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Sonnabend, 8. März 1522.
Das edle, warme Herz schlägt wieder in unserer Mitte, Dr. Luther wohnt wieder ruhig im Augustinerkloster, welches er vor einem Jahr verließ, als er nach Worms reiste. Was hat sich seither nicht alles verändert! Er verließ uns, bestürmt mit unsern Thränen und vergeblichen Bitten, sein kostbares Leben dem verräterischen Geleitsbriefe nicht anzuvertrauen, der Johann Huß auf den Scheiterhaufen gelockt hatte.
Nun kehrt er zurück, unbeschädigt und triumphierend, als der Verfechter der guten Sache vor Kaiser, Fürsten und Prälaten, –als der Held des deutschen Volkes.
Er verließ die Studenten und Bürger größtenteils zitternd über die Kühnheit seiner Worte und Thaten.
Er findet bei seiner Rückkehr Studenten und Bürger mit blinder Hast vorwärts stürmend auf der Bahn, die er selbst ihnen eröffnet hat.
Er ging allein, dem Tode trotzend, der Erste beim Angriffe während die andern ihm nur furchtsam zu folgen wagten.
Er kehrte zurück, um seine zerstreuten Truppen, die in ungestümer, wilder Verfolgung des Feindes sich aufgelöst haben, zurückzurufen.
Wird wohl seine Stimme ebenso mächtig sein, Einhalt zu. thun und zu ordnen, als sie es war, um anzutreiben?
Auf der Heimreise von der Wartburg schrieb er an den Kurfürsten, er verzichte, auf seinen Schutz, erklärte, er kehre zu der Herde in Wittenberg zurück, die Gott ihm anvertraut habe, von Gott selbst dazu berufen und gedrungen, und unter einem mächtigem Schutze als selbst dem des Kurfürsten. Das Schwert, sagt er, könnte die Wahrheit nicht verteidigen. Wer den stärksten Glauben habe, sei der Mächtigste. Im Vertrauen auf seinen Herrn Jesum Christum und auf Ihn allein kehrte er zurück.
Gottfried sagt, es sei Einbildung; aber ich bemerke schon eine Veränderung in der Stadt –weniger lautes, keckes Sprechen, als vorgestern, wie wenn ein Vater zu der Schar seiner wilden, lärmenden Knaben zurückkehrt. Doch übermorgen werden wir noch besser darüber urteilen können, denn er wird morgen in der Stadtkirche predigen.
Montag, den 10. März 1522.
Wir haben ihn wieder predigen hören. Gott sei Dank! Diese Tage in der Wüste, wie er sie nannte, sind sicher für Dr. Luther keine verlorenen gewesen.
Als er wieder auf der Kanzel stand, konnten Viele von der dichtgedrängten Versammlung sich der Freudenthränen nicht enthalten. In dieser wohlbekannten Gestalt, in dem offenen, andächtigen Gesicht sahen wir den Mann, der unbewegt vor dem Kaiser und allen Großen des Reiches gestanden und allein die Wahrheit Gottes verfochten hat.
Manche sahen in ihm überdies mit noch tieferer Rührung den Dulder, welcher in den letzten zehn Monaten auf der einsamen Wartburg vor einem noch schrecklicheren Feinde gestanden hat, als Papst und Kaiser, und der, obgleich sein Fleisch und Herz in dem Streit oft beinahe unterliegen wollte, doch nie unterlassen hat, den Kampf tapfer und siegreich zu Ende zu führen. Wir sahen den treuen und gelehrten Hirten, der meisterhafte Antworten an die Pariser Universität sandte; mit einer edlen Warnung den lügenhaften Ablaßhandel den zitternden Händen des Erzbischofs von Mainz entriß; an die kleine Herde Christi in Wittenberg Briefe des Trostes und väterlichen Rates schrieb, und bei allem diesem an der Uebersetzung der Heiligen Schrift arbeitete, welche unser Land mit Sehnsucht erwartet.
Doch noch ältere, süßere vertrautere Erinnerungen überwogen alle andern, als wir seine Stimme wieder hörten, diese treue Stimme, welche uns so lange öffentlich und im Stillen getröstet und ermahnt hat. Andern mochte Dr. Luther der Held von Worms, der Lehrer Deutschlands, der heilige Georg sein, der den Drachen erlegt hat; für uns war er der treue liebevolle Pastor, und ich bin gewiß, daß Viele von uns wenig von den ersten Worten seiner Predigt vernahmen aus lauter Freude, seine Stimme wieder zu hören, als die tiefen, vollen Töne durch die stille Kirche schallten.
Er begann damit, unsern Glauben zu loben. Er sagte,, wir hätten während seiner Abwesenheit große Fortschritte gemacht. Aber dann ging er weiter und sagte: »Wir müssen aber mehr als Glauben, wir müssen Liebe haben. Wenn ein Mann mit einem Schwerte in der Hand allein dasteht, so ist es gleichgiltig, ob er es in der Scheide hat oder nicht; ist er aber mitten in einer Menschenmenge, so muß er Sorge tragen, es so zu halten, daß er niemand damit verletze.
»Eine Mutter gibt ihrem Kinde zuerst Milch. Würde es am Leben bleiben, wenn sie ihm gleich Fleisch und Wein gäbe?
»Du, mein Freund, bist der Milch vielleicht überdrüssig. Es mag wohl für dich sein. Aber laß Deinen schwächern Bruder solche trinken. Es hat eine Zeit gegeben, wo du auch nichts anderes hättest ertragen können.
»Sieh die Sonne! Sie bringt uns zweierlei: Licht und Wärme. Das Licht strahlt gerade auf uns herab. Kein König, hat Macht genug, diese durchdringenden, geraden, flüchtigen Strahlen zu hindern. Allein die Wärme wird von allen Seiten her auf uns zurückgestrahlt. So sollte der Glaube, dem Lichte gleich direkt und unbeugsam sein, die Liebe aber gleich der Wärme nach allen Seiten sich verbreiten und sich demütig nach dem Bedürfnisse aller richten.
»Die Abschaffung der Messe, sagt Ihr,« fuhr er fort, »ist der Schrift gemäß. Ich bin damit einverstanden. Aber mit welcher Rücksicht auf Ordnung und Anstand ist man dabei verfahren? Ihr solltet fleißig zu Gott gebetet, die öffentlichen Behörden um ihre Mitwirkung angegangen haben; dann würde es jedem ersichtlich gewesen sein, daß die Sache von Gott kam.
»Die Messe ist etwas Schlechtes; Gott ist ihr Feind; sie sollte abgeschafft werden; und ich wollte, daß in der ganzen Welt das heilige Abendmahl an ihre Stelle träte. Aber reißet niemand mit Gewalt davon hinweg. Man sollte die Sache Gott anheimstellen. Sein Wort muß wirken und nicht wir. Und warum? fragt ihr. Weil ich die Herzen der Menschen nicht in meiner Hand habe, wie der Töpfer seinen Thon. Unsere Pflicht ist, zu reden; Gott wird handeln. Laßt uns predigen; das andere ist an ihm. Wenn ich Gewalt brauche, was gewinne ich damit? Ein verändertes Benehmen äußern Anschein, Fratzen, Verstellung, Heuchelei. Was wird aber aus der Aufrichtigkeit des Herzens, aus dem Glauben und der christlichen Liebe? Wenn diese fehlen, so fehlt alles; und für das Uebrige gebe ich keinen Birnenstiel.
»Um das Herz ist's uns allein zu thun; und um dieses zu gewinnen, müssen wir das Evangelium predigen. So wird das Wort heute in dieses, morgen in ein anderes Herz eindringen, und so endlich alle antreiben, die Messe zu verlassen. Gott richtet mehr aus, als Ihr und ich und die ganze Welt miteinander. Er macht das Herz gewiß, und wenn dieses gewonnen ist, so ist alles gewonnen.
»Ich sage dies nicht, um die Messe wieder einzuführen. Da sie abgeschafft ist, so laßt sie in Gottes Namen abgeschafft bleiben. Aber sollte sie auf solche Weise abgeschafft worden sein? Als der heilige Paulus in die große Stadt Athen kam, fand er den falschen Göttern viele Altäre errichtet. Er ging von einem zum andern und machte seine Bemerkungen darüber; aber er rührte keinen an. Endlich ging er wieder in das Forum und erklärte dem Volke, daß all seine Götter leblose Götzen seien. Diese Worte gingen einigen zu Herzen, und die Götzen stürzten um, ohne daß Paulus sie berührte. Ich werde predigen, sprechen, schreiben, aber keinem Zwang anthun; denn der Glaube ist etwas freiwilliges. Seht, wie ich's gemacht habe! Ich stand auf gegen den Papst, den Ablaß und die Papisten, aber ich that es ohne Tumult und Gewalt; ich drang vor allen Dingen auf das Wort Gottes; ich predigte und schrieb, –sonst that ich nichts. Und während ich schlief oder mit Amsdorff und Melanchthon zu Tische saß, wirkte das Wort, das ich gepredigt hatte, und stürzte das Papsttum, wie es nie zuvor durch Fürsten und Kaiser zerstört worden war. Ich that nichts, sondern das Wort that alles. Hätte ich die Gewalt zu Hülfe gerufen, so könnte Deutschland jetzt im Blut gebadet sein. Und was wäre die Folge davon? Das Verderben von Leib und Seele. Darum verhielt ich mich ruhig und ließ das Wort sich selbst den Weg durch die Welt bahnen. Wißt Ihr, was der Teufel denkt, wenn er das Evangelium mit Gewalt unter den Leuten verbreiten steht? Mit verschränkten Armen bei dem Höllenfeuer sitzend, sagt er mit boshaftem Blick und Hohngelächter: »So recht, diese Narren sind weise genug, mir die Arbeit zu thun!« Wenn er aber das Wort ausgehen, allein auf den Kampfplatz ziehen sieht, dann ist ihm nicht wohl zu Mute, seine Kniee schlottern; er schaudert und fällt vor Schrecken in Ohnmacht.«
Ruhig und andächtig, nicht mehr laut überlegend und geräuschvoll sich rühmend, was man zunächst beginnen wolle, ging die Gemeinde auseinander.
Solche Macht übte die Ermahnung zur Duldsamkeit; denn sie kamen aus dem kühnen furchtlosen Herzen, welches der Wut des Papsttums und des Reiches um des Herrn willen getrotzt hatte, und noch jetzt der Exkommunikation und der Reichsacht trotzt.
Mittwoch 12. März.
Gestern hat Dr. Luther abermals gepredigt. Er warnte uns ernstlich vor einer unwürdigen Teilnahme an dem heiligen Abendmahl. »Es ist nicht der äußerliche Genuß, was uns zu Christen macht,« sagte er, »sondern das innere, geistige Essen, das ein Werk des Glaubens ist, ohne welchen alle äußern Dinge leerer Schein und eitle Verstellung sind. Dieser Glaube aber ist die feste Ueberzeugung, daß Jesus Christus der Sohn Gottes, der, nachdem Er selbst unsere Sünden auf sich genommen und an dem Kreuze getragen hat, das alleinige, allgenügsame Sühnopfer ist, daß Er immer vor Gott uns vertritt, mit dem Vater uns versöhnt, und daß Er uns das Sakrament Seines Leibes gegeben hat, um unsern Glauben an diese unbeschreibliche Gnade zu stärken. Wenn ich dies alles glaube, so ist Gott mein Beschützer; an Seiner Seite trotze ich Sünde, Teufel, Tod und Hölle; sie können mir nicht schaden, ja kein Haar mir krümmen. Dieses geistige Brot ist der Trost der Betrübten, das Labsal der Kranken, das Leben der Sterbenden, die Nahrung der Hungernden, der Reichtum der Armen. Wem also die Sünden nicht leid sind, der sollte sich diesem Altar nicht nähern. Was wollte er da thun? Ach, wenn unser Gewissen uns anklagte, wenn unser Herz zermalmt wäre bei dem Gedanken an alle Versäumnisse und Sünden, so könnten wir nicht leichtsinnig zum heiligen Abendmahl gehen.«
Auch der Mönch Gabriel Didymus (vor wenigen Tagen noch einer der Eifrigsten unter den Unruhestiftern) war in der Kirche wieder ganz zur Besinnung gebracht und ruhig, und konnte sagen: »Wahrlich, es ist wie die Stimme eines Engels.«
Allein Gott sei Dank! es ist nicht die Stimme eines Engels, sondern eine menschliche Stimme, bei der jedes Gefühl unserer Herzen Anklang findet; die Stimme unseres treuen offenherzigen Martin Luthers, der jetzt hoffentlich bei uns bleiben wird, um durch dasselbe Wort, das so viele Mißbräuche hinweggeräumt hat, nun auch wieder aufzubauen.
Freilich muß ich gestehen, daß ich doch glaube, auch seine Abwesenheit sei gut für uns gewesen. Wenn der Gewalt jetzt Einhalt gethan werden kann, so freue ich mich doch über das, was sie vollbracht hat.
Jetzt soll Dr. Luthers Grundsatz gelten: »Schaffet nichts ob, was nicht ausdrücklich in der Heiligen Schrift verboten ist.«
30. März 1522.
Dr. Luther hat acht Reden gehalten, und die Ruhe ist vollständig wieder hergestellt. Die Studenten kehren zu ihren Studien, die Knaben in ihre Schule zurück; ein jedes geht wieder demütig an seine Berufsarbeit.
Niemand ist bestraft worden. Luther wollte nicht, daß man Gewalt brauche, weder gegen die Abergläubigen noch gegen die ungläubigen Neuerer. »Freiheit,« sagt er, »ist das Wesen des Glaubens.«
Bei seiner zarten Rücksicht für die Leiden anderer wundern wir uns nicht so sehr darüber.
Ja, wir wundern uns weit mehr über seine sanften Worte. Ich habe schon sagen gehört, die tapfersten Soldaten seien die besten Wärter für ihre verwundeten Kameraden. Luther scheint die Streitaxt niedergelegt zu haben und kommt hieher zu seinen kranken, verwundeten und bestürzten Leuten und pflegt sie so zart wie die liebevollste Frau, wie unsere eigene Mutter es uns thun könnte, die ihn nun auch lieben und verehren gelernt hat.
Kein bitteres Wort ist ihm entschlüpft, obgleich er für die Sache, die diese Unruhen gefährdeten, sein Leben gewagt hat.
Aller Straßentumult ist jetzt vorüber. Die geängsteten Franziskanermönche können unbesorgt und ohne den Schutz der Soldaten ihre Gottesdienste halten. Alle kriegerischen Gemüter, anstatt gegen kleine äußerliche Dinge zu kämpfen, sind mit dem großen Streit gegen Sklaverei und Aberglauben beschäftigt. Dr. Luther hat Dr. Melanchthon bewogen, ihm bei der Durchsicht und Verbesserung der Uebersetzung des Neuen Testaments zu helfen, die er auf der einsamen Wartburg geschrieben hat. Sie scheinen inniger als je befreundet.
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Zuweilen zittere ich bei dem Gedanken, wie sehr wir vom Luther abhängen, und fürchte, daß wir ihn zu unserem Abgotte machen; allein Thekla, die jetzt wieder zu Hause ist, sagte, als sie von meiner Besorgnis hörte:
»Ach, liebe Else, das ist wieder der alte Aberglaube! Sollen wir, wenn Gott uns einen herrlichen Sommer und eine reiche Ernte schenkt, sie gleichgiltig hinnehmen, und mit Zittern genießen, aus Furcht, er möchte uns nächstes Jahr schlechte Zeiten schicken, damit wir nicht zu glücklich werden. Wird Er nicht, wenn Er dunkle Tage sendet, uns auch eine Leuchte für unsere Füße geben?«
Sogar unsere sanfte Mutter sagte: »Wenn Gott uns einen Stab gibt, so ist es Sein Wille, daß wir uns darauf stützen.«
»Und wenn Er ihn hinwegnimmt,« sagte Eva, »so gibt Er uns ganz gewiß Seine Hand dafür. Ich glaube, was Gott betrübt, ist, wenn wir Seine Gaben zu andern Zwecken benutzen, als Er sie bestimmt hat. Wenn wir z. B. unsern Stab pflanzen, oder ihn als ein Bild aufstellen und anbeten wollten, anstatt uns darauf zu stützen und Gott anzubeten: dann glaube ich, würden wir lernen müssen, daß unser Götze an sich keine Stütze, ja überhaupt nichts lebendiges, sondern nur ein totes Holz ist.«
»Gewiß,« versetzte Thekla mit Nachdruck, »wenn Gott uns Freunde gibt, so will Er, dächte ich, daß wir sie so innig lieben, wie nur möglich. Wenn Er uns glückliche Tage schenkt, so ist Seine Absicht, daß wir sie genießen, so gut wir können. Wenn Er Soldaten einen geschickten Feldherrn gibt, so will Er, daß sie ihm vertrauen und folgen. Und wenn Er uns Dr. Luther und Base Eva wieder schenkt,« setzte sie hinzu, Evas Hand mit Küssen bedeckend, »so bin ich ganz gewiß, daß es Sein Wille ist, wenn wir sie von ganzem Herzen willkommen heißen und fühlen, daß wir sie nie genug ehren und lieben können. »O Else,« fügte sie lächelnd bei, »ich fürchte, du wirst die alten Fesseln nie ganz los werden. Immer werden wir sie von Zeit zu Zeit an dir klirren hören, wie die Ketten des Familiengespenstes der Gersdorf. Du wirst nie ganz glauben, liebe, gute Schwester, daß du Gott nicht wohlgefälliger bist, wenn du trauerst, als wenn du dich freust.«
»Er ist uns oft am nächsten,« sagte Eva sanft, »wenn wir traurig sind.« Thekla's Lippe bebte und ihre Augen füllten sich mit Thränen, während sie in verändertem Tone erwiderte;
»Ich glaube, ich habe das auch schon erfahren, Base Eva!« –
Das arme Kind hat es schon oft beweisen müssen. Wie schmerzlich muß ihr der Gedanke an die Gefahren sein, welche Bertrand von Crequi unter seinen feindlich gesinnten Verwandten umringen. Darum kann sie nicht den Schatten eines Zweifels an ihre Wiedervereinigung ertragen.
In Antwerpen und andern Städten der Niederlande hat man die evangelische Lehre mit Enthusiasmus ausgenommen; aber die bürgerlichen und geistlichen Behörden widersetzen sich mit Heftigkeit und drohen mit Verfolgungen.
Mai 1522.
Dr. Luther hat eine Unterredung mit Markus Stübner, dem Schulmeister Cellarius und andern Zwickauer Propheten und Jüngern gehabt. Er sagte ihnen rund heraus, daß ihr gewaltthätiges, eigenwilliges, fanatisches Verfahren nicht vom heiligen Geist der Liebe und Wahrheit, sondern vom bösen Lügengeiste eingegeben sei. Doch soll er sie ruhig angehört haben. Cellarius, erzählt man, schäumte vor Wut und knirschte mit den Zähnen, Stübner dagegen zeigte mehr Selbstbeherrschung.
Alle Propheten haben übrigens Wittenberg nun verlassen und die Ruhe ist hergestellt.
Eine friedliche Sülle ist über die Stadt und über jede einzelne Familie darin gekommen, eine Zeit der Ordnung und Unterwerfung, anstatt der Unruhe und des Eigenwillens. Und dies alles hat die Gegenwart und das Wort des Mannes bewirkt, den Gott uns zum Führer gesandt hat und den wir als solchen anerkennen. Keine einzige Gewaltthai ist begangen worden, seitdem er zurück ist. Er litt nicht, daß man dem Gewissen weder der Anhänger der »Propheten« noch derer des alten Aberglaubens Zwang anthat. Er verläßt sich wie wir alle, auf die Wirkung der Uebersetzung der Bibel in die deutsche Sprache, welche jetzt rasch vorwärts schreitet.
Jede Woche versammeln sich die Doktoren in dem nun fast leeren Augustinerkloster, um das vollbrachte Werk zu prüfen und sich über schwierige Stellen zu beraten. Wenn dies einmal zu stande gekommen ist, so wird Gott durch diese himmlischen Worte zu allen Herzen reden, und Prediger und Doktoren, sagen sie, können dann an ihre untergeordnete Stelle zurückkehren.