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Neuntes Kapitel.
Die schönen Schwestern

»Sie werden sich des Aufsehens erinnern, welches gelegentlich des letzten Maskenballes ein geheimnisvolles Ereignis erregte und die Bevölkerung der Hauptstadt in fieberhafte Bewegung versetzte … Gegen elf Uhr nachts im lebhaftesten Gedränge der Auffahrt, während das bunteste Treiben in den Einlasshallen herrschte, war ein Wagen am Ballhause vorgefahren, aus welchem zwei weibliche Masken in Libellenkostüm stiegen, sich mit fliegender Hast durch die Zuschauer drängten, die blumengeschmückte Treppe in Verwirrung hinaufeilten und – in der Garderobe nur flüchtig bemerkt – unter den Klängen der Musik im Gewoge der überfüllten Säle sich verloren … Sie waren so rasch gekommen als wieder verschwunden; in dem Wagen aber, den die Masken verlassen hatten, war die frisch blutende Leiche eines jungen Mannes aus gutem und vielgenannten Hause gefunden worden … Vergeblich war das sofortige Aufgebot des öffentlichen und geheimen Sicherheitspersonals, die Spur der Verschwundenen aufzufinden; vergeblich waren auch die weiteren Recherchen während der folgenden Tage, Wochen und Monate; bis endlich, durch zufällige Umstände gefördert, in jüngster Zeit schwerwiegende Indizien auftauchten, die leider gegen Personen Verdacht erweckten, welche ihres tadellosen Lebenswandels halber bisher die Achtung, ja Verehrung ihrer Umgebung genossen … Die ›Schwestern Wahrberg‹ hatten in jener Nacht in den bezeichneten Kostümen den Maskenball besucht; die Masken hatten auf ihrer Flucht durch die Garderobe die durch plötzliches Unwohlsein einer Garderobière verursachte Verwirrung benützt, um zwei eben abgelegte blaue Dominos umzuwerfen und der Entdeckung sich zu entziehen; die Dominos sind in der Domhofgasse gefunden worden, nicht weit von dem Hause, so die Schwestern in jener Nacht, offenbar des Maskenballs wegen, bei einer seitdem verstorbenen Tante übernachtet haben; und – um die blutige Tat in tiefere Rätsel einzuspinnen – ist durch untrügliche Aussagen jetzt konstatiert, dass eine der Schwestern mit dem jungen Manne, der im Wagen ermordet gefunden wurde, zur Zeit des Maskenballes ein sorgsam gehütetes Verhältnis unterhalten hat … Diese und andere Indizien, mehr oder wenige schwerwiegend«, fuhr der Untersuchungsrichter fort, »wurden erst in jüngster Zeit gesammelt, und ich erhielt an dem Tage den Auftrag, die Untersuchung zu führen, als der von allem nicht das Geringste ahnende Oberschulrat mit seinen Töchtern die Reise hierher antrat. Der Reise wurde kein Hindernis in den Weg gelegt – allein ich bin hierher gefolgt – nicht bloß um nach fünfundzwanzig Jahren meine Studiengenossen wieder zu begrüßen, sonder auch im Amtsauftrage: die Verdächtigen nicht mehr aus den Augen zu lassen und sie binnen drei Tagen – ohne Aufsehen – als Gefangen in die Hauptstadt zurückzubringen …«


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