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Vierzehntes Kapitel.
Familienstürme.

Seit dem Osterfest lebte die Familie von Rudowitz in beständiger Aufregung.

Piks Rat folgend, besuchte Jan die Bewohner der Villa häufig, denn er wartete ungeduldig darauf, die Unterhandlungen zu beginnen. Frau Julie jedoch, die von dem Verhängnis, das über »Grüntann« hereingebrochen, und von ihres Mannes Plänen nichts wußte, setzte diese häufigen Besuche auf Konto von Jans Heiratsabsichten und vernachlässigte keine Gelegenheit, um ein Tete-a-tete zwischen Jan und ihrer ältesten Tochter Rose zu bewerkstelligen.

»Wenn aber Herr Korab Helene vorzöge?« erlaubte sich die Schweizerin zu sagen. »Er scheint besonderen Geschmack an ihrer Unterhaltung zu finden ... und sie selbst ...«

»Kümmern Sie sich um Ihre Angelegenheiten,« antwortete Frau von Rudowitz. »Ach, Sie sind von einer Naivität! Wenn ich dem jungen Mann aber sage, daß ich die Jüngere nie vor der Älteren verheiraten werde, dürfte er wohl andern Sinnes werden. Die Freier sind einmal so, sie sehen vor allem auf die Mitgift.«

Helene jedoch, auf die Sympathie, die sie Jan einzuflößen schien, bauend, gab sich, aller mütterlichen Feindseligkeit zum Trotz, den überschwenglichsten Hoffnungen hin.

Herr Cyprian, der zu sehr beschäftigt war, um auf seine Umgebung zu achten, ahnte nichts von diesen Familienzwistigkeiten. Freilich, seit vier Wochen war sein Leben kein Leben mehr zu nennen. Der Gedanke, seiner Frau den Reinfall mit »Grüntann«, den Zusammenbruch so vieler gemeinsam ausgedachter Projekte gestehen zu müssen, vergiftete ihm Speis' und Trank. Er schob den verhängnisvollen Termin auch immer weiter hinaus, um so mehr, als ein Teil des Kapitals seiner Frau mit engagiert und ihre Unterschrift unentbehrlich war.

Er wollte auch Jan Korab gegenüber nicht als ein zu bedrängter Verkäufer erscheinen, damit man ihm später nicht vorwerfen könne, er habe sich eines wertlosen Grundstücks entledigen wollen. Daher verbarg er die ihn verzehrende Angst, zeigte sich voller Bedenken, zögerte, sagte heute ja, morgen nein. Pik hatte ihn seinem Schützling als ein Original geschildert, das vom Teufel der Spekulation besessen, fortwährend Neues unternahm, wenn er aber ein glänzendes Geschäft abgeschlossen hatte, die Mühen der Verwaltung scheute. Und Pik führte zum Beweis die aufgegebenen, aber heute prosperierenden Petroleumquellen an, die Zuckerraffinerie und anderes mehr.

»Unter uns,« sagte der kleine Agent, »die neueste Marotte unsres Partners soll die sein, einen Haufen Häuser und Grundstücke in Lemberg zu kaufen, um sich expropriieren zu lassen, wenn eine jetzt noch geheimgehaltene Trambahnkonzession in Kraft tritt.«

Er sagte nicht, daß er selbst dem leichtgläubigen Gutsbesitzer diese höchst unsichere Unternehmung eingeredet hatte. Doch mußte Cyprian endlich zu einem Entschluß kommen, um so mehr, als der Agent ihm die sofortige Aushändigung der vertraulichen Akten und der Entwürfe versprochen hatte. Ein endgültiges Rendezvous mit Pik und Jan Korab sollte bei Cyprian stattfinden.

Auch Helene war der quälenden, endlosen Ungewißheit satt. Wenn niemand ihr half, wollte sie selbst handeln.

»Was wollen Sie denn tun?« fragte die Schweizerin.

»Die Wahrheit von Effendi erfahren. Das Bekenntnis, daß er mich meiner Schwester vorzieht.«

»O, Halla, das ist nicht würdig. Du vertauschst die Rollen.«

»Vielleicht. Aber ich mache ja nie etwas wie andre ... und wenn man um sein Glück kämpft ...«

Die Familie von Rudowitz saß, um den Tisch versammelt, beim Mittagsmahl. Ein feierliches Schweigen herrschte in dem Raume, jeder schien in seine eigenen Gedanken vertieft, und ein Gewitter lag in der Luft. Helene, die etwas blaß aussah, warf von Zeit zu Zeit verstohlene Blicke nach dem Fenster, als warte sie auf jemand.

Die Köchin hatte eine leicht angebrannte, süße Speise serviert. Zornig stieß Frau Julie ihren Teller weg.

»Ich schicke die Person fort. Seid nur immer mildtätig, nehmt die Deklassierten doch bei euch auf – und so lohnen sie es euch. Jeden Tag eine Szene oder eine verdorbene Speise! Dieses Geschöpf lag auf der Straße, als ich es aufnahm. Heute ist es eine Feindin, die ich in meinem Hause habe.«

»Die Bibel sagt,« bemerkte Helene ironisch, »daß man seinen Feinden Gutes tun soll.«

»Behalten Sie Ihre Anspielungen für sich, mein Fräulein.«

Und sie fuhr fort: »Ganz ebenso geht's mit diesem Grasaffen von Malva. Ich treffe sie Sonntag nach der Messe beim Kirchenausgang und will ihr den Gulden fünfzig für ihr Spiel in die Hand drücken. – Sie tat gerade, als ob sie mich fressen wolle. Dann zog sie ab wie eine beleidigte Kaiserin, und ihre dumme Tante hinterdrein. Wenn die jemals wieder über meine Schwelle kommt!«

»Wir hatten dich nicht gebeten, sie wieder aufzufordern, Mama,« sagte Helene, »wenn du sie aber einludest, mußtest du ihr auch zu essen geben. Sie ist mir in tiefster Seele verhaßt, diese Malva, aber ich bewundere doch, wie schick sie sich benommen hat, und schäme mich, wenn ich bedenke, daß die ganze Stadt sich ihretwillen über uns lustig macht.«

»Hast du mir bald genug Lehren gegeben? Geh auf euer Zimmer. Ich hab' deine Gegenwart satt.«

An die Streitigkeiten zwischen seiner Frau und seinen Töchtern gewöhnt, hatte Cyprian sich nicht gerührt. Vielleicht hätte er aber gerade heute seine Frau gern in ruhigerer Gemütsstimmung gesehen, da er mit ihr reden wollte.

Nachdem sie mit heftiger Anstrengung ihrem unsympathischen Gesicht wieder einen lächelnden Ausdruck gegeben, sagte sie mit ungewohnter Liebenswürdigkeit: »Wir wollen den Kaffee im Bureau trinken, mein lieber Cyprian; ich habe mit dir zu reden.«

Erstaunt folgte er ihr.

Als die Türen geschlossen waren, sagte sie: »Es handelt sich um Roses Zukunft, mein Freund. Die fortgesetzten Besuche Herrn Jan Korabs lassen darauf schließen, daß er sie heiraten will, und dieser Gedanke ist mir nicht unangenehm. Was hältst du davon?«

Cyprians Augen glänzten – nie hatte er eine solche Möglichkeit geahnt.

»Ei, meine liebe Julie, deine Kombination ist vortrefflich, und ohne es zu wissen, gibst du mir da das anständigste Mittel, aus einer unlösbaren Verwicklung herauszukommen, von der ich dir bisher aus Rücksicht nichts gesagt habe ...«

Frau Julie machte einen Satz.

»Welche Verwicklung? Was meinst du?« Und da er zögerte: »So sprich doch, ich sitze ja auf Nadeln.«

Da sagte er ihr alles wie jemand, der nichts mehr zu vertuschen hat: die Entdeckung der verfaulten Stämme, die Proben, die er überall im Wald hatte schlagen lassen, den Betrug Herschels, die Notwendigkeit, sogleich zu verkaufen ... ehe die Sache sich herumsprach.

Mit vorquellenden Augen und keuchender Brust in einen Lehnstuhl sinkend, verfiel Frau Julie in eine heftige Nervenkrise.

Cyprian schlug ihr in die Hände, sah nach der Uhr, ob der Agent auch zur Zeit komme, und tat ein paar Züge an seiner Zigarette. Als er dann zur Karaffe griff, um seine Ehehälfte zu besprengen, richtete sie sich auf.

»Unwürdiger Vater! Schwacher, unfähiger Mann! Dahin bist du durch deine Faulheit und dein Spekulationsfieber gekommen! Und dabei verbargst du mir noch dein Spiel, wo ich doch beizeiten alles hätte gut machen können ...«

»Erlaube,« sagte der Gutsbesitzer mit Ruhe. »Ich habe an alles gedacht. Heute noch soll Pik uns einen Käufer zuführen, der kein andrer als Jan Korab, dein Schwiegersohn in spe, ist. Und meiner Treu, die Idee ist nicht übel. Mit des jungen Mannes Geld könnte man eine Riesenstreichholzfabrik einrichten, da die Bäume nur noch dazu gut sind. Das soll fünfzig Prozent abwerfen.«

Doch seine Frau hatte ihn in erzürntem Ton unterbrochen: »Ich bewundere dich. Du willst also ganz einfach deine eigene Tochter betrügen? Nun, ich verzichte auf die Heirat. Mag Herr Korab das Gut kaufen und alle möglichen Experimente machen ... aber ohne uns, für seine Rechnung!«

»Es war mir anständiger erschienen,« murmelte der Gutsbesitzer.

»Sag dümmer – man müßte doch ein Narr sein ...«

Ein Diener meldete Herrn Pik.

Unterwürfig kam der kleine Mann hereingetänzelt und küßte Frau Julie galant die Hand.

»Korab ist nicht mit Ihnen?« fragte Rudowitz beunruhigt.

»Ich habe ihn, mein lieber Herr, in liebenswürdiger Gesellschaft im Garten gelassen. Man wird ihn rufen, wenn wir uns geeinigt haben.« Und sich zur Hausherrin wendend: »Herr Cyprian hat mir zu sagen geruht,« begann er salbungsvoll, »daß Sie sich ›Grüntanns‹ entledigen möchten, verehrte Frau.«

Frau von Rudowitz blitzte ihn an, sagte aber nichts.

Der Agent hatte bereits seine Papiere ausgebreitet und seine Berechnungen begonnen. Dann stellte er dem Gutsbesitzer der Form halber einige Fragen und nannte zuletzt mit wichtiger Miene den Preis: »So viel bietet mein Käufer.«

»Daß dich das Mäuslein beiß'!« rief Frau Julie, der der Atem verging. »Wir haben das Doppelte für dieses Gut gezahlt!«

»So, oder gar nicht. – Bei einer öffentlichen Versteigerung bekämen Sie kaum ein Viertel davon ...«

Sie bezwang sich; es widerstrebte ihrem Stolz, ihren Ruin aus dem Munde dieses Mannes bestätigen zu hören.

»Wenn wir, wie ich glaube, uns einigen,« fuhr der Agent mit Ruhe fort, »so erhalten die Vermittler, die ich vertrete, zehn Prozent bar, und fünfzehn Prozent bekomme ich persönlich, was in der Verkaufsurkunde nicht erwähnt wird.«

»Aber, das ist ja Mord, mein Herr!«

»Gnädige Frau,« sagte der kleine Mann, »ich spreche nicht in meinem eigenen Namen. Wenn Sie wollen, sage ich weiter nichts ... Um Ihnen aber,« fuhr er grinsend fort, »zu zeigen, daß Ihr Interesse mir am Herzen liegt, schlage ich Ihnen folgendes Unternehmen vor, von dem ich Herrn Cyprian bereits zwei Worte gesagt habe.«

Und jetzt zog er aus seiner Mappe einen Pack Papiere hervor, auf die der Gutsbesitzer sich begierig stürzte.

»Mit den Summen, die Sie zuerst als Angeld und dann ratenweise erhalten, kaufen Sie in Lemberg die Häuser und Grundstücke, deren Pläne ich hier mitbringe. Heute tragen sie neun Prozent, und nächstes Jahr, wenn die Trambahn angenommen ist, werden sie, dank der Expropriation, sechzig, achtzig Prozent einbringen. Ich habe mir im Geheimen den Entwurf der Tramlinie an hoher Stelle verschafft,« sagte er nachlässig und hielt ein weißes Blatt hin.

Über die Pläne gebeugt, die er mit Fieberhast durchblätterte, vertiefte Herr von Rudowitz sich in ihr Studium.

Für ihn waren der Ruin von ›Grüntann‹, die gerechten Forderungen seiner Frau, das Unrecht, das er dem Käufer tat, nicht mehr vorhanden. Bei der Aussicht auf ein neues Geschäft war seine Phantasie rücksichtslos mit ihm durchgegangen.

»Morgen bin ich in Lemberg,« rief er plötzlich triumphierend.

»Aber du bist verrückt,« antwortete seine Frau.

»Glückliche Verrücktheit, denn sie wird Ihre Rettung,« sagte der Agent leise.

Frau Julie aber ließ den Kopf in die Hände sinken.

»Herr Korab darf also sofort das Gut mit einem Sachverständigen prüfen?« fragte Pik.

Frau Julie erbleichte. An diese Sachverständigenprüfung, dies neue Schreckgespenst, hatte sie gar nicht gedacht. Die ungetrübte Sicherheit des Agenten beruhigte sie jedoch wieder. Er schien absolutes Vertrauen zu haben.

Daher nickte sie.

»Ich glaube,« sagte Pik lächelnd, »uns bleibt jetzt nur noch übrig, den geehrten Korab-Pascha rufen zu lassen.«

*


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