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Lökken, den 4. Juli 19..
Lieber Freund und Kampfgenosse!
Gemäß meinem Versprechen – denn ich habe die Gewohnheit, meine Versprechen zu halten – will ich Ihnen einen gewissenhaften Bericht ablegen über alles, was sich in der ehrbaren Stadt Lökken nach Bekanntwerden des Verschwindens der Mrs. Weston und eines gewissen Gentlemans ereignet hat. Es dauerte mit diesem Bekanntwerden nicht lange; bereits beim Frühstück bearbeitete mich der Esel von Tuchhändler aus Randers mit der Neuigkeit. Ich tat, als wäre ich überrascht wie nur je, und kam dadurch noch glimpflich davon. Ich erklärte mich sogar bereit, Mr. Weston so schonungsvoll wie möglich auf den Schlag, der sein Haus getroffen, vorzubereiten. Hören Sie nun, wie ich das machte. Ich ging zu ihm hinauf und erzählte ihm, daß Sie nach Hjörring gefahren seien, um die Geldangelegenheit zu ordnen, und daß Sie mich ersucht hätten, ihm dieses mitzuteilen mit dem Zusatz, es würde sich für ihn empfehlen, einen Ausflug nach dem Rubjerger Riff zu machen, da heute wahrscheinlich das Nachlaßgericht nebst Gefolge ihm einen Besuch abstatten werde. Er wollte zuerst mit seiner Frau sprechen, aber ich machte ihm plausibel, daß es besser wäre, wenn Mrs. Weston nichts davon zu erfahren bekäme, damit sie den Beamten ganz unwissend entgegentrete, wenn diese während seiner Abwesenheit eintreffen sollten.
(Notabene: Mr. Weston ist der albernste Idiot unter der Sonne!)
So ging mein Vorschlag durch, wir fuhren ab, begleitet von den Blicken sämtlicher Hotelbewohner, die augenscheinlich glaubten, daß wir den Flüchtlingen auf die Hacken wollten. Wir hatten vom Mälzer einen Wagen gemietet und ratterten die elende Straße nach dem Riff entlang. Es war eine schwere Prüfung, diese Fahrt nach dem Riff, und ich konnte sie nur dadurch überwinden, daß ich während der ganzen Zeit, da wir nordwärts fuhren, mit Genugtuung daran dachte, daß Sie währenddessen mit Amy Nummer 2 in eben derselben Geschwindigkeit nach entgegengesetzter Richtung reisten. So erreichten wir das Riff ohne nennenswerte Ereignisse. Mein Begleiter war mürrisch und schweigsam. Wir verzehrten unser Frühstück, das wir uns mitgebracht hatten, wobei wir einen ausgezeichneten Rotwein tranken, zündeten alsdann unsere Zigarren an, und nun hielt ich den Zeitpunkt für gekommen, mit meiner Rede zu beginnen.
»Mr. Weston,« sagte ich, »erlauben Sie mir, Ihnen eine Mitteilung zu machen: Ihre Gattin, Mrs. Weston, ist heute morgen mit meinem Freunde Nielsen durchgegangen!«
Lieber Nielsen, haben Sie schon einmal einen aus der Schachtel springenden Harlekin gesehen? – Genau so benahm sich nach meiner Mitteilung Herr Weston aus London. Er sprang eine Elle hoch in die Luft.
Ich bat ihn, ruhig sitzen zu bleiben, denn Sie und Mrs. Weston wären schon über alle Berge – hätten jetzt mindestens Aarhus erreicht und würden bald in Esbjerg sein. –
Ich ließ ihn fünf Minuten lang schimpfen, soviel er wollte, und muß bekennen, daß die englische Sprache einen reichen Vorrat an Kraftausdrücken besitzt, die indessen auf ein so reines, ruhiges und harmloses Gemüt wie das meinige nur mäßigen Eindruck machten. Als er mit seinem Repertoir zu Ende zu sein schien, hielt auch ich mit meiner Beredsamkeit nicht länger zurück. Ich kann nicht Wort für Wort wiederholen, was ich sagte, aber meine Rede lautete ungefähr so:
»Sir,« sagte ich, »Sie scheinen nunmehr am Ende zu sein. Daher werde ich jetzt beginnen. Selbstredend ist es gänzlich zwecklos, den Flüchtlingen zu folgen; in Dänemark werden Sie sie jedenfalls nicht erreichen. Außerdem haben Sie kein Geld, Ihre Hotelrechnung zu bezahlen – von mir werden Sie nichts bekommen, und wenn Sie etwa versuchen auszurücken, wird man Sie schnellstens festnehmen lassen. Sie mögen also über mich schimpfen, so viel Sie wollen, Nutzen wird Ihnen daraus nicht erblühen. Ihre Gattin ist nach London gegangen, um ihre Angelegenheiten selbst zu ordnen. Sie wünschte, ohne Ihre Begleitung zu reisen, und hat Nielsens Anerbieten, ihr behilflich zu sein, nur mit Widerstreben angenommen. Nielsen ist ein Ehrenmann – das will sagen, daß Mrs. Weston sich in guten Händen befindet. Von einer Entführung oder dergleichen kann hier selbstverständlich nicht die Rede sein.
»Sir,« fuhr ich dann fort – ich sagte wirklich noch einmal Sir – »ich erkläre Sie für meinen Gefangenen. Bis Mrs. Weston zurückkommt, halte ich Sie als Geisel fest. Ich werde solange für Ihren Unterhalt sorgen, den übrigen Gästen Lügen erzählen, kurz, Ihnen in jeder Hinsicht nützlich sein, nur müssen Sie hier unter meiner Aufsicht bleiben. Wenn Nielsen in ein paar Tagen wieder zurück sein wird, sind Sie wieder frei.«
Augenscheinlich begriff er es nicht ganz. Er brauste abermals auf, redete allerhand von der großen Nation, zu der er gehöre, und drohte mit dem britischen Konsul. Ich hörte ihm aufmerksam zu und erwiderte, daß es mir ein Vergnügen sein würde, mit ihm zum britischen Konsul zu gehen.
»Sie behandeln mich ja geradezu wie einen Verbrecher,« sagte er.
Hierauf erwiderte ich ihm, da Gefangene allerdings in der Regel zu dieser nichtsnutzigen Menschenklasse gehörten, stände es ihm frei, sich für einen Verbrecher zu halten. Ich hätte Gründe, sagte ich, anzunehmen, daß er unter falscher Flagge segle. Wenn ihm also die behördliche Aufsicht lieber wäre als meine, würde ich mit Vergnügen der Polizei meinen Platz einräumen.
Die Polizei war augenscheinlich auch nicht nach seinem Geschmack; er brach unter der Wucht meiner Logik zusammen und fragte mit nur noch schwacher Stimme, mit welchem Recht ich ihn so behandle.
»Mein Freund und ich,« erklärte ich ihm, »hegen schon seit langem einen gewissen, unbestimmten Verdacht gegen Sie, und zwar auf Grund Ihrer Scheu gegenüber den Behörden und andrer Umstände. Sobald Mrs. Weston oder Mr. Nielsen aus London zurückkehrt, sind Sie frei. Mit der Polizei sollen Sie absolut nichts zu tun bekommen, und ich kann Ihnen versichern, daß Sie auf freien Fuß gesetzt werden, sobald Nielsen mit den Angelegenheiten von Mrs. Weston fertig ist. Ein Brief von ihm wird genügen. Aber bis er schreibt, sind Sie mein Gefangener.«
»Erkennen Sie wenigstens an, daß Ihre Handlungsweise ungesetzmäßig ist?« fragte er, nun ganz ruhig geworden.
»Wenn es gegen Ihren Willen geschähe, ja. Aber Sie werden selbst zugeben müssen, daß Sie nicht einen Penny in der Tasche haben. Ihre Frau versichert, daß das vom Verstorbenen hinterlassene Geld als Teil ihres Separatvermögens ihr gehöre. Es bleibt Ihnen also nichts andres übrig, als sich zu fügen.«
»Das Geld gehört mir,« sagte er.
»Beweisen Sie das vor dem Nachlaßgericht.«
»Werde ich auch!«
»Schön, dann wollen wir zusammen nach Hjörring fahren,« sagte ich. – Aber das wollte er ebenfalls nicht.
Kurz und gut, das Ende war, daß er – als der große Esel, der er ist, allmählich ganz zugänglich wurde, besonders als ich ihn in gütiger Weise behandelte. Er versicherte mir, daß er ein Gentleman sei, worauf ich ihm versicherte, daß ich überzeugt davon wäre; ich sagte ihm, ich hätte keine Spur von Verdacht gegen ihn, sondern sei nur gezwungen, so zu handeln. Schließlich wurden wir gute Freunde, und ich gab ihm das Versprechen, ihm aus allen Schwierigkeiten zu helfen. Über die Flucht seiner Gattin scheint er nicht untröstlich zu sein, obwohl er augenscheinlich nicht glaubt, daß sie je zurückkehren wird. Nur nach London gehen möchte er gerne.
Das ist alles. Beachten Sie wohl, daß ich keinen Zweifel darüber habe laut werden lassen, daß er Mr. Weston sei; auch habe ich weder Cranbourne Grove noch die Katze erwähnt. Machen Sie es ebenso wie ich und prüfen Sie erst, wie weit Sie, ohne Ihr Mitwissen zu verraten, kommen können. Und passen Sie um Himmels willen ordentlich auf Ihr kleines Herz auf. Um die Wahrheit zu gestehen – von diesem Körperteil her befürchte ich die größten Torheiten von Ihnen.
Seien Sie also auf dem Posten, junger Mann!
P. S. Obwohl ich kein Frauenzimmer bin, mache ich doch ein Postskriptum. Als ich diesen Brief nämlich gerade absenden wollte, traf ein Telegramm für uns aus London ein. Es enthält nur drei Worte: »Heute London abgereist Amy D.« – Darum das P. S. Nun geht es Herrn Weston aus London an den Kragen!