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Sehen Sie hier, Nielsen,« sagte der Doktor später am Nachmittag. »Hier ist das Resultat meiner Forschung. Ich habe den Arzt zwar einige dreißig Jahre am Nagel hängen gehabt, aber, wie ich sehe, bin ich doch ein richtiger Medikus geblieben, denn dieser Bericht ist so vortrefflich gelungen, wie er keinem Leichenbeschauer besser gelingen kann.«
Nielsen nahm das Papier und las:
»Die in einer Kiste im Keller gefundene Leiche lag während der Untersuchung auf dem Boden des Kellers mit dem Gesicht nach oben, während sie in der Kiste mit dem Gesicht nach unten gelegen hatte. Der Körper befand sich in gestreckter Lage, die Arme lagen glatt an den Seiten. Es sind Erstarrung und braunblaue Flecken zu konstatieren, doch ist die Verwesung noch nicht wahrnehmbar geworden.
Der Kopf ist augenscheinlich nach dem Tode mit einer scharfätzenden Flüssigkeit behandelt worden, von der sich Spuren auf dem Hemd und dem herumgewickelten Schal vorfanden. Durch diese Flüssigkeit sind alle weichen Teile des Gesichts zerstört. Das Kopfhaar ist streifenweise vernichtet, doch sind dazwischen Büschel bräunlichen Haares übrig geblieben.
Der Hals weist keinerlei Anzeichen von Strangulation oder dergleichen auf. In der Brust dagegen, gerade über der linken Warze, sitzt eine Stichwunde von etwa einem viertel Zoll Länge mit zackigen Rändern, augenscheinlich von einem Dolch herrührend. Die Wunde ist tief und scheint bis ins Herz zu gehen, die Blutung war gering. Nach dem Bluterguß unter die Haut zu schließen, hatte die Blutung noch nicht aufgehört, als man den Körper in die oben angeführte Lage brachte; das Hemd ist an der Stelle, wo es die Wunde bedeckte, von Blut getränkt.
Weitere Spuren einer Gewalttat sind nicht zu finden. Der Tod muß schnell, wenn nicht unmittelbar, eingetreten sein. Wieviel Zeit seitdem verstrichen ist, kann nur schätzungsweise angegeben werden, es mögen zehn bis vierzehn Tage sein.« –
»So,« rief der Doktor mit Selbstzufriedenheit. »Kein Professor hätte mehr herausfinden können. Vielleicht ist die Form nicht ganz korrekt, aber enthalten ist darin alles, was für uns wissenswert sein kann. Und nun, nachdem wir die Leiche untersucht haben, wollen wir sie wieder in die Kiste legen und den Deckel aufnageln.«
»Gut,« sagte Nielsen kurz. Er hatte seinen Entschluß gefaßt.
So ordneten sie alles, wie es zuvor gewesen war, und nagelten sogar das Linoleum über der Falltür fest. Sie arbeiteten ruhig und mit gutem Gewissen. Sie wußten, wozu sie sich entschlossen hatten, und ihr Entschluß stand fest.
Als sie nach Beendigung des Werkes wieder im Wohnzimmer saßen und der Doktor seine Pfeife wieder in Brand gesetzt hatte, bemerkte er zu Nielsen: »Nun, Sie Rächer der Gesellschaft, offenbaren Sie Ihre Weisheit. Was gedenken Sie zu tun?«
Nielsen zögerte ein wenig, bevor er antwortete.
»Ich muß bekennen,« sagte er dann, »daß meine Unkenntnis der Sitten dieses Landes die Arbeit erschwert. – Ich muß mit einer Hypothese beginnen. Die Leiche selbst vermag uns nichts weiter zu verraten, darin sind wir einig. Alles, was wir von ihr wissen, steht auf Ihrem Zettel vermerkt. Wir haben nun zwischen zwei Wegen zu wählen: entweder wir versuchen, die Identität des Ermordeten festzustellen, und richten von ihm aus unsere Erkundigungen nach dem Täter, oder wir tun letzteres direkt. Der gewöhnliche Weg ist wohl der erstere, doch da aus dem Toten nichts weiter herauszufinden ist und das, was wir wissen, zur Feststellung seiner Identität nicht hinreicht, so schlage ich vor, sogleich mit der Feststellung der Identität des Mörders zu beginnen. Denn haben wir seine Identität festgestellt, so haben wir ihn selbst. Das ist praktisch, nicht?«
»Zweifellos,« sagte der Doktor.
»Der Name des Majors Johnson ist der Punkt, von dem wir ausgehen müssen. Die Polizei würde auch damit beginnen.«
Der Doktor unterbrach ihn mit trockenem Lachen. »Nein, mein Lieber, sondern die Polizei würde mit Ihnen und mit mir beginnen! In der Tat, den Vorteil haben wir wenigstens der Polizei gegenüber, daß wir wissen, daß wir nicht die Täter sind! Aber nun weiter.«
»Major Johnson führt uns zu Mr. Armstrong. Dieser Gentleman ist nun eine so unerträgliche Plaudertasche, daß wir ihn meiden müssen, wo wir nur können. Außerdem weiß er, wie er sagte, selbst nicht, wer der Erbe war.«
»Hm, das sieht verdächtig aus.«
Nielsen lächelte. »Nun reden Sie wie die Polizei! Verdacht überall, was? Wir haben niemanden zu verdächtigen, sondern unsre Aufgabe ist es, aus allen vorhandenen Tatsachen eine Kette zu bilden, die zu ihrem Anfangspunkt zurückleitet.«
Der Doktor nickte. »Wir hätten die Katze festhalten sollen.«
»Die Katze ist leider auf und davon,« sagte Nielsen lächelnd. –
In diesem Augenblick läutete es draußen, und Nielsen ging hinaus, um zu öffnen.
Es war Frau Sivertsen, die mit Einkäufen beladen zurückkehrte. Sie hatte, wie sie sagte, Vorräte für eine ganze Ozeanreise eingekauft.
»Haben Sie die Katze gefunden?« fragte sie, während sie sich ihrer Pakete entledigte.
Der Doktor schüttelte den Kopf.
»Schade!« sagte sie und schritt dann nach der Küche.
Nielsen und der Doktor wollten ihr Thema gerade wieder aufnehmen, als sie plötzlich Frau Sivertsen in der Küche schreien hörten: »Herr Doktor! – Herr Nielsen!!«
Entsetzt sprangen sie in die Höhe – sollten sie etwas vergessen haben? – –
In der Küche fanden sie ihre Haushälterin fast atemlos vor; ihre Hand wies in eine Ecke. Und dort lag eine lange, dünne graue Katze.
Der Doktor sah Nielsen an, und Nielsen sah den Doktor an. Die Katze widmete sich augenscheinlich dem Verdauungsgeschäft; sie hatte sich selbst zu helfen gewußt.
Um ihren Hals lag eine kleine silberne Kette mit einem Namenschild daran. Nielsen trat hinzu, löste den Verschluß und betrachtete das Schild: es waren zwei Wörter darin eingraviert: »Amys Puß«.
»Das ist die Katze,« sagte Nielsen. »Nun haben wir zwei Dokumente.«
Die Haushälterin war ernstlich entrüstet über den Speisedieb und wollte ihn hinausjagen, aber die beiden Herren ergriffen Partei für das Tier. »Die Katze ist hier länger zu Hause als wir,« sagte Nielsen. »Wir müssen Amys Puß respektieren. Ich möchte nun bloß gern wissen, wer Amy ist.«
»Zweifellos die Dame, der die Katze gehört hat,« sagte Madame Sivertsen etwas pikiert. Sie ärgerte ich, daß die Katze in die Familie aufgenommen wurde, und konnte nicht begreifen, was die beiden Gentlemen mit dem elenden Viehzeug anfangen wollten.
Puß ihrerseits bekümmerte sich nicht im geringsten um alles dies; sie leckte ihre Milch, schnurrte und tat, als wäre sie zu Hause.
Und zu Hause war sie tatsächlich.