Ludwig Rellstab
1812 – Ein historischer Roman
Ludwig Rellstab

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Drittes Kapitel.

»Das find die Türme von Smolensk«, rief Rasinski, als er an der Spitze seines Regiments die waldige Anhöhe erreicht hatte, von der aus man die alte Feste kaum eine Stunde weit entfernt liegen sah. »Wir werden uns jetzt am Saume dieser Höhe, vom Gebüsch verdeckt, hinunterziehen; so kommen wir bis auf Kanonenschußweite unbemerkt vor die Stadt. Ich fürchte, ich fürchte,« setzte er mit besorglicher Stimme hinzu, »wir werden hier einen harten Kampf zu bestehen haben. Seht ihr dort die Staubwolken auf den Hügeln jenseit des Dnjepr? Das können keine Truppen unsers Heeres sein! Ich wollte, der Jude säße im Schwefelpfuhl der Hölle, denn ich kann nicht anders glauben, als er hat die Absicht des Kaisers zu erlauschen oder zu erraten gewußt und Barclay benachrichtigt. Meinen Kopf will ich verwetten, es sind die Kolonnen der russischen Hauptarmee, die dort heranrücken!«

»Nun, dann wäre ja die erwünschte Schlacht da!« entgegnete Bernhard mit fragender Miene, um sich näher über Rasinskis Besorgnisse belehren zulassen.

»Vielleicht, aber noch nicht gewiß. Jedenfalls aber unter viel ungünstigern Umständen, als wenn wir Smolensk früher erreicht, es besetzt und so dem Feinde die Straße nach Moskau abgeschnitten hätten. Dann müßte er uns die Festung entreißen, jetzt werden wir Tausende von Menschen davor opfern müssen. Wenn es nur gelungen wäre, Newerowskoi abzuschneiden; so hätten wir doch noch den Vorsprung gewonnen!« Unruhig sprengte Rasinski allein vor, auf einen nahe liegenden Hügel, der eine freiere Aussicht gewährte. Währenddessen zog das Regiment auf dem angedeuteten Wege, der sich in weiten Krümmungen der Stadt näherte, vorwärts.

Die Gegend ist doch nicht ganz unschön«, sprach Ludwig zu Bernhard, als eben eine Lücke in der Waldung einen weiten Blick in das Tal des Dnjepr gestattete. »Siehst du dort das Schloß jenseit des Flusses am Hügel?« – »Allerdings,« entgegnete Bernhard; »ein stattliches Gebäude. Es scheint von seltsamer, altertümlicher Bauart, soviel man von hier sehen kann. Vielleicht werden wir nächstens darin übernachten, denn es wird, samt dem ansehnlichen Dorf, welches sich dort zur Seite ausdehnt, wahrscheinlich ebenso verlassen sein wie alle die Orte, durch die wir bisher zogen!«

»Freilich eine traurige Wüste, durch die wir wandern!« entgegnete Ludwig. »Doch jenes Schloß übt einen höchst besondern Eindruck auf mich aus. Ich finde hier zum ersten Male, daß die Ferne, die Fremdartigkeit ihren Einfluß mächtig geltend machen. Die Bauart, die Lage, alles spricht mich ganz eigentümlich und seltsam an.«

»Auch in mir sprühen einige Funken abenteuerlich romantischer Anwandelungen auf«, warf Bernhard hin. »Wie, wenn dort eine reizende Fürstin wohnte, oder wenn das Schloß gestürmt würde, in Flammen aufginge, und wir ein liebliches Wesen von unbegreiflicher Schönheit aus den rauchenden Trümmern retteten? Mir deucht, ich sehe ordentlich schon die rote Glut um die seltsamen Turmspitzen lecken.«

»Scherze nicht frevelhaft«, sprach Ludwig ernst. »Deine Prophezeiung könnte wenigstens insoweit wahr werden, als das furchtbare Unheil über die unglücklichen Bewohner wirklich hereinbräche.«

»Leicht möglich, daß sie selbst die Brandfackel unter ihren Dachstuhl stecken; denn das Schloß liegt, wie es mir von hier scheint, nicht fern von der Landstraße, die sich am andern Ufer des Dnjepr hinabzieht, und bisher haben wir an der Straße nicht viel unverwüstete Dörfer und Schlösser getroffen. Es scheint, daß uns die Russen leichter eine verödete Provinz als eine unzerstörte Stadt einräumen. Doch da kommt ja Rasinski mit verhängtem Zügel wieder zurückgesprengt.« In der Tat ritt er heran, daß das Pferd wild aus den Nüstern schnaubte und der Staub sich hoch hinter ihm aufwirbelte. Er winkte von fern mit dem Säbel. Sein nächster Stellvertreter, Major Negolinski, verstand das Zeichen und ließ das Regiment im Galopp vorrücken. Man mußte eine Talsenkung hinunter und dann gegenüber die leichte Anhöhe hinauf. In wenigen Minuten war sie erreicht. Jetzt hatte man Smolensk ganz nahe vor sich; zugleich aber übersah man die Landschaft weithin und entdeckte die verschiedenen Korps der großen Armee, die bereits an mehreren Punkten bis auf Kanonenschußweite vor die Stadt gerückt waren. Jenseit des Flusses aber erblickte man zahllose russische Kolonnen, die im höchsten Eilmarsch gegen Smolensk heranrückten, um es zu besetzen, ehe das französische Heer sich der Stadt bemächtigt hatte. »Vorwärts! vorwärts!« schrie Rasinski. »Ins Tal hinunter, am Fluß hinauf, vielleicht gelingt es uns, den Feind zu überraschen.« Er sprengte selbst wiederum weit voraus, als ob er den Augenblick, sich mit dem Gegner zu messen, nicht erwarten könnte.

Als man den Fluß erreicht hatte, lag Smolensk auf seinen beiden steilen Hügeln diesseit und jenseit des Dnjepr, dicht vor den Angreifenden, ja fast über ihnen. Schon hörte man Kanonendonner und Kleingewehrfeuer. Wirbelnder Staub und Rauch verhüllte das Tal und den Fluß; nur die Zinnen der alten Stadtmauer und die hohen Türme ragten über das Gewölk hervor. Die Reiter folgten ihrem Führer, ohne zu wissen, ob sie Feind oder Freund vor sich hätten, denn in dem dichten Staube, den der Wind ihnen noch dazu entgegentrieb, war nichts zu erkennen. Plötzlich sprengte Rasinski ihnen wieder entgegen, »Halt!« war sein Kommandowort. Das Regiment stand wie angewurzelt; die Reiter, durch den raschen Ritt auf beschwerlichem Boden zum Teil aus ihren Reihen gedrängt, ordneten sich in der Stille wieder. »Erste Schwadron links schwenkt! Regiment marsch!«

Langsam führte Rasinski die Seinigen an der Talwand wieder hinauf und oben über das hügelige Feld zurück gegen eine mit Wald bedeckte Anhöhe, z die außerhalb des Bereichs der Festung lag. »Es war zu spät«, äußerte er im Zurückreiten. »Der König von Neapel wollte die Stadt auf dieser Seite mit der Kavallerie, der Marschall Ney jenseit mit der Infanterie im Überfall zu ! nehmen suchen. Doch die Russen sind zu fest verschanzt und haben zuviel Artillerie. In einer halben Stunde muß überdies die Hauptarmee heran sein, und dann wäre es eine Raserei, gerade hier den Kampf zu beginnen. Doch läßt sich noch hoffen, daß man uns morgen durch eine Schlacht die Festung streitig zu machen sucht; denn hier gilt es freilich, die Hauptpforte zu verteidigen, die nach Rußland führt.«

Das Regiment bezog das Biwak. Gegen Abend sprengte ein Adjutant des Generalstabs ins Lager und fragte nach Rasinski. Er wurde zum Kaiser befohlen, bei dem sich nebst den Marschällen alle der Gegend und Landessprache kundigen Offiziere versammelten, weil der Kaiser in betreff des Angriffs, den er auf die Stadt machen wollte, genauere Auskunft von ihnen begehrte. Um etwaige Befehle schnell absenden zu können, ließ sich Rasinski von Bernhard und Ludwig begleiten. Sie hatten Mühe, das Zelt des Kaisers zu erreichen, weil die nahe gegen die Stadt vorgerückten Truppen sämtlich auf Befehl Napoleons ihre Biwaks weit zurückverlegten. »Was bedeutet das Manöver?« fragte Rasinski einen Adjutanten, der mit ihm einen gleichen Weg nahm.

»Der Kaiser will dem Feinde ein Schlachtfeld freilassen; er hofft, daß morgen die russischen Linien endlich geordnet vor uns stehen und den Kampf annehmen sollen.« – »Und unsere Stellung?« fragte Rasinski weiter. – »Dort auf jenem ganzen Amphitheater von Hügeln, welches sich im Halbkreise um die Stadt zieht. Es sind freilich nur Schluchten und Defilees, an die wir uns lehnen; bei einem Rückzüge eine bedenkliche Stellung!« – »Das Wort Rückzug hat der Kaiser aus seinem Wörterbuche gestrichen,« entgegnete Rasinski; »für jeden andern Feldherrn wäre der Fehler groß. Er aber hat die Gewißheit des Sieges; bisher fehlte ihm nichts dazu als der Feind. Wollte der Himmel, daß er morgen endlich standhielte.«

»Hm! Ich glaube kaum. Wozu soll er sich vor der Festung schlagen, wenn er es hinter derselben kann?« – »Bagration hat, wie man vernimmt, die größte Lust zur Schlacht.« – »Barclay desto weniger.«

»Er ist nicht beliebt; der Russe haßt ihn; nur der Kaiser ist seine Stütze. In seinem eigentlichen Vaterlande angegriffen, muß es die Ehre des Russen auf das tiefste kränken, daß er, ohne Widerstand zu leisten, weichen soll. Barclay wird schlagen müssen, weil ihm sonst die Armee nicht mehr gehorcht. In gewisser Hinsicht steht der Feldherr trotz seiner unbeschränkten Macht doch unter dem Befehl des Heeres. Und das Schwerste von allem ist, den kampflustigen Soldaten von der Schlacht abzuhalten; zugleich auch das Gefährlichste, denn er zeigt nachher gerade im entscheidenden Augenblick Unlust, wenn man seiner Tapferkeit zuvor gewaltsame Fesseln angelegt hat. Ein Feldherr muß nicht nur das Terrain, er muß auch den innersten Menschen zu beurteilen wissen; verrechnet er sich da, so wird er mit aller Taktik nicht weit reichen.« –

»Hoffen Sie Gutes von der Schlacht?« fragte nach einer kurzen Pause der Offizier.

»Ohne Zweifel den vollständigsten Sieg, doch wird er Blut kosten.«

»Gewiß, viel. Schon bei dem heutigen Angriff auf die Festung haben wir furchtbaren Verlust gehabt. Von dem Bataillon, mit dem der Marschall Ney angreifen ließ, sind zwei Dritteile geblieben. Sie gerieten ins Flanken- feuer der russischen Batterie; eine einzige Kugel traf so furchtbar, daß sie zweiundzwanzig Mann niederschmetterte. Wir konnten es von der Höhe nur zu deutlich mit ansehen.« – »Zu fallen ist die ernste Bestimmung des Soldaten«, erwiderte Rasinski. »Aber hören Sie! Tirailleurfeuer!«

»Der Kaiser hat befohlen, daß das erste Korps den Feind necken soll, um ihn vielleicht auf das diesseitige Ufer des Flusses zu locken.«

Während dieses Gesprächs war man teils zwischen Biwakfeuern und gelagerten Truppen hindurch, teils hinter marschierenden Kolonnen herumreitend, bis zu dem Lager der Garden gelangt, wo sich das Zelt des Kaisers auf einer waldigen Anhöhe befand. Man sah ihn eben mit einer bedeutenden Eskorte abreiten, mutmaßlich um die Umgegend zu rekognoszieren. Rasinski sprengte im gestreckten Galopp nach; Ludwig und Bernhard folgten in einer angemessenen Entfernung. Etwa eine halbe Stunde ritt der Kaiser mit seinem Gefolge von einem Hügelgipfel zum andern. Von dem, das verhandelt wurde, konnten Ludwig und Bernhard indessen nichts vernehmen, da sie nebst mehreren andern Ordonnanzen und jüngern Offizieren wenigstens dreißig bis vierzig Schritte hinter den Marschällen ritten. Jetzt hielt der Kaiser und sprach mit dem Marschall Ney und dem Könige von Neapel; dann winkte er Rasinski zu sich hervor, dem er einen ausführlichen Auftrag zu geben schien, denn er redete lange und mit lebhafter Bewegung zu ihm. Gleich darauf ritt dieser zurück, rief Ludwig zu seiner Begleitung ab und hieß Bernhard dem Kaiser und seiner Umgebung ferner folgen, und dann vor dem kaiserlichen Zelte halten, bis er schriftlichen oder mündlichen Befehl zur Überbringung an Rasinski empfangen würde.

Mit der sinkenden Nacht kehrte der Kaiser in sein Zelt zurück. Es folgten ihm nur die Marschälle Berthier, Ney, Murat, Davoust und der Vizekönig von Italien. Zwei Mann von der alten Garde standen Schildwache vor dem Zelte; Bernhard und drei Ordonnanzoffiziere hielten dicht am Eingang, um Befehl zu erwarten. Im Laufe einer Viertelstunde wurden die drei abgefertigt; Bernhard blieb allein ohne fernere Bestimmung und mußte in Geduld abwarten, was geschehen werde. Es war still geworden; die ermüdeten Truppen lagen in ihre Mäntel gehüllt und schliefen. Man fing an leises Geräusch bis auf große Ferne zu hören. So konnte Bernhard jetzt unterscheiden, daß lebhaft im Gezelt gesprochen wurde, doch war es ihm unmöglich, den Gang des Gesprächs zu verfolgen. Nur einzelne Worte unterschied er, am häufigsten aber die Namen Smolensk und Moskau. Gern wäre er einige Schritte näher geritten, doch die beiden bärtigen Grenadiere mit ihren hohen Bärenmützen, welche mit gemessenen Schritten, mit edlem, kriegerischem Anstande vor dem Zelte auf und ab gingen, hielten ihn durch einen ernsten Blick ihrer schwarzen Augen in ehrerbietiger Ferne zurück. »Man spricht von der Schlacht, die wir vielleicht morgen liefern,« fing endlich Bernhard an; »könnt ihr dem Gespräch folgen, Freunde?« – »Die Schildwache des Kaisers hört nichts, Kamerad«, erwiderte der eine der beiden Grenadiere mit einem strengen Blick. – »Sie spricht auch nicht«, setzte der andere mit dem Tone des Verweises hinzu. Kaum waren diese Worte gewechselt, als die Marschälle Ney und Davoust, beide anscheinend sehr in Wallung, mit raschen Schritten das Zelt verließen und eine verschiedene Richtung des Wegs einschlugen, ohne voneinander Abschied zu nehmen. Es war augenfällig, daß sie sich in äußerst gereizter Stimmung gegeneinander befanden. Indessen wurde das Gespräch im Zelte noch lebhafter. Bernhard unterschied deutlich die Stimme des Kaisers, der laut und mit Heftigkeit sprach. Der Vizekönig von Italien verließ einige Minuten später das Zelt. Die Wachen standen starr mit angezogenem Gewehr, als er vorüberging. Doch der sonst so freundliche, wohlwollende Mann versäumte es, den Ehrengruß zu erwidern; er schien im Innern so bewegt, so ganz erfüllt und beschäftigt, daß die äußerlichen Gegenstände ihm durchaus verschwanden. Bernhard konnte bei dem Schein eines nicht entfernt vom Gezelt brennenden Feuers, an dem die kaiserliche Küche besorgt wurde, die edeln ausdrucksvollen Züge des Fürsten, auf dessen Stirn sich finstere Wolken der Sorge zusammengezogen hatten, betrachten. Es lag so viel Mildes in diesem Antlitz, und so viel männliche Entschlossenheit, gepaart mit sanfter Hoheit, daß der Eindruck ein unvergeßlicher sein mußte. Noch folgte Bernhard mit unverwandtem Auge der edeln Gestalt, als das Klirren eines Säbels aufs neue seine Blicke nach dem Eingang des kaiserlichen Zeltes zog. Es war der König von Neapel, der in seiner abenteuerlich kriegerischen Tracht, eine Reiherfeder auf der mit Pelz verbrämten Mütze, mit hastigen Schritten aus dem Zelte trat, indem er einige unverständliche Worte vor sich hin murmelte, die aber wie ein Nachhall des Zorns und des Eifers klangen. Ohne Bernhard zu bemerken, ging er dicht an dessen Pferd vorüber, da unterschied dieser deutlich, daß der König, im Gehen mit dem Fuße stampfend, mit halbunterdrückter Stimme ausrief: »Moscou! Moscou! Cette ville nous perdra!«

Kaum war er indessen einige Schritte weiter, als er plötzlich, wie sich besinnend, stillstand, sich umwandte und rief: »Wo ist die Ordonnanz des Obersten Rasinski?« Bernhard wollte vom Pferde springend sich melden, doch der König rief ihm zu: »Bleibt sitzen! Diese Order für den Oberst! Eilt!« Mit diesen Worten entfernte er sich, und Bernhard sprengte sofort dem Biwak seines Regiments zu. Mit einem glücklichen Ortssinn begabt, gelang es ihm trotz der Finsternis und den von allen Seiten verwirrend flackernden Wachtfeuern, die, weil ihre Ferne und Nähe so schwer zu schätzen ist, oft wie Irrlichter vom rechten Wege ableiten, dennoch in kurzer Zeit die Lagerstelle seiner Kameraden aufzufinden. Rasinski erbrach die Depesche mit hastiger Ungeduld und durchflog sie beim Glanz des Feuers. »Gut, gut,« murmelte er für sich; »ich fürchte aber, es wird nicht nötig sein.«

Die Nacht verstrich ohne ein merkwürdiges Ereignis; man hatte die Wachen verdoppelt, und ein Teil der Leute blieb unter Waffen; indessen wurde die Ruhe der andern durch nichts gestört. Mit Anbruch des Tages erwartete man den Feind in Schlachtordnung aufgestellt zu sehen. Doch es war eine Täuschung. Der weite Raum, den man ihm zum Schlachtfelde gelassen, war leer. Die Stadt mit ihren alten, dicken, von achtzehn Türmen gekrönten Mauern lag schauerlich still in der Morgendämmerung da; kein Laut schien sich in derselben zu regen. Das ganze französische Heer war unter Waffen; jeden Augenblick konnten die Truppen in die Schlachtordnung einrücken. Man sah den Kaiser, von Marschällen und Adjutanten begleitet, mehrmals über das Feld reiten; er jagte eine Anhöhe nach der andern hinauf und sah umher, teils um im Fall der Schlacht seine Anordnung zu treffen, teils in der steten Hoffnung, endlich den Feind irgendwo debouchieren und sich zum Kampf aufstellen zu sehen.

Ein Marschall, es war Belliard, kam auf Rasinski zugesprengt, rief ihn heran und sprach einige Worte mit ihm. Sogleich befahl dieser der ersten Eskadron, welche Boleslaw führte, ihm zu folgen. Sie ritten eine Strecke am Dnjepr hinauf; bei einer Krümmung des Weges stießen sie auf etwa zwanzig bis dreißig Kosaken, die, sobald sie des Feindes ansichtig wurden, wie ein Schwärm aufgescheuchter Vögel eiligst über das Blachfeld sprengten. Im Augenblick waren sie verschwunden; doch erblickte man sie einige Minuten darauf wieder an der Spitze eines Hügels, wie sie eben an einer Stelle des Flusses, welche durch die Biegung desselben bisher verdeckt war, mit ihren Pferden nach dem jenseitigen Ufer hinüberschwammen.

»Teufel!« rief Rasinski plötzlich aus und wandte sich zu dem Marschall, während er mit der Säbelspitze in die Ferne deutete: »Sehen Sie dort die Kolonnen! Das ist die russische Armee im vollen Rückzuge auf der Straße nach Moskau!« Der Marschall warf einen unmutigen Blick hinüber. »Der Kaiser wird außer sich sein; bis jetzt hatte er noch immer gehofft, das Heer zur Schlacht ausrücken zu sehen, und Davoust bestätigte ihn in diesem Wahne. Nun muß jede Täuschung schwinden, denn das sind zu unermeßliche Züge von Artillerie, Infanterie und Kavallerie, welche die Straße bedecken. Doch ich will es ihm sogleich melden.« Im gestreckten Galopp jagte der Marschall jetzt über das Feld zurück, dem Gezelt des Kaisers zu.

Rasinski beauftragte Boleslaw, mit der Schwadron den Fluß hinauf zu rekognoszieren, ob er eine Furt finden könnte, durch die man mit Kavalleristen und im Notfall auch mit Artillerie und Infanterie das andere Ufer erreichen könne; denn er dachte sogleich mit Recht, daß der Kaiser den Befehl geben werde, der Armee in die Flanken zu fallen und ihren Rückzug zu stören. Boleslaw ritt mit seinen Leuten den Fluß über eine Stunde weit entlang. Überall, wo sich nur der Anschein einer Furt bot, war er der erste, welcher den Versuch machte, hindurchzureiten. Doch fand er nicht, was er suchte, und hätte fast einige Leute dabei eingebüßt. Verdrießlich, daß es ihm nicht gelingen wollte, den Auftrag zu vollführen, wollte er eben umwenden, als er hinter sich den Donner einer Batterie vernahm. Er schaute rückwärts und erblickte das Ufer mit gewaltigen Massen von Artillerie besetzt, welche auf die jenseit des Stroms langsam sich fortbewegende russische Armee feuerte. Jetzt stellte auch diese einige Batterien auf, um das feindliche Feuer zum Schweigen zu bringen, und bald gewahrte man die furchtbaren Wirkungen desselben. Eine schwarze Wolke lagerte sich gleich einem Ungeheuer über das Gefilde; nur einzelne rote Blitze züngelten daraus hervor, denen der tobende Donner sogleich folgte. Boleslaw, der die Hoffnung, eine Furt zu finden, aufgegeben hatte, beschloß nunmehr mit seinen Leuten zurückzureiten. So hatte er denn das Feld der Verwüstung und des Todes vor sich; denn nicht allein daß jene Batterien ununterbrochen aufeinander feuerten, sondern auch das ganze Gefilde vor Smolensk wogte vom erbitterten Gefecht.

Der Kaiser hatte den Angriff auf die Stadt befohlen, der er sich jetzt auf das schnellste bemächtigen wollte. Darum rückten die schwarzen Massen der Infanterie von allen Seiten heran, um den Feind, nachdem er durch das Feuer der Artillerie geschwächt war, zu vertreiben. Die Erde schien unter dem dumpfen Getöse angstvoll zu beben; graue Rauchwolken zogen langsam, dicht überhin und beschatteten das Feld des Todes. Wie ein blutiges Auge blickte die umdüsterte Sonne herab. Die Vögel flatterten ängstlich und erschreckt hinweg und flüchteten von dem Schauplatz der Verheerung. Außer dem dumpfen Donner der Schlacht, den Boleslaw nur in der Ferne vernahm, war kein Laut hörbar. In tiefer Stille lag die Natur regungslos; kein Lüftchen bewegte die Zweige. Sie schien, erstarrt vor dem unheilvollen Treiben der Menschen, ihr Todeslos zu erwarten. Schweigend und ernst ritt Boleslaw an der Spitze der Seinigen auf dem Rücken des Hügels entlang, dem Schlachtfelde näher. Der Kampf, der die Krieger mit flammendem Mute erfüllt, wenn sie sich mitten in dessen Wogen gestürzt sehen, erzeugte jetzt, da sie ihn aus der Ferne betrachten mußten und keinen Anteil an der Entscheidung hatten, eine spannende Beklemmung in ihrer Brust. Außerhalb des Ereignisses gestellt, empfanden sie dessen furchtbare Bedeutung tiefer, weil sie es weiter überschauten. »Dort in dem Loche tobt der leibhaftige Satan, glaube ich«, sprach der alte Petrowski und zeigte nach einer Stelle hin, wo die französische Artillerie im dichtesten Dampfe verhüllt stand. – »Sie scheinen im dreifachen Kreuzfeuer zu stehen«, erwiderte Boleslaw.

»Freilich, die drei schwarzen Wolken da drüben blitzen ja darauflos! Und sie treffen. Die Protzkasten fliegen in die Luft, als ständen sie auf Konterminen. Da trabt eine Reservebatterie heran; sie müssen schon verdammt zusammengeschossen sein. Die Moskowiter fangen an Ernst zu machen. Hätten wir sie nur auf dem Blachfelde, wo die Kavallerie ihnen auch beikommen kann! Der Säbel ist mir heute so leicht in der Faust wie ein Spazierstock! Wetter, ich wollte – Pest und Hölle! Wieder ein Protzkasten zum Teufel!« In der Tat glich die Stelle, auf welche Petrowski gedeutet hatte, zumal jetzt, wo man näher kam, einem feuerspeienden Vulkan. Der Rauch wirbelte in schwarzen, getürmten Wolken darüber empor und zog langsam, sich tief und schwer wälzend, hinter der Batterie ins Feld hinein. Darum wurde eben das Feuer des Feindes so verderblich, weil er den Vorteil hatte, den Gegner deutlich zu sehen, während er selbst durch den vorwärts ziehenden Rauch dicht verhüllt war. So schlugen denn die Kugeln und Granaten unaufhörlich mit verheerender Gewalt in die Batterie ein. Räder und Achsen splitterten, die Pferde bäumten sich und zerrissen das Geschirr, Granaten platzten, Pulverkasten wurden gesprengt, die Trümmer flogen weit durch die Lüfte. Und zu dem allen krachte das eigene Lagerfeuer der Batterien, daß der Grund, auf dem sie standen, zitterte. »Wir müssen, glaube ich, noch weiter links reiten,« sprach Boleslaw zu Petrowski, »sonst kommen wir in die Schußlinie.« – »Ich denke auch,« erwiderte der Alte; »wir könnten ganz ohne Not ein paar Pferde lassen, und ich verliere nicht gern etwas, wo ich nichts wiedergewinnen kann.«

»Du hast recht, Alter! Es wird uns sogar nichts übrigbleiben, als hinter dem Hügel dort herumzureiten«, antwortete Boleslaw, nachdem er einen Blick über die Gegend geworfen hatte. Er bog in eine Talsenkung ein und war so bald außer dem Bereiche des feindlichen Feuers, konnte aber auch nichts mehr von dem Schlachtfelde übersehen. In kurzem erreichte er das Biwak wieder, wo er Rasinski von seinem vergeblichen Bemühen benachrichtigte.

»Ich wußte es schon,« antwortete dieser, »denn wir haben indes einige Leute aufgetrieben, die der Gegend kundig sind. Allein es gibt weiter aufwärts noch einen Übergang, nur können wir ihn nicht eher als gegen Abend mit Vorteil benutzen; denn er ist nur für wenige Leute einzeln zu passieren, und man kann keine Artillerie hinüberschaffen, weil die Ufer sehr steil und verwachsen sind. Der Angriff eines ganzen Korps auf die Arrieregarde der Russen ist also nicht denkbar, doch können wir vielleicht einen blinden Schrecken unter sie bringen, einen Trupp Nachzügler gefangen nehmen und etwas Beute machen. Der Auftrag ist uns gegeben. Ich freue mich, daß wir denn doch einigen Anteil an dem heutigen Tage haben werden, wo freilich die Kavallerie nur den Zuschauer machen kann.«

Indessen dauerte die Schlacht unter den Mauern der Stadt mit Erbitteerung fort. Rasinski war mit seinen Offizieren auf einen Punkt geritten, von dem aus sich das ganze Gefecht verfolgen ließ. Auch jetzt noch war die Stellung der Batterien am Flusse diejenige, wo Tod und Verheerung am fürchterlichsten wüteten. Mit Besorgnis richteten sich die Blicke der Zuschauenden dahin, wo so viele Kameraden dem Erfolge des Tages geopfert werden mußten. Eine Anzahl von Reitern kam aus den dichten Rauchwirbeln hervorgerittey und nahm ihren Weg über das Blachfeld gegen das Zelt des Kaisers zu. Mit Erstaunen erkannte man, als sie näher kamen, den König von Neapel. Er ritt langsam, den ehrfurchtsvollen Gruß der Offiziere erwidernd, ohne sich weiter nach ihnen umzusehen, vorüber. Ein Offizier aus seinem Gefolge sprengte jedoch gegen Rasinski heran. Es war der Oberst Regnard. »Um des Himmels willen,« fragte Rasinski ihn, »was hattet ihr da drüben in dem siedenden Kessel zu tun, und vollends was wollte der König dort?«

»Was er wollte? Schwerlich, was er jetzt tut, wieder zurückreiten. Es müssen gestern seltsame Dinge zwischen ihm und dem Kaiser vorgefallen sein, denn er ist ganz verwandelt. Er beharrte darauf, sich in jenem Höllenschlunde niederschießen zu lassen. Als wir ihn beschworen, zurückzureiten, rief er: «Ich will niemand mit mir verderben», und wollte seine Adjutanten zurückschicken. Einstimmig beteuerten sie, keinen Schritt von ihm zu weichen. In diesem Augenblicke schlug eine Granate ein und schmetterte das Pferd seines Lieblings Duteuil zu Boden, so daß er diesen getötet glaubte. Bestürzt sprang er vom Pferde und zog ihn selbst unter dem sich wälzenden Rosse hervor. Da er ihn noch am Leben und unversehrt sah, küßte er ihn und sprach: «Laßt uns denn zurückreiten.«

Bernhard hörte dieser Erzählung mit gespannter Teilnahme zu, denn er brachte sie in Zusammenhang mit dem, was er gestern vor dem Zelte des Kaisers beobachtet, aber niemand mitgeteilt hatte. »Und vermutet man, was zwischen dem Kaiser und seinem Schwager vorgegangen sein kann?« fragte Rasinski. – »Ganz allgemein,« erwiderte Regnard und zuckte die Achseln; »er wird sowenig wie Duroc, Daru, Lobau und am Ende wir alle mit dem Feldzuge zufrieden und darüber mit ihm in Streit geraten sein. Das alte Lied mit dem alten Refrain. Nun, wenn wir heute an zwanzigtausend Mann lassen, um den Stein-Haufen dort zu erobern, so wird es wohl überlaut im ganzen Lager gesungen werden. Wenigstens wird's jeder still für sich trällern oder in den Ohren haben. Guten Morgen!« Mit diesen Worten ritt er weiter, nicht ohne ein ernstes Bedenken in Rasinski rege gemacht zu haben.


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