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Es war ein Jahr her, als der Besitzer des Klosterhofes – Meinböck mit Namen – auf dem Markt zu Alt-Breisheim ein Reitpferd kaufte, einen Falben, der etwas hitziger Natur war und einen kecken und geübten Reiter erforderte. Das eben machte das Tier dem Käufer wert und, einesteils um seine Reiterkunst zu zeigen, andernteils um das wohlgebaute Tier vor den Gästen des »goldenen Löwen« Parade machen zu lassen, ritt es Meinböck vor den Fenstern desselben auf und ab. Da regte sich in dem Besitzer eines Freiguts, Namens Roland, das besondere Verlangen, das Tier auch zu reiten, und er gab von dem Fenster aus, an dem er stand, dem Nachbarn seinen Wunsch zu erkennen, wurde aber rundweg abgewiesen. »Lassen wir's«, sagte Meinböck. »Ich will zwar glauben, Ihr seid auch ein Reiter, allein das Tier hat seinen Meister gefunden, so was kommt einmal und nicht wieder!« Vergebens wiederholte Roland seinen Wunsch mit einer Wette; Meinböck schüttelte den Kopf, stieg ab und führte den Falben eigenhändig in den Stall, trat dann stolz in die Schenke und ließ sich's hinter seinem Glase wohl behagen. Jedoch nicht lange. Er wurde aufmerksam gemacht, wie sein Tier, von einem andern Reiter bestiegen, draußen gar munter hin und wider trabe! Roland hatte der Versuchung nicht widerstehen können, hatte angeblich im Einvernehmen mit dem Besitzer, das Tier eigenhändig aus dem Stall geführt, bestiegen, und schwenkte nun, zum eigenen und zum Ergötzen der Gäste, draußen auf und ab. Wer indessen keinen Scherz verstand, war Meinböck. Wütend fuhr er vom Tisch empor, mit dem Kopf zum Fenster hinaus und, wie eine Illuminierlampe glühend, rief er: »Nun, Herr Nachbar, da seh' ich wohl, Ihr könnt das Tier auch reiten; nun, so mögt Ihr's auch behalten – um den Preis, den es gekostet hat, um dreihundert Gulden!« Roland meinte den Ingrimm Meinböcks so ernst nicht nehmen zu sollen, lachte, stieg ab, führte das Pferd in den Stall und kam in die Schenke, um den Nachbarn zu versöhnen. Aber ganz umsonst. Des Wirtes Ingrimm flammte nur heftiger auf, er forderte die Summe, die das Pferd gekostet, und da sich Roland weder bewogen fand, das Geld zu zahlen, noch das Tier zu behalten, so kam es zum Prozess. Während der arme Falbe beim Löwen zurückgelassen und auf Kosten desjenigen erhalten wurde, der den Prozess verlieren würde, legten die Advokaten ihre Angriffs- und Verteidigungswaffen zurecht, fielen mit ihren Repliken und Dupliken gegen einander aus und schienen für die Sache Feuer und Flamme; heimlich aber dachte jeder: »Meinböck und Roland sind wohlhabende Herren, sie können Haare lassen – her damit!« Und so ging's an ein erkleckliches Schröpfen der beiderseitigen Kassen, es regnete Expensen. Das war jedoch das Schlimmste nicht. Da Meinböck und Roland angesehene Nachbarn waren, Familie, Verwandte, Dienstleute und Wohldiener hatten, so bildeten sich in Thalbrücken, dem Städtchen zwischen dem Klosterhof und dem Freigut, zwei Parteien, die keine Gelegenheit vorübergehen ließen, sich zu necken, zu ärgern und zu schädigen. Haus und Straße, Schenke und Schule erlebten die ärgerlichsten Auftritte, und die Partei, welche heute die Lacher auf ihrer Seite hatte, durfte gewiss sein, nächstens um den Spott für sich nicht sorgen zu dürfen … Anfangs ließen sich's die Prozessierer viel Geld kosten, den Anhang in Schwung zu erhalten und dem Gegner das Leben sauer zu machen; als aber zu den Auslagen noch große Verdrießlichkeiten und polizeiliche Vorladungen kamen, die wieder Schmerzensgelder forderten, gedachten sich Meinböck und Roland von dieser Agitation ganz loszusagen und nur den Prozess gesetzlich fortzuführen. Aber sie gewahrten erst jetzt, wie schwer es sei, dem von ihnen selbst hervorgerufenen Unheil wieder Halt zu gebieten; die einmal begünstigten Wirrwarr-Macher trieben es nun auf eigene Faust nur noch ärger … Und so ging endlich ein lärm- und peinvolles Jahr zu Ende, ohne dass das Endurteil spruchreif war und der nachbarliche Friede auch nur teilweise angehofft werden durfte … Dem Wirt zum »goldenen Löwen«, der den Prozessgaul in Pflege hatte, war schon lange nicht mehr wohl bei der Sache, er wurde um die aufgelaufenen Kosten bange und wollte endlich den Prozessgaul nicht länger unter dem Dache haben, ohne bezahlt zu sein. Da indessen von einer Vergütung noch lange die Rede nicht sein konnte, so machte wenigstens er kurzen Prozess, führte das zum Geripp abgemagerte Pferd bei Regen und Wind auf die Straße, wo es, da sonst niemand Lust hatte, es in Pflege zu nehmen, eine ganze lange Nacht, ohne Freund und Futter, misshandelt von Regenströmen und Sturm, im Freien stand und schaudernd nachzudenken schien über die eigene Verlassenheit und über die Torheit der Menschen … Das war in der vergangenen Nacht geschehen, so Hilarius, vor den Belästigungen des Unwetters flüchtend, im Klosterhof, seinem eigentlichen Reiseziele, Unterkunft suchte und fand. Der nächste Morgen machte ihn dann zum Zeugen eines der bedenklichsten Auftritte während des ganzen peinvollen Prozesses. Auf den Rat der Advokaten war der Beschluss gefasst worden, das Pferd dem – Abdecker auszuliefern, um doch wenigstens weitere Auslagen für das Streitobjekt zu ersparen. Hiervon hatte das Volk Wind bekommen, und als am Morgen der Abdecker erschien, um sein bedauernswertes Opfer abzuholen, war auch bereits eine heulende Menge beider Parteien da, welche das Tier mit bunten Lappen behängte und darauf bestand, dass dasselbe in diesem Aufputz den Prozessierern noch einmal vor Augen geführt werde. Nur den äußersten Bemühungen einiger Vernünftiger war es gelungen, die Bande von dem Vorhaben abzubringen, das Tier in den inneren Räumen des Klosterhofes und Freiguts herumuführen.
Das war ein Glück. Denn die Anstalten, die im Klosterhof getroffen waren, ließen einen blutigen Zusammenstoß befürchten – und wie man später erfuhr, hatte auch Roland, der Besitzer des Freiguts, seine Verteidigungs- und Abwehranstalten nicht weniger entschlossen getroffen; denn ihm wie Meinböck war von den Unfriedenstiftern eingeredet worden, der Gegner sei es selbst, welcher den Aufzug mit dem Tier veranstalten und seinem Hause zugedacht habe …