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Achtundzwanzigstes Kapitel.
Theklas Fluch.

»Ach, ich wußte, du würdest kommen.«

Seit acht Tagen wartete Danyl an der Biegung des Wegs auf die Rückkehr seines geliebten Kindes. Jetzt hielt er sie leibhaftig in den Armen. Aber sie war blaß, erschöpft, und in den großen Augen standen Tränen.

»Wir glaubten dich in der Walachei, Malva. Zweimal war Piotr bei Piks, aber er hat nichts erfahren können.«

»Ich habe Thekla nach Czernowitz geschrieben,« sagte Malva, »aber keine Antwort erhalten.«

»Der Schuft von Pik hat den Brief sicher unterschlagen.«

Da drehte sich der Spielmann nach einigem Zögern auf seinem Bock um und fragte schüchtern: »Ist das dein Mann?«

Ein Ausdruck unsäglichen Schmerzes überflog Malvas Antlitz. Sie sah den alten Mann mit verstörtem Blick an und sagte dann mit so harter Stimme, daß er sie nicht wiedererkannte: »Ich habe keinen Mann mehr, Onkel Danyl; er hat mich verlassen.«

Rasch war sie zu dem Walachen getreten, reichte ihm die Hand, murmelte einige Dankesworte, und während er zurück auf die Landstraße fuhr, ging sie finster aufs Haus zu. Der Spielmann aber war so vor den Kopf geschlagen, daß er ihr zu folgen vergaß.

In der Küche, die von dem faden Geruch der Kräutertränke und geschmolzenen Fetts angefüllt ist, wälzt eine menschliche Gestalt sich auf armseligem Lager. Am Ofen sieht man ein altes Mütterchen, rosig und runzlig wie ein Winterapfel, inmitten seltsamer Geräte emsig einen geheimnisvollen Trank brauen.

Bei Malvas Anblick legt sie den Finger auf die Lippen.

Sie bereitet eine große Beschwörung vor, um der armen Thekla den Teufel auszutreiben.

Schon hat eine Frau die Patientin am Kopf aus dem Bett gehoben, während eine zweite die Füße hält. Eine dritte endlich gießt ihr den fettigen Inhalt eines Gefäßes auf den Kopf und spricht Beschwörungsformeln. Die schwarze Mischung sickert langsam über Augen, Nase und Mund der schreienden und sich sträubenden Kranken. Dann packen die Frauen sie kräftig und bestreichen ihren hageren Körper mit »Schlangenbutter«, einer kostbaren Salbe, die Marina in der Nacht vor Sankt Andreas gekocht. Sie massieren die Ärmste ohn' Unterlaß, und zwar sorgfältig von oben nach unten, damit der Teufel durch die Füße ausfahren kann.

Malva ist in der Mitte des Raumes stehen geblieben und betrachtet entsetzt diesen gelben, abgemagerten Körper, der nichts Menschliches mehr hat, diesen verzerrten Mund, den Schädel mit den fettig verklebten Haaren, die durchdringenden Augen, die sie nicht verlassen.

Die Nacht kommt. Der rote Schein des Feuerbeckens erhellt die Gesichter der alten Hexen, die ringsherum kauern und über ihren Vaterunsern einschlafen. Der Mond ist aufgegangen, und seine bläulichen Strahlen gleiten über das lebende Skelett Namens Thekla! Sollten die geheimen Kräfte der Mittel gewirkt haben? Ihre Züge sind jetzt friedlich.

Da erst wagt Malva, sich ihr zu nähern. Zitternd nimmt sie die durchsichtigen Hände der Kranken in die ihren und drückt sie zärtlich an ihre Lippen.

Ein mattes Lächeln hat das bleiche Gesicht erhellt: »Bist du da, mein Täubchen?« murmelte Thekla. »Kommst du aus der Stunde? Leg deine Violine weg. Setz dich zu mir.«

»Ja, Niania, Liebste, es ist Malva, dein Kind, das gekommen ist, dich zu pflegen, liebzuhaben ...«

Thekla fährt mit der Hand über die Stirn: »Ja, ich bin recht krank gewesen. Jetzt geht es wieder.«

Malva rückt noch näher.

»Ich verlasse dich nicht mehr, Niania; ich bin für immer wiedergekommen. Sag, daß du mir vergibst, daß du nicht mehr böse bist.«

Leicht auf das Kissen gestützt, öffnet Thekla gar verwundert die Augen, als suche sie den abgerissenen Faden des Gedächtnisses wieder anzuknüpfen.

»Du willst deine kleine Malva wieder zu dir nehmen? Sie ist so unglücklich gewesen, hat so gelitten. Sieh, wie sie weint ...«

Die Kranke schweigt noch immer; es arbeitet in ihrem dumpfen Hirn, sie blickt mißtrauisch umher und betastet fieberhaft Malvas Kleid.

»Verzeihung? Wofür?« stammelt sie. Dann fällt ihr plötzlich alles wieder ein. Schroff wirft sie sich zurück, stößt mit Entsetzen die liebkosenden Hände weg.

»Du lügst! Du bist nicht Malva. Meine kleine Malva trug keine Seidenkleider.«

Im Bett aufgerichtet, schwingt Thekla den Arm: »Weg mit dir, elendes Ding,« ruft sie keuchend. »Weißt du, daß um deinetwillen dein Vater mich fortgejagt hat ... dein Vater, der nach so langer Zeit wiedergekommen, der dich an sein Herz drücken wollte, und der vor Scham beinahe gestorben ist, als er erfuhr, was du getan! Fortgejagt hat er mich. – Ja, mich, die ihr Leben für dich gegeben, die dich erzogen, dich eifersüchtig bewacht hat. Ach, er war unerbittlich!«

Sie hatte Malvas Arm erfaßt und grub ihr die Nägel ins Fleisch.

»Und weißt du, was mit den Frauen, die wie du sind, geschieht? Die Männer bringen sich ihretwillen um, oder verlassen sie. Geh! Fort! Für dich ist kein Platz hier am Herd.«

Entsetzt hat Malva sich mit heftiger Anstrengung losgemacht. Was sie gehört, vernichtet sie, das Herz blutet ihr. Das Maß ist wirklich voll. Wie toll durchirrt sie die Küche. Thekla ist in ihre Lethargie zurückgefallen, die Alten schlafen, am Boden kauernd, fort. Ach, alle verstoßen sie ... Jan, Thekla ... selbst der unbekannte Vater, von dessen Wiedersehen sie so oft geträumt ... Nun begann ihre Sühne. Unter dem Fenster stand am Boden die Kiste, die einst ihr gehört, und dicht daneben ihr Violinkästchen.

Was tun? Spiridon hatte ihr gesagt, er sei Direktor einer Kapelle, die von Stadt zu Stadt ihre Konzerte gebe. Der würde sie sich anschließen. Da sie kein Heim mehr hatte, mußte sie das einzige, was sie gelernt, ausnützen, um damit ihr Brot zu verdienen. Einen Augenblick dachte sie daran, Danyl, der in einem andern Teil des Häuschens schlief, zu wecken. Wozu aber den Schlummer des armen Alten stören? Er würde sie doch nicht zurückhalten können. Ihr Entschluß war gefaßt. Besser also, spurlos verschwinden. Rasch packte sie ein Kleiderbündel zusammen, wickelte sich in ihren alten Mantel, nahm den Violinkasten unter den Arm und glitt in die Helle Nacht hinaus.

*


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