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Viertes Kapitel.
Die Familie Rudowitz.

An einem kalten Morgen gegen Ende März erwachte Frau Julie von Rudowitz in ihrem großen, warmen Zimmer, und zwar fast guter Laune. Ihr erster Blick galt dem riesigen Kachelofen, in dem die Eichenholzkloben knatterten. Wenn das Holz zu Glut geworden, kam die Kammerfrau, schloß alle Türen und Klappen des Ofens hermetisch und sperrte die gute Wärme für den ganzen Tag ein, während die armen Franzosen – Frau von Rudowitz lächelte bei dem Gedanken und fühlte hierin die Überlegenheit der Bukowinen sehr lebhaft – sich nicht davon abbringen ließen, Holz und Kohlen in ihren Kaminen aufzustapeln und die ganze Wärme zum Schornstein hinauszujagen.

Frau Julie war eine Frau von etwa fünfundvierzig Jahren, dick, rot, eine starke Esserin, Verdauungsbeschwerden unterworfen, dazu geizig und von starrer Tugend. Heute aber ließ ihr Magen ihr augenscheinlich etwas Ruhe, auch hatte sie sehr gute Nachrichten von einem ihrer Pächter erhalten, der den Verkauf von fünfzehn jungen Kälbern unter sehr günstigen Bedingungen anzeigte, außerdem schienen die Geschäfte ihres Mannes sich gleichfalls freundlicher gestalten zu wollen.

In ihrer menschenfreundlichen Stimmung hatte sie sich plötzlich daran erinnert, daß ihre lieben Töchter seit zwei Jahren schon keinen Ostertanz gehabt, und daß zu dieser Fastenzeit ein frommes Werk verdienstlich sei.

Mit einem Manne verheiratet, den seine sprichwörtlich gewordenen Mißerfolge doch nicht von seinem Hang zum Spekulieren heilen konnten, hatte Frau Julie lange Jahre ökonomischer Schwankungen durchlebt, wie sie das traurige Schicksal der Spekulanten sind. Bald machte das Paar ein großes Haus in einer Metropole oder einem Badeort, bald mußte es seine Dürftigkeit in der alten Czernowitzer Behausung verbergen. Wie kam es, daß eine so intelligente und herrschsüchtige Frau nicht genug Einfluß hatte, um ihren Mann vor so unüberlegten Streichen zu bewahren? Je nun, Frau Julie ward an dem Beharrungsvermögen ihres Mannes, der Taktik aller Eigensinnigen und Schwachen, zu nichte. Außerdem nahm er seine meisten Unternehmungen ohne ihr Wissen vor und erzählte ihr davon erst, wenn die Sache gemacht war, was jedesmal zu heftigen Szenen führte.

Hätte Herr von Rudowitz sich nach seines Vaters Tode mit der Verwaltung seines Erbes begnügt, er wäre heute ein reicher Mann gewesen. Kaum jedoch im Besitz seines Gutes, hatte er es gegen eine riesige Zuckerraffinerie eingetauscht. Unglücklicherweise war die Unternehmung verkracht, und er hatte sich dann in eine Reihe von Geschäften gestürzt, von denen eines immer kostspieliger als das andre war: große Hornviehzucht, Brauereien an allen Ecken und Enden Österreichs. Als dann das Petroleumfieber Galizien und die Bukowina ergriff, hatte er eiligst all das Seine zu Gelde gemacht, ja, sogar Geld entlehnt, um möglichst viel Terrain im Gebirge zu kaufen. Der Erfolg ließ aber auf sich warten, die Quellen flossen spärlich, die Sachverständigen, die Bohrungen, die Ingenieurgehälter kosteten viel. Zuletzt hatte er in einem Anfall von Entmutigung einen Tausch angenommen, den ihm ein gewisser »Faktor« Herschel anbot, und ohne sich zu fragen, ob nicht vielleicht Jude und Ingenieur unter einer Decke steckten, war er Eigentümer eines großen Besitzes am Pruth geworden, dessen Erträgnis – der Besitz war ausschließlich Holzbestand – dank der Nähe des Flusses sich auf hundert Prozent belaufen mußte.

Frau von Rudowitz, die soeben eine Erbschaft gemacht, hatte diesen neuen Schachzug mit Freuden begrüßt. Es lag ihr daran, daß ihr Mann schleunigst seinen Rang als Großgrundbesitzer im Lande wieder erobere. Herr Cyprian erklärte sich sogar bereit, als Abgeordneter der Bukowina zu kandidieren.

Das war doch mal vernünftig! Mochte er seine fieberhafte Tätigkeit in der Politik entfalten. Frau Julie würde mit Hilfe eines tüchtigen Verwalters schon den Besitz ausbeuten. Den Verwalter hatte man just gefunden, und Herr Cyprian, der am Tage vorher abgereist war, beschäftigte sich in diesem Augenblick mit den Vorarbeiten zur Wiederherstellung und Vergrößerung des Hauses, das für feucht galt und das man zu Pfingsten beziehen wollte.

Indem sie ihren Rahmkaffee schlürfte, dachte Frau von Rudowitz an den Eindruck, den ihre Einladungen beim Adel der Stadt und der Nachbarschaft hervorbringen würden. Aber als praktische Frau überlegte sie gleichzeitig, wie sie ihren drei Töchtern am billigsten Gelegenheit zum Tanzen verschaffen könnte. Zwei der Mädchen waren häßlich wie die Mutter, nur die dritte war der Ansteckung entgangen. Wie die bösen Zungen erzählten, war diese Häßlichkeit eine Gnade des Himmels. Frau Julie, davon überzeugt, daß die Schönheit eine verhängnisvolle Gabe sei, hatte an ihrem Hochzeitstag vor dem Altar den Himmel angefleht, sie ihren Kindern nicht zu verleihen.

Vor allem war das Orchester Frau Julie eine Sorge: ein einziger gewöhnlicher Musiker verlangte fünf bis sechs Gulden für den Abend, und man tanzte bis zum Morgen.

Da dachte sie plötzlich an eine kleine Violinspielerin, Malva mit Namen, die mit ihrer Tante im Judenviertel wohnte. Die Kleine, die mit Frau Julies Kindern zusammen das erste Abendmahl genommen, war ihr von der Oberin damals sehr empfohlen worden, und zu jener Zeit hatte Frau Julie sie oft in ihr Haus gezogen, namentlich deshalb, weil die Heiterkeit des kleinen Mädchens der krankhaften Apathie ihrer eigenen Töchter etwas entgegenwirkte. Mit den Jahren aber war die Kleine von geradezu beunruhigender Schönheit geworden. Man mag die äußeren Reize immerhin verachten, es ist doch unangenehm, sehen zu müssen, wie ein untergeordnetes Wesen die eigenen Kinder in Schatten stellt. Die Fräulein von Rudowitz hatten sich übrigens gleicherweise von ihrer jungen Gefährtin abgestoßen gefühlt. Sie hatten Malvas Munterkeit, ihre unschuldige Koketterie, die hübschen Stellungen, die sie beim Violinspiel annahm, mitleidslos verurteilt. »Welch eine herausfordernde Kokette!« hatten sie gesagt.

»Und außerdem,« flüsterte Frau Julie ihrem über diese Laune verwunderten Gatten zu, »die Vergangenheit der Kleinen ist mir immer dunkel gewesen. Weiß man denn, wer sie eigentlich ist? Ihre Tante, die im Ausland in Stellung war, hat sie eines Tages mit der Versicherung, sie sei die Tochter eines in Paris ansässigen Verwandten, in ihr Dorf gebracht. Ich wittere dahinter ein unsittliches Geheimnis, und jetzt, wo meine Töchter heranwachsen, ist es höchste Zeit, diesen Verkehr abzubrechen.«

Früher zahlte Frau Julie dem kleinen Mädchen eine winzige Summe dafür, daß es den andern aufspiele. Wenn sie heute, wo der Bruch vollzogen war, von ihren strengen Grundsätzen abzuweichen und das junge Mädchen wieder in Anspruch zu nehmen geruhte – war das nicht eine echt christliche Handlung? Malva und Fräulein Santou, die klavierspielende Erzieherin, würden zusammen ein ausgezeichnetes und billiges Orchester abgeben.

Nun brauchte sie die Sache nur noch ihren Töchtern mundgerecht zu machen.

Die drei Fräulein von Rudowitz waren in ihrem Arbeitszimmer. Auf einem Schemel hockend, dem Pianino den Rücken kehrend, rief Helene, die zweite und hübsche, mit Entrüstung: »Habt ihr gehört, was die Kammerfrau gesagt hat? Kein Ausgang heute morgen. Eine neue Laune von Mama!«

Hübsch war sie freilich mit ihrem eigenartigen Mienenspiel, ihren leuchtenden Augen, ihrer gebogenen Nase und den »impertinent blonden« Haaren, so genannt, weil sie einen Stich ins Rote hatten.

»Und ihr sagt nichts, ihr andern, ihr neigt das Haupt? Mollusken seid ihr!«

Rosa, die Ältere, eine ungraziöse Brünette mit harten Farben, stieß Sophie, die Jüngste, eine kleine, bleichsüchtige Blonde, mit dem Ellbogen an.

»Wir haben wahrscheinlich nicht dieselben Gründe wie Sie, mein Fräulein. Wir machen uns nichts aus den promenierenden Offizieren, noch aus den interessanten türkischen Verwundeten, die mit dem Arm in der Binde ausfahren! ...«

Helene errötete, ließ sich aber nicht aus dem Takt bringen: »Ja freilich, wenn ihr auf deren Bewunderung rechnet ...«

Fräulein Santou erschien in der Tür; sie kam aus der Küche, wo sie die Vorräte für den Tag herausgegeben hatte.

Die Mädchen sollten christliche Sittenlehre haben.

»Schreiben Sie mit, während ich vorlese,« sagte sie mit ihrem etwas harten Schweizerakzent.

Und sie begann: »Man betrachte die höchstgestellten Familien, versetze sich in die reichsten Häuser. Der äußerliche Glanz verbirgt viel schweres Unglück ...«

Helene, mit einem tiefen Seufzer: »Ach, wie wahr! Wer sagt das?«

»Bossuet, Mademoiselle. Sie sollten es wissen.«

Dann fortfahrend: »Fast überall ein Mißverhältnis: Ausgaben, die der allgemeine Luxus sozusagen unvermeidlich gemacht hat und denen keine entsprechenden Einnahmen gegenüberstehen ... Schulden, die sich anhäufen und die man nicht bezahlen kann, industrielle Geheimspekulationen, die ein fortwährendes Fieber erzeugen ...«

Dieses Mal brach Rosa in ein Gelächter aus, und die Feder in die Luft werfend, rief sie: »Ei, der verehrliche Bischof hat wohl unser Haus im Auge gehabt ...«

»Ruhe!« gebot die Schweizerin mit strengem Ton.

»Dienstboten, von denen man doch keinen abschaffen mag, um die Ausgaben zu verringern, Kinder, die man nicht standesgemäß versorgen kann, und denen man aus törichter Eitelkeit doch eine elegante und oberflächliche Erziehung geben läßt, die alle Fehler ihres Charakters doppelt rasch entwickelt.«

»Wie schön das alles gesagt ist!« rief die unverbesserliche Rosa. »Wie ich diesen Mann liebe! Wäre er kanonisiert, ich machte ihn zu meinem Heiligen. Habe ich nicht das Gefühl, daß all die Fehler, die man mir vorwirft, das Resultat meiner Erziehung sind?«

»Ich bitte Sie, Mademoiselle, diese für Ihre Familie kränkenden Bemerkungen zu unterlassen.«

Die Diskussion wurde durch Frau von Rudowitz unterbrochen, die, von der jammernden und gestikulierenden Köchin begleitet, heftig eintrat.

»Wenn meinen Dienstboten das Essen, das ich ihnen gebe, nicht gefällt, mögen sie anderswohin gehen,« sagte die gnädige Frau und stieß die Magd heftig zurück. Dann machte sie ein liebliches Gesicht, wendete sich zu ihren Töchtern und teilte ihnen das Ballprojekt für den Ostersonntag mit, sowie ihre Absicht, das Aufspielen ihrer früheren Kameradin und Fräulein Santou zu übertragen. Statt der erwarteten Freudenrufe erweckten ihre Worte aber nur Murren.

»Malva soll wiederkommen?«

»Gibt's denn keine Klavierklopfer mehr in der Stadt?«

»Dieses freche Ding herrufen, das, statt auf sein Notenblatt zu sehen, fortwährend die jungen Leute betrachtet!«

»Ruhe!« sagte die Mutter. »Ihr wißt ja, daß Malva nicht nach Noten spielt.«

»Ja, wie die Zigeuner,« spottete Helene.

»Noch ein Wort, und ihr tanzt überhaupt nicht.«

In diesem Augenblick hielt ein Bauernschlitten, mit Paketen und Vorräten beladen, vor der Freitreppe.

»Papa!«

Alle stürzten ins Vorzimmer. Herr Cyprian hatte dem Diener hastig seinen Pelz zugeworfen, umarmte rasch seine Töchter und küßte seiner Frau die Hand.

Er war groß, mager und hatte ergrauenden Schnurrbart und leuchtende, wie von Fieber glänzende Augen.

Er war nicht zum Stillstehen zu bewegen.

»Laßt mir rasch auftragen; ich muß sofort wieder in die Stadt.«

Und während er schnell einen Bissen verschlang, sagte Frau Julie: »Geht alles nach Wunsch in ›Grüntann‹? Hast du Butter und Käse mitgebracht? Wird das Haus zum Frühjahr fertig sein?«

Auf all diese Fragen antwortete er mit bejahendem Kopfnicken.

»Auch ich,« sagte sie zuletzt, »habe dir gute Nachrichten von der Meierei zu geben, und deshalb beabsichtige ich, einen Ball zu veranstalten.«

Er sah sie überrascht an.

»Jawohl, wir müssen uns durchaus wieder eine Stellung schaffen, müssen von uns reden machen, besonders jetzt, wo du an eine politische Laufbahn denkst.«

Und da sie ihn mit Hast nach seinem Pelz und seiner Mütze greifen sah: »Da du in die obere Stadt gehst, könntest du bei Malva vorsprechen und die junge Violinspielerin für Ostersonntag bestellen, immer zum gleichen Preis,« setzte sie leiser hinzu.

»Ich dachte, sie sei verfemt,« entgegnete Herr Cyprian ironisch und ging hinaus.

*


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