Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Der Zusammenbruch von »Grüntann«.

In Czernowitz war Jan unverzüglich zu Pik gegangen. Mit vielem Geschrei hatte der Agent die Nachlässigkeit des wahrscheinlich abwesenden Bankiers bedauert; der Mann hatte große Verluste gehabt, und auch ihm selbst ging's nichts weniger als gut, sonst hätte er seinem lieben Effendi gern geholfen. Er kannte aber einen gewissen Samuel, der ihm die Summe zu annehmbarem Zinsfuß vorstrecken würde. Er – Pik – sei durch eine wichtige Angelegenheit, die ihm viel Schererei mache, gezwungen, demnächst auch zu verreisen. Es handle sich um die »Produktivgesellschaft von Stambul und Bukarest« ... und es sei nur schade, daß Jan sich nicht daran beteiligen könne ... In die Enge getrieben, hatte der junge Mann die Bedingungen des Geldmaklers annehmen müssen, denn er hatte die größte Eile, nach Wien zu kommen und dort die Hypothek aufzunehmen.

Als er, in seine Decke gehüllt, eine Czapka über den Augen, der Hauptstadt zurollte, wurde er durch einen Stoß aus tiefem Schlaf erweckt. Reisende waren eingestiegen, sicher Geschäftsleute, nach den schweren, von Papieren strotzenden Mappen zu urteilen, mit denen sie beladen waren.

Sie redeten laut, ohne sich um den Mitreisenden zu kümmern, der in seiner Ecke zu schlafen schien.

»Wie zum Teufel, hat Kasperski sich von dem Schuft hereinlegen lassen können?«

»Ja, sehen Sie, der Mann ist eben leichtgläubig, er denkt niemals an die Schlechtigkeit andrer; der verfluchte Pik sieht ja aus, als könne er kein Wässerchen trüben, dabei seifte er ihn gründlich ein! ...

»Er wußte also nicht, daß Pik zu einer geheimen Spitzbubenbande gehört, die in den Metropolen ihr Wesen treibt? Sein Haus ist eigens dazu eingerichtet, die Kunden anzulocken und festzuhalten. Von Morgen bis Abend geht's da hoch her, und seine Gastlichkeit ist sprichwörtlich im Lande. Seine Frau, seine Töchter unterstützen ihn dabei bewußt oder unbewußt mit bestrickender Koketterie. Wehe dem, der den Fuß in diese Falle steckt, er ist geliefert ... Popoff, der Russe, der vor zwei Jahren mit Piks Tochter durchging, hat dabei sein halbes Vermögen gelassen ... Man erzählt noch von einem andern ...«

In seine Ecke gedrückt, horchte Jan mit geballten Fäusten und rotem Kopf. Die Leute logen ... das waren ja niederträchtige Verleumdungen ...

»Kasperski wird Lärm schlagen,« fuhr einer der Reisenden fort.

»Ganz egal, verloren ist er doch. Pik arbeitet nur, wo er ganz sicher ist, und versteht es wunderbar, sein Opfer in ein unentrinnbares Netz von Verpflichtungen einzuspinnen. Außerdem sorgt er stets dafür, all seinen Gewinn seiner Frau zu verschreiben. Wo nichts ist, hat der Kaiser das Recht verloren.«

Jan versuchte den Druck abzuschütteln, der auf ihm lastete: vielleicht handelte es sich gar nicht um den Czernowitzer Agenten. Gab es nicht viele Piks auf der Welt?

»Während des russisch-türkischen Krieges,« setzte einer der Herren noch hinzu, »galt Pik für einen Spion, der bald den einen, bald den andern Getreide verkaufte.«

Jetzt hielt Jan es nicht mehr aus.

»Verzeihung, meine Herren, der Mann, von dem Sie da sprechen, hat nie jenes Gewerbe ausgeübt. Er ist ein braver Familienvater. Ich war bei Plewna, und habe ihn dort kennen gelernt. Er hat mich ins Lazarett gebracht und mir seitdem stets nur Aufmerksamkeiten erwiesen.«

»Dann waren Sie sicher eine gute Beute, mein Herr,« antwortete der Geschäftsmann cynisch und erhob sich, denn der Zug fuhr langsamer, und das Pfeifen der Lokomotive deutete an, daß man sich dem Bestimmungsort näherte.

»Herr Pik hat an mir nichts oder so gut wie nichts verdient,« sagte Jan gereizt.

»Da wünsche ich Ihnen Glück, mein Herr. Aber glauben Sie mir, brechen Sie mit ihm, solange es noch Zeit ist. Und noch einen Freundschaftsrat: gehen Sie nie nach Czernowitz. Pik hat da eine ganze Schwadron hübscher Töchter ... Lina ... Nastunia und so weiter. Und in Ihrem Alter fängt man leicht Feuer.«

Er schloß mit breitem Lachen, und schon war er draußen.

Jan war ihm sehr ärgerlich gefolgt. Die Beharrlichkeit, mit der der Unbekannte seine Insinuationen vorbrachte, machte ihn wild. »Aber,« sagte er, als er sich in sein Hotel begab, »wie kann man Eisenbahngespräche ernst nehmen! Das waren offenbar neidische Konkurrenten. Glücklicherweise haben sie Malva nicht genannt. Ich weiß nicht, was ich sonst getan hätte.«

Da es zu spät war, noch jemand aufzusuchen, begab er sich auf den Opernring, ging in die Oper, und bald hatte die Materna mit ihrer herrlichen Stimme ihm alle schwarzen Gedanken verscheucht.

Am nächsten Morgen machte er sich sofort auf und ging nach der Landwirtschaftlichen Bank. – Er mußte aber tagelang warten, bis er die Zusicherung erhielt, daß neue Erhebungen über »Grüntann« angestellt werden sollten. Und Jan konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, als er an Malvas Bestürzung beim Erscheinen der Sachverständigenkommission dachte, die sie allein zu empfangen haben würde.

Seit vier Wochen wartete er jetzt, verzehrte sich in öder Langeweile, hoffte immer, zum Zweck der Hypothekaufnahme nach der Bank gerufen zu werden, als er einen Brief erhielt, der ihn vernichtete. Die Sachverständigen, die unter Führung des Verwalters eine gründliche Untersuchung auf Grüntann vorgenommen, hatten den elenden Zustand des Waldes konstatiert, der durch die Sinterungen der benachbarten Sümpfe völlig verfault war. Deshalb wurde das Gesuch um eine Hypothek auf besagten Wald überhaupt nicht mehr in Betracht gezogen.

Jan traute seinen Augen nicht. Er sah ja die himmelhohen Riesenbäume vor sich, ihre herrlichen Gewölbe, die gewaltigen Domen glichen, ihre endlosen Säulenhallen, an deren Kreuzungen Rehwild und Eber ihren Wechsel hatten!

Ganz außer sich war er auf die Bank geeilt, wo man ihm leider die mündliche Bestätigung des Briefes gab.

»Dann ...« stotterte er, »bin ich, bin ich aber bestohlen worden ...«

»Ja, wie man eben in einem Wald bestohlen wird,« spottete der Beamte und fügte dann hinzu: »Haben Sie denn vor dem Kauf keine Untersuchung vorgenommen?«

Jan gedachte jetzt der Oberflächlichkeit seiner Prüfung. Er hatte solches Vertrauen gehabt! Das alles schien ihm so überflüssig. Man hatte einfach der Form halber einen Spaziergang gemacht. Noch sah er, wie der blaubebrillte Soroka und sein Spießgeselle die Stämme anschlugen, Sondierungen vornahmen und ihr Entzücken über den Reichtum und die Schönheit des Waldes ausdrückten. Freilich fiel ihm jetzt auch ein anderes Moment ein: der umgeschlagene, aufgerissene und im Innern angefaulte Stamm, auf den er Malva hatte hinsitzen lassen, und die Betrachtungen, die sie über den kranken Baum angestellt ... »Mir scheint ein Baum ein lebendes Wesen, das Schmerz empfindet, und wenn ich ihm die Hand auf die Rinde lege, glaube ich sein Herz schlagen zu fühlen.« – Aber Verdacht hatte er daraus nicht geschöpft.

Jan hatte die Bank verlassen und befand sich auf der Straße.

Er sah sich ruiniert. Drei Gesichter tanzten vor ihm her: Pik ... Soroka ... Rudowitz. Das honigsüße Antlitz des Agenten, der unsichere Blick des Sachverständigen, der ihn an jenen armseligen Menschen erinnerte, den er früher einmal in Konstantinopel getroffen hatte. Der hatte sicher die Wahrheit gewußt! Endlich das magere Antlitz, die vorspringenden Backenknochen und nervös glänzenden Augen des Gutsbesitzers!

»Schuft von Pik!« murmelte er, denn er fühlte wohl, daß der ihn in einen Hinterhalt gelockt hatte, bei dem er seinen Vorteil fand. Und wie surrende Wespen umschwärmten die im Eisenbahncoupé gehörten Reden sein Ohr.

Da dachte er an den Lemberger Notar, der auch der Notar seines Onkels war: ein Mann von zuverlässigem Rat, sehr dienstbereit, der ihm sicher seine Ansicht sagen würde. – Am übernächsten Morgen hatte er bei dem Notar vorgesprochen. Aber wer war der erste, den er dort traf? Sein Onkel Anastasius!

O, das sarkastische Gesicht, der prüfende Blick, die dünnen, von einem halben Lächeln umspielten Lippen.

»Ich komme aus Wien,« sagte der Abgeordnete kalt, »bin mit dir im gleichen Zuge gefahren. Ich gehöre zum Aufsichtsrat der Landwirtschaftlichen Bank und weiß, was dir widerfahren ist.«

Jan hing den Kopf.

»Ach, ich dachte schon, daß du eines Tages bereuen würdest. Aber so rasch hatte ich's nicht erwartet! Alle Wetter, du verstehst dich drauf. In drei Monaten dein Erbe verputzen, das mein Vater in jahrelanger Arbeit zusammengebracht!«

Und er gedachte des Vermögens seiner armen Schwester, das er für Jan so lange und so treu verwaltet hatte, und das nun im Handumdrehen weg war.

»Ich bitte dich, Onkel,« hatte Jan ganz außer sich gerufen, »verschone mich mit deinem Spott! Ich verlange nichts von dir; ich habe verspielt und werde zahlen.«

»Ach, laß doch die großen Worte! Wenn ich mir die Mühe gab, denselben Weg wie du zu machen, so hab' ich das nicht getan, um zu sehen, wie das Wetter in Lemberg ist. – Es handelt sich um die Ehre eines der Meinen, und es gibt, hörst du, gewisse Familienverpflichtungen, mit denen man nicht spaßt. Und jetzt höre mir zu! Du steckst in den Krallen eines Schuftes, ich will aber versuchen, dich ihm zu entreißen. Wir reisen zusammen nach Czernowitz, wo du mir eine Vollmacht ausstellst! Vorher mußt du mir aber eine Generalbeichte ablegen. Unsre Beziehungen waren anfangs nicht sehr glückliche, schließlich aber werden wir vielleicht doch noch Freunde werden, und du wirst einsehen, daß der Onkel Anastasius mehr taugt als deine sauberen Spekulanten ... Komm, sag mir, wie viele Termine du noch zu zahlen hast. Hast du noch andre Schulden? Verschweige mir nichts.«

Jan, dem die feste, ehrliche Stimme unwillkürlich Eindruck machte, hatte alles erzählt, nur nicht seine Heirat mit Malva. Ist es nicht genug, daß jeglicher Tag seine eigene Plage hat?

Später wollte er das auch noch sagen, wenn einmal die ganze Piksche Affäre in Ordnung war. Wer weiß, zu welchen verletzenden Anspielungen oder Unterstellungen das sonst noch Anlaß gab!

Und er nahm sich vor, sogleich bei seiner Ankunft Malva von »Grüntann« abzuholen und sie irgendwo in Sicherheit zu bringen, bis er imstande wäre, ein Gut zu pachten, denn eins zu kaufen, daran war nicht mehr zu denken.

Spät am Abend waren die beiden Männer in Czernowitz angekommen. Während Herr Anastasius sich aber schlafen legte, war Jan zu Pik geeilt. Er mußte dem Verräter doch sagen, was er von dem an ihm begangenen unerhörten Vertrauensbruch dachte!

*


 << zurück weiter >>