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Es war ein scharfes Kreuzverhör, das Mr. Armstrong am nächsten Tage, als er sich gegen halb zwölf im Hause einfand, zu bestehen hatte. Und die Mitteilungen, die Nielsen und der Doktor nach und nach aus ihm herausbrachten, waren, kurz zusammengefaßt, folgende:
Major Johnson war ein Mann von annähernd vierzig Jahren, mittlerer Größe und sehr wohl gebaut, so daß er gut der Mann in der Kiste sein konnte. Nach Birma war er nicht gegangen, sondern das hatte sich Mr. Armstrong bloß ausgedacht, um die Vermietung des Hauses zu begründen. Die Wahrheit war, daß Major Johnson den Kauf des Hauses bereut hatte, nachdem er seinen Entschluß, Miß Amy Derry zu heiraten, hatte fallen lassen. Und letzteres wiederum hatte er getan, weil er sich inzwischen in die Schwester des Mr. Throgmorton, eine Mrs. Weston, die mit ihrem Gatten und ihrem Bruder das Haus so lange bewohnt, verliebt hatte.
Throgmorton, von dem der Major das Haus gekauft hatte, war ein Freund von ihm von Indien her; Armstrong kannte ihn nicht, er wußte nur, daß er Maler war. Weston, der früher zur Armee gehört hatte, war jetzt Invalide – dem Anschein nach halbverrückt. Mrs. Weston schließlich war sehr schön. Den Major Johnson hatte Armstrong nur einmal getroffen, und er glaubte, daß jener nicht mehr zur Armee gehöre, sondern mit Mrs. Weston davongelaufen wäre.
Das war alles, was Armstrong über die Familie wußte; er hatte es Nielsen nicht früher erzählt, weil Throgmorton ihm das verboten hatte. Und auf dessen Geheiß auch wollte er die gestrige Karte wegen der Briefe geschrieben haben. Throgmorton selbst, sagte er, wohne jetzt in Hjörring, einem Ort in Dänemark, von dem Armstrong noch nie etwas gehört hatte.
Alle diese Mitteilungen wurden von Nielsen, der seine Rolle als Untersuchungsrichter vortrefflich spielte, nach und nach herausgebracht. Mr. Armstrong versuchte zwar, sich vor den Ausforschungen zu drücken, doch Nielsen wußte ihn durch Hinweis auf Miß Derry zu veranlassen, beim Thema zu bleiben. Nielsen nannte die ganze Affäre einen Skandal, der, wenn die Familie Derry wollte, Mr. Armstrong in einen wenig guten Ruf bringen könnte; denn bei dem Komplott, das Mr. Throgmorton und seine Schwester augenscheinlich begangen, sei er mitbeteiligt gewesen, und da Mr. Derry, der Vater der verlassenen Braut, ein angesehener Mann sei, so wäre es eine recht gefährliche Sache, mit den Flüchtlingen unter einer Decke zu stecken.
Mr. Armstrong mußte das alles zugeben; er war kein sonderlich begabter Mann, sondern nur geldgierig und schämte sich, als er seine Lügen offenbart sah. Nielsen versprach ihm dagegen, Stillschweigen zu bewahren, zumal ihn die ganze Affäre ja eigentlich nichts anginge.
So weit waren die beiden Freunde der Justiz an diesem Tage gekommen. –
»Doktor,« sagte Nielsen, als Armstrong gegangen war, »ich glaube, daß wir doch am besten täten, uns an die Polizei zu wenden.«
»Ah,« rief der Doktor, »schon müde der Sache?«
»Nein, aber es scheint mir, als sollten wir doch die Justiz in ihrer offiziellen Form vorgehen lassen. Ich zweifle nicht, daß der Ermordete der Major Johnson ist, und bin überzeugt, daß dieser Throgmorton und seine Schwester – und vielleicht auch sein Schwager – den Major ermordet haben und nun im Auslande die Früchte ihres Verbrechens genießen.«
Der Doktor lächelte.
»Sie sind ein Rechtsgelehrter, Nielsen, darin liegt der ganze Jammer. Sie sind einfach außerstande, die Dinge anders als von einem offiziellen Standpunkt aus zu sehen. Gestern glaubten Sie, Miß Derry wäre schuldig, obwohl Sie zwei Minuten lang ihres netten Äußern wegen schwankten. Heute nun haben Sie diesem geschwätzigen Menschen namens Armstrong solange zugehört, bis Sie Throgmorton für den Schuldigen halten, und zu guter Letzt wollen Sie jede Rücksicht auf Miß Derry, die dann doch am meisten behelligt werden würde, fallen lassen und die Sache der Polizei übergeben. Abgesehen von Miß Derry, haben Sie auch Mr. Armstrong versprochen, Stillschweigen zu bewahren, und wenn er Ihnen soviel eröffnete, so tat er es nur in dem guten Glauben, daß Sie Ihr Versprechen auch halten würden. Miß Derry ruinieren Sie geradezu, denn bedenken Sie doch, was es heißt, ein Mädchen dem Klatsch der Halfpennypresse auszuliefern und ihre ganze Privatgeschichte an allen Ecken in großen Buchstaben zu veröffentlichen. Und die mutmaßlichen Mörder, die Throgmortonpartei schließlich? Die wären die einzigen, die einen Vorteil von Ihrer polizeilichen Anzeige hätten. Die Neuigkeit würde sofort telegraphisch über ganz Europa hin verbreitet werden und die Throgmortons und Westons, wenn ihre Hände nicht rein sind, schleunigst aus Hjörring verscheuchen.
»Übrigens begreife ich nicht, warum diese Leute ausgerechnet nach Hjörring gezogen sind. Auch hierin können wir eine Fügung des Schicksals sehen. London und Indien liegen außerhalb unsres Machtbereichs, während wir in Hjörring doch etwas sollten ausrichten können.«
Nielsen sagte nichts.
»Außerdem,« fuhr der Doktor fort, »ist es durchaus nicht sicher, daß die Throgmortonpartei den Johnson ermordet hat – ja, nicht einmal, daß Johnson der Ermordete wirklich ist. Bedenken Sie doch, daß auch Miß Derry oder ein Angehöriger ihrer Familie den Major aus Rache ermordet haben kann – vergessen Sie nicht Amys Katze und den Drohbrief. Und bedenken Sie schließlich noch, daß es auch der Major gewesen sein kann, der Mrs. Westons Gatten hat aus dem Wege räumen wollen. Das ist auch eine ganz vernünftige Annahme ...«
»Oder daß Mrs. Westons Gatte den Major umgebracht hat.«
»Auch das ist möglich. Kurz und gut, wir wissen noch zu wenig. Das Beste wäre, wenn Sie noch heute abend zu Miß Derry gingen und herauszufinden suchten, ob sie uns gestern Lügen erzählt hat. Zum Untersuchungsrichter eignen Sie sich ja vorzüglich; das hab' ich schon gemerkt.«
Wieder war es der Doktor, der den Ausschlag gab, und Nielsen machte sich des Nachmittags auf den Weg nach Clarendon Road 117.