Ludwig Rellstab
1812 – Ein historischer Roman
Ludwig Rellstab

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Fünftes Kapitel.

Nach zwei mühseligen Tagen erreichte das Heer Wiazma; hier ließ der Kaiser einen Rasttag halten, um die Nachhut, welche der Marschall Davoust führte, zu erwarten. Schon waren die Kräfte der Truppen aufs äußerste angestrengt; viele, durch Krankheit oder Wunden geschwächt, blieben zurück; selbst der festeste Wille vermochte nicht, die versagenden Kräfte des Körpers zu ersetzen.

Rasinski war glücklich genug gewesen, noch keinen von den Seinigen zu verlieren; dies dankte er teils seiner frühzeitigen Sorge für ihre wärmere, festere Bekleidung, teils der unermüdeten Tätigkeit, mit der er noch jetzt fortwährend den Bedürfnissen, soviel es möglich war, zuvorzukommen suchte. Vornehmlich hatte er durch das Beispiel mutiger Zuversicht den Geist der Ordnung, der Ehre und des Vertrauens zu erhalten gewußt, der in so bedrängenden Zeiten die sicherste Rettung, den wirksamsten Schutz gegen das hereinbrechende Verderben gewährt. Der Soldat ist ganz überwältigt und verloren, wenn er es nur einen Augenblick aufgibt, den grimmigen Feinden: der Not, der Kälte, der übermäßigen Anstrengung, Trotz zu bieten. So hielt Rasinski jetzt auf strengere Ordnung im Marsch; er gestattete durchaus kein Vereinzeln, kein Zurückbleiben, kein Vernachlässigen der Pferde, der Kleidungsstücke und Waffen. Er wußte den Reitern begreiflich zu machen, daß der kleine Mangel, dem sie noch, wenngleich mit einiger Unbehaglichkeit, abhelfen konnten, in wenigen Tagen durch Vernachlässigung zu einem unersetzlichen Schaden geworden war. Seine Offiziere sowie Ludwig und Bernhard schlossen sich ihm durch gleiches, sorgliches Aufmerken und eigenes Beispiel wirksam an. In Wiazma war es Rasinski gelungen, noch ein leidliches Unterkommen für Pferde und Leute zu finden. Drei halb stehengebliebene Mauern einer großen Scheune, die noch eine Bedachung hatte, dienten den Rossen zum Stalle; da sie aber alle nicht Raum hatten, so mußten sie von acht zu acht Stunden wechseln. Es war Stroh genug herbeigeschafft worden, daß alle lagern konnten; allein die Fütterung fiel freilich mager genug aus. Doch schon die Ruhe in dem wärmern Bezirke der bedeckten Mauern tat den Tieren wohl. Für sich und seine Leute hatte Rasinski ein Häuschen in Beschlag genommen, das kaum dreißig Menschen fassen zu können schien. Doch durch genaue Verteilung auf dem engen Flur-, Stuben- und Bodenraume, wobei man jedes Plätzchen achtete, war es dennoch möglich geworden, sechzig Mann, freilich eng genug, zu lagern. Durch eine Abwechslung von acht zu acht Stunden, während welcher die einen schliefen, die andern die Pferde, die Wachtfeuer, das Kochen besorgten, gelang es dem vorsorgenden Führer, die Leute völlig ausruhen und auswärmen zu lassen, so daß sie, als der Marsch fortgesetzt werden sollte, mit in der Tat durchaus frischen Kräften an die beschwerliche Reise gehen konnten.

Vor Tagesanbruch setzten die Kolonnen sich in Bewegung. Der Weg führte zwischen langen Fichtenwäldern dahin; die tote Einförmigkeit schien die ungeheuere Weite, in der sich die Krieger von der heimatlichen Gegend fühlten, noch zu vermehren. Auch die Länge der schon so beschwerlichen Tagemärsche wuchs dadurch. Rasinski erhielt den Auftrag, mit seinen Leuten den Schluß des Zuges zu bilden, um die Zurückbleibenden heranzutreiben; denn seit den letzten zwei Tagemärschen hatten sich schon so viele Nachzügler gefunden, die sich auf die späterhin folgenden Korps verließen und, bis diese herankämen, einige Ruhetage zu erhaschen glaubten, daß man dieser Unordnung auf alle Weise steuern mußte. Er ritt daher hinter der langen Reihe von Wagen, die teils noch Bagage, teils Lebensmittel und Verwundete fortführten. Die überflüssigen Munitionswagen und manche andere, die den Zug belästigten, hatte man bereits verbrannt und die Pferde vor die Kanonen gespannt. Denn obgleich das Wetter hell blieb, so glatteiste es doch jede Nacht, und alsdann konnte man mit den schlecht beschlagenen, ungeschärften Pferden selbst gelinde Abhänge kaum hinankommen, so daß die Artilleristen sich selbst mit vorspannten, um die ihnen anvertrauten Waffen, an die sie ihre Ehre setzten wie die Regimenter an ihre Adler, nicht zurücklassen zu müssen. Mit Mühe erreichte er das Biwak, aus dem man nach einer von Frost und Hunger gestörten Nachtruhe noch im Dunkeln wieder aufbrach. Der grauende Tag zeigte ein klägliches Schauspiel. Eine Menge Leute waren vor Entkräftung zurückgeblieben; es war unmöglich, sie in ihren Reihen zu halten. Dazu wurde der Weg schlimmer und die schlecht gefütterten Pferde schleppten sich nur mühsam vorwärts. Die Kolonnen rückten äußerst langsam vor. Es wurden zur Fortschaffung der Geschütze mehr und mehr Pferde nötig. Der Kaiser gab den Befehl, von allen Bagagewagen, selbst von denen der höhern Offiziere, die Hälfte der angespannten Pferde zu nehmen, um sie vor die Kanonen zu spannen. Da auf diese Weise die schon zu große Last für die halben Bespannungen eine nicht mehr fortzuschaffende wurde, mußte dieselbe in gleichem Maße vermindert werden. Man sah daher alles, was an entbehrlichen Geräten, selbst an Kunstwerken, auf den Wagen befindlich war, wie unnützen Ballast auswerfen, und was sich davon verbrennen ließ, durch das Feuer vertilgen.

Als Rasinski neben Jaromir an einem dieser noch brennenden Scheiterhaufen vorüberritt und sie ihre Pferde abseits lenken mußten, damit sie nicht in die Scherben kostbarer Porzellangefäße träten, die man unvorsichtigerweise mitten in den Weg geworfen hatte, sprach er zu ihm: »Erinnerst du dich noch des Vorfalls dicht bei Moskau, wo der gebrochene Wagen geplündert wurde? Hatte ich nicht recht zu sagen, daß jener Mann der glücklichste von allen sei, weil man ihm die vergebliche Sorge für seine Trödelschätze zuerst abgenommen hatte?«

»Freilich,« erwiderte Jaromir; »doch wer erkennt das? Glück und Unglück, ruhen sie nicht in unserer Brust? Und wenn wir uns durch den Schein täuschen lassen, ist es nicht dasselbe, als ob wir durch die Wahrheit leiden? Mir selbst ist es jetzt oft so erschienen, als ob wir erst spät einsähen was glückliche, was unglückliche Ereignisse für uns sind. Bei dem ersten Angriff, den wir in der Schlacht von Mosaisk machten, riß mir eine Kugel den Federbusch herunter. Ich pries mich glücklich, daß sie mich nicht einen Fuß breit tiefer traf. Und doch wäre es mein Glück gewesen! Denn wenn mich jetzt oder später das Los erreicht, was habe ich gewonnen als einige Tage der Qual? – Und dennoch fühlte ich mich in jenem Augenblicke wirklich froh. Was ist nun wahr, was ist falsch an unsern Gefühlen?«

»Die Gegenwart gehört uns wenigstens sicher«, sprach Bernhard, der neben Jaromir ritt. »Doch auch die nicht,« fuhr er rasch fort; »denn Zukunft und Vergangenheit können sie vergiften. Darum aber, weil uns nichts gehört, gehört uns alles. Wo kein Gebieter ist, herrscht der, der herrschen will, und unser ist, was unser Wille uns gibt.« – »Ich glaube doch nicht, daß du ganz recht hast,« meinte Boleslaw; »denn wie gering ist die Macht unsers Willens gegen die höhern Gewalten!« – »Das ist freilich die endliche Bedingung jedes Menschen,« sprach Ludwig; »allein alles dies gilt ja auch nur bis zu einem gewissen Grade. Ich glaube nicht, daß Bernhard leugnen oder behaupten will, es gebe nicht Glück, noch Unglück, sondern der Mensch bilde sich alles selbst; aber recht hat er, wenn er glaubt, daß es außer dem Glück, und sei es das edelste, das schönste, welches diese Erde bietet, noch etwas Höheres gibt, das uns mächtig zur Seite treten kann, wenn uns Schmerz oder Freude überwältigen. So weiß der Schiffer über der Sonne, die ihm die heitere Fahrt verleiht oder versagt, noch die ewigen Gestirne, nach denen er blickt, wenn die Erde in Finsternis gehüllt ist.«

»Ganz recht,« warf Bernhard hin und schüttelte sich, weil der Herbstwind ihnen eben rauh entgegenwehte; »aber die ewigen Sterne sind kalt und leuchten auch nicht sonderlich. Man gerät oft auf Klippen, wenn man die Nase nach ihnen hinaufreckt. Glaubt aber nicht, daß dies eigentlich meine Philosophie ist; ich habe nur die, keine zu haben, als welche ich jedesmal bei den Umständen borge. So zum Beispiel jetzt, wo wir allerlei Plunder verbrennen sehen, stelle ich die Lehre auf, daß man an Plunder sein Herz nicht hängen soll. Dagegen würde ich, falls ich hier irgendwo einen gefüllten Bäckerladen wüßte, sogleich beweisen, daß er mehr wert sei als die Schatzkammer des Rhampsinit.«

»Hungert dich?« fragte Jaromir wohlwollend; »hier ist noch Brot, das ich zu mir gesteckt. Ich esse gar wenig.« – »Nein, Lieber,« entgegnete Bernhard und lehnte die Gabe ab; »du weißt, daß ich so gut gefrühstückt habe als ihr alle. Mein Gleichnis war im Sinne der ganzen Armee gedacht.« – »Bis Smolensk, hoffe ich,« sprach Rasinski, »werden wir uns noch, wenngleich mühsam, durchkämpfen. Dort sind Vorräte. Aber horch! War das nicht ein Kanonenschuß? Wahrhaftig! Ein zweiter, dritter! Der Schall kommt aus der Gegend von Wiazma. – Sollten die Russen heran sein?«

Alle horchten gespannt auf die fernen, dumpfen Schüsse, die die ernste Morgenstille unterbrachen. Doch bald wurde es wieder still, man hörte nichts mehr. Indessen war Rasinski sehr besorgt geworden. Bisher hatte man nur die Beschwerden einer langen, mühseligen Reise zu überwinden gehabt. Sollte aber der Feind nachgerückt sein und mit frischen Kräften das erschöpfte Heer angreifen, so war kaum abzusehen, wie man dem gänzlichen Verderben entkommen wollte. Es beruhigte ihn nicht, daß die Schüsse wieder verstummten; denn da er die Fechtart des russischen Heeres kannte, so war er überzeugt, daß wenigstens ein Trupp verwegener, schneller Kosaken auf die Nachhut gefallen sei, der zwar rasch zurückgejagt worden sein mochte, aber nichtsdestominder den Beweis gab, daß das größere Heer nicht weit entfernt sei. Nachdenklich über die Folgen, welche ein ernster Angriff haben konnte, ritt er schweigend vor den Seinigen her. »Bliski!« rief er nach einigen Minuten einem seiner Reiter zu und winkte ihm, heranzukommen. Bliski ritt in militärischer Haltung zu seinem Obersten heran und fragte, was dessen Begehr sei. »Du bist lange in Rußland gewesen, Bliski,« begann Rasinski; »kennst du genau die Straßen zwischen Malo-Jaroslawez und Smolensk?« – »Das will ich meinen! Ich habe sie wohl dreißigmal mit der Kibitke gemessen!« erwiderte der muntere Krauskopf lebhaft und mit einem gewissen Stolz, daß sein Führer von seinem Wissen Rats erholen wollte. – »Wie weit rechnet man von Malo-Jaroslawez nach Wiazma über Medyn?«– »Wenigstens einen Tagemarsch, ja es können auch zwei sein, näher als der Weg, den wir gemacht haben. Wenn die Kosaken Lust gehabt hätten, müßten sie uns schon von Wiazma bis auf den halben Weg nach Gjaz entgegengekommen sein.« – »Meinst du?« fragte Rasinski lächelnd und erfreut über den guten Verstand des Burschen, der die Bedeutung seiner Frage erriet. – »Bei der Mutter Maria, mein Oberst,« entgegnete Bliski lebhaft, »ich habe mich gewundert, daß es nicht geschehen ist. Aber wir wollten sie getroffen haben! Ich hatte mir den Säbel ordentlich gewetzt, denn ich bin's ihnen noch schuldig von dem Hieb hier über das linke Auge und dem Stich durch den Arm! Nun wer weiß, treffen wir uns bei Dogorobuye.« – »Weshalb doch?« fragte Rasinski, obgleich er sehr gut wußte weshalb. – »Weil dort die große Straße von Kaluga auf die nach Smolensk trifft. Ich denke, wir werden da etwas zu tun bekommen.« – »Wünschest du's?« – »Wenn mein Pferd und ich bis dahin wieder gut ausgefüttert werden, soll mir nichts lieber sein, aber es sieht nicht danach aus. Seht nur, mein Oberst, wie dem armen Tiere das Fleisch von den Rippen fällt; und die Hüftknochen stehen ihm heraus, daß man den Tschako daran aufhängen konnte.«

»Tröste dich, Bliski, wir leben auch nicht im Überfluß«, sprach Rasinski freundlich. – »Ei,« rief Bliski, »nach mir frage ich nichts; denn ein fetter Reiter ist des Pferdes Gift, wie wir bei uns in der Wojwodschaft Sandomir sagen; aber meinen Gaul sehe ich ebenso ungern darben, als ich meinen Säbel stumpf oder mein Pistol ohne Stein weiß. Kann ich mich nicht mehr auf meinen flinken Rappen verlassen, dann ist der ganze Reiter nichts mehr wert. Nicht wahr, Alter?« Hierbei bückte er sich und streichelte seinem Tiere freundlich den Hals. Rasinski hatte wenig auf das Geschwätz gehört, weil die gefährliche Lage der Armee seine Gedanken zu ernsthaft beschäftigte. »Wie weit rechnet man von Kaluga bis Dogorobuye?« unterbrach er Bliskis Anrede an seinen Rappen. – »Gegen hundertundachtzig Werst werden es wohl sein.« – »Und ist der Weg gut?« – »Das kommt auf das Wetter an; jetzt vermutlich wie hier, auf der Höhe leidlich, in der Tiefe morastig. Aber wenn es schneit, so ist's die beste Schlittenbahn im ganzen Kaisertum.« – »Nun, nach Schnee sieht es noch nicht aus.« –»Wer kann's wissen, mein Oberst? Die Jahreszeit ist da, die Frucht wird reif werden, so sicher wie im Herbst die Pflaume.« – »Gut, gut, Bliski; reite jetzt nur wieder zu deinen Kameraden zurück; ich weiß nun schon, was ich wissen wollte. Du kennst die Gegend, und wirst dich zurecht finden, wenn ich dich brauche.« – »Das hat nicht not,« rief Bliski mit lebhaften Augen; »ich finde mich von hier bis Madrid zurecht.« Damit ritt er wieder in das Glied zu seinen Kameraden ein.

Als jetzt die Straße eine Krümmung machte und das Gebüsch zur Seite aufhörte, erblickte man einige hundert Schritte vorwärts ein schwarzes Gewimmel von Menschen, die an der Seite des Weges eifrig beschäftigt schienen. Zugleich sah man Wagen hinaus in das Feld fahren. »Da wird's wieder ein Autodafé geben«, sprach Rasinski zu den Freunden zurückgewandt. »Es ist auch nötig, die Kanonen noch stärker zu bespannen, denn sie kommen nicht aus der Stelle.« Das Treiben und Verkehren neben der Heerstraße hielt die Blicke der Reiter aufmerksam gefesselt. Die Sonne schien hell, plötzlich wurde ihr Bild mitten aus der schwarzen Masse der versammelten Leute blendend zurückgeworfen. »Das ist das Kreuz des heiligen Iwan!« rief Bernhard, der sich sogleich an die Begebenheit bei Moskau erinnerte. Mit gespannter Erwartung betrachtete man jetzt alles, was auf jenem Punkte vorging. Da der Weg sich eine Höhe hinanzog, übersah man bald das ganze Feld. Ein kleiner See wurde zur Seite sichtbar. Rings um denselben war eine Reihe von Wagen aufgefahren, bei denen unzählige Menschen mit Abladen beschäftigt waren. Andere spannten die Pferde ab und führten sie auf die große Straße zurück.

Wie man näher und näher marschierte und die Gegenstände sich deutlicher unterscheiden ließen, sah man, daß die in Moskau erbeuteten Trophäen, welche als Zeichen des Sieges für die staunenden Bewohner von Paris im Triumph in die Hauptstadt eingeführt zu werden bestimmt waren, hier in den See versenkt wurden. Prachtvolle Verzierungen von Erz, jenen stolzen Palästen der alten Zarenstadt entnommen; merkwürdige Kanonen, die Rußland in seinen Kriegen mit dem Orient erbeutet hatte; endlich selbst jenes strahlende Kreuz des heiligen Iwan wurden hier in die sumpfige Tiefe der trüben Flut versenkt.

Also blieb das Heiligtum doch auf seinem heimatlichen Boden! Der Versuch, es zu entreißen, war nicht gelungen. Die beschirmenden Götter und Heiligen des Landes hatten es nicht verlassen, sondern mit Schmach mußte der Feind selbst den Besitz aufgeben und bekennen: Ihr waret mächtiger als ich in meinem Übermut! Mit einem eigenen Gefühle des Grauens sah Jaromir das riesenhafte goldene Kreuz in die Wellen hinabsinken. Er dachte an die seltsamen Ereignisse, die er bei der Abnahme desselben in Moskau erlebt hatte. Hatten jene düstern Zeichen gelogen? Oder prophezeiten sie Wahrheit? Fangen die Flüche und Verwünschungen, die das Volk laut über den Frevel, der an seinen Heiligtümern verübt wurde, ausgestoßen hatte, an, in Erfüllung zu gehen? Wird das unfreiwillige Aufgeben der Beute den Zorn der beleidigten Penaten dieses Landes versöhnen? Glaubt ihr, diese Sühne sei hinreichend? Seht ihr nicht, wie zornig schwarz die Welle aufschwillt, nachdem sie das goldene Heiligtum in ihren Schoß verborgen hat? Sie wogt und gärt wie von geheimen Mächten bewegt, und ihr dumpferes Rauschen gegen die Uferwand klingt wie murmelndes Zauberwort! Wahnverblendete! Habt ihr mit dem heiligen Zeichen denn auch die Flüche von euch geworfen, die der frevelhafte Raub über euch heraufbeschwor? Sie sind nicht mitgesunken in die Tiefe dieser Wasser, aber sie werden wieder aufsteigen, wie aus einem kochenden Zauberkessel, und euch, mächtig beflügelt, mit giftigem Hauche verfolgen. Seht ihr nicht, wie der schwere, dunstige Brodem aus dem Sumpfgrabe empordampft, worin ihr das heilige Kleinod versenkt habt? Aufsteigen werden sie gegen den hohen Dom des Himmels und sich zu furchtbaren Wettern sammeln, um sich über euerm Haupte zu entladen. Schon trübt sich die Sonne! Blickt wohl hin! Ihr seht sie nicht mehr wieder, so weit die Völker Rußlands vor dem Bilde des heiligen Iwan knien! Verhüllt bleibt euch ihr reines Antlitz, bis der letzte unter euch verjagt ist aus diesen Grenzen, wenn einer sie lebend erreicht, um das Verderben der andern daheim zu verkünden! Denn verfolgen wird euch der Zorn des Allmächtigen, solange ihr auf diesem Boden wandelt, den ihr mit frevelnden Füßen betratet, wo ihr einbrachet mit räuberischer Hand in das Heiligtum des Glaubens, der Heimat, des Herdes! Darum verschleiert sich das Auge des Weltalls düster, fürchterlich! Nur blutigrot wird es euch noch anglühen durch die graue Nebelhülle, mit der sich jetzt der Himmel umhängt.

Nun ruht das Kreuz des heiligen Iwan wieder auf seinem heimatlichen Boden! Entrissen ist es den befleckenden Händen der Frevler! Jetzt wird es seine alte, schützende Kraft bewähren, wird die Völker dieses unermeßlichen Reichs ringsumher um sich versammeln. Sie strömen herbei von den Ufern des Don und der Wolga, aus den Wäldern des Ural, aus den Steppen Asiens, den Schneewüsten des Pols, von den Küsten des Weißen und des Schwarzen Meeres! In tausend Trachten und Zungen, bewehrt mit Schwert und Lanze, mit Keule, Pfeil und Bogen fluten sie heran! Keine Waffe, die nicht zu euerer Vertilgung geschwungen wird, keine Sprache, in der die Völker nicht Rache über euch rufen! Wehe! Wehe euch! Die Stunde des Verhängnisses hat geschlagen. Preisen mögt ihr die, die gefallen sind, bevor sie diesen Tag sahen!


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