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Dreizehntes Kapitel.
Die »Königin des Festes«

Ein Trupp böhmischer Musikanten war von Thalbrücken her einer mit Extrapost reisenden Herrschaft vorausgeeilt, hatte, von Staub und Schweiß bedeckt, vor dem Klosterhofe Fuß gefasst und blies, den Wagen kaum in Sicht, mit fast berstenden Wangen den ohr- und nervenerschütternden Tusch ununterbrochen bis zur Ankunft des Reisewagens.

Dieser hielt kaum vor dem Klosterhofe, als der Portier und die Diener Heimanns in voller Gala – ein Zeichen, dass sei auf den Moment vorbereitet waren – am Eingang Spalier bildeten. Ein weiterer Kollege, der vom Kutschbocke sprang und den Wagenschlag öffnete, gesellte sich zu ihnen.

Aus dem Wagen stieg zuerst mit ostensibler Umständlichkeit, von der sämtlichen Dienerschaft mit zudringlicher Dienstfertigkeit umringt, eine Dame etwas »gesetzten Alters«, von mittlerer Größe, reichlichem Embonpoint und in übertriebenem Aufputz von Samt und Seide, Bändern und Schmuck; ein Aufputz, der – wie ja selten in der Welt etwas verborgen bleibt – während eines eigens zu diesem Zwecke veranlassten halbtägigen Aufenthaltes in Thalbrücken zu Stande gebracht worden war.

Als die Dame festen Boden unter sich fühlte und die mitgekommene Kammerzofe an Bändern, Falten, Spitzen mit flüchtig-kunstfertiger Hand die nötige Korrektur vorgenommen hatte, warf Frau Heimann – den sie war es – das mit moderner Haartour wohlbetürmte Haupt vornehm-lässig zurück und musterte die rasch wieder Spalier bildende Dienerschaft, deren Führer (der Glattrasierte) unter wohlstudierter Verneigung ein großes Bouquet überreichte. Dies schien die Zufriedenheit der »Hochgnädigen« zu erregen, ein wohlwollendes Lächeln schwebte um die etwas wulstigen Lippen derselben, und der Bug der fleischigen, aber regelrecht gebogenen Nase errötete leicht, was, wie die Dienerschaft wohl wusste, bei lebhafter Befriedigung immer zu geschehen pflegte. Die Gnädige war sogar herablassend genug, zu fragen: »Wie geht's euch, Konrad, Jakob, Salomon und Isaak?« worauf ein mit kaum unterdrückter Begeisterung gesprochenes: »Sehr wohl, Euer Gnaden!« folgte, welches wieder durch ein vornehm-befriedigtes Neigen des Hauptes der Gebieterin belohnt wurde. – Einmal im Spenden gnädiger Anerkennung, wurde dieses wohlwollende Neigen des Hauptes auch den neugierig herumstehenden Hausbewohnern zuteil, ja fand noch wie in Gedanken seine Fortsetzung, als Frau Heimann die Treppe hinaufging und, nur noch vom »Glattrasierten« und dem Kammermädchen begleitet, in ihr Zimmer trat, wo freilich die Gnädige in Haltung, Wort und Ton urplötzlich eine scharfe Wandlung zeigte.

Denn nach einem bedeutsamen Gang durch das Zimmer, während welchem das wohlbetürmte Haupt sich eigentümlich nach allen Seiten wiegte, blieb Frau Heimann vor dem Diener stehen und sagte rasch und pikiert:

»Hat sich denn nicht gebildet ein Komitee, zu empfanden die Gäste?«

Der Diener zuckte die Schultern und erwiderte, den Jargon der Gebieterin nachahmend:

»Der Herr Präsident will alles haben einfach, es soll niemand geniert sein, er fürchtet, es könnte werden unbequem für manchen Gast und hat uns nur erlaubt, ein wenig zu machen die Honneurs, nur weil es wünscht unsere Herrschaft.«

»Präsident?« fragte Frau Heimann. »So hat sich wenigstens gebildet ein Präsident?«

»Ein junger, sehr beliebter Herr im Hause …«

»Junger Herr? Wie kann ein junger Herr Präsident sein, wenn mein Mann mit seinen Freunden feiert sein fünfundzwanzigstes Jubiläum?«

»Hab' ich so gehört«, erwiderte der Diener. »Der wirkliche Präsident ist krank geworden – so ist sein Sohn gekommen für ihn an seine Stelle!«

Frau Heimann wiegte den Kopf nach rechts und links und sagte mit ironischem Lächeln:

»Wer wird sich lassen von einem jungen Mann präsidieren? Wie kann ihm eine Dame machen ihre Aufwartung?«

Der Diener zuckte wieder die Schultern und bemerkte mit wohlbedachtem Lächeln:

»Es ist aber ein sehr feiner Herr und wohlerzogen …«

»Was hab' ich von fein und wohlerzogen?« warf Frau Heimann hin, »hier bring' ihm meine Karte; ich lasse bitten um einen sehr guten Platz im Versammlungssaal, wo man sich wird vorerzählen die merkwürdigen Lebensgeschichten!«

Der Diener nahm die Karte und sah die Gebieterin etwas ungewiss an, die nun wieder auf und ab ging und sich nach den bereits angekommenen Gästen und Freunden ihres Mannes erkundigte.

Der Diener nannte und schilderte ziemlich vollzählig und treffend die bisher erschienenen Gäste und gruppierte sie nicht ungeschickt nach dem Geschmack und Interesse der Gebieterin, die denn auch gespannt aufsah, als es hieß, auch eine Exzellenz, ein Staatsminister, sei dagewesen und habe ein »Appartement« bestellt.

»Und ist Ihre Exzellenz, die Frau Ministerin, mitgekommen?« fragte sie rasch.

»Nein; wird auch wohl nicht nachkommen«, versetzte der Diener schlau, »das Appartement Seiner Exzellenz besteht nur aus einem Salon, wo Empfang wird gehalten.«

Der Ausdruck der Befriedigung sprach aus dem Gesichte der Frau Heimann, welche sich von der stillen Sorge befreit fühlte, dass sie am Tage des Jubiläums durch den Rang einer Dame überstrahlt werden könnte, in bester Laune und mit stark gerötetem Nasenbug sagte sie:

»Ihr habt aber Seine Exzellenz wohl bedient mit Weinen und Delikatessen von Heimann und Frau?«

»Seine Exzellenz hat nur verweilt ganz kurze Zeit«, erwiderte der Diener, »er ist gekommen, zu sehen den Salon, zu sprechen herablassend den Wirt, zu schicken dem jungen Präsidenten eine Karte und zu sagen, er werde sich freuen, Herrn Heimann zu sehen und später zu kosten seine Weine!«

Der Durchtriebene prüfte nach diesen Worten die Nase der Gebieterin, dachte: »Sie wird dünkler«, und erkannte richtig, dass die Worte Seiner Exzellenz die beste Wirkung hervorgebracht haben; denn Frau Heimann sagte sehr aufgeräumt:

»Dafür werden sie andern Gäste sich umso mehr haben behagen lassen Heimanns Delikatessen und Weine!«

Der Diener erwiderte mit pfiffig-diplomatischer Miene:

»Wir haben gemacht einen Unterschied, wem wir bieten Delikatessen und Weine, die unsere Herrschaft teuer bezahlt. Wir haben dem einen angetragen, dem andern nicht angetragen; dem Herrn Justizrat haben wir angetragen, dem großen, mageren Herrn mit dem Kriminalgesicht haben wir nicht angetragen, dem Herrn Schulrat wegen seiner schönen Töchter haben wir angetragen, dem Professor, der zu Fuß gekommen ist, haben wir nicht angetragen; wir haben ja angetragen den zwei Schauspielern, die nur Possen treiben und sehr viel Durst haben; auch haben wir nicht angetragen dem bemoosten Haupt, das gar nicht hat erfahren dürfen von Delikatessen und Weinen, der Mensch wäre nicht mehr aus dem Keller zu bringen gewesen; aber wieder ja angetragen habe wir dem fürchterlichen Mönchgeistlichen, den man sich heutzutage nicht darf zum Feinde machen, er hat vom Besten bekommen, ich weiß aber nicht, hat er gegessen die Delikatessen und getrunken die Weine; er hat niemand mehr zu sich gelassen.«

»Ein Mönch, sagst Du? Ein Mönch ist unter den Gästen und Freunden meines Mannes?« rief mit Schaudern und Staunen Frau Heimann.

»Ein Mönch mit langem Bart und weißem Strickgürtel; wenn man ihn gesehen, hat man Rom gesehen!« sagte der Diener, eine bekannte Redensart auf seine Weise verwertend.

»Weh, Weh!« rief Frau Heimann und ging lebhaft auf und nieder, indem sie eigentümlich heftig mit dem Schnupftuch nach rückwärts schlug; »man hat es abgesehen auf meinen Mann! Man will ihn wieder zurückbekehren in den alleinseligmachenden Schoß seiner Kirche … Mortana! Weh!«

Sie wendete sich plötzlich gegen die Türe des Nebenzimmers, stieß sie auf und rief bebend:

»Wo ist mein Mann? Wo bist du, Heimann?«

Der Diener trat beschwichtigend näher und sagte:

»Der gnädige Herr ist noch gar nicht angekommen, er telegraphiert dem Präsidenten alle Tage sechs Mal; er muss sich haben etwas verletzt auf dem Weg, er macht nur kleine Tagreisen; er wird aber da sein morgen zur rechten Stunde, hat er heute telegraphiert; er will halten eine lange Rede und reden eine schöne Lebensgeschichte und loben sein Glück, seine Ehe, seine Gattin, sein alles!«

»Ah! Ah! … das ist gut, das ist gut«, sagte Frau Heimann, sich beruhigend und langsamer auf und ab gehend, »so hat man ihm noch nicht können beikommen, jetzt bin ich selbst da und werde ihn helfen beschützen!«

Sie wehte sich Kühlung zu mit dem Schnupftuch und stieß die nach dem Korridor führende Türe auf, um einen frischen Luftzug zu veranlassen; dabei gewahrte sie die seltsame Gestalt nicht, die vor der Türe bis jetzt horchend gestanden und nun erschrocken aufschnellte und zurückprallte.


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