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Die Begegnung Meinböcks und Rolands hatte den erwarteten Erfolg. Der Augenzeuge, welcher im Auftrage Hilarius' ungesehen der Begegnung beiwohnte, berichtete am nächsten Morgen einige Umstände, welche ihm jetzt noch das Herz bewegten.
Meinböck war der Erste zur Stelle und schritt neben dem Stein am Bach nachdenklich auf und nieder. Die Wellen rauschten über den Kiesel und schienen lebhafte Betrachtungen über das bevorstehende Ereignis anzustellen. Nicht lange darauf erschien auch Roland in einiger Entfernung, den Hut in der Stirne, das Auge am Boden. Er kam langsam näher, und als er aufblickte, um den Nachbarn zu suchen – stand dieser bereits wartend vor ihm. Aug' in Auge betrachteten sich beide; dann schritt jeder vor, um die Hand des andern zu ergreifen. Roland war der Erste, welcher Fassung fand zu sprechen.
»Meinböck«, sagte er, »wir haben ein Jahr unseres Lebens verloren!«
»Es liegt bei uns, den Schaden wieder gut zu machen«, erwiderte Meinböck.
»Ja«, sagte Roland rasch, »der Wille kann vieles.«
Er zog den Nachbarn auf die Steinplatte nieder, von welcher die Stelle den Namen führte.
Teils um sich gegenseitig die Beschämung zu ersparen, teils um unverzüglich an die Ausführung ihrer guten Vorsätze zu gehen, verloren beide keine Zeit mit Auseinandersetzungen über die beklagenswerte Verirrung ihrer Leidenschaft, sondern sannen auf eine würdige und für die Anhänger und Gegner lehrreiche Buße, die sie, wetteifernd an hochherziger Selbstverleugnung, fortan öffentlich zur Schau tragen wollten.
Zuerst trat Roland mit der Absicht hervor, den Prozessgaus morgen aus dem Klosterhofe abzuholen und, recht zum Erstaunen der Leute, ja auf die Gefahr hin, den ganzen Weg verhöhnt zu werden, nach seinem Hofe zu reiten, wobei der Umweg sogar über Thalbrücken genommen werden sollte. Roland ging von der Ansicht aus, dass, wenn man in seiner Leidenschaft ein übles Beispiel gegeben und gleichsam die öffentliche Moral geschädigt habe, es auch Pflicht sei, ohne Rücksicht auf die Empfindlichkeit der Buße, das angerichtete Übel öffentlich wieder gut zu machen. Den Prozessgaul wollte er gegen die ursprünglich verlangte Summe als erstanden betrachten und behalten.
Dem widerstrebte Meinböck; er war nicht gesonnen, die eigene Hitze und Eitelkeit in Schutz zu nehmen, welche seiner Zeit den Anstoß zu dem öffentlichen Ärgernis gegeben. »Es war Unvernunft«, sagte er, »Deinen Scherz misszuverstehen, Unvernunft, Dir das Tier aufzuzwingen wegen einer wohlverdienten Verletzung meiner Eitelkeit. – Das Tier war mein, ist mein, ich bin es meiner Ehre schuldig, es durch Pflege wieder zu früherer Stattlichkeit zu bringen und als Warnungs- und Erinnerungsstück im Hause zu behalten.« Dem Gewicht dieser Worte musste Roland weichen; jedoch tat er dies nur bedingungsweise unter Aufrechthaltung seiner öffentlichen Buße. »Ich muss den Ritt vor den Augen der Leute machen und mein Stück Schande hinweg haben«, sagte er, mit wonnigem Ingrimm gegen sich selbst wütend. »Wenn ich dem Tier einige Zeit durch Pflege wohlgetan, wenn es wieder stattlich erscheinen kann, magst Du es von mir holen und behalten; dagegen zahle ich die Kosten des Prozesses.«
»Nur zur Hälfte«, fiel ihm Meinböck in die Rede, »soll ich ungestraft entkommen?«
»So wirst Du mir doch nicht streitig machen, dass ich den Löwenwirt allein entschädige?« rief Roland in edlem Wetteifer.
»Gut denn«, erwiderte Meinböck mit einem leichten Anflug von Bewegung, »das mag Dir überlassen bleiben; ich will Dir's ewig danken!«
Er erinnerte sich an die Mitteilung des Löwenwirts, dass Roland ihn bereits entschädigt habe, während Roland der sinnigen Aufmerksamkeit gedachte, welche von Seite des Klosterhofs den Gräbern seiner Lieben erwiesen worden.
»Sprich nicht von Dank«, bemerkte Roland noch halb in Gedanken, »was bliebe mir zu danken übrig?«
Beide fühlten, dass sie nicht mehr mit der nötigen Ruhe verhandeln konnten, dass die Bewegung, die sie bisher männlich niedergehalten, doch zu mächtig durchzugreifen drohe; sie brachen daher ab, erhoben sich und reichten einander die Hand. »Morgen zu jeder Stunde, wann Du willst, mehr davon«, sagte Roland schließlich.
Meinböck drückte nur stumm die Hand des wiedergewonnenen Freundes, und ein jeder ging seines Weges …
Hilarius hatte kaum Zeit, seinem Behagen über das Gelingen der Begegnung nachzuhängen, als Lucian ins Zimmer stürmte und händereibend erzählte, es habe gewirkt, der eifersüchtige Konrad habe den Widerstand seiner Eltern gebrochen, er sei eben mit seinem Vater angekommen und habe eine Unterredung mit Meinböck begehrt, die auch gewährt worden. Natürlich solle es jetzt Ernst werden mit der Werbung; die Monika gehe auch herum, als höre sie alle Engel singen!
Lucian war während seines Berichtes in die Nähe eines Fensters gekommen, durch das sein Blick zufällig in den Hof hinabfiel. »Ah!« rief er mit erhöhter Erregung, »dort wird sie von der Mutter geholt; Meinböck steht an der Tür und winkt sie hinein … haha! Was sträubst Du Dich, nudeldicke Dirn'? Hast Du's nicht so haben wollen? Nenn' zu, so renn' in Dein Himmelreich, die Tür ist angelweit offen!«
Hilarius hatte den Bericht des Burschen mit Befriedigung vernommen und sagte, von dem tollen Gerede ergötzt:
»Recht so; sagen wir Amen zu dem guten Ausgang. Komm' aber jetzt, wir haben anderes zu tun!«
»Immer zu!« rief Lucian in glücklichster Laune. »Nur gleich wieder was Neues, einem Schelm ein Bein stellen oder eine unschuldige Tugend retten!«
»Höre also …«
In diesem Augenblick wurde Hilarius durch einen seltsamen Zwischenfall unterbrochen. Die kleine Hedwig kam mit fliegenden Haaren herein und rief flehentlich:
»Hilf ihr, hilf ihr! Sie wollen die Base holen!«
Und krampfhaft seine Hand fassend, zog sie Hilarius nach dem Korridor, wo vor der Türe der Ahnfrau eine Gruppe Hausbewohner stand, an deren Spitze ein Gerichtsdiener mit Amtsmiene Posto gefasst hatte. Er erwartete die arme Frau vom Lande, welche eben aus der Türe trat.
»Was ist's? Was gibt's?« sagte Hilarius, den Arm der Frau fassend und sie mit einen ernsten Blick auf den Gerichtsdiener an sich ziehend.
Die arme Frau konnte vor Schreck und Bewegung nicht sprechen; zitternd stand sie da und sah nur flehentlich zu Hilarius auf.
»Was ist's?« wiederholte dieser die Frage.
Der Gerichtsdiener erwiderte trocken, dass er den Auftrag habe, die Frau nach Sonndorf zu führen, da sie als Zeugin vernommen werden solle.
»Nach Sonndorf?« sagte Hilarius nachdenklich. »Gut.« Und die wortlos Dastehende sanft anblickend, fuhr er herzgewinnend fort:
»Kommt, liebe Frau. Als Zeuge vorgeladen muss man dem Gerichte folgen. Das ist keine Unehre, da nur unbescholtene Personen als Zeugen zugelassen werden. Aber den Weg will ich Euch erleichtern; Ihr sollt zu Wagen nach Sonndorf!«
Und ohne eine Bemerkung der armen Frau abzuwarten und den Gerichtsdiener weiter zu beachten, zog er die Angeredete sachte mit sich fort, die Treppe hinab in den Hof, wo bald ein Einspänner bereit stand, um die noch immer sprachlose, doch vertrauensvoller blickende arme Frau nach Sonndorf zu bringen.
»Noch einmal, seid getrost, liebe Gute«, sagte Hilarius noch am Tor, die Hand durch das Wagenfenster reichend. »Ich folg' Euch selbst nach Sonndorf. Sagt die Wahrheit offen und ehrlich. Diese Karte gebe dem Staatsanwalt und meldet einen schönen Gruß von mir!«
Nachdem er noch dem Gerichtsdiener eine Belohnung in die Hand gedrückt und ihm die gute Behandlung der Armen empfohlen hatte, fuhr das Wägelchen rasch von dannen. – Hilarius aber beachtete erst jetzt das krampfhafte Pressen seiner linken Hand, das die ganze Zeit hindurch gedauert hatte.
Die kleine Hedwig war es, welche vom Korridor in den Hof und von da vor das Tor gefolgt war und zitternd seine Hand mit beiden Händen gefasst hielt.
»Ah, Hedwederl, Du bist's? Nun, hab' ich's recht gemacht?« sagte Hilarius.
Hedwig, deren kindliches und von Teilnahme für die arme Frau übervolles Herz dem ganzen Auftritt mit fieberhafter Spannung gefolgt war, brach in Freudentränen aus und rief davoneilend:
»Das muss ich der Ahne sagen! Das muss die Ahne wissen!«