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Achtes Kapitel.
Bei der Urahne. Ein Merks für Prozessierer

Die Urgroßmutter hatte gewünscht, den merkwürdigen Gast zu sehen, von dem seit einigen Stunden so lebhaft die Rede ging. »Hedwederl« hatte den Auftrag übernommen, den Wunsch der Urgroßmutter zu überbringen und Hilarius war gern bereit, diesen Wunsch zu erfüllen.

Eben als die Apothekersali dachte: »Blond oder schwarz?« schritt Hilarius, die spielende Uhr in der Tasche und von der kleinen Hedwig begleitet, durch den Korridor, der Türe zu, welche in das lange, schmale Gemach der Urgroßmutter führte. Hilarius drückte die Türe sachte auf, machte an der Schwelle Halt und sagte, sich blind stellend:

»Bitt' gar schön um ein wenig was für einen armen, blinden Mann!«

Die Urgroßmutter, wie in jener Nacht im Armstuhl der Nische sitzend, sah einen Augenblick befremdet darein, lächelte aber dann, den Schelm erratend, und sagte mit vor Alter zitternder Stimme:

»Und was wär' dem armen Blinden das Liebste?«

»Euer Segen, Mütterlein!« erwiderte Hilarius, kam näher und zog an der Nische die kleine Hedwig neben sich nieder.

»Nun ja, Gott geb' euch beiden Glück und Segen, langes Leben und Gesundheit!« sagte die Urgroßmutter und streckte über die Knieenden die weißen, zitternden Hände hin. Hilarius erhob sich und ließ sich dann auf einen Stuhl nieder.

»Ihr müsst wissen, Mütterlein, wie nötig mir Euer Segen ist«, sagte er. »Ich habe meine Mutter nie gesehen und weiß nicht einmal, ob sie noch am Leben ist.«

»Es ist traurig, ohne Mutter leben«, erwiderte die Matrone. »So trauern auch Eltern um ein verlorenes Kind.«

Bei diesen Worten wurde ein Schluchzen hörbar und ein Vorhang schob sich zur Rechten der Matrone bei Seite.

Die arme Frau, deren Kleewagen Hilarius vor zwei Tagen ungesehen fortbewegen half, trat verlegen hervor.

»Komm' nur, komm'«, sagte die Urgroßmutter. »Das ist ein gutes Herrlein, eine Arme darf auch sagen, was ihr Herz beschwert.« Sie wies auf einen Stuhl, und die bewegte Frau ließ sich nieder, während Hilarius deren hageres Gesicht, das einmal sehr schön gewesen sein musste, mit Teilnahme betrachtete.

»Das Herz der Armen«, bemerkte er, »leidet gewöhnlich länger und tiefer, weil ihm die Tröstungen und Zerstreuungen fehlen, die dem Reichen zu Gebote stehen. Ist Euch der Mann, ist Euch ein Kind verunglückt?«

Die Frau fuhr sich über die Augen und zuckte still in sich zusammen. Die Urgroßmutter wollte erklärend das Wort ergreifen, als den Korridor entlang einige Männer in munterer Aufregung sich der Türe näherten und, dieselbe ein wenig öffnend, ersuchten: »Der fremde Herr möge die Güte haben und bei Tisch erscheinen, da ohne ihn niemand recht zugreifen wolle!«

Hilarius stand auf.

»Ich komme«, sagte er zu den sich alsbald zurückziehenden Männern; dann zur Urgroßmutter gewendet, fügte er hinzu: »Lebet wohl und erzählt mir bald mehr von dieser guten Frau!«

Der Letzteren reichte er dann die Hand und sagte mit warmer Betonung:

»Seid heute mein Gast und lasst Euch's wohl bekommen, ich besorge gleich das Nötige!«

Sein ungetrübter Humor war wieder zurückgekehrt, er rief: »Komm', Hedwederl, ohne Dich gehe ich nicht zu Tisch, wo wir heute unser Ehrenjüngferchen haben müssen!« …

Was die Männer von der Festtafel gemeldet hatten, war insofern nicht ganz richtig, als die Gäste der Aufmunterung, sich's behagen zu lassen, nicht bedurften, dagegen war der Wunsch, Hilarius, den Vielgenannten, an der Tafel zu sehen, allgemein.

Hilarius war aufgeräumt genug, die Erwartungen zu erfüllen, welche man auf sein Unterhaltungstalent zu setzen schien. Denn kaum hatte er, die kleine Hedwig zur Seite, auf dem Ehrenplatz sich niedergelassen, als er zum Ergötzen der Gäste eine Begrüßungsrede voll der wirksamsten Anspielungen auf den Anlass des Prozesses begann, an welche sich später die Erzählung nachstehender Prozessgeschichte schloss, die keine geringe Verwirrung anrichtete.

»In Tirol«, begann er, »trieb eines Tages ein Bauer, Namens Grotter, seinen mit Butter und Kässe beladenen Esel von der Alpe herab, als ihm auf dem Wege ein anderer, Namens Boßler, begegnete. Grotter sprach den Letzteren um eine Prise Tabak an, die ihm jedoch mit dem Bemerken verweigert wurde, dass er für ihn keine Prise habe. Grotter fragte hierauf, ob er denn alsdann eine Prise erhalten würde, wenn er für dieselbe seinen Esel mitsamt der darauf befindlichen Ware abgeben würde. Boßler konnte einem so glänzenden Antrage nicht widerstehen, er gab dem Grotter die Prise Tabak und dieser übergab ihm den beladenen Esel. So gingen sie in bester Eintracht, Boßler den beladenen Esel führend, über den Berg herab, bei der Wohnung des Grotter vorbei, bis in das Dorf, wo Boßler ansässig war. Bei seinem Hause angekommen, fragte dieser jetzt: ›Na, Grotter, da nimm Du Deinen Esel wieder, ich sehe die Sachte doch nur für einen Scherz an, da ja eine Prise vom besten Tabak nicht so viel wert sein kann, als Dein Esel samt seiner Ware!‹ Darauf erwiderte Grotter, dass er die Sache natürlich ganz von der nämlichen Seite angesehen habe, aber gerade deshalb auch verlangen müsse, dass Boßler ihm nicht hier, sondern vor seinem Hause, wo sie früher vorbeigegangen, seinen Esel übergebe. Hierüber gerieten beide in Streit, und da keiner den Esel nehmen wollte, begaben sich beide zum Gemeindevorstand, um dort ihre Sache zu schlichten. Der Gemeindevorstand suchte auch einen Ausgleich herbeizuführen; aber es gelang ihm nicht, und Grotter und Boßler verließen mit Zurücklassung des beladenen Esels das Haus. der Gemeindevorstand, in der Meinung, so in seiner Amtspflicht zu handeln, ließ nun den Esel entlasten und Butter und Käse in einem Verkaufsgewölbe unterbringen. Den Esel übergab er dem Gastwirt zur einstweiligen Verpflegung. Nun verklagte Grotter den Boßler und stellte das Begehren, der Letzterer sei für verpflichtet zu erklären, ihm den Esel wieder ins Haus zu stellen und nebenbei alle Kosten zu vergüten. Boßler war weit entfernt, einem solchen Begehren zu entsprechen. Der Prozess begann und dauerte beinahe ein volles Jahr, bis er in erster Instanz nach dem Begehr des Klagenden entschieden wurde. dagegen appellierte Boßler; es wurde dieses Urteil in zweiter Instanz abgeändert und in dritter Instanz nach dieser neuen Fassung bestätigt. Nun wollte Grotter seine Ware abholen und den Esel nach Hause treiben; allein es wurde ihm erklärt, dass die Erlaubnis dazu nicht früher erteilt werden könne, als bis er die Verpflegskosten für seinen Esel bar erlegt haben würde. Dieser Forderung widersetzte sich aber Grotter, indem er sagte, der Wirt möge sich nur von demjenigen bezahlen lassen, der ihm den Esel zur Verpflegung übergeben. Wirklich klagte der Wirt den Gemeindevorstand auf Zahlung der Verpflegskosten, und obgleich dieser einwendete, dass er nicht im Privatwege, sondern nur in seiner Amtstätigkeit ihm den Esel übergeben habe, so wurde er dennoch zur Zahlung verurteilt. Nun aber belangte der Gemeindevorstand den Eigentümer des Esels im Regresswege auf den Ersatz der von ihm an den Wirt bezahlten Verpflegungskosten, und das Gericht entschied wirklich dahin, dass dem Gemeindevorstand von Seiten Grotters die Verpflegungskosten ersetzt werden sollen. Damit endetet der Prozess, welcher in mehr als einer Hinsicht um den Namen eines »Eselsprozesses« sich verdient gemacht hat …«

Die anfängliche Heiterkeit der Zuhörer war nach und nach in sichtliche Verlegenheit übergegangen, indem sich nicht verkennen ließ, dass die Geschichte einige Familienähnlichkeit mit dem Prozess des Klosterhofwirts habe. Einige suchten ihre Verlegenheit hinter ein stumpfes Lächeln zu verbergen; andere sahen vor sich nieder und stachen mit den Gabeln in das Tischtuch; andere wieder richteten forschende Blicke auf den Hauswirt, um ihr Benehmen nach dem Seinigen einzurichten.

Meinböck aber ließ deutlich erkennen, dass er die aus der drastischen Rechthaberei Grotters und Boßlers für ihn entspringende Nutzanwendung ruhig und ohne Bitterkeit hinnahm; ja er nickte zuletzt Beifall und sagte: »Man sollte am Anfang so klug sein, wie man es am Ende ist, dann wär' alles recht.« Dem Erzähler dankte er noch mit einem besonders freundlichen Blicke. Hatte ihm dieser doch seit Kurzem einige namhafte Dienste geleistet, indem er sein schwer verdüstertes Herz erleichtert, das Haus in bessere Stimmung versetzt, das nachbarliche Städtchen, was er mit besonderem Behagen vernommen – in kostbare Aufregung gebracht, und, wenn auch ohne Angebe der näheren Gründe, Aussicht auf Beendigung des Prozesses eröffnet hatte, ohne dass er sich und seinem Recht etwas zu vergeben haben werde.


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