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Miß Derry wohnte in dem Hause Clarendon Road 117 nicht, sondern nur eine Schneiderin wohnte dort, deren Kundin sie war. Madame Sorel – so hieß die Schneiderin – war augenscheinlich recht verwirrt, als Nielsen sie nach Miß Derry fragte, und wußte offenbar nicht, was ihre Kundin in einem solchen ganz unerwarteten Fall von ihr verlangte.
Nielsen ließ also seine Karte zurück und bat, Miß Derry möge ihm schreiben, sobald sein Besuch ihr genehm sein würde.
Und damit ging er davon.
Miß Derry aber hatte keinen derartigen Wunsch. Sie schrieb ihm eine Karte, auf der sie ihm sehr höflich mitteilte, daß sie soeben von Major Johnson Nachricht erhalten habe, und nun Mr. Nielsen und seinen Freund bäte, ihren Besuch in Cranbourne Grove als nicht geschehen zu betrachten. –
»Das ist sicher gelogen,« sagte Nielsen.
Der Doktor lachte. »Nun hat sich also das Blättchen wieder zu Gunsten der Throgmortonpartei gewandt!«
»Nein,« sagte Nielsen, »das gerade nicht. Aber wissen Sie, Mr. Derry ist ein wohlbekannter und geachteter Mann. Wenn die Tochter sich uns nicht nähern will, so gehe ich einfach hin und besuche ihren Vater.«
»Dagegen habe ich nichts einzuwenden,« meinte der Doktor nachdenklich, »doch dann würde ich die Katze und das Halsband mitnehmen. Wir müssen um jeden Preis herausfinden, ob ›Amys Puß‹ wirklich die Katze dieser Amy ist, denn es liegt natürlich durchaus die Möglichkeit vor, daß die andre Dame, die an dieser Tragödie beteiligt ist, ebenfalls Amy heißt.«
Nielsen bestellte eine Droschke und setzte Amys Puß in einen Korb; die Katze jammerte wohl ein wenig dabei, doch fügte sie sich ins Unvermeidliche. Mr. Derrys Adresse war unschwer ausfindig zu machen; er war ein bedeutender Geschäftsmann und wohnte an der Nordseite des Parks.
Gegen drei Uhr nachmittags fuhr Nielsens Droschke an einem schönen großen Hause der Westbourne Terrace vor.
Mr. Nielsen fragte nach Miß Derry. – Miß Derry war nicht zu Hause.
Da fragte er denn nach Frau Derry, und diese war zu Hause.
Als sie erschien, überreichte ihr Nielsen die Katze mit einer Verbeugung.
»Ih, ist das möglich, das ist ja Amys Katze!« rief sie erstaunt.
Nielsen zeigte keine Überraschung.
»Wo in aller Welt haben Sie die Katze gefunden?« erkundigte sich die würdige ältliche Dame, nachdem sie mit dem Tiere freundliche Begrüßungen ausgetauscht hatte.
»Im Hause Cranbourne Grove Nummer 48, wo ich wohne,« sagte Nielsen gerade heraus.
Die Dame schlug vor Erstaunen die Hände zusammen.
»So ist die Pussy meilenweit durch ganz Kensington Garden gelaufen? – Aber wenn auch das – wie in aller Welt konnten Sie, ein ganz Fremder, wissen, daß die Katze gerade hierhergehörte?«
Nielsen zögerte. Die gute alte Dame schien von dem Hause Cranbourne Grove 48 nichts zu wissen. Dagegen mußte ihr der Name des Majors – wenn er und Amy wirklich ein ernstes Verhältnis gehabt hatten – bekannt sein. Er sagte daher: »Freilich, das ist allerdings recht außergewöhnlich; aber das Haus, in dem ich wohne, gehört dem Major James Johnson.«
Die Dame wurde bleich. »Major Johnson,« wiederholte sie nach einer Pause. »Ich weiß nicht, Mr. ...«
»Nielsen,« vollendete er.
»Mr. Nielsen, wer Sie sind. Und ich kenne Major Johnson auch fast ebensowenig, wie ich Sie kenne. Wir werden wohl kaum je wieder zusammenkommen, Mr. Nielsen, und Sie verstehen wohl, daß ich mit einem Fremden nicht über Familiengeheimnisse reden kann. Und ich möchte Ihnen auch nicht raten, mit meinem Mann darüber zu sprechen. Durchaus nicht. Im Gegenteil, ich muß Sie bitten, zu gehen. Hören Sie? Ich bitte Sie, zu gehen.«
Es sah aus, als ob Mrs. Derry fürchtete, daß jemand – der zweifellos ihr Mann war – dazukommen könne.
»Ich kann nur versichern,« setze sie hinzu, »daß, seit Major Johnson aus der Armee ausgetreten ist, also seit letztem Herbst, weder ich noch mein Mann ihn kennen, und wenn Amys Katze sich in seinem Hause vorgefunden hat, so ist das nur so zu erklären, daß er die Katze ganz einfach gestohlen hat. – Aber ich bitte, mich zu entschuldigen. Ich erwarte meinen Mann.«
Nielsen konnte nicht länger bleiben, wenn er nicht aufdringlich sein wollte. So erhob er sich und ging.
Die Katze aber blieb zurück.
* * *
Der Doktor rieb sich die Hände vor Vergnügen. »Frage eins ist erledigt. Amys Katze ist wirklich Amys Katze. Wir müssen nunmehr ein wachsames Auge auf die Familie Derry haben, besonders auf diese Amy, deren Lebensaufgabe es zu sein scheint, das Blaue vom Himmel herunterzulügen. Ich glaube, wir haben jetzt allen Grund, zu ihr und ihrer Liebesaffäre zurückzukehren, und müssen auch über den Major mehr zu erfahren suchen. Daß er ein Katzendieb ist, wissen wir schon.«
* * *
Spät des Nachmittags kam ein Messengerboy und brachte einen Korb – – – darin lag die Katze. Auch ein Brief, in feiner Damenhandschrift geschrieben – nicht in der des Billetts, das der Doktor gefunden hatte – lag bei. Er war von Amy Derry unterzeichnet und lautete: »Das Halsband der Katze gehörte einst mir; ich habe Grund, anzunehmen, daß es mir gestohlen worden ist. Die Katze dagegen gehört mir nicht, und ich sende sie daher zurück.« – Sonst nichts.
Der Doktor kraute sich den Kopf. »Nun haben wir die Katze wieder, Nielsen, und müssen es aufgeben, uns unter den Lügen dieser famosen Amy zurechtzufinden. Ihre Katze jedoch wollen wir deswegen nicht schlechter behandeln.«