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Viertes Kapitel.
Das Vorspiel

Ein Mädchen trat herein, es brachte dem Gaste das Frühstück.

Dem Mädchen fehlte der Familienzug des sonderbaren Hauses nicht; verdrießlich stellte es das Frühstück auf den Tisch, sagte weder einen Gruß noch guten Morgen und entfernte sich ebenso verdrießlich wieder.

»Auch diese hat ihr Kreuz in diesem Hause und trägt es mit Verdruss«, dachte Hilarius lächelnd. »Es scheint auf das hinauszulaufen, was der Grimmbart gestern Abend sagte: ›wie der Herr, so die Frau, so die Magd, so der Diener.‹«

Er ließ sich an dem Tische nieder, um das Frühstück einzunehmen, als die Türe aufging und der eben zitierte Pförtner mit den gereinigten Kleidern eintrat.

»Ei, ei«, grüßte ihn Hilarius in der besten Stimmung. »Wohl geruht, Herr Sauerampfer? Hat Er einen Augenblick Zeit, mir Red' und Antwort zu geben?«

Der Bursch lachte: »Warum nicht? Haben wir ja wieder einmal einen ganzen Gast im Haus!«

»So, ist die Einkehr spärlich in diesem so wohlgelegenen Haus? Warum? Sei auch einmal redselig, knorrige Bitterwurzel!«

»Das ist eine Geschicht' bis in die Türkei hinein, alle Ritt ein Knoten, den niemand lösen kann«, sagte der Bursch, indem er den Plaid vom Boden aufhob und die Stiefel, die er ins Bett gestellt hatte, unter den Stuhl schob.

»Ein gutes Wort und Handgeld hat schon manchem das Erzählen erleichtert; an beiden soll's nicht fehlen, selbst eine Zigarre soll beim Handel dreingegeben werden – also, Sauerampfer, Bitterwurzel?«

»Bitt' um meines Vaters ehrlichen Namen …«

»Wie hat der Vater geheißen?«

»Heißt noch, wenn Sie erlauben …«

»Er lebt also noch?«

»Und hat sein Sach' auf einen Fuß gestellt!«

»Soldat gewesen und verstümmelt worden? Wo?«

Der Bursch nannte denselben Schlachtort, den der Invalide gestern genannt.

»O, dann hab' ich die Ehre, ihn zu kennen. Er lebt in Hallbach, nicht wahr?«

Der Bursche nickte.

»Nun, er hat für eine ehrenvolle Sache gekämpft – trägt das Verdienstkreuz auf der Brust …«

»Ei, ja! – aber was Ehre und Verdienst!« stieß der Bursch hervor. »Wie's beim Militär eben geht. Es fällt ein Krieg aus den Wolken; es wird einberufen, es wird ausmarschiert – es wird Stellung genommen – plötzlich krach, bum! Hinüber und herüber! Warum? Darum. Es ist zu Ende; man denkt an Weib und Kind – und hat das liebe Nachsehen, wo Hand und Fuß geblieben!«

»Nicht übel geschildert! … Doch stellt Dein Vater mit einem Fuß noch mehr vor als viele andere mit allen gesunden Gliedern; ihr ganzes Leben hat weder Hand noch Fuß!«

»Nicht wahr?« sagte der Bursch mit leuchtenden Augen.

»Ganz gewiss … Und nun an das Geheimnis dieses grauen Hauses – Du darfst mir wohl vertrauen!«

Der Bursche schien geneigt, das Gebresten des Hauses bekannt zu geben, als ein Gesamtschrei von Frauenstimmen im inneren Hofraum erscholl und im ganzen Hause eine lebhafte Bewegung hervorrief. Sofort war die bessere Stimmung des Burschen wieder dahin, dir ruppige Außenseite trat in ihr Recht zurück und ohne viele Umstände, einige unverständliche Worte brummend, war der Geselle zur Türe hinaus und verschwunden …

»Immer schöner!« dachte Hilarius und stand auf. »Ich muss noch neugieriger gemacht werden, als ich bin.«

Er trat an das Fenster, welches nach dem Hofraum sehen ließ, und wurde durch den Anblick, der sich ihm bot, höchlich überrascht.

Seinem Fenster gegenüber öffnete sich eben ein Scheunentor, und einige Knechte, mit Dreschflegeln und Heugabeln bewaffnet, traten heraus. Gleichzeitig ging links im Hofe eine kleine Türe des ersten Stockes auf, und drei Müllerburschen, mit Knitteln in den Händen, stiegen eine Leiter herab. Im Hofraume blieben sämtliche Gestalten, Befehl erwartend, stehen, während vom Torgang her der Hausknecht, ein Kellner und zwei Stalljungen zu den Bewaffneten stießen und neben dem Küchenfenster Stellung nahmen.

Solche Kampfbereitschaft musste allerdings die Frauennerven stark angreifen. Doch beschränkten sich die weiblichen Bewohner nicht auf Angst- und Wehrufe, sie mischten sich als Parlamentäre lebhaft in die Unterhandlung, welche eben am Eingang in den Klosterhof begann. Höfliche, freundschaftlich mahnende Männerstimmen wechselten mit heftigen, rücksichtslos befehlenden. Endlich kam die parlamentierende Versammlung unter dem Torgang hervor und trat in den Hofraum.

Voran erschien ein großer, hagerer, vor der Zeit ergrauter Mann in hellblauem Rock. Er trat kurz und straff auf und wendete unablässig den unbedeckten Kopf rechts und links, während die ihm folgenden Männer, zumeist Bauern mit wuchtigen Knitteln, mäßigend zusprachen. An seiner rechten Schulter lehnte der Kopf eines schönen, kräftig gebauten Mädchens, das den Arm des Mannes ängstlich bittend umfasste; das blühende runde Gesicht nahm sich in der Umrahmung der schwarzseidenen Kopftuches wundersam aus; auf die linke Schulter des Mannes legte eine stämmige Frau von einnehmendem, aber schmerzhaft bleichem Gesicht ihre Hand, als wolle sie den ergrimmten Mann von einem folgenschweren Schritt abhalten.

Der Letztere machte jetzt Halt, und indem er die Hand der Frau und den Kopf des Mädchens sachte von seinen Schultern schob, sagte er:

»Lasst sie kommen! Lasst sie drohen! Mögen sie das Tier vor dem Hause paradieren lassen! Das Tor bleibt offen; jedem steht es frei, zu kommen – weh' aber, wer unberufen durch mein Tor tritt – verloren ist er! Verloren, sag' ich! Der Tod steht darauf, der Tod!«

Wütend starrten seine Blicke nach dem Tore, vor welchem sich näher und näher ein dumpfes Johlen hören ließ, das mächtig anwuchs und vor dem Hause sich festzusetzen schien.

In höchster Erwartung, in Sorge und Bestürzung, gruppierte sich alles, auch die Bewaffneten, um den empörten Mann – bis sich plötzlich das Hohngeschrei, ebenso unerwartet als die Gefahr ableitend, vom Hause zu entfernen begann und in der Ferne endlich ganz verlor …

Heftig drückten sich die Frauen jetzt wieder an den Mann; sie weinten. Die Umgebung trat respektvoll zur Seite und besprach sich untereinander; die Knechte zogen sich langsam durch die Zugänge zurück, durch welche sie gekommen waren. Der Hofbesitzer aber ließ, wahrscheinlich in Folge plötzlicher Abspannung, den Kopf allmälig sinken. Er schlang den rechten Arm um den Hals der weinenden Frau, legte die linke Hand sänftiglich auf den Kopf des Mädchens und sagte halblaut mit umflorter Stimme:

»Kommt – kommt; es sollte sich nicht erfüllen!«

Damit schritt er langsam nach dem Hause und verschwand unter dem Torbogen.


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