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Viertes Kapitel

Bolle Jens war sowohl Fischer als auch Zimmermann, ein dürrer langer Bursche mit richtigem Seemannsgesicht. Er war in Lökken als einer der vortrefflichsten Fischer bekannt und fürchtete sich vor keinem Wetter; im Winter fing er die meisten Schellfische von allen, und im Sommer waren seine Hummerbehälter immer voll.

Bolle Jens stand am Strand und machte seine »Betty« fertig. Die »Betty« war das schönste Boot vom ganzen Hafen, groß und von weitgeschweifter Form und in Grau und Weiß gemalt; es war das einzige Segelboot, das es, nachdem man überall Motore eingeführt hatte, in Lökken noch gab. Bolle Jens war auf das Segeln angewiesen, er hatte noch einen ganzen Sommer lang zu fischen, ehe das Geld zu einem Motor beisammen war.

»Petersen,« sagte Nielsen zu ihm – Petersen war Bolle Jensens Vatersname –, »wollen Sie mich und einen andern Herrn morgen früh, wenn gutes Wetter ist, mit hinausnehmen?«

»Gern,« sagte Bolle Jens, »ist der andre Herr der Maler?«

»Nein, einer von den Engländern.«

»Schon recht. Wir segeln um zwei Uhr bei Tagesanbruch. Das Wetter wird gut sein, denn das Barometer steht auf beständig. Kommen Sie also um zwei.« – –

Diese Hälfte des Geschäfts war erledigt, nun blieb noch die andre übrig.

Nach dem Lunch machte Nielsen Mr. Weston den Vorschlag, mit ihm an der Segelpartie teilzunehmen.

Mr. Weston zögerte und rief seinen Genossen herbei.

Throgmorton konnte Nielsen nicht leiden. Fremde waren ihm überhaupt nicht angenehm. Außerdem war er gerade schlechter Laune – wahrscheinlich infolge eines Streits, den er soeben mit seiner Schwester gehabt hatte. Solche Streitigkeiten zwischen den Geschwistern kamen, wie die Leute erzählten, recht häufig vor, und manche behaupteten, daß Nielsen hierzu die Ursache bildete.

Und Throgmorton benutzte diese Gelegenheit, um recht unangenehm zu werden.

»Sir,« sagte er, »nur ein Zufall hat uns zusammengeführt. Sie haben meiner Schwester einen Dienst erwiesen, den ihr ebensogut jeder andre hätte geleistet haben können. Sie machen nun aber diesen Dienst zu einem Vorwande, uns Ihre Gesellschaft aufzuzwingen. Sie sind die Ursache für allerhand Gerede geworden, das jetzt über meine Schwester umgeht. Sie haben ihren guten Ruf in Gefahr gebracht. Jawohl, das haben Sie! Ich mache mir freilich keinen Pfifferling aus Ihnen, doch wenn es jetzt etwa Ihre Absicht ist, sich auf meinen Schwager zu werfen – vielleicht um wieder gut zu machen, was Sie in andrer Richtung übles angerichtet haben – dann will ich Ihnen nur sagen, kümmern Sie sich gefälligst um Ihre eignen Angelegenheiten und lassen Sie uns in Ruhe. Ich habe es jetzt satt. Gehen Sie meinetwegen zum Teufel.«

Das war nicht sehr höflich gesprochen, und Nielsen wurde vor Ärger rot bis an die Haarwurzeln. Aber er gedachte seiner Pläne und erwiderte höflich: »Ich bin überzeugt, Mr. Throgmorton, daß Sie kein Recht haben zu sagen, ich hätte jemandem meine Gesellschaft aufgezwungen. Ich habe mich mit Mrs. Weston, für die ich die größte Achtung empfinde, nur deshalb unterhalten, weil ich zu bemerken glaubte, daß ihr das angenehm sei. Vielleicht habe ich mich geirrt. Aber auf keinen Fall bin ich gewillt, mich beleidigen zu lassen. Selbstverständlich werde ich mit Mrs. Weston darüber reden, und wenn sich jemand hier im Orte irgend welche Anspielungen erlaubt haben sollte, so würde ich mich entschieden nach seinem Namen erkundigen. In derartigen Dingen lasse ich nicht mit mir spaßen.«

Throgmorton schnarrte: »Ich wünsche bloß, daß Sie uns, meinen Schwager und mich, in Ruhe lassen. Meiner Schwester steht es frei, zu tun, was ihr beliebt. Ihr Gatte wird ja seine Ehre zu wahren wissen.«

»Sicherlich, das meine ich auch,« sagte Nielsen friedlich. »Aber gerade Ihr Verhalten läßt das Gegenteil vermuten. Und genau aus denselben Gründen, die Sie eben anführten, möchte ich gern einen Tag mit Mr. Weston verbringen, und ich bin überzeugt, daß wir auf diese Weise schneller und angenehmer zu einem Resultat kommen würden, als durch Ihre Plumpheiten. Denn plump, das waren Sie.«

Die beiden Engländer beratschlagten kurz miteinander, dann versetzte Throgmorton in demselben Ton: »Ich finde keinen Grund, meine Ausdrücke zu ändern. Ich habe Ihnen meine Meinung frei herausgesagt, weiter nichts, und ich bitte Sie, desgleichen zu tun.«

Nielsen blickte nunmehr Mr. Weston an, und dieser erklärte seinerseits: »Ich bin mit meinem Schwager einer Meinung. Wenn ich dächte, Sie wagten es, sich Mrs. Weston in der angedeuteten Absicht zu nähern, so würde ich ganz anders gegen Sie vorgehen. Ich vertraue Mrs. Weston in jeder Hinsicht. Aber ungeachtet dessen wünsche ich Ihre Bekanntschaft nicht und ersuche Sie, sich um Ihre eignen Geschäfte zu kümmern.«

Und damit wandte Mr. Weston Nielsen den Rücken und ging in schlottriger Haltung davon.

Throgmorton folgte ihm nach.

* * *

Der Doktor saß malend inmitten der Dünen, als Nielsen langsam durch den Sand auf ihn zugeschritten kam.

»Nun?« fragte er.

»Unser Plan ist ins Wasser gefallen,« sagte Nielsen. »Die beiden Tölpel waren so roh wie die Bären,« und er erzählte, was sich ereignet hatte.

»Dann ist unser Plan allerdings ins Wasser gefallen,« sagte der Doktor. »Nun möchten Sie die Halunken wohl am liebsten gleich beim Genick nehmen, was?«

»Freilich, daß mich ihr Betragen freundlicher gegen sie gestimmt hat, kann ich nicht behaupten. Aber immerhin, so ganz unrecht haben sie nicht, wenn sie verlangen, in Ruhe gelassen zu werden. Wir müssen eben unsre Taktik ändern und wollen darüber ein wenig nachdenken. Wir haben ja Zeit. Aus der Segelpartie morgen früh wird natürlich nichts; ich werde gleich hinuntergehen und das Boot abbestellen.«

»Tun Sie das,« sagte der Doktor und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

Nielsen ging zum Strand hinunter, wo er Bolle Jens noch immer mit seiner »Betty« beschäftigt vorfand.

»Ich werde nunmehr doch nicht mitkommen können morgen früh,« sagte er.

» All right, all right,« rief Jens vergnügt, »die beiden Engländer haben inzwischen auch mit mir gesprochen. Sie boten mir einen guten Extralohn für das Boot, doch da ich es ja schon Ihnen versprochen hatte, mußte ich ablehnen. Nun werde ich doch das Geld der Engländer bekommen.«

* * *

Als Nielsen und Doktor Koldby wieder zusammen waren, lächelte der Doktor und fragte ihn, ob er seinen ritterlichen Vorsatz nunmehr nicht fallen lassen und die Festung da angreifen wolle, wo sie am schwächsten erscheine.

Nielsen schwieg nachdenklich.

»Mein lieber Freund,« fuhr der Doktor fort, »ich meine, es bleibt Ihnen gar nichts andres übrig. Und bedenken Sie doch, welch günstige Gelegenheit sich Ihnen gerade morgen bietet: wenn die beiden Tölpel, Böses schmiedend, draußen auf See sind, gelingt es Ihnen vielleicht, mit einem Schlage die ganze Geschichte aufzudecken – mit ihrer Hilfe nämlich. Ich würde eine solche Gelegenheit nicht unbenutzt lassen. Du lieber Himmel – sie ist ja bloß ein Weib – und Sie, mein Freund, sind doch wahrhaftig ein Schlaukopf!«

Nielsen antwortete nicht; er ging an diesem Abend mit sich selbst zu Rate.

Und der Doktor ließ ihn allein.


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