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Achtes Kapitel.
Begrüßungen. Ein Geheimnis

Hatte die Ankunft der Gäste, denen in bunter Reihe nächsten Tages noch andere folgten, das Leben im Klosterhof von Grund aus umgestaltet und jeden einzelnen, von Meinböck und dessen Frau angefangen, lebhaft in Anspruch genommen, so war doch Hilarius derjenige, welcher sich vor allen in die seltsamste Lage versetzt sah und einer ungewöhnlichen Selbstbeherrschung bedurfte, um bei den widerstreitenden Gefühlen, die das Erscheinen der Gäste hervorrief, der Aufgabe eines Präsidenten-Stellvertreters zu entsprechen.

Selbstverständlich war nach der Einquartierung und kürtesten Erholung der Festgäste die erste Frage derselben nach dem Präsidenten von Altringer, welchen aufzusuchen (mit Ausnahme des Kapuzinermönchs ) ein jeder sich beeilte.

Dass man statt des Studiengenossen einen Sohn desselben fand, überraschte anfangs, allein der Takt und die liebenswürdige Gewandtheit des jungen Mannes wussten sich ehrenvoll geltend zu machen.

Der zuerst angekommene Gast, Oberschulrat Wahrberg, war auch der erste, welcher sich zur Anmeldung einfand.

Hilarius wurde bei dem Eintritt desselben lebhaft an den Fabeldichter Gellert erinnert; die schmächtige Gestalt, das hagere, kränkliche Gesicht, selbst der näselnde Ton der Aussprache stimmte zu den bekannten Schilderungen.

Aus der von beiden Seiten mit Interesse geführten Unterhaltung erkannte Hilarius alsbald den von den reinsten Grundsätzen erfüllten Schulmann der Neuzeit, welcher mit einer seine Gesundheit geradezu bedrohlichen Energie den unter großen Kämpfen errungenen Schulgesetzen Geltung zu verschaffen, durch sorgfältige Heranbildung von Lehrkräften die sittliche Armee zur Bekämpfung der von so vielen einflussreichen Kräften unterstützten und beförderten Volksversammlung auszurüsten bestrebt war und von der vernünftigen Schule und Erziehung vor allem das Heil der Menschheit erwartete. Es war erquickend, zu sehen, wie durch die streng praktische Richtung des Schulmanns ein Hauch der Idealität ging, die das Auge und Angesicht desselben in Folge des Gespräches sacht verklärte.

Hilarius war entzückt. Der erste Gast entsprach seinen hohen Erwartungen, und nicht ohne stillen Triumph dachte er an den Staatsanwalt, der seine Hoffnungen so sehr herab gestimmt hatte. »Denke Du immerhin gering von den Menschen«, rief er, »ich bleibe fest dabei, dass der morgige Tag die Edelsten und Besten hier versammeln werde!«

Er zögerte nicht, dem Oberschulrat seinen Gegenbesuch zu machen, wobei er auch die Töchter desselben zum ersten Male sah und begrüßte. Er fand die Letzteren bereits in würdigster Weise mit Zeichnen und Lesen beschäftigt. Die eine hatte eben den Kopf auf die Hand gestützt und prüfte sinnend eine halb vollendete Zeichnung. Auf seine Begrüßung hin erhob sie leicht das Haupt und blickte mit den dunklen, schwermütigen Augen nach dem Gaste, dann stand sie auf und dankte ruhig und mit dem edelsten Anstand.

Die blonde Schwester, welche am Fenster in einem altertümlichen Lehnstuhle saß, war in die Lektüre eines alten Klassikers – Vergils – vertieft und überhörte Hilarius' Begrüßung; erst als der Oberschulrat hinzutrat und sie aufmerksam machte, erhob sie sich, dankte und sah, die Lockenfülle ein wenig aus der blendend weißen Stirne streichend, mit ernst-sinnendem blauem Auge nach dem jungen Fremden.

Hilarius verstummte einen Augenblick. Die schönste Tugenden der Weiblichkeit schienen Gestalt angenommen zu haben und den edlen Schulmann als Schutzgöttinnen der Erziehung zu begleiten. Der Aufforderung, sich niederzulassen, folgte Hilarius mechanisch und fand sich erst wieder, als der Oberschulrat den Töchtern die Mission erklärt hatte, welche Hilarius nach dem Klosterhofe geführt.

»Ich würde mich«, bemerkte dieser, »bei Übernahme meiner Mission in großer Verlegenheit befinden, würde nicht derselbe Jugendenthusiasmus mich beseelen, welcher seiner Zeit die Gelobung so vieler ausgezeichneter Freunde hervorrief: sich nach fünfundzwanzig Jahren hier wieder zu sehen. Durch die leider eingetretene Verhinderung meines Vaters erscheine ich gleichsam als wiederauferstandene Jungend der Freunde mit deren Idealen im Herzen!«

»Ein guter Gedanke, den ich Ihrer Eröffnungsrede zu Grunde zu legen bitte!« sagte der Oberschulrat lächelnd, während Hilarius leicht errötete und aus den Mienen und Blicken der schönen Schwestern eine unverkennbare Teilnahme aufleuchtete.

Nach einer kurzen Fortsetzung des Gespräches, an welchem sich auch die Schwestern in ebenso bescheidener als wohlgebildeter Weise beteiligten, empfahl sich Hilarius und hätte nur gewünscht, längere Zeit allein bleiben zu können, um über den tiefen, sein Gemüt mächtig bewegenden Eindruck, den die Schönheit der Schwestern auf ihn gemacht, mit sich zu Rate gehen zu können; allein er hatte sein Zimmer noch kaum betreten, als bereits ein anderer Gast seine Ankunft zu melden kam.

Es war der Hochgewachsene im langen, braunen Rock mit dem ernsten, hageren Gesicht, welchen die Diener mit besonderem Bedacht in einem Zimmer neben den schönen Schwestern einquartiert hatten.

Er stellte sich Hilarius in ruhiger, fast militärischer Haltung als einer der Gelobenden vor, der, wie er ironisch bemerkte, seit fünfundzwanzig Jahren es bereits zum Untersuchungsrichter gebracht habe.

Es lag eine tragische Lebensgeschichte in den wenigen Worten, die aber nicht aufdringlich, sondern nebenbei mit resigniertem Lächeln erwähnt sein sollte.

Der Vorgestellte – Lohnhagen mit Namen – erkundigte sich mit Teilnahme nach Hilarius' Vater, bedauerte dessen Abwesenheit und Leiden, sprach seine Hoffnung aus, während seiner Anwesenheit den stellvertretenden Sohn noch näher kennen zu lernen, brach dann die Unterhaltung ab und ging.

Hilarius vermutete in dem Scheidenden einen jener Schwergeprüften, welche in wichtigen Ämtern bei den schwierigsten Arbeiten ausgenützt und bei allen Beförderungen konsequent übergangen werden. Er erregte Hilarius' Interesse, zumal unter den dichten, gewöhnlich zusammengezogenen Brauen einige Male ein paar seelenvolle Augen flüchtig zum Vorschein kamen.

Hilarius beeilte sich, dem Untersuchungsrichter seinen Gegenbesuch zu machen, traf ihn aber nicht auf seinem Zimmer, da er eben den Oberschulrat, seinen Studiengenossen, zur Begrüßung aufgesucht hatte. Erst als Hilarius seinen Besuch wiederholte, traf er denselben; er war jedoch in einer Verfassung, die vermuten ließ, dass ihm zur Stunde das Erwünschteste wäre, allein bleiben zu können. Denn der Untersuchungsrichter ging mit großen Schritten auf und nieder und aus seinen tiefernsten Zügen sprach eine lebhafte Bewegung.

Hilarius war im Begriff, sich in der Stille wieder zu entfernen, als er an der Hand gefasst und zum Sitzen genötigt wurde.

Der Untersuchungsrichter ließ sich neben ihm nieder und sagte nach einer Pause:

»Sie haben den Oberschulrat bereits gesehen und gesprochen …?«

Hilarius bejahte es.

»Auch seine schönen Töchter?«

Hilarius bejahte auch dies, nicht ohne zu erröten.

Der Untersuchungsrichter schwieg einen Augenblick, dann hoben sich seine dichten Brauen, und die seelenvollen, blauen Augen ruhten wehmütig auf Hilarius.

»Ein trefflicher Mann, unser Oberschulrat«, fuhr er fort, »ein Musterschulmann unserer Zeit – und Vater solcher Töchter!«

Hilarius konnte nicht umhin, mit lebhaften Worten in die vermeinte Lobpreisung einzustimmen.

Der Untersuchungsrichter blickte weg, schwieg abermals, legte dann die Hand auf Hilarius' Arm und sagte nach einer Pause:

»Die Liebe zu Ihrem Vater – das Interesse und Vertrauen, welches Sie mir einflößen, junger Freund, bestimmen mich, Ihnen eine schwerwiegende Mitteilung zu machen …«

Hilarius blickte verwundert auf.

»Es geschieht«, fuhr jener fort, »Sie rechtzeitig und wohlmeinend zu warnen – bevor Ihr Herz vielleicht versucht wird, für eine oder die andere der schönen Schwestern wärmer zu schlagen …«

»Wie?« rief Hilarius verlegen und betroffen.

Der Untersuchungsrichter schien einen Augenblick mit sich selbst zu kämpfen, dann schoben sich seine Brauen dicht zusammen und verbargen den Ausdruck der Augen; mit nicht ganz beherrschter Stimme sagte er dann:


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