuchen. In der niedern Hütte seiner Großmutter übernachtete er und nahm den folgenden Morgen Abschied von ihr, –und seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört.
Wir hoffen zwar, daß er in Freundeshänden ist; allein diese Hoffnung ist nicht ohne alle Mischung von Furcht. Er hat so viele und erbitterte Feinde, daß manchen unter ihnen kein Mittel zu schlecht wäre, um die Welt von einem solchen Ketzer zu befreien.
So lange er noch in Worms war, behaupteten die Römer hartnäckig, daß sein Eigensinn den Geleitsbrief ungiltig gemacht habe; sogar einige der deutschen Fürsten verlangten, er solle festgenommen werden, und nur durch die dringenden Vorstellungen anderer, welche versicherten, sie würden es nimmermehr dulden, daß Deutschlands Ehre einen solchen Fleck erleide, wurde er gerettet.
Zu gleicher Zeit suchte man ihn auf die listigste Weise zum Widerrufen oder zum Verzichten auf seinen Geleitsbrief zu bereden, indem man vorgab, daß er damit einen Beweis seines guten Willens und seines Vertrauens auf seine gute Sache geben solle. Durch diese letztere Vorstellung, die an Luthers Vertrauen an die Wahrheit appellierte, für die er zu sterben bereit war, hätte er sich beinahe überreden lassen. Allein ein Ritter, welcher gerade zugegen war und die Verräterei durchschaute, stieß den Priester, welcher den Vorschlag gemacht hatte, mit Gewalt zum Hause hinaus.
Doch Dr. Luther blieb ruhig und unerschüttert bei allen offenen oder heimtückischen Angriffen, durch keine Drohungen erschreckt, stets bereit auf jeden billigen Vorschlag zu hören.
Er stand da unter all den geschmeidigen Höflingen und stolzen Fürsten und Würdenträgern der Kirche, wie der Gesandte eines kaiserlichen Hofes unter den unbedeutenden Hofschranzen einer geringfügigen kleinen Provinz. Sein Wesen hatte die Würde eines Mannes, der gewohnt ist mit Höhern umzugehen als die, welche ihn umgeben; er erwies jedem die Ehre, die ihm gebührte, zeigte sich gleichgiltig gegen alle persönliche Beleidigung; aber unbeugsam in jedem Punkte, der die Ehre seines Herrschers betraf.
Diejenigen von uns, welche ihn schon früher gekannt hatten, bemerkten an ihm dieselbe Einfalt, den ernsten Eifer, das kindliche Wohlgefallen an einfachen, unschuldigen Freuden, die wir einst an ihm gesehen hatten. Es war unser alter Freund, Martin Luther; aber solche Würde, solcher Frieden ruhte auf allem, was er sprach, als ob er aus dem Himmel zurückgekehrt wäre. Ein Vorfall war mir besonders auffallend. Als bei dem Feste, welches der Erzbischof von Trier, einer von der päpstlichen Partei, gab, das Glas, aus dem Luther eben trinken wollte, in seiner Hand zersprang, da er das Zeichen des Kreuzes darüber machte, und seine Freunde »Gift« riefen, bemerkte er (der so gewohnt war, überall höhern Einfluß zu sehen), mit der größten Gelassenheit, »das Glas werde wohl zersprungen sein, weil man es nach dem Spülen zu bald in kaltes Wasser getaucht habe.«
Sein Mut war nicht das Ergebnis einer kräftigen Natur; er vertraute einfach auf Gott und fürchtete nichts.
Und nun ist er weg!
Ob unter Freunden oder Feinden, in einer gastlichen Freistätte wie diese, oder in einem verborgenen, düstern Kerker, wissen wir nicht; für uns wenigstens ist er gegenwärtig tot. Kein Wort der Teilnahme oder des Rates kann zwischen uns gewechselt werden. Die Stimme, welcher ganz Deutschland atemlos lauschte, ist verstummt.
Unter der Exkommunikation des Papstes, mit dem Reichsbanne belastet, als ein Verräter verurteilt, in dem kaiserlichen Edikt »ein Narr, ein Gotteslästerer, ein Teufel in der Mönchskutte« genannt, ist Luther völlig vogelfrei; es gilt als Verrat, ihm Nahrung und Obdach zu geben, und als eine Tugend, ihn dem Tode zu überliefern. Und auf alles dieses kann er, wenn er noch am Leben ist, kein Wort erwidern. Indessen wird auf der andern Seite jedes seiner Worte als ein kostbarer Schatz bewahrt, und wie das heilige Vermächtnis eines, sterbenden Vaters betrachtet. Besonders wert wird in jedem Hause der herrliche Brief an den Adel gehalten, worin er sein Erscheinen vor dem Reichstage beschreibt.
Doch schöpfen manche von uns keine kleine Hoffnung aus dem letzten Briefe, den er von Frankfurt aus an Lucas Cranach schrieb. Darin heißt es:
»Die Juden mögen wieder ihr »ho ho«! singen; aber das Osterfest wird doch für uns kommen, und dann wollen wir singen »Hallelujah«! Wir müssen eine kleine Weile still sein und dulden. »Ueber eine Weile,« sagt Christus, »werdet ihr mich nicht sehen; und aber über eine Weile werdet ihr mich sehen. So wird es hoffentlich jetzt auch gehen. Doch der Wille Gottes, der allezeit der beste ist, geschehe hierin wie im Himmel also auch auf Erden. Amen.«
Manche von uns glauben, daß er hiemit seinen Anhängern einen leisen Wink geben wollte von dem, was ihm bevorstand, und daß er nach kurzer, notwendiger Verborgenheit, »bis diese Tyrannei vorüber ist,« wieder zu uns kommen wird.
Ich wenigstens glaube es, und bitte für ihn, daß diese Zeit der Ruhe und Stille eine Zeit innigen Umgangs mit Gott sein möge, aus der er erfrischt und gestärkt hervorkommen kann, uns zu leiten und zu helfen.
Unterdessen hat sich mir ein Arbeitsfeld eröffnet, das zwar nicht ohne Gefahr, aber auch voll heiliger Freude ist. Freunde von Dr. Luther haben mich mit Exemplaren seiner Bücher und Flugschriften in deutscher und lateinischer Sprache versehen, welche ich als Hausierer durch ganz Deutschland, und selbst in andern Ländern, in die ich Einlaß gewinne, verkaufen soll.
Morgen trete ich meine Wanderung an; und mein Kasten und Riemen sind mir eine rühmlichere Bürde, als die Rüstung eines Reichsfürsten, mein bescheidenes Krämerkleid und mein Stock ein heiligerer Anzug als der Sammtmantel eines Kardinals oder der Stab eines Pilgers.
Bin ich denn nicht ein Pilger nach der ewigen Stadt? Trage ich nicht das Joch Christi? Und werde ich nicht hungernden, geknechteten Menschen das Wasser des Lebens austeilen und die Wahrheit, welche das Herz frei macht?