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Zehntes Kapitel.
Liebe um Liebe

Während der Wirt im Klosterhof, von solchen Gedanken erfüllt, im Zimmer auf und ab ging, stand Roland an einem Fenster seines schmucken, einen Hügel bei Thalbrücken krönenden Hauses und sah in einer eigentümlichen Stimmung zum Klosterhof hinüber.

»So weit hat es kommen können«, dachte er, »unser Leben musste verbittert, Haus, Verwandtschaft, Nachbarschaft musste in unwürdige Aufregung versetzt werden – nur damit wir jetzt erkennen, dass uns zur Verhütung alles dessen nichts gefehlt hat als – ein gutes Wort zur rechten Zeit!«

Nach einer Pause fuhr er fort:

»Ist's denn wirklich? Ist's denn wahr? Er – der scharfkantige Meinböck hat sich selbst überwunden und den ersten Schritt zur Versöhnung getan!«

Roland blieb nachdenklich am Fenster stehen und suchte mit den Augen einen rechts von Thalbrücken am Abhang liegenden Friedhof, dessen vergoldete Kreuze in der Abendsonne leuchteten … Dort ruhten seit einem halben Jahre sein junges Weib und seit kaum acht Wochen sein einziges Kind, ein Mädchen vom Alter der kleinen Hedwig.

Der Gedanke an einen solchen Verlust musste Roland umso näher gehen, als er vor Kurzem durch einen wundersamen Umstand gar lebhaft und rührend daran erinnert worden war.

Als sich nämlich vor zwei Tagen die Aufregung in Thalbrücken beruhigt und die Freunde des Freiguts ihre lästigen und alarmierenden Besuche eingestellt hatten, war Roland, des Treibens müde, tief verstimmt, und die Einsamkeit suchend durch Wald und Flur gegangen, und lenkte seine Schritte endlich nach dem Friedhof hin, um die Gräber seiner unvergesslichen Lieben zu besuchen. Er traf die Ruhestätten verlassen und konnte sich seiner Wehmut und Erinnerung ohne Störung hingeben. – Allein wie überrascht war er, wie fühlte er die zarteste Seite seines Herzens berührt, als er, an die Grabkreuze der Frau und des Kindes tretend, beide mit frischen, duftenden Kränzen behangen fand! … Welche fremde Hand hatte aus zarter Aufmerksamkeit die Kränze aufgehangen? Wo sollte Roland eine solche Teilnahme für seine lieben Verewigten suchen, da er die Menschen seit langer Zeit nur von der unliebsamen Seite kennen gelernt hatte? Die Liebe der Parteiung, insbesondere der Parteiung in Prozesssachen, das wusste er zu gut, ist nichts weniger als Liebe, sie ist vielmehr die Mutter der Rachsucht und wilden Empörung.

Aus dieser Parteiliebe war die zarte Aufmerksamkeit für Rolands Verstorbene nicht entstanden. – Woher aber stammte sie? In welcher verborgenen Ecke der Gegend lebte ihm eine so tief anhängliche Seele, eine Liebe für Frau und Kind, die treu blieb bis über das Grab hinaus? … Rolands Andacht war zerstreut, die Begierde, die Freunde der Abgeschiedenen auszufinden, erwachte lebhaft, er begab sich zu Totengräber, der aber ausweichend und verlegen antwortete.

Erst am folgenden Morgen, an welchem Roland abermals auf dem Friedhof erschien und fische Kränze auf den Gräbern seiner Lieben fand – auf dem Grabe des Kindes außerdem ein Zettelchen mit den Worten von Kindeshand: »An Deinem Geburtstag denket Dein H. M.« – nun erst bekannte der Totengräber auf lebhaftes Andringen Rolands: die Kränze seien von den Kindern des Klosterwirts, Monika und Hedwig gespendet, beide hätten gestern und heute auf den Gräbern gebetet! …

Roland hatte den Friedhof wieder verlassen, war nach langer Wanderung zurückgekommen und hatte sich von seinem Erstaunen und von seiner Bewegung noch kaum erholt … Im Klosterhof, wo er den Hass und die Erbitterung aufs Höchste gediehen wähnte – gerade dort hatte die zärtlichste Neigung für seine Lieben im Stillen fortgekeimt und war so gewinnend ans Licht des Tages gedrungen! War dies mit Wissen des Klosterwirts geschehen? Sollte eine tiefere Absicht dabei zu Grunde liegen?

»Genug, genug!« rief Roland endlich tief atmend. »Ob der Klosterwirt davon gewusst hat oder nicht, so viel ist gewiss, er ist einmal ein wahrer Freund gewesen und in seinem Hause, in den Herzen seiner Kinder hat er diese Treue und Liebe ungestört fortgestehen lassen! … Meinböck ist vielleicht trotz der Zwischenträger und Lärmschläger des Treibens und Prozessierens eben so müde als ich – ich will's versuchen, ihn vorsichtig auszuforschen – einen Schritt entgegen zu tun – zuerst ein Opfer der Versöhnung zu bringen – und sehen, ob dies so gut aufgenommen werde, als ich es meine …«

Sofort ließ er den Löwenwirt kommen, sicherte ihm die Unterhaltungskosten für den Prozessgaul zu und bat ihn, einen geheimen Auftrag an den Meinböck zu übernehmen. Der Löwenwirt übernahm den Auftrag – mit welchem Erfolg, haben wir gesehen.


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