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Zweites Kapitel.
Die Einkehr

Der Wirt zum »blauen Träubel« hatte richtig prophezeit, als er sagte: »Herrlein, es wird Regen geben«; auch die Wirtin hatte, wie sich zeigte, wohlmeinend gewarnt: »Die Nacht wird da sein, eh' man's denkt!« Ein fürchterliches Ungewitter war losgebrochen, der Regen fiel in Strömen und da nach Cillis Ansicht »die Nacht auch finster war«, so konnte es kaum anders kommen, als dass Hilarius vom rechten Weg abirrte.

An letzterer Warnung dachte unser Wanderer lächelnd, als er gegen elf Uhr nachts, in seinem Plaid gehüllt, vom Regen triefend und von Sturm und Donner umbrüllt, wieder auf gebahnte Wege kam und endlich vor einem seltsam düstern, einsam stehenden Hause stille hielt.

Licht in einem turmartigen Vorbau war der Wegweiser gewesen und nun galt es, so rasch als möglich unter Dach zu kommen.

Hilarius tastete rechts und links am Tore, er fand keinen Glockenzug; er schlug mit dem Knopf des Stockes an das eisenbeschlagene Eichentor und hüllte sich tiefer in den Plaid, in vorgebeugter Haltung denkend:

»Ich kann wohl auch mit Lears Narren sagen: ›Hofweihwasser in deinem trockenen Hause ist besser, als dies Regenwasser draußen‹.«

So viel das Rollen des Donners und das Tosen des Sturmes erkennen ließen, hatte das erste Pochen keinerlei Erfolg. Hilarius pochte ein zweites und drittes Mal und glaubte endlich Schritte zu hören, die in der Torwölbung wiederhallten. Mürrisch fuhr jetzt ein Schlüssel an das Schloss, und da er die richtige Stelle nicht gleich fand, wetterte eine schlaftrunkene Stimme:

»Wer ist draußen?«

»Einer, der auch lieber im Trockenen fragen, als hier außen antworten möchte!« sagte Hilarius.

»Das ist mir ein zu langer Name«, bemerkte der Pförtner, mit dem Schlüssel ein Kreuz ans Tor zeichnend. »Kürzer! Christlich antworten! Wer ist man? Wie heißt man?«

»Du sollst's schriftlich haben – jetzt aber aufmachen und einlassen!« rief Hilarius ungeduldig und heftiger pochend.

»Wenn Er mir so kommt, da muss ich erst Licht holen«, sagte der Pförtner gelassen, und ohne sich um die Lage des Wanderers zu kümmern, schlapfte er in das Haus zurück, zündete eine Laterne an, erschien wieder am Tor, schloss auf und leuchtete durch das nur halb geöffnete Tor.

»Na«, sagte er, »da wär' nun offen; sind wir's oder sind wir's nicht? Und wer sind wir?«

»Himmel, das ist ja ein Gasthaus!« rief Hilarius, im Lichtschein einen Schild über dem Tore gewahrend.

»Was soll's denn sonst sein?« brummte der Pförtner – eigentlich Hausknecht – der sich in Pelzmütze und Mantel eingefunden hatte.

»Herrlich! Da hab' ich ja ein Recht, einzutreten! – Hinweg da!« rief Hilarius, drückte den Torflügel weiter auf und schob den Hausknecht bei Seite. Hierauf warf er diesem, ohne viel zu fragen, den nassen Plaid über den Arm, hing ihm sein Ränzlein um die Schulter, gab ihm den Stock in die Hand und sagte:

»So! Voran auf mein Zimmer! Es sei fein, groß und luftig, mit schöner Aussicht! … Nun, was steht Er da, als müss' Er sich selbst mit der Laterne suchen? – Voran!«

Der Angeredete ließ sich, starr vor Erstaunen, alles gefallen, drehte den Schlüssel im Schloss des vom Sturm zugeworfenen Tores herum und wackelte dann vor dem Gaste her einer breiten, steinernen Treppe zu, die nach einem unheimlichen Korridor im ersten Stockwerke führte.

»Wie heißt das Gasthaus?« fragte Hilarius nach einer Weile.

»Ganz wie's auf dem Schild geschrieben steht«, knurrte der Führer.

»Das hätt' ich wohl in der finstern Nacht lesen sollen?«

»Kaum bei Tag, wenn man nicht weiß, was vor fünfundzwanzig Jahren drauf geschrieben stand!«

Hilarius, der an dem jungen Grimmbart Gefallen fand, wollte eben seine Replik an Mann bringen, als er neben der Treppe in ein schwach beleuchtetes Schankzimmer blickte, in welchem zwei wild aussehende Burschen im Nachtkostüm sich tüchtig zausten.

»Was sind das für Rangen?« fragte Hilarius. »In diesem Hause scheint es seltsame Kostgänger zu geben?«

»Wie der Herr, so die Frau, so die Tochter, so die Magd, so die Diener«, stieß der Knecht wie aus einem Blähhals hervor.

»Wie? Die ganze Litanei ist einander gleich?«

»Gleich wie ein Sauertopf dem andern.«

Hilarius wollte lachend eine Bemerkung machen, als ihn das bitterliche Weinen einer Frauenstimme aufmerksam machte und gleich darauf ein wunderbarer Anblick mächtig fesselte …

Durch eine halboffene Tür sah er in ein langes, schmales, durch ein Lämpchen beleuchtetes Zimmer, das in eine Nische auslief, in welcher ein umfangreicher und mit weißen Bettstücken belegter Schlaflehnstuhl stand. In dem Lehnstuhle saß aufrecht und ganz in schneeweißes Linnen gekleidet, eine hochbetagte, hagere Frauengestalt, unbeweglich, eine weiße, helmartige Haube auf dem Kopf, die Augen etwas emporgerichtet, die Hände gefaltet. Es war nicht leicht zu bestimmen, ob die Erscheinung lebe oder von Marmor sei. Auch Hilarius blieb eine Weile ungewiss, bis eine zweite Gestalt, ein Mädchen in der Tracht des Salzkammerguts, zu Füßen der geisterhaften Gestalt sich regte, den in beide Hände gelegten Kopf erhob, einige Augenblicke empor sah und dann leise sagte:

»Euer Gebet hat mich gestärkt, ich tue, wie Ihr sagt.«

Nun senkten sich die hageren, weißen Hände der Matrone auf den Kopf des kräftig schönen Mädchens, und die Lippen derselben bewegten sich wie zum stillen Segen …

Hilarius, der sich von seiner Überraschung erholt hatte und die feierliche Szene zu stören fürchtete, sah sich nach seinem Hausknecht um, der aber nicht mehr zu sehen war. Er hatte, wie bei flüchtiger Umschau entdeckt wurde, Plaid, Ränzlein und Stock in einiger Entfernung einfach vor eine Türe gelegt und war seiner Wege gegangen.

»Nicht übel! Der Bursch ist ein vielversprechendes Produkt moderner Grundsätze, nach denen Macht vor Recht geht … Wo finde ich aber mein Recht und mein Zimmer?« dachte Hilarius bald ärgerlich und doch unterhalten von dem kurz angebundenen Ingrimm des Burschen.

Indem er neben seine herumliegenden Sachen trat, gewahrte er trotz der Dunkelheit eine angelweit offene Tür, stellte sich auf deren Schwelle und sagte:

»Das ist am Ende wohl der Eingang in meine Höhle? Lass sehen!«

Er zog ein Feuerzeug hervor, machte Licht – und sah ein ungeheuerlich, altertümliches Zimmer, dessen vordere Fenster, wie die Blitze gewahren ließen, ins Freie zeigten, während die rückwärtigen in einen weitläufigen, von Gebäuden und Mauern eingeschlossenen Wirtschaftshof sehen ließen.

»Wenigsten ist Platz da«, dachte Hilarius wohlgemut, zündete einen auf dem Tisch befindlichen Wachsstock an, brachte seine Reisetasche an entsprechende Stellen, musterte das überraschend gute Bett und dachte, eine Zigarre hervorholend:

»An ein Abendessen ist unter so bewandten Umständen nicht zu denken; rauchen wir denn unser Kraut des Trostes und machen uns morgen näher bekannt mit der, wie es scheint, sehr verkrümmten Welt dieses Hauses!«

Er warf sich in einen alten, geschnitzten Lehnstuhl und rauchte, eine Weile nachsinnend und mit großem Behagen; dann griff er mechanisch nach einem großen Buch auf dem Tische, schlug es auf – und war nicht wenig erstaunt und erfreut.

Es war das Fremdenbuch und enthielt den Namen des Gasthofs, den er beim Eintritt nicht erfahren konnte.

»Wie!« rief er aus, »so wär' ich trotz Regen, Sturm und nächtlicher Irrfahrt an mein eigentliches Ziel angelangt? … Ja, der Klosterhof – so heißt das Pilgerhaus – in dem sie sich finden werden, alle die Berufenen und Auserwählten! … Willkommen, geheimnisvolle Stätte, in welcher sich bald viel Leben und Schicksale bewundernswert enthüllen werden! …«

Ein Geräusch lenkte ihn von seinem Gedanken ab – er eilte an die offene Tür und erblickte beim Aufleuchten eines Blitzes im Korridor eine hoch gewachsene Gestalt, die in silberschimmerndem, langem Gewande mit weit ausgreifenden Schritten dahinging und sich im Dunkel verlor – ein langgedehntes Seufzen war wiederholt vernehmbar …

»Vielleicht der Geist eines Abgeschiedenen, der auch am hohen Festtage nicht fehlen will«, dachte Hilarius lächelnd und in das Zimmer zurückkehrend: »Wer es auch sei und was er bringe – willkommen! Willkommen!«


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