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siehe Bildunterschrift

In Kühnmanns Garten

Achtzehntes Kapitel
Strandbelustigungen

Sonntag war wieder einmal«, sagten hochaufatmend viele Tausende, die die Woche über abgehetzt worden und sich nun mit der Sonne rüsteten, um aus den Toren zu strömen und das grüne freie Land zu suchen. In Neumühlen war die Physiognomie des Sonntags wenig verändert. Da sich dort keine besuchten Wirtshäuser befanden, so zogen nur Karawanen von Spaziergängern auf dem Strand oder zwischen den Gärten vorüber, in denen die Geschäftsleute heute ihre Börse hielten und einmal »Mensch« waren.

Vater Kühnmann, in einen grünen Schlafrock gehüllt, wodurch er das Ansehen eines Riesenlaubfrosches erhielt, kauerte im Garten umher und band widerspenstige Ranken fest oder suchte Schnecken, die er über den Zaun in die Weiden warf, weil er sie im Verdacht hatte, daß sie ihm die jungen Pflanzen abfräßen. Als ihn Vetter Schwarzknopf, der mit Förster zum Frühstück erschien, fragte, ob er eine dabei erwischt habe, und Kühnmann bemerkte, daß er dies gerade nicht sagen könne, behauptete Schwarzknopf, daß er dann auch kein Recht besäße, die Schnecken hinauszuwerfen. Schnecken seien in Gärten heimatberechtigt, und der Teufel solle eine Schnecke sein, wenn sie jedermann hinaus werfen könne wie er wolle; das verstoße ganz gegen Kühnmanns Ansichten von allgemeiner Berechtigung aller Geschöpfe.

Da kam er aber schön an. Kühnmanns Lieblingsthema war, daß allerdings ein Recht aller Geschöpfe am Universum bestände, dies träte aber erst ein, wenn sie bezahlen resp. Eigentum erwerben könnten. Wer nichts bezahle, könne auch nichts beanspruchen, oder »Vor nix is nix« sei erster Grundsatz der allgemeinen Weltordnung.

»Ich kann also aus meinem Garten werfen, was und wen ich will, und wenn ich Sie jetzt beim Kragen nehme und über den Zaun werfe, so können Sie gar nichts dagegen machen«, schloß Kühnmann.

Schwarzknopf war ein Riese von über sieben Fuß, der Kühnmann um anderthalb Köpfe überragte, und fand es ungemein belustigend, daß ihn dieser beim Kragen nehmen und über den Zaun werfen wolle. Er bat ihn dringend, das Ding doch einmal zu versuchen. Kühnmann tat es jedoch nicht – durchaus nicht –, weil er Nachsicht mit des Vetters Jugend haben wollte. Er schwur indes Schwarzknopf Rache und schlich sich kurz vor dem Mittagessen, mit einem Spaten bewaffnet, in die Weidenbüsche, nachdem er im Kalender die Flutzeit studiert. Hier war ein Platz vom feinsten Sande bedeckt und von Büschen umgeben, bis zu dem die Flut gewöhnlich stieg, und wo die Kühnmannsche Familie sich stets nach Tisch lagerte. Nach dem Strom hin stand noch eine kleine Gruppe Büsche, die bei Hochwasser halb überflutet wurde. Hierhin richtete Kühnmann seine Schritte, sah sich vorsichtig um und begann dann an der Außenseite der Büsche mit rastlosem Eifer ein tiefes Loch zu graben, das etwa drei Ellen im Geviert hielt. Den herausgeworfenen Sand machte er schön glatt, besah dann das Werk von allen Seiten und stieg, höchst vergnügt schmunzelnd, wieder nach dem Garten hinauf, wo man bereits zum Essen rief.

Kühnmanns Mittagsessen war stets ein kleines Fest. Es konnte auch nicht anders sein, da Glück, Liebe und Frohsinn mit an der Tafel saßen. Heute gab es die berühmte Erbsensuppe, die Mama Kühnmann auf eine Art zubereiten konnte, daß jeder Gast in Entzücken geriet, sobald er den ersten Löffel davon in den Mund bekam. Dann erschien ein riesiger Blumenkohl, unter einer weißen, schneeigen Masse versteckt, wozu die gehörigen Fleischbeilagen und dergleichen den Appetit herausforderten, der durch einen St. Julien geschärft wurde, der nach Kühnmanns Versicherung zu kostbar zum Trinken war und eigentlich unter Glas und Rahmen hätte gebracht werden müssen.

Nach einer solchen Erklärung schenkte er jedem Kind ein halbes Glasvoll ein und ließ dann die Flasche mit einiger Besorgnis weitergehen, denn Vetter Schwarzknopf pflegte etwas rücksichtslos mit dem edlen Trank zu verfahren, gerade »als wenn er wild in der Lüneburger Heide wüchse und dort nur geschöpft zu werden brauche«. Er behauptete, hier seine Universalberechtigung auszuüben, was Kühnmann ganz in der Ordnung fand, nur daß er die Gegend von Bordeaux dazu für geeigneter hielt als die von Neumühlen, während Schwarzknopf geneigt war, die letztere vorzuziehen und sich dabei aus Versehen von dem kostbaren Rotwein, zum Entsetzen des Hausvaters, ein Wasserglas vollschenkte.

»Na, man zu«, murmelte dieser. »Er kann's hernach brauchen. Warte nur, Vetter, ich kriege dich schon!« worauf er hinterlistig vorschlug, den Kaffee nach Tisch unten am Strand zu trinken, weil er wußte, daß Schwarzknopf dann auf den Stelzen im Wasser umherlaufen würde.

Vater Kühnmann machte selbst den Kaffeetisch von Sand zurecht, um den man sich lagerte. Jeder nahm seine Tasse, Mama die Zuckerdose, die Mädchen Kaffee- und Milchkanne, und so begab man sich in feierlichem Zuge hinunter zwischen die grünen Büsche und machte es sich im Sande bequem. Papa zündete sich seine Zigarre an und sah mit großer Befriedigung, daß die Flut bereits ihren trügerischen Spiegel über seine Fallgrube ausbreitete.

Aber nicht nur Kühnmanns hielten ihre Siesta am Strande. Überall bildeten sich Gruppen, aus denen der leichte, blaue Rauch der Zigarren emporstieg, obgleich, wie bei Senators, die Kaffeetassen fehlten, denn Madame Eiskuhl hielt es für entsetzlich ordinär, im Sande Kaffee zu trinken.

Bernhart war auch heruntergekommen und saß auf einer offenen Stelle, eine Baumpartie des Ufers skizzierend und nach dem Verächter der Millionäre umherblickend.

Dieser Fremdling erschien denn auch bald und verfehlte nicht, den ganzen Strand in Aufregung zu bringen. Von Kopf bis zum Fuß in karierte Seide gekleidet, kam er daher und machte von Zeit zu Zeit halt, um die Gegend in hohen Augenschein zu nehmen. Hinter ihm ging ein alter, grauer Diener in silbergestickter Livree, mit dunkelgrünen Sammethosen und seidenen Strümpfen. Er trug einen gestickten Feldsessel und riß jedesmal den Hut vom Kopfe, sobald sich der Fremde nach ihm umdrehte.

Hanf- und Eisen-Mölcke sowie Spickmann sen. standen eben bei Bernhart, als die beiden in die Nähe kamen. Der Fremde blieb stehen, drehte sich um und sprach: »Jean!«

Der alte Diener war von der Stimme seines Herrn wie elektrisiert.

»Durchlau– – –« stotterte er zitternd.

Der Tyrann sah ihn scharf an und hob den Zeigefinger.

»Gnädiger Herr befehlen?« wimmerte der Diener.

»Stuhl!« sprach kurz der Fremde und zeigte neben Bernhart auf den Boden, wohin der Diener eiligst den Feldstuhl postierte, dann ein Fernrohr hervorzog und es seinem Gebieter mit dem Worte »Teleskop?« präsentierte. Dieser wies es jedoch mit einer unbeschreiblich graziösen Handbewegung zurück, ergriff seine Lorgnette und besah Spickmann und Mölckes, nachdem er den Hut ein ganz klein wenig gehoben, als seien sie Gegenstände, die hier zu finden ihm die größte Verwunderung verursache. Dann wandte er sich an Bernhart, dem es die unsäglichste Mühe kostete, seinen Ernst festzuhalten, und sprach, auf das Skizzenbuch zeigend: »Künstler? – Bitte!«

Damit nahm er das Buch und blätterte darin.

»Ausgezeichnet! Magnifique! Superbe!« rief er bei jedem Blatt. »Suche Künstler wie Sie, der mir für mein Schloß einiges aus Gegend malt. – Ah! Superbe! Ganz ausgezeichnet!« rief er bei einer aquarellierten Zeichnung. »Wundervolles Albumblatt für Prinzessin. Muß es haben. Sofort. Gebe Ihnen auf Stelle zwanzig Louisdor. Wollen Sie?«

»Mit Vergnügen!« entgegnete Bernhart.

»Jean!« Der Diener stürzte herbei und begann: »Durchl–«

Ein großer Zornblick traf ihn, daß er fast in die Erde sank. »Mappe!« befahl der Tyrann kurz.

Jean präsentierte eine Sammetmappe mit goldenem Schlosse.

»Börse!« befahl sein Herr weiter.

Jean zog aus der Sammethose eine seidene Börse, durch deren Maschen Goldstücke blinkten, bei deren Anblick Mölckes lange Hälse machten.

»Wollen gleich das Geschäft abmachen«, sprach der Fremde herablassend und befahl dem Diener, zwanzig Louisdor abzuzählen. »Doch halt!« unterbrach er ihn. »Künstler steht zu hoch, um von Diener Geld zu empfangen, wenn selbst da bin.« Hierauf nahm er die Börse und zählte sehr leger die Goldstücke ab, gab sie Bernhart und warf Jean die Börse geringschätzig zu, wonach er das Blatt aus dem Buch schneiden und in die Mappe legen ließ.

»Wären Sie wohl so freundlich, Verehrtester, mir aus dieser Gegend vier Bilder in Öl zu malen? Ich biete Ihnen für jedes hundert Louisdor. Die Größe überlasse ich Ihnen.«

Mölckes stand der Mund offen. Sie wurden blaß. Es war kein Zweifel mehr, der Fremde war rein toll! Hundert Louisdor für ein Bild, das der Maler vielleicht in vierzehn Tagen malte. Der Mensch hatte furchtbares Glück. Es war unerhört! Daß sie selbst oft in einer Stunde hundert Louisdor mit altem Eisen oder geteertem Hanf verdienten und dies jahrelang fortsetzten, daß dazu weder Studium noch Talent und Fleiß gehörten, daran dachten diese Hanfseelen allerdings nicht, daran dachte auch die schmierige Ölseele Spickmanns nicht, der verblüfft davonlief, um das Unerhörte bei Senators zu erzählen.

Der Senator horchte auf und ging dann nach dem Strande, um den Fremden zu sehen. Madame Eiskuhl aber warf einen triumphierenden Blick auf Madame Spickmann und bemerkte: »Es kann bei unserem Professor nicht anders sein.«

Herr Eiskuhl sah aber mit Kummer, daß der wunderbare Fremde niemand anders als der gestern so grob behandelte Gartenbesucher war. Jedenfalls eine hohe Person inkognito, die er gezwungen, schimpflich durch den Zaun zu kriechen, und bei der er nun in Ungnade stand. Der Senator drückte sich an den Diener und versuchte zu erfahren, wer sein Herr war. Diese alte treue Seele zuckte jedoch mit den Achseln und bedauerte, keinen Befehl zum Auskunftgeben zu haben. Eine Annäherung an sich selbst machte der Fremde, nach herablassend flüchtiger Begrüßung, auf so feine und diplomatische Art unmöglich, daß ein Kenner darauf geschworen hätte, er müsse am Hof von Madrid oder mitten in sonstigen Intrigen-Zeremonienkreisen aufgezogen sein.

Nachdem er sich auf verschiedenen Punkten niedergelassen und die Veduten festgestellt, befahl er, seinen Bootsführer herbeizuschaffen und verließ, gegen die erstaunten Strandbewohner den Hut ein wenig rückend, den Platz, um mit der letzten Flut nach St. Pauli hinaufzutreiben; denn es war die höchste Zeit, daß er mit dem treuen Diener in die Garderobe kam, wo sich dieser schnell in den König verwandelte, den er im Spiegel des Tausendschön spielen mußte, während Scapin-Krabitsch ohne Klage zu seinem Kammerdiener herabstieg.

*

Als man sich aufmachte, um zu Kühnmanns vorzugehen, wohin der Frohsinn stets alles zog, bemerkte Schnepfe, daß der junge Spickmann fehlte. Er erkundigte sich beim Alten nach ihm.

»Ich weiß nicht, was der Junge hat«, sprach dieser kopfschüttelnd. »Er ist seit vier Wochen nicht mehr herausgekommen, und ich glaube, auch nicht bei seiner Braut gewesen. Ein närrischer Bräutigam – wahrhaftig!« knurrte Spickmann kopfschüttelnd.

Schnepfe sagte nichts, denn er wußte nur zu gut, weshalb Spickmann ein närrischer Bräutigam war. Als man bei Stubborns vorbeikam, stand Julie im Garten und rief: »Ei, Zukunftspapachen, sagen Sie mir doch, wo mein zukünftiger Herr steckt. Ich glaube, er ist einige Tage oder Wochen nicht hier gewesen. Das kann er tun, wenn er mein Mann ist, aber jetzt ist dies doch zu zeitig.«

»Ist er nicht hier?« fragte der Alte verlegen. »Hm, wundert mich, denn wenn ich mich nicht irre, wollte er morgen nach Helgoland. Ein sonderbarer Bräutigam! Wird sich wohl wegen des lächerlichen Abenteuers mit den Gummi – – – Na, ich will ihm schon den Kopf zurechtsetzen.«

»Er will nach Helgoland?« fragte die junge Dame verwundert und kopfschüttelnd, denn obgleich ihr der Bräutigam sehr gleichgültig war, fiel es ihr doch auf, daß er nach dem Seebad wollte, ohne sich zu verabschieden. Es dämmerte eine dunkle Ahnung in ihr auf, daß Spickmann jun. etwa gar auf die Idee kommen könnte, seinen Sinn zu ändern und ihr die Disposition über seine Hunderttausende zu entziehen. Diese mußten festgehalten werden. Freilich konnte dies nur geschehen, indem sie sich ihres Besitzers versicherte, wozu sie indes sofort fest entschlossen war.

»Es ist spaßhaft, daß ich in den nächsten Tagen auch nach Helgoland zu gehen beabsichtige«, sprach sie lächelnd zum alten Spickmann. »Sagen Sie deshalb nichts. Ich will meinen Zukünftigen dort überraschen. Um eins muß ich Sie aber bitten. Haben Sie die Güte, mir ein Geschenk indes aufzuheben, das mir Ihr Herr Sohn gemacht hat. Wollen Sie? Dann schicke ich es Ihnen morgen früh nach Ihrem Kontor.«

»Herzlich gern«, sagte der alte Spickmann, ohne eine Ahnung zu haben, worin das Geschenk bestände.

In diesem Augenblick hörte man am Strande ein allgemeines Geschrei und Gelächter, das nicht enden wollte. Es lief alles hinunter, um nach der Ursache zu sehen, die in nichts anderem als dem Vetter Schwarzknopf bestand, der, von Kopf bis zu Fuß triefend, aus dem Wasser kam.

Das arme Opfer der Hinterlist war nach dem Kaffee ohne Arg auf die Stelzen gestiegen, um seine Künste zum besten zu geben. Kühnmann höhnte und hetzte vom Ufer aus und lockte ihn endlich um die verhängnisvollen Büsche, wo ihm das Wasser beinahe bis an die Füße reichte. Plötzlich wich der Boden unter ihm, er machte einen ungeheuren Schritt und stürzte dann der Länge nach, wie ein Leuchtturm, den die Flut unterwaschen, in das Wasser, während Kühnmann vor Entzücken über sein gelungenes Werk eine Art karaibischen Freudentanz am Ufer aufführte und lachend verkündigte, daß endlich Vetter Schwarzknopf zu seiner Wasseruniversalberechtigung gelangt sei. Dieser watete seinen Stelzen nach und fischte sie auf, worauf er dem Gelächter entlief, um sich trockene Kleider zu verschaffen, die ihm Kühnmann bereitwillig vorlegte.


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