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»Die Cousine Torna ist eine Heilige,« hatte Frau von Rudowitz gerufen, als Helene, die das Familienjoch abschütteln wollte, die Absicht kundtat, bei dieser Verwandten zu leben, und Helene hatte schonungslos geantwortet, daß »das wenigstens mal eine Abwechslung wäre«.
Baronin Valerie, so wohltätig und fromm sie war, erhob keinen Anspruch auf Heiligkeit. Sie bemühte sich nur, das Los der Bauernfrauen zu verbessern, sie zu erziehen, ohne es jedoch wie jene adlige Dame aus der Umgegend von Tatra-Füred zu machen, die ihre Bäuerinnen windelweich schlug, um ihnen Geschmack an der Reinlichkeit beizubringen. Trotzdem muß das System gut gewesen sein, da die Frauen dieser Gegend heute noch als Muster von Sauberkeit berühmt sind.
Frau von Torna besuchte die Bauernhäuser, gab den saubersten Hausfrauen Prämien und Belohnungen. Ihr Grundsatz war, daß man mit dem Volk verkehren, sein Leben kennen, es liebhaben müsse. Sie sagte, Geld wirke weit weniger als Beispiel und Zuspruch. Sie suchte auch den Frauen Fertigkeit im Sticken beizubringen, die Männer in der Weberei und Töpferei zu unterrichten, hütete sich aber wohl, das diesen an den Orient grenzenden Völkerstämmen von Natur innewohnende geniale Farbengefühl zu zerstören.
Und da sie seit langen Jahren darüber bekümmert war, daß bei den endlos ausgesponnenen Erntefestlichkeiten die guten Sitten meist mit Füßen getreten wurden, hatte sie eines Tages von einer Reise ins Posensche einen geistlichen Frauenorden mitgebracht, der sich ganz besonders auf landwirtschaftliche Arbeiten verstand und unter dem Namen der »Schutzengel« die harte Arbeit der Bauern teilte. Eine einzige weiße Haube in einer Gruppe Mähder oder Erntemädchen verbreitete wie durch Zauberkraft dort eine Atmosphäre der Reinheit und der guten Sitten.
Baron Torna begnügte sich damit, im vollen Sinne des Wortes Weltmann zu sein. Er hielt gern offenen Tisch, und wenn seine Frau nur bei den zahlreichen Empfängen und ausgiebigen Jagddiners, die er arrangierte, die Wirtin machte, legte er ihren philanthropischen Bestrebungen kein Hindernis in den Weg.
Helenes Ankunft hatte auf dem Gut große Freude hervorgerufen. Sie würde nicht nur das elegante Haus mit ihrer Jugend und Schönheit schmücken, sondern die Hausherrin auch von einem Teil ihrer schweren Pflichten entlasten. Auf Frau von Torna hatte diese impulsive, ihr Gleichgewicht nur schwer bewahrende Natur, in der Gutes und Böses täglich um die Herrschaft rangen, stets eine geheime Anziehung ausgeübt. War die hübsche Helene wirklich so unzugänglich und widerspenstig, wie Frau Julie behauptete? Es interessierte sie, das festzustellen.
Seit einiger Zeit schon war Helene auf Torna-Gora zu Gast, als ihr ein großes Unglück zustieß. Herr Cyprian hatte zur Strafe für seine Schwäche und seine Unaufrichtigkeit den Zusammenbruch der letzten Spekulation, in die der teuflische Agent ihn hineingeschwatzt, erleben müssen. Das hatte seiner durch jahrelange Überreizung untergrabenen Gesundheit vollends den Rest gegeben. Er war plötzlich in Wien gestorben, Verwandten und Freunden die Sorge für seine Witwe und seine drei Töchter überlassend. In Wut und Verzweiflung hatte Frau Julie sich mit Rose und Sophie nach Siebenbürgen zu einer alten, grämlichen Tante zurückgezogen. Was Helene betraf, so hatten ihr Vetter und ihre Cousine ihr nicht nur angeboten, sie zu behalten, sondern sie wollten sie sogar ausstatten. Sie glaubten, in diesem Lande des Großgrundbesitzes dann leicht einen netten Mann für sie zu finden.
Torna-Gora lag an der Grenze der Bukowina, dicht bei dem Gut, das Anastasius Zenowitz mit seiner Familie bewohnte. Diese bestand aus den alten Eltern des Abgeordneten, seiner Schwester Ursula, einer strengen alten Jungfer, und der freundlichen Tante Aniela, der Witwe eines Bruders, der österreichischer Oberst gewesen war. Die Familie stand seit Jahren in den besten Beziehungen zu dem Baron und seiner Frau.
Der Gedanke, von nun an mit Jan Korabs Verwandten auf vertraulichem Fuß zu verkehren, hatte Helene sehr aufgeregt, auch fürchtete sie, von ihnen schlecht aufgenommen zu werden. Aber sei es aus Rücksicht für ihre Beschützer, sei es aus wirklicher Sympathie, die gelehrte Ursula, sowie die reizende Oberstin hatten ihr einen sehr schmeichelhaften Empfang bereitet. Da Helene mit Fräulein Santou, die als französische Lehrerin in Czernowitz geblieben war, lebhafte Verbindung unterhielt, war sie von allem, was in der Stadt vorging, unterrichtet. Sie kannte Jans und Malvas romantische Ehe und des unglücklichen jungen Mannes Ruin. Sie wußte auch, daß Jan jetzt allein und frei, aber in sehr gedrückter Stimmung eines der benachbarten Güter bewohnte, wo er die Stellung eines Verwalters hatte annehmen müssen. Sie konnte sich also darauf gefaßt machen, ihn eines Tages bei den Zenowitz' zu treffen, ein Gedanke, der ihr fürchterliche Beklemmung verursachte. Ihr Gefühl für Jan war ja ein widerspruchvolles Gemisch von Liebe und Haß, Eifersucht und Reue. Frau von Torna war hiervon jedoch nicht unterrichtet. Der junge Mann war ihr aber nicht gleichgültig, und was sie von dem neuen Verwalter erzählen hörte, interessierte sie ausnehmend. Wenn sie, von Helene in ihren langen Trauerkleidern begleitet, die Bauern oder Nachbarn besuchte und sie über den jungen Mann befragte, ahnte sie nicht, wie wild das Herz in der Brust ihrer jungen Gefährtin schlug.
Die Neugier der Nachbarschaft beschäftigte sich aber viel mit dem jungen Verwalter, diesem Jan Korab mit der militärischen Haltung, dem stolzen Gesicht, das nie lächelte. Erzählte man doch, daß er sich vor Plewna sehr brav gehalten und kürzlich großes Liebesleid erfahren habe. – Vergebens hatten jedoch die Hausfrauen ihre köstlichsten Kuchen und besten Süßigkeiten für seinen Empfang hergerichtet. Der neue Nachbar blieb hartnäckig zu Hause, bestellte unermüdlich eines andern Feld, unter Bauern, die, der Zucht eines Herrn entwöhnt, öfter in die Schenke als in die Kirche gingen. Was der Baronin aber vor allem gefiel, war der Bericht über verschiedene Reformen, die der junge Mann eingeführt. Vor allem hatte er sich's zur Aufgabe gemacht, die Bauern den Händen des jüdischen Wucherers zu entreißen, der in jedem Dorf durch den Schenkwirt vertreten war.
Für zehn geliehene Gulden zahlte der Bauer wöchentlich zwanzig Kreuzer, das heißt 104 Prozent, und konnte er es nicht, so bildeten die aufgesammelten Zinsen bald eine Summe, die den Mann zu Grunde richtete. Dank einem großmütigen Vorschüsse seines Onkels hatte Jan seinen Leuten einen bescheidenen Kredit eröffnen können, der es ihnen ermöglichte, ihre Schuld abzuarbeiten. Und einige benachbarte Gutsbesitzer hatten dieses schlichte Beispiel bald nachgeahmt. Diese Maßregel, die von so großer Tragweite für den Wohlstand des Landes war, hatte dem neuen Herrn die Herzen der Leute mehr gewonnen, als die schönsten Reden es vermocht hätten, und als sie am Sonntag den früheren Offizier, von dem sie doch wußten, daß er römisch-katholisch war, mit militärischer Pünktlichkeit in Gesellschaft von ein paar alten Weibern ihrer griechischen Messe beiwohnen sahen, da hatten auch sie ihren Ehrgeiz darein gesetzt und waren nach und nach, die einen verschämt, die andern offen, wieder wie früher auf ihre Kirchenbank zurückgekehrt.
»Ach, gnädiger Herr, wie sehr sind wir Ihnen verpflichtet,« sagten der junge Pope und die hübsche Popodia, die, mit Honigwaben und Rosensorbett beladen, sich bei dem neuen Verwalter einfanden, um ihren Dank abzustatten. »Seit Sie die Kirche besuchen, sind fünf Bauern, die mit ihren Frauen nur so zusammen lebten, gekommen, um sich trauen zu lassen, und noch manch andre werden es ebenso machen.«
Dieses unerwartete Ergebnis hatte auf Jan einen wunderlichen Eindruck gemacht, und nicht ohne Ironie sagte er sich, es sei doch seltsam von der Vorsehung, wenn sie die dem Gesetze Widerstrebenden durch einen, der das Gesetz selbst mißachtete, auf den geraden Weg zurückführen ließ.
»Wissen Sie, daß mich Ihr Neffe sehr interessiert, lieber Herr Anastasius?« sagte Baronin Valerie, als sie eines Tages ihren Nachbarn allein einen Besuch abstattete. »Ich wundere mich, daß Sie ihn mir noch nicht vorgestellt haben.«
»Das kommt noch,« antwortete der Abgeordnete lächelnd, denn alles, was sich auf Jan bezog, machte ihm ungemeine Freude. »Er will von der Welt jetzt nichts wissen und denkt nur an seine Arbeit. Ich tadle ihn darum keineswegs.«
»Ich finde diese Zurückhaltung ungezogen gegen die Nachbarn,« brummte Fräulein Ursula. »Zu meiner Zeit wußten die jungen Leute besser, was sich gehört.«
»Er hat so viel durchgemacht, der arme Junge,« antwortete die gute Tante Aniela, »sein Herz hat eine schwere Prüfung erduldet.«
Das alte Fräulein machte auf ihrem Stuhl einen Satz und sagte trocken: »Das Herz hat mit dieser Sache nichts zu tun. Du tätest besser, dein Mitgefühl für interessantere Leute aufzusparen, meine Liebe, aber wir wissen, daß du eine sehr weitherzige Moral hast.«
Die Oberstin lächelte ein wenig und sagte dann, ohne böse zu werden: »Jans Schmerz ist in meinen Augen ein Verdienst mehr; doch verhindert mich das nicht, zu wünschen, er möge so rasch als möglich wieder am Leben und an den Menschen Geschmack finden.«
Und heiter hatte sie hinzugesetzt: »Da man nun Liebesgram am besten durch eine neue Liebe heilt, wünsche ich aufrichtig, daß er sich bald von neuem verliebt. – Gleiches mit Gleichem heilen, ist ja wohl das System der Homöopathen. Sie müssen es wissen, liebe Baronin, da Sie sich für diese Methode interessieren.«
Und während das alte Fräulein brummend meinte, die Oberstin habe recht frivole Anschauungen vom Regiment mitgebracht, sagte Frau von Torna: »Ich finde Anielas Plan sehr verständig und versichere Ihnen, daß ich – in einiger Zeit darüber nachdenken werde.«
Bei diesen rätselhaften Worten hatten Herr Anastasius und seine Schwestern denselben Gedanken gehabt, und als die Baronin fort war, hatten alle drei Helenes Namen genannt.
»Ja,« meinte Herr Anastasius, »sie ist aber die Tochter dieses verrückten Sternguckers, der Jan zu Grunde gerichtet hat.«
»Bah,« hatte die optimistische Schwägerin gerufen, »Herr Cyprian war unzurechnungsfähig, und ... die Vererbung ist ein Ammenmärchen, und außerdem tot ist er auch. Helene ist hübsch und intelligent genug, um Jan die Vergangenheit vergessen zu machen.«
»Was mir gefällt,« sagte Fräulein Ursula, indem sie jedes Wort betonte, »ist die würdige, ja etwas stolze Haltung dieses jungen Mädchens. Man sieht, daß die wenigstens blaues Blut in den Adern hat.«
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