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Sechstes Kapitel.
Malva.

Malva hatte sich auf den Boden gekauert. Ihre kleine Violine lag auf der Erde, und, den Kopf an das alte Kanapee gestützt, das ihr als Lager diente, weinte sie heftig.

»Ich will nicht bei diesen Rudowitz aufspielen, will nicht wieder zu diesen bösartigen, eifersüchtigen Mädchen gehen. Herr Pik hat nicht das Recht, mich dazu zu zwingen. Bin ich seine Dienstmagd? Niania, Niania, ich bin zu unglücklich.«

Eine Frau, von unbestimmbarem Alter, mit bleichem, knochigem Gesicht, und einer Kummerfalte zwischen den Brauen, versuchte, über das Mädchen gebeugt, sie zu trösten. Aber dieser Kinderschmerz schien durch die rauhe Hülle ins Herz der Frau zu dringen, denn in ihren stahlgrauen Augensternen flammte es wild. Daß Malva sich dem Wunsch ihres Wohltäters widersetzen wollte, war eine neue Sorge. Wie konnte sie es nur wagen, das Mißfallen des Herrn Pik zu erregen, des guten Herrn Pik, der sie hierhergebracht, der sich so gnädig ihrer Verwandtschaft entsann, und dessen Stellung in der Gesellschaft der einfachen Bäuerin so glänzend erschien?

»Mein liebes Herzchen, mein goldenes Fischchen, du wirst dir die Augen verderben, und dann kannst du deine Noten nicht mehr lesen. Vergißt du denn alles, was wir diesem großmütigen Verwandten verdanken?« (und als sie »Verwandter« sagte, hob sich ihr Herz vor Stolz) »... unsre Wohnung, Lohn, Stunden ... und dabei nicht hochmütig ...«

Malva aber antwortete mit schmerzlichem Kopfschütteln.

»Geh, Liebchen, ein bißchen Geduld. Wir werden nicht immer arm bleiben. Die Niania spielt in der Lotterie. Und warum sollen wir nicht eines Tages gewinnen? Ach, wenn mein Herzchen nur fünf gute Nummern träumen wollte. Dann zahlte uns der Regierungsbeamte die Silbergulden nicht nach Hunderten, sondern nach Tausenden aus ... ja, man würde damit einen Koffer füllen, ihn in einen Schlitten tun: Herr Kutscher, aufgepaßt, das ist das Geld meiner kleinen Malva, das wir auf die Bank tragen. Und man könnte ein hübsches Gut mit Wald, Wiese und Teich kaufen.«

Trotz ihrer Tränen mußte Malva lächeln: »Und man ließe sofort den Onkel Danyl kommen,« sagte sie, »die Großmutter – und dann würde ich mich verheiraten.«

Der Satz war ihr entschlüpft, sie wußte selbst nicht wie. Vor Theklas verblüfftem Gesicht machte sie nun große Augen.

»Verheiraten, nie,« sagte die Bäuerin mit hartem Tone. Dann verbesserte sie, über ihre Heftigkeit selbst erschreckt: »Wenigstens möglichst spät.«

»Warum denn?«

»Heiraten ist ein solches Elend,« sagte sie mit leiser Stimme.

Malva lächelte etwas spöttisch, sah Tekla von unten an und fragte: »Was weißt denn du davon, du?«

Sie hatte all ihre gute Laune wiedergefunden.

»Ich weiß, was ich tue, Niania, ich werde selbst mit Herrn Pik reden, und dann wird er mich nicht zwingen, dahin zu gehen ...«

Auf den Zehenspitzen vor dem winzigen Spiegel stehend, zog sie ein scharlachrotes Band aus der Tasche und band sich rasch ein Endchen ins Haar, den Rest aber um ihren weißen Hals. Ihre großen Augen glänzten in lebhaftem Feuer, das bescheidene schwarze Kleidchen hatte koketten Schick, und das ganze anmutige Persönchen entfaltete sich in dem instinktiven Wunsch, zu gefallen. Thekla verwandte kein Auge von ihr. Warum hatte Malva von Heirat gesprochen? Zum ersten Male drückte sie ein solches Gefühl aus. Welcher unbekannte Zufall hatte solch einen Einfluß auf dieses Kind, das sie nie verließ, ausüben können?

Und wie sie sie jetzt mit gespannterer Aufmerksamkeit musterte, da sah sie nicht mehr die kleine Malva, das unschuldige Kind vor sich, sondern eine andre, eine schlanke, anmutige, verführerische, frauenhafte Malva, die jene verdrängt hatte.

O, Schreckbild der Vergangenheit, das nie wieder mit Augen zu sehen ihr sehnlicher Wunsch gewesen, und das nach achtzehn Jahren, als Wirkung einer geheimnisvollen Vererbung, dennoch vor ihr stand.

Sie hatte die Ellbogen auf die Kniee gestützt, und den Kopf zwischen die Hände gepreßt, gedachte sie der Vergangenheit.

Sie sah in der fernen Stadt des Lärms und Lichts die Frau mit dem unheilvollen Lächeln, die gefährliche Sirene vor sich, die drei Existenzen vernichtet hatte.

»Nein, nein, Malva, du gleichst ihr nicht.« Unwillkürlich waren diese Worte ihr entschlüpft, und aufstehend hatte sie das Kind dann heftig an sich gedrückt: »Wo hast du dieses Band her? Wer hat es dir gegeben? Laß dir ja nicht einfallen, kokett zu werden. Ich ...« Sie sprach nicht aus.

»Sei still, du erschreckst mich,« sagte das Kind. »Komm, lache, ich bin nicht mehr traurig.«

Die Bäuerin hebt den Kopf, reißt die Augen auf: Das muß ein Traum gewesen sein. – Das ist ja ihre Malva, die da steht, Malva mit ihrem guten Lachen, ihren großen, unschuldigen Augen. Malva umarmt und küßt sie, ergreift ihre kleine Violine und leicht wie ein Schmetterling hüpft sie im Zimmer umher, eine fesche Kolomeyka herunterfiedelnd. Plötzlich beruhigt, setzt Thekla sich an die Buttermaschine und stößt die Milch nach dem Takt des gespielten Nationaltanzes. Bei ihren so verschiedenen Beschäftigungen haben die beiden nicht gemerkt, daß in der halbgeöffneten Tür ein neugieriges Gesicht erscheint, von dem man im Dunklen nur eine Reihe blendender Zähne unter riesigem Schnurrbart und zwei Karfunkelaugen unterscheiden kann.

» Serut manaIch küsse die Hände. (Rumänisch.) ruft plötzlich eine Stentorstimme, und ein großer Kerl, der fast bis an die Decke reicht, betritt das Häuschen.

Verwirrt hält Malva inne.

»So empfängt man seine Kurmacher, Kukunitza?« sagt er scherzend, und das junge Mädchen bei der Taille fassend, dreht er sich mit ihr in der Küche umher, mag sie auch abwehren und kratzen.

Da kommt auch Thekla schon zur Hilfe.

»Malva einen Kurmacher? Welche Unverschämtheit. Wer gestattet sich solche Vertraulichkeiten und solche Wachtmeistermanieren?«

»Gut, gut, Sie Alte, die Hände in Ruhe,« sagt der Riese gutmütig, »und Sie, schönes Fräulein, ziehen Sie die Krällchen ein. Spiridon ist kein schlechter Kerl. Mußten ihn nicht mit solchen Augen anblicken, in der Kirche und beim Lehrer, wenn Sie ihn nicht verliebt machen wollten. Aber keine Sorge, ich gehe fort von hier, soll in Jassy singen, und kam Adieu sagen.«

»Sie gehen fort?« sagte Thekla trocken. »Glückliche Reise.«

»Ja, Dame Thekla, ich gehe fort, und vor sechs Monaten komme ich nicht wieder, und deshalb,« setzte er fast schüchtern hinzu, »bin ich gekommen, um, ehe ich weggehe, zu sagen, daß wenn das Fräulein Malva mich zum Mann haben wollte, o ... nicht böse werden. Ich passe für sie ... ich sagte mir: Sie ist arm – ich auch, wir sind beide Musiker, was für ein hübsches Paar gäben wir ab, wenn wir im Lande umherzögen, sie geigend, ich singend. Wenn ich sie auf ihrer Fiedel herumarbeiten hörte, sagte ich mir, allein bringt sie es niemals zu etwas; zusammen könnte sich's machen. Ich würde wie sonst meiner Alten was Gutes aufs Dorf schicken, und Dame Thekla wäre bei uns nicht zu viel. Aber das gefällt Ihnen nicht, reden wir also nicht mehr davon.«

Seine Stimme zitterte leise, und eine Träne glänzte auf seinem dicken Schnurrbart. »Ich bin kein Kopfhänger und Sie wissen, daß ich nicht vor Herzeleid sterben werde – ich brauche Heiterkeit, Sonne und Lieder. Vielleicht komme ich auch bald in eine andre verliebt zurück. Es gibt so viele hübsche Mädchen auf der Welt! Wenn Sie mich aber gewollt hätten, Fräulein Malva, ich schwöre Ihnen, ich wäre ein treuer Ehemann gewesen.«

In seiner Stimme drückte sich so viel wahres Gefühl aus, daß selbst Thekla davon gerührt ward.

»Ich danke Ihnen für Ihren Freimut, Herr Spiridon. Sie haben drollige Manieren, aber Sie sind ein braver Mensch. Leider kann Malva nicht über sich verfügen, sollte sie selbst vom größten Magnaten des Landes einen Antrag erhalten.«

»Ei, meiner Treu, davon höre ich zum ersten Male,« rief das junge Mädchen.

»Weil sich die Gelegenheit dazu nicht geboten hat. Jetzt kommen aber die Jahre des Erwachsenseins ... die Kurmacher auch ...«

»Und wann werde ich frei über mich verfügen können?«

Die Alte hatte ihre Buttermaschine wieder in Gang gesetzt. »Wer kann's sagen.« meinte sie, in eine jener Geistesabwesenheiten versunken, die man bei ihr gewohnt war, »in zwei, in fünf, in zehn Jahren ... warten muß man, warten, warte ich nicht nun seit so lange ...«

Malva lachte gerade heraus: »Wenn du einen Mann erwartest, kann's freilich noch eine Weile dauern. Was mich betrifft, wenn ich mich mal verheiraten will, werde ich's auch ohne Erlaubnis tun.«

»Freilich, doch nicht ohne Papiere, und du hast keine, mein armes Herzchen.«

»Bah, um vor dem Priester ›ja‹ zu sagen, bedarf es nicht so vieler Geschichten,« meinte das Mädchen lachend.

Den Sänger hatte die unerwartete Wendung des Gesprächs etwas verdutzt. Es gab also ein Geheimnis in Malvas Leben! Sie war nicht ein einfaches Bauernmädchen, wie er gedacht. Plötzlich eingeschüchtert, stand er auf, nahm seine Mütze und ging nach der Tür.

»Verzeihen Sie mir, Kukunitza, der unfreiwillige Anlaß dieses Gesprächs zu sein.« Von der Schwelle aus fügte er dann hinzu: »Also, viel Glück, und vergessen Sie nie, daß Spiridon nichts nachträgt, daß Sie in seinen Augen stets die Schönste bleiben werden und wenn Sie ihn mal brauchen sollten, keine Angst, er wird schon dasein.«

Er lachte jetzt, so daß man alle seine blanken Zähne sah, als ob er, bereits über seinen Korb getröstet, eiligst die mit seiner übersprudelnden Natur unvereinbare Schwermut abschütteln und sein abenteuerliches Leben als wandernder Sänger sofort wieder aufnehmen müsse. Zärtlich hatte er des jungen Mädchens kleine Hand geküßt und wanderte jetzt auf dem schneebedeckten Weg davon.

An den Türsims gelehnt, sandte Malva ihm einen warmen Blick nach. Als sie aber in die Hütte zurücktrat, sah sie an einem Fenster des Pikschen Hauses zwei heiße Augen auf sich gerichtet.

»O, der Effendi!« flüsterte sie, und ganz verwirrt schloß sie die Tür.

*


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