Ludwig Rellstab
1812 – Ein historischer Roman
Ludwig Rellstab

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Zweites Kapitel.

Der heiterste Morgen war angebrochen; es schlug eben sechs Uhr, als Marie in einem leichten, weißen Sommerkleide, welches durch nichts als durch einige Lilabandschleifen verziert war, muntern Schrittes, nachdem sie die Mutter zum Abschiede herzlich geküßt hatte, durch den Garten ging, um durch das Hinterpförtchen desselben den nächsten Weg zu jener befreundeten Familie einzuschlagen, welche ihr zur Beschützerin dienen sollte. Es stand bereits ein Halbwagen vor der Tür des Hauses und die beiden jungen Mädchen flogen Marien schon auf der Treppe freudig entgegen. »Wir werden das schönste Wetter haben,« sprach diese, nachdem die ersten Begrüßungen vorüber waren; »ich freue mich sehr auf die romantische Landschaft, die ich seit langer Zeit nicht besucht habe.« Während dieses Gesprächs traten schon die Eltern heraus, hießen Marien willkommen, und insgesamt ging man nun die Treppe hinunter, um einzusteigen. Bald hatte der Wagen die Stadt verlassen und rollte zwischen tauigen Büschen und Hecken, Wiesen und Kornfeldern dem Ziel entgegen. Es mußte wundernehmen, daß man noch keinen Wagen auf der Landstraße sah, da noch eine große Anzahl von Personen an dem Feste teilnahm. Auf einer kleinen Anhöhe, etwa eine Viertelstunde von der Stadt, wurde man auf das angenehmste überrascht. Schon von weitem entdeckte sich's, daß der Weg durch eine Blumengirlande gesperrt sei; höher hinaufgekommen, gestaltete sich eine sehr anmutige Ehrenpforte. Denn in freien, leichtgeschwungenen Bogen knüpfte sich die Blumenkette zwischen den Gipfeln zweier jungen Buchen, welche am Wege standen, und das Gebüsch, von welchem diese umgeben waren, hatte man reich mit Kränzen geschmückt, die sich von Zweig zu Zweig zogen und so ein zwar wenig geregeltes, doch eben in seiner Willkür und phantastischen Freiheit höchst überraschendes Gemälde bildeten. Mit Vergnügen verweilten die Blicke der Mädchen auf diesem angenehmen Schauspiele, welches ein günstiges Vorzeichen für die Freude des Tages zu sein schien. Plötzlich, als der Wagen sich eben unter der Ehrenpforte befand, sprengte von jeder Seite aus dem Gebüsch ein Reiter hervor, dessen Hut mit grünen Zweigen und Blumen romantisch geschmückt war; diesen folgten mehrere, die sich von beiden Seiten des Weges aufstellten und den Frauen einen fröhlichen Morgengruß brachten. Die Führer ritten hierauf an den Schlag und überreichten jeder Dame einen duftenden Strauß. Es war der Rittmeister, welcher Marien auf diese Weise bewillkommnete. Er und noch ein anderer Reiter begleiteten hierauf den Wagen, indem sie am Schlage desselben ritten. Sie baten zugleich, man möge langsam, im Schritt fahren, weil auf diese Weise sich nach und nach die übrigen Wagen aus der Stadt anschließen und so einen langen und fröhlichen Zug bilden sollten. »Wir sind also die ersten?« fragte Marie, als der Wagen weiterfuhr und der Rittmeister daneben hinritt. »Allerdings«, erwiderte dieser. »Wir hatten alle Damen gebeten, pünktlich um sechs Uhr auszufahren, und es war so unter uns verabredet worden, daß wir, die wir beritten sind, alsdann hier auf der Höhe die Ankommenden begrüßen und uns zu zweien jedem Wagen anschließen sollten, wobei wir, da wir uns geordnet aufstellten, es alsdann ganz der Hand des Zufalls überlassen wollten, wessen Ritter wir auf diese Art würden. So sollte jeder Streit, jeder scheinbare Vorzug vermieden werden; der Zufall ordnet die Wagen und paart die Begleiter derselben, denn wir hatten uns gegenseitig unser Wort darauf gegeben, keiner Dame die kleine Überraschung hier oben zu verraten, allen aber dieselbe Stunde der Abfahrt zu bestimmen. So sind wir auch der lästigen Maßregel überhoben worden, auf den Rang mancher Personen Rücksicht zu nehmen, und wir hoffen, daß, wenn einmal bei unserm Fest diese steifen Gesetze des Herkommens aufgehoben sind, sie uns auch den ganzen Tag über nicht weiter in dem Genuß der Freude stören werden. Aber indem wir sprechen, gestaltet sich ja unsere Karawane schon recht ansehnlich! Betrachten Sie nur, wie sich uns schon Wagen auf Wagen nähert, um sich unserm Zuge anzuschließen.« In der Tat erblickte man auf der Höhe, die man soeben hinuntergefahren war, drei Wagen, welche, von ihren Reitern begleitet, in verschiedenen Zwischenräumen die Straße daherkamen. Bald hatten sie den ersten erreicht und fuhren nun gleich diesem im Schritt. Da man fortwährend die Straße bis zu dem Punkt im Auge behalten konnte, wo die Blumenpforte errichtet war, so gewährte es den heitersten Anblick, das Ankommen der Wagen zu beobachten, welche durch die farbigen Schals, Kleider und hellen Hüte der Damen, wie durch die Blumensträuße, mit denen die Reiter geschmückt waren, lebhaft gegen die Auen und Felder abstachen und einen schimmernden Glanz der Farben in das ruhige Bild der Landschaft brachten. Die zerstreuten Punkte, an denen das Auge haftete, rückten näher und näher zusammen, und bald gestalteten sie sich in einer reichen buntfarbigen Kette, die sich beweglich durch die Fluren dahinzog. Sie wand sich mit den schlängelnden Krümmungen der Straße, stieg mit ihr jede sanfte Höhe hinan und senkte sich im malerischen Abfall wieder ins Tal hinunter. Es war reizend, sie in den Gebüschen halb verschwinden, halb durch das Grün der Zweige schimmern zu sehen, oder sie an die steilere Wand einer felsigen Höhe gelehnt zu betrachten. Der ganze Zug unter dem heitern Himmel dahin, beglänzt von der Morgensonne, bot einen so fröhlichen Anblick dar, daß schon dadurch alle Anwesenden zur Freude gestimmt wurden, und sich das Fest auf das glücklichste einleitete.

Da jetzt niemand mehr in der Reihe fehlte, so nahm man von Zeit zu Zeit auch raschere Bewegungen und erreichte so bald eine Anhöhe, ungefähr in der Mitte zwischen Teplitz und Aussig, wo man ein Frühstück im Freien, für welches die Unternehmer Sorge getragen hatten, einnehmen wollte. Der Hügel gewährte einen angenehmen Überblick der Landschaft: am Fuße desselben dehnte sich ein reich umbüschtes Dörfchen aus, durch welches ein Gebirgsbach seinen muntern Lauf nahm; darüber hinaus erblickte man wogende Saatfelder, die sich über die Hügel breiteten und nur hier und da von Wiesenstreifen durchgittert wurden. Um diesen freundlichen Vordergrund zog das höhere Gebirge seine blaue, in duftige Morgennebel verschleierte Ringmauer. Hinter dem Platz, welchen man zum Ruhepunkte gewählt hatte, stieg die Bergwand etwas steiler und dicht bewaldet auf; sie zog sich links abwärts bis zum Städtchen Aussig hin, wo sie sich gegen den Marienberg verlief. Dort entdeckte man auch an einer Reihe dunkler Waldhöhen das Elbtal, wiewohl man den Strom selbst nicht gewahrte.

Eine alte Linde bot den schattigsten Platz zum Frühstücken dar; einige gefällte Baumstämme, welche am Boden lagen, wurden schnell zu ländlichen Ruhesitzen umgeschaffen; überdies breitete man die Wagenkissen auf dem Rasen aus und erhielt so für die Frauen türkische Polstersitze, auf denen sich's trefflich ruhen ließ. Bald war der ganze fröhliche Kreis gelagert, und man beschaute einander mit selbstvergnügter Zufriedenheit. Jedermann lobte die Veranstalter des Festes; diese gingen eifrig bemüht umher, fragten nach eines jeden Wünschen und Bedürfnissen und suchten von den Damen Rat zu erholen, wie dies und jenes noch zweckmäßiger einzurichten sei. Indessen kreisten schon die Erfrischungen; in den Händen der Männer sah man gefüllte Gläser; der Geist des Weines verbreitete seinen belebenden Einfluß; Fröhlichkeit, Scherz und Mutwille regten sich überall: das vertraulichste Band der Geselligkeit verknüpfte schon jetzt alle Anwesenden so, als ob sie längst miteinander umgegangen wären, wiewohl die meisten sich doch fast fremd waren. Marie selbst wurde heiter in dieser heitern Umgebung; doch war selbst in den glücklichsten Zeiten ihre Freude immer stillerer Art; sie genoß mit einem reizenden Lächeln auf den Lippen, was sich ihr Schönes darbot, gewissermaßen nur in einem innern wohlgefälligen Betrachten der Bilder, welche von außen her in ihre Seele fielen. So ließ sie auch jetzt die Blicke ruhig über den Kreis der Versammelten schweifen und betrachtete die mancherlei Gestalten, deren es ernste und komische, reizende und zurückstoßende im bunten Gemisch durcheinander gab. Vor allen fielen ihr aber zwei Frauen auf, welche ihr gegenüber ziemlich entfernt, gegen den Stamm eines Baumes gelehnt, auf Polstern saßen und von einem ältern und einem jüngern Manne lebhaft unterhalten wurden. Sie fragte den Rittmeister, der sich neben ihren Sitz auf den Rasen gelagert hatte, wer die beiden Damen seien. »In der Tat,« erwiderte dieser, »ich weiß es selbst nicht genau anzugeben; nur so viel ist mir bekannt, daß es erst gestern eingetroffene Fremde sind, welche noch nicht auf der Badeliste stehen. Erst diesen Morgen sind sie zu dem Feste eingeladen worden, als die vielen an dem Hotel vorüberfahrenden Wagen sie aufmerksam auf das machten, was man vorhabe. Zufällig wohnte einer der Mitveranstalter, der zurückgeblieben war, um einiges zu besorgen, was erst zu Mittag in Aussig eintreffen soll, auf demselben Korridor mit ihnen. Er begegnete ihnen, als sie eben nach dem Brunnen wollten; sie fragten ihn, was man vorhabe, und so konnte er natürlich nicht umhin, sie zu bitten, eine Einladung zu unserm Fest anzunehmen. Da der Wagen, mit dem sie nach dem Bade fahren wollten, vor der Tür stand, so durften sie nur die Richtung ändern, um sich gleich unserm Kreise anzuschließen. Und ich denke, wir werden nichts dabei verloren haben, denn die Mutter zeigt noch jetzt die Spuren hoher Schönheit, und die Tochter ist in der Tat ein reizendes Wesen. Ich habe noch nicht Gelegenheit gehabt, mich ihnen vorstellen zu lassen, allein ihr ganzes Benehmen zeugt von einer gewandten Bildung. Ich will aber doch sogleich einmal hinüber und den Baron Erlhofen selbst nach dem Namen derselben fragen, damit Sie volle Auskunft haben.«

Noch ehe es Marie hindern konnte, war der Rittmeister aufgesprungen, um die Erkundigungen einzuziehen. Währenddessen hatte sie Muße, die beiden edeln Gestalten aufmerksamer zu betrachten. Sie mußte sich gestehen, selten schönere Frauen gesehen zu haben, zumal hatte die ältere eine solche Hoheit in ihrem Wesen, daß sie, obwohl die jüngere mit allen Reizen zarter Anmut geschmückt war, dieselbe doch gewissermaßen verdunkelte. Das schwarze Haar, welches die weiße Stirn bedeckte, lieh in Verbindung mit dem großen, dunkeln Auge dem Angesicht eine edle Melancholie, welcher die ältern Züge, insbesondere die mindere Frische der Wangen, noch einen erhöhten Grad gaben. Zwar saß die Fremde, und ein weiter dunkelroter Schal verhüllte den Bau ihres Körpers, allein man war gewiß, wenn sie aufstand, mußte sie den Anstand einer Königin haben. Die Tochter war gewissermaßen der sanfte blaß aufsteigende Mond jener prächtig untergehenden Sonne gegenüber. Man konnte nicht eben von einer Ähnlichkeit zwischen beiden sprechen, doch war wenigstens eine nationale Verwandtschaft so hervorstechend bemerkbar, daß auch der oberflächlichste Blick hinreichte, einen nahen Zusammenhang zwischen ihnen zu erkennen.

Während Marie sich diesen Eindrücken überließ, kehrte der Rittmeister zurück und sprach: »Ich kann Ihnen jetzt genaue Kunde geben; die Damen sind Polinnen, die ältere eine Gräfin Johanna Micielska, die jüngere ihre Pflegetochter, namens Lodoiska.«

Marie schreckte freudig zusammen, denn durch die Briefe ihres Bruders kannte sie diese Namen und wußte, daß Johanna Rasinskis Schwester war. Allein sie befand sich in einer eigenen, ängstlichen Verlegenheit, da sie gar nicht wußte, ob Rasinski ihrer jemals erwähnt habe; ihr Verhältnis zu Ludwig konnte er nicht mitgeteilt haben, da dieser einen andern Namen führte, jedoch war es wohl möglich, daß er sie seiner Schwester genannt hatte, zumal da alle Briefe Mariens unter Rasinskis Adresse gingen, und er auch Ludwigs oder Bernhards Antworten immer mit einem Kuvert von seiner Hand und mit seinem Siegel einschloß und sie so an Mariens Mutter beförderte. Sie hatte die größte Sehnsucht, mit der schönen Frau zu sprechen, sich nach ihrem Bruder, nach Bernhard zu erkundigen. Eine leise, aber dringende Stimme ihres Herzens, der sie jedoch kein Gehör schenken wollte, trieb sie auch an, nach dem Manne zu fragen, der ihr so schnell teuer geworden war; welch einen Kampf mußte sie bestehen, wenn sie gezwungen war, alle diese heiligen, mächtigen Triebe in die stummen Bande des Schweigens zu legen! Ihre Unbefangenheit für die Freude des Festes war dahin; alle ihre Gedanken richteten sich nur auf den einen Punkt, sie vermochte fast die Blicke nicht wieder von der Gräfin abzuwenden. Der Rittmeister knüpfte ein Gespräch mit ihr an, doch sie mußte ihre ganze Kraft zusammennehmen, um nur die notwendigsten Antworten geben zu können. So lebhaft der gebildete Mann sprach, mit so geläufiger Anmut er auch die gesellige Bedeutung eines solchen Festes zu schildern wußte, Marie bemerkte oftmals mit leichtem Erschrecken, daß sie ihn zwar aufmerksam angesehen, aber kein Wort von dem, was er sagte, gehört hatte. Sie sah nicht, wie anmutig sich die Gruppen im Grünen lagerten, hörte nicht, wie fröhlicher Scherz überall laut wurde, ja sogar der Mutwille schon anfing sich ein wenig übermütig zu zeigen. Es war ihr daher sehr lieb, als man nach einer halben Stunde wieder aufbrach und der Rittmeister ihr den Arm reichte, um sie wieder an den Wagen zu führen. Hier gab es einige Verwirrung; denn nicht alle hatten sich genau die Wagen gemerkt, in denen sie gekommen waren, und da es meistens Mietwagen aus Teplitz waren, so wußten die wenigsten sie wieder aufzufinden. So geschah es, daß man in einen freundschaftlich scherzhaften Streit geriet, den der Mutwille einiger jungen Männer noch mehr verwirrte. Auch Marie kam in eine ähnliche Verlegenheit, da fremde Damen schon in den Wagen eingestiegen waren, auf welchen sie mit ihrer Gesellschaft Ansprüche zu haben glaubte. Die Verwirrung war groß, aber durchaus scherzhaft, zumal da die jungen Männer die Kutscher durch ein Trinkgeld anstifteten, zu behaupten, sie könnten gar kein gültiges Zeugnis der Entscheidung ablegen, indem sie ja immer mit dem Rücken gegen die Herrschaften gesessen hätten, folglich nicht wüßten, wer sich im Wagen befunden habe. Der Streit wurde bald ein großmütiger; da jeder nunmehr mit gesellschaftlicher Höflichkeit unrecht haben und dem andern weichen wollte, so kam man freilich noch weniger vorwärts. Da rief endlich der Baron Erlhofen, einer der Anordner des Festes, der als ein wohlbeleibter Vierziger schon einiges Ansehen hatte, mit lauter Stimme um Gehör. Man verlangte allgemeine Stille, um seine Rede zu vernehmen. Er sprang munter auf einen abgestumpften Baumstamm, schwenkte sein Tuch, um die Zuhörer herbeizuwinken, und als sich eine ansehnliche Korona um ihn versammelt hatte, begann er folgendermaßen: »Höchst ehrenwerte Versammlung! Ich bin weder Cicero noch Demosthenes, aber beide Redner würden in meinem Falle fast ebensoviel Schwierigkeiten haben als ich; denn das Unübersteigliche ist für alle gleich. Die Weltgeschichte meldet uns viel von der Verwirrung beim Turmbau zu Babel, sie spricht von den Irrgängen des Labyrinths, von den unlösbaren Verschlingungen des Gordischen Knotens, von den gemischten Sämereien, welche Aschenbrödel auseinander lesen mußte, von den unauflöslich verwickelten Beinen der Schildbürger – alles aber verschwindet gegen die furchtbare Verwirrung und Verblendung, mit welcher ein Gott oder ein Dämon uns in unberechenbares Unheil zu stürzen beabsichtigt. Die eisernen Männer, welche aus den Drachenzähnen emporwuchsen, die Jason auf Medeens Geheiß mit den feuersprühenden Stieren untergepflügt hatte, erschlugen einander um den Stein, den der Räuber des Goldenen Vlieses unter sie warf, nicht mit solcher Erbitterung, als wir, edle Freunde, im Kampfe um die Teplitzer Mietwagen fast schon gezeigt hätten. Trojaner und Griechen fochten nicht so entbrannt um die treulose Helena, ja selbst Here, Pallas und Aphrodite stritten nicht so giftig um den Apfel der Eris als unsere Schönen um die Plätze dort in der Reihe der stolz aufgefahrenen Wagenburg. Alle Weisheit des Minos oder des Königs Salomo wäre nicht imstande, diesen Streit zu schlichten. Ob es daher unbescheiden von mir sei, falls ich mich ein wenig höher anschlüge, als diese beiden, wenn ich ein Auskunftsmittel gefunden hätte, welches alles schlichtete; ob ich in einem solchen Falle nicht eine Lorbeer-, Eichen- und Mauerkrone zugleich verdient hätte: darüber mögen die Gerechten in dieser erlauchten Versammlung entscheiden. Mein Vorschlag aber ist der, da doch einmal eine Revolution in unserm nomadischen Wanderstaate unvermeidlich ist, sogleich ein wahrhaft lykurgisches Gesetz zu geben, und Freiheit und Gleichheit ungemein vollkommener herzustellen als in der französischen Republik, dadurch, daß wir allen Privatbesitz aufheben und jene sämtlichen stattlichen Wagen und Rosse für Nationaleigentum erklären. Doch dies ist noch nicht genug; mein republikanisches Gemüt verstattet nicht einmal, daß man sich selbst als Privateigentum besitze. Es werde daher unsere Gesellschaft gewissermaßen als Schiffsgut gleichmäßig auf jene unsere zahlreiche Flotte verladen, welche sich von der englischen durch wenig anderes unterscheidet, als daß diese mit ausgespannten Segeln, die unserige mit angespannten Pferden vorrückt. Um die gleiche Verteilung zu bewirken, scheint mir's, verehrteste Freunde, am angemessensten, daß wir eine Polonäse aufführen, und so uns tanzend zu zwei und zwei Paaren einschiffen. Findet dieser Vorschlag, der uns aus einer der schrecklichsten Kalamitäten des Lebens retten soll, Ihren Beifall, meine Schönen, so bekunden Sie es dadurch, daß Sie Ihre zarte Hand den auffordernden Rittern reichen, und mir, der ich als dux gregis, wozu mich die vorwaltende Kapazität meines Geistes erhoben hat, voranzugehen beabsichtige, willig paarweise nachfolgen.«

Nach dieser im ernstesten Tone von dem Baron gehaltenen Rede erhob sich ein allgemeiner Beifallsruf, und man nahm sein Gesetz zuerst durch Akklamation und dann durch die Tat an, indem man ihm, als er die Gräfin Micielska aufforderte, sogleich folgte. Jeder Herr, der nicht beritten gewesen war, reichte einer Dame die Hand, ja sogar einige, die sich schon in die Wagen gesetzt hatten, weil ihre Ansprüche nicht bestritten worden waren, stiegen wieder aus und unterwarfen sich ebenfalls dem neuen Lykurgus. Erlhofen führte den Zug einigemal auf dem Rasen umher, bis sich alles geordnet und angeschlossen hatte, und alsdann nahm er seinen Weg nach dem nächsten Wagen, den er mit dem ihm folgenden Paar bestieg. So ordnete sich alles auf das beste und schnellste, und selbst die strengsten Mütter und Aufseherinnen ließen für diesmal die Anordnungen des Zufalls gelten, selbst wo er nur ganz jugendliche Paare zueinander gesellte. Auch die Überraschung tat das ihrige, um die Freude zu erhöhen, denn erst im Einsteigen erfuhr man, welches Paar das zweite in jedem Wagen wurde. Marie sah gleich beim Beginn des Tanzes mit klopfendem Herzen, daß sie mit der Gräfin in einem Wagen fahren werde, indem sie, von dem Rittmeister, welcher sein Pferd einem Freunde übergeben hatte, aufgefordert, unmittelbar dem Baron folgte. So beklommen ihre seltsamen Verhältnisse sie machten, so mußte es sich doch jetzt entscheiden, ob sie der Gräfin völlig unbekannt bleiben, oder in eine nähere Beziehung zu ihr treten würde, denn es konnte nicht fehlen, daß Erlhofen und der Rittmeister, zumal da beide Ordner des Festes waren, die Damen einander vorstellen würden. Dies geschah auch, sowie sie im Wagen saßen; kaum hatte Erlhofen Mariens Namen genannt, als die Gräfin auch sogleich angelegentlichst fragte, ob sie aus Dresden sei und den Oberst Rasinski, ihren Bruder, gekannt habe.

Als Marie beides bejahte, fragte die Gräfin auch nach ihrem Bruder und nach ihrer Mutter, und ob beide anwesend seien. »Meine Mutter,« sprach Marie etwas betreten, »ist zwar in Teplitz, allein durch Kränklichkeit gehindert, diesem Feste beizuwohnen; mein Bruder aber befindet sich wieder auf Reisen, so daß ich selbst in diesem Augenblicke seinen Aufenthalt nicht anzugeben wüßte.«

Die Gräfin sprach die Hoffnung aus, wenigstens die Bekanntschaft der Mutter zu machen, da sie sich vier Wochen in Teplitz aufzuhalten gedenke. »Dresden,« bemerkte sie nach einigen Augenblicken, »ist für meinen Bruder überhaupt ein sehr glücklicher Ort gewesen, so kurze Zeit auch sein Aufenthalt daselbst gedauert hat. Denn er hatte auch zwei Freunde dort gewonnen, welche aus Neigung zu ihm in seinem Regimente Dienst genommen haben und einige Zeit zu Warschau in meinem Hause wohnten. Gewiß werden Sie sie kennen: Graf Lomond und Herr von Soren.«

Marie geriet in eine quälende Unruhe; einmal war jede Verstellung, jede, selbst die unschuldigste Unwahrheit ihrem Herzen so fremd, daß sie sogar in so dringenden Fällen davor zurückbebte, und dann wußte sie ja auch nicht, wieweit Bernhard und Ludwig mit ihr bekannt zu sein angegeben haben mochten. Fast unhörbar, über das ganze Gesicht erglühend, erwiderte sie daher: »O ja, ich kenne sie sehr entfernt.« Der Gräfin entging ihre Verlegenheit nicht, indes gab sie derselben eine andere Deutung; sie glaubte nämlich aus Mariens auffallender Bewegung die Vermutung ziehen zu dürfen, daß ihr Herz bei dieser Bekanntschaft stärker beteiligt sei, als ein junges Mädchen verraten darf. Mit einem leichten, ebenso schnell, als es entstand, unterdrückten Lächeln ließ sie daher das Gespräch fallen und ging zu andern Gegenständen über. Mit der Gewandtheit einer Frau von Welt wußte sie sich sogleich, ohne einen auffallenden Sprung zu machen, auf das angenehmste über das heitere Fest zu verbreiten, dessen Teilnehmerin sie so unvermutet geworden war. Marie fragte dagegen nach der Tochter der Gräfin, für welche sie die junge Lodoiska hielt. »Ihretwegen,« erwiderte diese, »besuche ich hauptsächlich das Bad. Weniger weil ihre Gesundheit den Gebrauch desselben notwendig macht, als weil sie einer Zerstreuung bedurfte, die sie jetzt in unserer, dem Kriegsschauplatze zu nahe gelegenen Vaterstadt Warschau nicht finden kann. Nichts konnte mir daher erwünschter sein, als gleich bei meiner Ankunft auf eine so überaus heitere Weise begrüßt zu werden. Ich habe auch bemerkt, daß dieses Vorzeichen, wenn wir es so nennen wollen auf Lodoiska einen ungemein glücklichen Eindruck gemacht hat. Sie gibt viel auf dergleichen, denn sie ist überhaupt eine liebe Träumerin. Leider neigt sie seit einigen Monaten so sehr zur Schwermut, daß ich fast daran verzweifelte, ihren Anteil für die heitern Genüsse des Lebens wieder rege zu machen. Allein nichts wirkt mehr auf den Menschen als das Ungehoffte, Unvermutete, worin er keine Veranstaltung, keine Absichtlichkeit, sondern eine Fügung, ja gewissermaßen eine Wendung seines eigenen Geschicks sieht und daher mit einem ungleich stärkern Glauben und Vertrauen daran geht, als wenn er mühselige menschliche Bestrebungen darin zu erkennen wähnt.«


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