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Siebentes Kapitel

»Nehmen Sie bitte Platz, Herr Major,« sagte Doktor Koldby, »und auch Sie, Miß Derry, bitte, setzen Sie sich.«

Doktor Koldby hatte beide dringend eingeladen, auf seinem Hotelzimmer zu erscheinen, und sie hatten der Einladung rechtzeitig Folge geleistet.

»Zunächst möchte ich Ihnen mitteilen, Herr Major, daß ich heute einen Brief von meinem Freunde Holger Nielsen aus London erhalten habe. Der Brief trägt die Angabe: Cranbourne Grove 48, also den Namen des Hauses, dessen Mieter, wie Miß Derry weiß, Mr. Nielsen und ich sind. Die im Hause gefundene Katze, von der Sie, Miß Derry, schon wissen, gehört Mrs. Weston; die im Keller des Hauses gefundene Leiche, über die Sie, Herr Major, vollauf Bescheid wissen, ist die des Mr. Weston. Ich denke, Miß Derry, Sie werden nun alle Versuche, Ihrem früheren Bräutigam behilflich zu sein, aufgeben. Ich weiß jetzt alles und meine daher, Sie legen nun beide die Waffen nieder. Das Klügste, was Sie tun können, Herr Major, ist zweifellos, daß Sie anerkennen, daß Sie Major Johnson sind, und sich Mrs. Weston aus dem Kopf schlagen. Und für Sie, Miß Derry, ist es das Beste, sich an Major Johnson – nicht an Mr. Weston – zu wenden. Ich halte es für meine Pflicht, Ihnen einen Auszug aus dem Bericht meines Freundes vorzulesen, und bitte Sie, mir Gehör zu schenken.«

Darauf las Koldby einen höchst sorgfältig hergestellten Abriß der Dokumente Nielsens vor.

Miß Derry wurde bleich und brach schließlich in Tränen aus, während Major Johnsons Antlitz eine gelbliche Färbung annahm.

Nachdem Koldby seinen Vortrag geschlossen hatte, blickte er fragend auf. »Nun, Herr Major, sind Sie darauf vorbereitet, sich von der Polizei nach London eskortieren zu lassen?«

Der Major wollte aufbrausen, doch Koldby nahm keine Notiz davon und fuhr fort: »Sie sind also nicht vorbereitet. Schön, ich möchte derartiges ebenfalls vermeiden. Sind Sie dagegen geneigt, sich von Miß Derry nach London eskortieren zu lassen? Mir scheint, daß sie durchaus Ihre Hochachtung verdient hat.«

Miß Derry wurde rot, und der Major warf einen verstohlenen Blick auf das hübsche Mädchen.

Koldby fuhr gelassen fort: »Ich ersuche Sie nun, Herr Major, so gut zu sein und die Wahrheit dessen, was Mrs. Weston bezeugt hat, zu bestätigen, das heißt diese Erklärung hier, die ich in Ihrer Sprache aufgesetzt habe, zu unterzeichnen. Ich werde sie Ihnen vorlesen.

»Ich, der Unterzeichnete James Johnson, erkläre hierdurch, daß ich Augenzeuge folgender Begebnisse gewesen bin: Am Abend des 26. April dieses Jahres griff der inzwischen verstorbene Mr. Weston im Hause Cranbourne Grove 48, London, in betrunkenem Zustande seine Gattin Amy Weston, geborene Throgmorton, in heftiger Weise an, worauf diese aus Notwehr nach einem Messer griff und ihm damit eine Verwundung beibrachte, an der er gestorben ist. Und ich erkläre mich bereit, auf Verlangen, wann und wo es auch sei, dieses Zeugnis vor jedem dänischen oder englischen Gerichtshof zu wiederholen und eidlich zu bestätigen.«

Der Major tobte. »Das würde nichts andres bedeuten, als Skandal und Gefängnis.«

Koldby zuckte die Achseln. »Ja, da kann ich Ihnen nicht helfen. Sie haben einen unverzeihlichen Fehler begangen und müssen auch die Folgen auf sich nehmen. Indessen hindert Sie ja nichts, Ihre Erklärung vor dem hiesigen Amtsrichter abzugeben. Ich glaube nicht, daß es zu Ihrer Verhaftung kommen würde, denn Sie sind ja eines Verbrechens nicht angeklagt. Oder Sie können es auch morgen vor dem Nachlaßgericht besorgen ... man wird Sie vollständig in Freiheit lassen.«

Der Major zögerte. »Nein,« sagte er dann, »nein! Meinetwegen können Sie mich verhaften lassen – – lebendig wird man mich nicht bekommen!«

Miß Derry sah ihn kläglich an und begann wieder zu weinen.

»Schön,« sagte Koldby, »Sie meinen, daß ein solcher Schritt von mir Ihnen den Tod und dieser jungen Dame hier viel Kummer einbringen würde; auch gelangte dadurch Mr. Weston keineswegs ins Leben zurück. Sehr richtig, ganz meine Meinung. Aber Sie vergessen, daß im Keller des Hauses Cranbourne Grove eine Leiche liegt, die jeden Augenblick entdeckt werden kann. In diesem Falle würde die ganze Frage – wir mögen jetzt tun und lassen, was wir wollen – wieder aufgerührt werden. Besonders nun, da Throgmortons Angelegenheiten geprüft werden sollen, ist es wahrscheinlich, daß das Haus in die Hände der Gläubiger gelangen wird. Und dann ist die Aufdeckung des Geheimnisses nur noch eine Frage der Zeit.«

»Sicher,« sagte der Major, »aber verschieben Sie es noch um ein Weilchen, bis ich mich aus dem Staube gemacht habe. Dann wollen wir mal sehen, ob man mich finden wird!«

»Das ist allerdings vortrefflich – für Sie!« rief der Doktor. »Mrs. Weston aber hat Anspruch auf Ihr Zeugnis; sie wünscht natürlich nicht, überführt und verurteilt zu werden, zumal sie an dem einzigen Verbrechen, das begangen worden ist – an dem Verbergen der Leiche – schuldlos ist.«

»Das bin ich auch,« sagte der Major. »Throgmorton hat das allein besorgt.«

»Throgmorton ist tot,« versetzte der Doktor kurz, »und abgesehen davon, haben Sie mehrere Monate lang unter dem Namen des Ermordeten gelebt.«

»Aus dem Grunde will ich ja auch in die Verbannung gehen,« sagte der Major.

»Und ich geh' mit,« erklärte Miß Derry munter, doch wurde sie hinterher sehr rot darüber.

Doktor Koldby lächelte. »Das ist ja alles sehr hübsch, Miß Derry. Ich bewundere Sie und möchte dem Major mit Freuden helfen, obwohl Sie beide versucht haben, mir Sand in die Augen zu streuen. Aber wenn ich bloß wüßte, wie ich mich dann Nielsen und Mrs. Weston gegenüber rechtfertigen könnte.«

»Herr Doktor,« sagte Miß Derry verlegen, »der Major wird den ersten Teil Ihrer Erklärung unterzeichnen; dann ziehen wir davon. Wenn sich Mrs. Weston dann später an das Gericht wenden will, so meine ich, wird das Gericht auch schon Gerechtigkeit walten lassen.«

»Möglich,« erwiderte der Doktor, »aber durchaus nicht wahrscheinlich.«

»Dann würde ich die Leiche ruhig im Keller liegen und die Gerichte unbelästigt lassen,« rief Miß Derry unmutig.

»Ich auch!« sagte der Doktor. »Ohne Zweifel. Aber sehen Sie – Nielsen will nicht; er ist Rechtsgelehrter, Kriminalist und ähnliches Zeug!«

»Aber er liebt sie doch!«

»Ja, Miß Derry – Liebe ist zweifellos eine ungewöhnlich feine Sache – aber in erster Linie kommen doch die Pflichten gegen die Gesellschaft.«

»Ich hätte die Leiche einfach verbrannt – – warum hat Throgmorton das nicht getan?«

»Mir wäre selbst nichts lieber gewesen, als wenn er es getan hätte, Miß Derry, obwohl ich bezweifle, daß Sie dann Ihren Bräutigam wiedergefunden hätten. Aber gut, unterschreiben Sie den ersten Teil jener Erklärung, Herr Major. Natürlich ist sie gänzlich nutzlos, da sie den ganzen gesetzmäßigen Formenkram nicht durchgemacht hat. Reisen Sie dann meinetwegen, so weit Sie wollen.«

Dieser Vorschlag fand schließlich Beifall, und der Major unterzeichnete das Schriftstück.

»Einen Augenblick noch,« sagte der Doktor dann und zog die Taschenuhr hervor, die er bei dem Ertrunkenen gefunden hatte. »Sehen Sie, diese Uhr war tatsächlich der Schlüssel zu dem Rätsel. Wir fanden sie auf dem Körper Throgmortons. Nielsen und ich nämlich haben uns einige kleine Übertretungen zu Schulden kommen lassen. Kleinigkeiten, wie Leichenraub und so weiter. Aber nun tun Sie gut, die Uhr an sich zu nehmen und die zwölfhundert Kronen dem Nachlaßgericht zu überlassen. Wenn das alles ist, was Sie auf dem Gewissen haben, dann ist Ihr Gewissen von außerordentlicher Reinheit.«

Damit war die Sache erledigt, und am folgenden Tag verließen Mr. Weston und Miß Derry zusammen den Ort – an der Nase des Nachlaßgerichts vorbei und der ganzen schmähenden Badekolonie zum Ärgernis!


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