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Cistercienserkloster zu Nimptschen 1511.
Das Leben, selbst wenn es hoch kommt, kann doch nicht sehr lange dauern, obgleich man mit siebzehn Jahren wohl versucht sein könnte, den Weg bis in den Himmel für unendlich zu halten.
Denn das Kloster ist wahrhaft nicht der Himmel, doch das habe ich auch nie erwartet. Es ist aber auch dem Himmel bei Weitem nicht so ähnlich als Tante Cottas Haus; denn die Liebe scheint mir der wesentlichste Bestandteil der Freuden des Himmels, und dort herrscht viel mehr Liebe als hier.
Ich fühle mich gar nicht enttäuscht. Ich habe keinen Hafen der Ruhe erwartet, sondern nur eine Sphäre der Thätigkeit, wo ich Gott besser dienen könnte, und meiner lieben Tante nicht zur Last wäre. Ich bin gewiß, Onkel Cotta wird blind werden, und es wird ihnen schon schwer genug, durchzukommen.
Und die Welt ist voll Gefahren für eine junge Waise, und ich war bange, daß sie mir zureden wollten, Jemanden zu heiraten, was mir unmöglich war.
Gewiß wird mir Gott hier etwas für ihn zu thun geben, und das ist alles Glück, das ich verlange. Nicht als ob ich glaubte, es gäbe nicht noch andere Arten von wahrem Glück; aber diese sind nicht für mich bestimmt.
Was auch mein Beichtvater sagen mag, nie werde ich denken, daß es Unrecht von mir war, alle zu Hause in Eisenach so innig zu lieben. Ich bin gewiß, daß die gegenseitige Liebe, welche Gott uns in's Herz gegeben hat, und der Umgang mit Vetter Fritz mir zum Segen in diesem und in jenem Leben gereicht. Wenn er mir doch schreiben wollte! Zuweilen kommt mir der Gedanke, an ihn zu schreiben. Gewiß würde es für uns Beide ein Trost sein. Er sagt immer, daß es ihm wohl thue, mit mir zu sprechen, und die lieben, alten lateinischen Lieder mit mir zu lesen, und gewiß nie haben sie uns so erhoben, als wenn ich sie mit ihm sang. Allein mein Beichtvater sagt, daß ein solcher Briefwechsel höchst gefährlich fürs unsere Seelen wäre, und er fragte mich, ob ich bei dem Singen der Lieder nicht mehr an meinen Vetter als an ihren Sinn gedacht habe, was eine große Sünde gewesen wäre. Ich kann die Gedanken nicht gerade abwägen und unterscheiden, aus welcher Quelle jedes Tröpflein Freude entsprang. Alles war mit einander vermengt. Es war eine Freude, die Lieder zu singen, und es machte mir Freude, daß Fritz sie gerne von mir singen hörte, aber wo eine Freude in die andere überging, vermag ich nicht zu sagen. Ich glaube, Gott gab sie mir, und ich sehe nicht ein, wozu ich sie von einander trennen sollte. Wer fragt darnach, wenn er die Elbe an den Eichen und Weiden bei Wittenberg vorbeiströmen sieht, welcher Teil ihrer Gewässer aus dem reinen Schnee der Gebirge herabstürzt. und welcher aus einer kleinen, niedrigen Quelle aus der sandigen Ebene gerieselt ist? Schnee und Quelle kommen ursprünglich aus den Wolken herab, und beide vereinigt befeuchten das Gras, machen die Knospen schwellen und erfreuen die Welt.
Ist es nicht dasselbe Herz, womit wir Gott und die Menschen lieben? Nur daß Gott allgütig ist und daß wir ganz Sein eigen sind, und Ihn darum am meisten lieben sollten. Ich glaube, daß ich Ihn über Alles liebe, sonst wäre ich hier, fern von Allen außer Ihm, gewiß viel trauriger.
Das verstehe ich in meiner Theologia Germanica, welche Elsen so wenig zusagte. Ich beginne mit dem Vermächtnis meines Vaters: »Also hat Gott die Wett geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn gab,« und dann denke ich an das Kreuz und an die Liebe dessen, der für uns starb, und in diesem Lichte lese ich gerne in meinem Buche von dem, der die höchste Güte ist, in dessen Willen wir ruhen, und der selbst der Grund aller unserer Freuden, ja unsere Freude ist, wenn wir keine andere haben. Was ich in dem Buche nicht verstehen kann, das, wie noch vieles Andere, lasse ich mich nicht anfechten. Bin ich ja doch nur ein armes, siebenzehnjähriges Mädchen, wie sollte ich verlangen, Alles zu verstehen? Wenigstens lasse ich in mir durch das, was ich nicht begreife, keine Zweifel über das, was ich verstehe, aufkommen.
Als mich daher mein Beichtvater ermahnte, mein Herz zu prüfen und zu sehen, ob sich nicht unlautere, abgötttsche Gefühle in meine Liebe zu den Verwandten in Eisenach mischten, sagte ich sogleich zu ihm aufsehend:
»Ja, Vater, ich habe ihnen ihre Liebe lange nicht genug erwidert.«
Er muß wohl zufrieden gewesen sein; denn er machte keine weiteren Fragen mehr, obgleich er verwirrt aussah.
Mit manchen Nonnen, besonders den alten, fühle ich herzliches Mitleid. Sie kommen mir wie Kinder, und doch nicht kindlich vor. Die geringste Kleinigkeit kann sie aufregen oder betrüben. Sie sprechen von dem Kloster, als wenn es die Welt, und von der Welt, als wenn sie die Hölle wäre. Es ist eine Kindheit ohne Hoffnung, ohne Aussicht auf Tugend und Frauenberuf. Sie erinnern mich an die verkümmerten Eichen, die wir auf der Dübener Heide zwischen Wittenberg und Leipzig bemerkten, die nie ihre völlige Größe erreichen werden und doch keine jungen Pflänzlinge sind.
Da ist eine unter ihnen, Schwester Beatrix, auf welche die Nonnen stolz herabsehen, weil sie, wie man mir erzählt hat, von ihren Verwandten gezwungen worden ist, in's Kloster zu gehen, damit sie verhindert würde, sich gegen den Willen ihrer Familie zu verheiraten, und die nicht eher dazu gebracht werden konnte, das Gelübde abzulegen, bis ihr Geliebter starb, was, wie die Nonnen sagen, eigentlich kein Beruf genannt werden darf.
Sie selbst scheint es auch nicht zu glauben, und geht so niedergeschlagen und unterwürfig einher, als ob sie sich für ein Geschöpf hielte, das weder der Kirche noch der Welt angehört.
Neulich hatte sie des Abends durch den Schnee einen Ausgang für die Aebtissin gemacht und kam ganz blau vor Kälte zurück. Sie hatte in der Bestellung etwas versehen und wurde nun mit höhnischen Worten in ihre Zelle geschickt, um zur Strafe gewisse Gebete herzusagen.
Ich konnte mich nicht enthalten, ihr nachzugehen. Als ich in ihre Zelle trat, fand ich sie, vor Kälte zitternd, mit dem Gebetbuch vor sich, auf ihrem harten Bette sitzend.
Ich näherte mich ihr sachte, setzte mich neben sie und begann ihre armen eiskalten Hände zu reiben.
Zuerst versuchte sie dieselben wegzuziehen, indem sie etwas von der Buße, die ihr auferlegt sei, murmelte; aber dann schlug sie ihre Augen von dem Buche zu mir auf, sah mich einige Augenblicke ganz verwundert an und brach dann in Thränen aus, indem sie sagte:
»O, thue das nicht! Es mahnt mich so an unsere Kinderstube zu Hause. Ach, meine Mutter ist tot; Alle sind tot, nur ich kann nicht sterben!«
Sie ließ sich jedoch von mir in die Arme schließen, und in leisen, abgebrochenen Worten erzählte sie mir die ganze Geschichte.
»Ich bin nicht aus eigener Wahl hier,« sagte sie. »Ich würde nicht hierher gekommen sein, wenn meine Mutter nicht gestorben wäre; und nie würde ich den Schleier genommen haben, was sie mir auch gethan hätten, wenn er nicht gestorben wäre; denn wir waren verlobt und hatten uns vor Gott versprochen, einander bis zum Tode treu zu sein. Und warum soll ein Gelübde nicht so heilig sein wie das andere? Als ich seinen Tod erfuhr, legte ich das Gelübde ab, oder vielmehr ich ließ mir den Schleier anlegen und sprach dem Priester die Worte nach, die er mir vorsagte, denn es war mir jetzt Alles gleichgiltig. Und so bin ich denn eine Nonne. Ich wünsche jetzt nichts anderes mehr zu sein. Aber es wird mir nichts helfen, eine Nonne zu sein, denn ich liebe Eberhard zuerst und über Alles, und nun, da er tot ist, liebe ich Niemanden und habe keine Hoffnung, weder für diese noch für jene Welt. Zwar bemühe ich nach, nicht an ihn zu denken, weil es eine Sünde sein soll; aber wenn ich's auch ewig versuche, ich kann mir nun eben kein Glück denken ohne ihn.«
»Ich glaube nicht, daß es unrecht von dir ist, an ihn zu denken,« sagte ich.
Einen Augenblick hellte ihr Gesicht sich auf; aber dann schüttelte sie den Kopf und sagte:
»Ach, du bist ein Kind, du bist ein Engel. Du weißt es. nicht.« Und dann fing sie wieder an zu weinen, doch weniger heftig als zuvor. »O, wenn du ihn nur gesehen hättest, so könntest du es besser begreifen. Es war einst nicht Unrecht von mir, ihn zu lieben; er war so ganz anders als alle Uebrigen, so treu, so sanft und tapfer.«
Ich hörte ihr zu, während sie fortfuhr, von ihm zu sprechen. Endlich sagte sie, mich bedeutungsvoll ansehend, mit leiser schüchterner Stimme: »Dir kann ich trauen!« Und bei diesen Worten zog sie aus einer Falte ihres Kleides ein kleines Blättchen vergilbtes Papier, worauf mit verblaßter Tinte einige Worte geschrieben waren, und eine braune Haarlocke hervor.
»Glaubst du, daß es sehr unrecht ist?« fragte sie. »Ich habe dem Beichtvater nie davon gesagt, weil ich nicht gewiß, bin, ob es eine Sünde ist, es zu behalten, und die Schwestern würden mir's ganz gewiß wegnehmen, wenn sie darum wüßten. Hältst du es für unrecht?«
Die Worte waren sehr einfach; Ausdrücke unveränderlicher Liebe und ein Gebet, daß Gott sie segnen und sie für einander bewahren möchte bis auf bessere Zeiten.
Ich war so bewegt, daß ich nicht zu sprechen vermochte. Sie murmelte, indem sie ihren kleinen Schatz hastig aus meinen Händen riß: »Du hältst es nicht für recht. Aber du wirst mich nicht verraten? Vielleicht werde ich noch frömmer und kann dann eher das Opfer bringen. Allein jetzt noch nicht. Ich habe ja sonst nichts!«
Nun suchte ich ihr begreiflich zu machen, daß sie wohl noch sonst Jemand habe; daß Gott sie liebe und Mitleid mit ihr habe und vielleicht eben jetzt das Gebet ihres Verlobten erhöre, indem Er sie in seiner heiligen Obhut erhalte bis auf bessere Zeiten. Endlich schien sie etwas getröstet, ich kniete mit ihr nieder, und wir lasen miteinander die Gebete, welche man ihr aufgegeben hatte.
Als ich aufstand, sagte sie gedankenvoll: »Du betest, als ob wirklich Jemand im Himmel dich hörte und für dich sorgte.«
»Gewiß,« sagte ich, »Gott hört und sorgt.«
»Auch mich?« fragte sie; »selbst für mich? Verachtet er mich nicht, wie die ganze heilige Schwesterschaft?«
»Er verachtet Keinen: und es steht geschrieben, daß die Niedrigsten Ihm, dem Allerhöchsten, am nächsten sind.«
»Ich weiß gar wohl, daß ich nichts anderes als die Niedrigste sein kann,« sagte sie. »Es ist ganz natürlich, daß Niemand etwas von mir hält, da ich nur den Abfall meines Lebens Gott gewidmet habe. Und überdies habe ich nie viel Nachdenken können, und das bißchen Verstand, das ich hatte, ist fort, seit Eberhard starb. Ich hatte nur ein wenig Fähigkeit zu lieben, und auch diese hielt ich für tot. Allein seit du kamst, fange ich wieder an, ein wenig zu lieben.«
Als ich ihre Zelle verließ, rief sie mich zurück.
»Was soll ich thun, wenn ich zerstreut bin während der langen Gebete?« fragte sie.
»Bete lieber nicht so lange und öfter,« sagte ich. »Das wird Gott ebenso wohlgefällig sein.«
August 1511.
Ein Monat gleicht hier dem andern; allein ich finde die Zeit nicht einförmig. Die Aebtissin hat mir erlaubt, die Kranken zu pflegen und die jungen Novizen zu unterrichten. Diese kleine Welt erweitert sich mir immer mehr. Es ist eine Welt von Menschenherzen –und welch eine Welt liegt nicht in jedem einzelnen Herzen.
Zum Beispiel Tante Agnes! Jetzt fange ich an, sie zu kennen. Die ganze Schwesterschaft sieht sie schon jetzt fast für eine Heilige an. Aber ich glaube nicht, daß sie sich selbst für eine solche hält. Als ich in's Kloster trat, schien sie viele Monate hindurch mich gar nicht zu bemerken. Allein vorige Woche zog sie sich durch ihr selbst auferlegtes Fasten und ihre Kasteiungen ein schleichendes Fieber zu.
Es war gerade an mir die Reihe, im Krankenzimmer zu wachen, als sie krank wurde. Zuerst schien sie abgeneigt, etwas aus meinen Händen anzunehmen.
»Kann man niemand anders schicken?« fragte sie finster.
»Es ist mir aufgetragen nach der Regel unseres Ordens,« versetzte ich.
Sie ließ den Kopf sinken und überließ sich ohne ferneren Widerstand meiner Pflege. Und dies war mir sehr süß; denn ungeachtet der ernsten, steifen Unbeweglichkeit ihrer Züge fand ich doch etwas darin, das mich an die liebe Tante Cotta erinnerte.
Sie sprach sehr wenig mit mir; aber ihre großen dunkeln Augen folgten mir, während ich einen Kräutertrank auf dem Feuer umrührte und leise durch das Zimmer schlich. Als der Tag anbrach, sagte sie: »Kind, du bist müde, –komm, lege dich nieder,« und wies dabei auf ein kleines Bett neben dem ihrigen.
So gebietend auch ihre Worte waren, so war doch der Ton ihrer Stimme so verschieden von seiner gewohnten metallischen Festigkeit, welche Elsens Herz so erstarren machte, ein beinahe zärtliches Zittern ließ sich nicht verkennen. Ich konnte dem Befehl nicht widerstehen, hauptsächlich da sie behauptete, daß sie sich wohler fühle; und wenige Minuten darauf war ich, schlechte Wärterin, eingeschlafen.
Wie lange ich geschlafen hatte, weiß ich nicht; ein leises Geräusch erweckte mich und als ich aufsah, fand ich Tante Agnesens Bett leer. In meinem ersten Schrecken wollte ich die Schwestern wecken, als ich die Thüre des Krankenzimmers, welche auf die Gallerie der Kapelle führt, nur angelehnt sah. Leise schlich ich dorthin, und der Gallerie gegenüber kniete, in ein Leintuch gehüllt, Tante Agnes, mehr als je dem Bilde des Todes ähnlich, an welches sie Else immer erinnerte. Ihre Lippen, die fast eben so blaß waren wie ihr Gesicht, bewegten sich mit leidenschaftlicher Geschwindigkeit, ihre magern Hände ließen die schwarzen Perlen ihres Rosenkranzes durch die Finger gleiten, und ihre Augen waren auf ein Bild der Mater Dolorosa mit dem von sieben Schwertern durchbohrten Herzen, das über dem Altar hing, geheftet. Jetzt zeigten die armen, scharfen Gesichtszüge und die zitternden Lippen keine Spur ihrer gewöhnlichen Kälte und Gleichgiltigkeit. Ihre ganze Seele schien sich in einem peinvollen Rufe zu dem durchbohrten Herzen zu ergießen. Ich hörte sie murmeln: »Vergebens: Heilige Jungfrau, bitte für mich! Alles war vergebens! Das Fleisch ist nicht mehr in mir ertötet, als am ersten Tage. Dieses Kindes Züge und Stimme rühren mein Herz mehr als alle Deine Schmerzen. Dieses schwache Band der Natur hat mehr Gewalt über mich, als alle Verwandtschaften der heiligen Gottesstadt. Alles, alles ist vergebens gewesen! Ich kann das irdische Feuer in meinem Herzen nicht auslöschen.«
Kaum wagte ich es, sie zu unterbrechen; als sie jedoch ihren Kopf auf ihre Hände sinken ließ und beinahe auf den kalten Boden der Kapelle niederfiel, während ihre ganze Gestalt von unterdrücktem Schluchzen erschüttert wurde, trat ich vor und sagte, indem ich sie sanft aufhob: »Schwester Agnes, ich bin heute Nacht für die Kranken verantwortlich, du mußt zurückkommen.«
Sie widerstrebte nicht. Es überfiel sie ein kalter Schauder; dann kehrte der alte steinerne Ausdruck in ihrem Gesichte wieder strenger als je zurück, und sie ließ sich von mir in ihrem Bette einhüllen und nahm einen warmen Trank an.
Ich weiß nicht, ob sie ahnt, daß ich ihre Worte gehört habe. Sie ist seitdem noch zurückhaltender gegen mich als zuvor; aber diese harte, klanglose Stimme, diese entschlossenen, unbeweglichen Züge werden mich nicht mehr täuschen.
Kein Wunder, daß die Bewunderung der ganzen Schwesterschaft Tante Agnes nicht aufzublähen vermag und daß ihr Wunsch, sie zur Unteräbtissin zu machen, gar keinen Reiz für sie hatte. Sie strebt im innersten Herzensgründe nach einem Ideal; aber wenn sie es auch erreichen könnte, was würde es aus ihr machen?
Für alle menschlichen Gefühle und irdisches Leben –eine Tote!
Und gerade, als sie hoffte, es erreicht zu haben, erinnert sie eine Stimme –die Stimme eines armen verwandten Kindes –daß das, was ihr der Tod schien, nur der Traum eines ungestörten Schlummers war und daß die ganze Arbeit von neuem begonnen werden muß.
Das ist ein schrecklicher Kampf, wenn alle Kräfte des Lebens darauf gerichtet sind, solches Absterben hervorzubringen.
Kann Gott dies von uns fordern?
Gott sei Dank, mein Beruf ist wenigstens niedriger. Die demütigende Arbeit im Krankenzimmer, die Geduldsübungen in der Schule der Novizen lehren mich besser und machen mir fühlbar, daß ich nichts bin und nichts aus mir selbst habe, als alle Anstrengungen, mein Nichts zu fühlen.
Meine » Theologia« sagt, daß wahre Selbstverleugnung Freiheit ist und daß man nicht eher zur Freiheit gelangen kann, als bis man über die Furcht vor der Strafe, oder die Hoffnung auf Belohnung hinaus ist. Else will nichts davon hören, und als ich neulich der armen Schwester Beatrix etwas der Art erwähnte, sagte sie, es mache ihr armes Gehirn ganz verwirrt, nur daran zu denken. Allein ich nehme es gar nicht in diesem Sinne. Es bedeutet, däucht mir, daß die Liebe in sich selbst ihre Belohnung hat und daß es die größte Strafe für uns ist, Den betrübt zu machen, Den wir so innig lieben, und Der uns bis in den Tod geliebt hat. Und das scheint mir sehr wahr.