Friedrich Wilhelm Nietzsche
Fragmente 1875-1879, Band 2
Friedrich Wilhelm Nietzsche

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[Juni – Juli 1879]

[Dokument: Notizbücher]

40 [1]

Octobermensch. Bauern im Schwarzwald.

40 [2]

Nur fehlt mir ein Menschlein.

40 [3]

Ich schließe: Beschränkung seiner Bedürfnisse. In diesen aber muß Jeder zusehen, Fachkenner zu werden (z.B. in Betreff seiner Speisung, Kleidung, Wohnung, Heizung, Clima usw.). Sein Leben auf so viel oder wenig Fundamente stellen als man ausreichend beurtheilen kann – so fördert man die allgemeine Moralität, d.h. man zwingt jeden Handwerker, uns ehrlich zu behandeln, weil wir Kenner sind. Ein Bedürfniß, worin wir nicht Kenner werden wollen, müssen wir uns verbieten: dies ist die neue Moralität.

Kennerschaft hinsichtlich der Personen, welche wir gebrauchen, ist das erste Surrogat. Also Menschenkunde, dort, wo unsere Sachkunde aufhört.

Also: eine ganz andere Art von Wissen zu erwerben, auf Grund unserer Bedürfnisse.

40 [4]

Die Maschine controlirt furchtbar, daß alles zur rechten Zeit und recht geschieht. Der Arbeiter gehorcht dem blinden Despoten, er ist mehr als sein Sklave. Die Maschine erzieht nicht den Willen zur Selbstbeherrschung. Sie weckt Reaktionsgelüste gegen den Despotismus – die Ausschweifung, den Unsinn, den Rausch. Die Maschine ruft Saturnalien hervor.

40 [5]

Die Unfreiheit der Gesinnung und Person wird durch den revolutionären Hang bewiesen.

Die Freiheit durch Zufriedenheit, Sich- einpassen und persönliches Bessermachen.

40 [6]

Gegen die Schädlichkeit der Maschine, Heilmittel

1) Häufiger Wechsel der Funktionen an derselben Maschine und an verschiedenen Maschinen.

2) Verständniß des Gesamtbaus und seiner Fehler und Verbesserungsfähigkeit

(der demokratische Staat, der seine Beamten oft wechselt)

40 [7]

Bei einem weniger gewaltsamen Charakter des socialen Lebens verlieren die letzten Entscheidungen (über sogenannte ewige Fragen) ihre Wichtigkeit. Man bedenke, wie selten schon jetzt ein Mensch etwas mit ihnen zu thun hat.

40 [8]

Mein größter Schmerz.

40 [9]

Mir wurde Angst beim Anblick der Unsicherheit des modernen Culturhorizonts. Etwas verschämt lobte ich die Culturen unter Glocke und Sturzglas. Endlich ermannte ich mich und warf mich in das freie Weltmeer.

40 [10]

Sentimentale Stimmungen (über die Vergänglichkeit aller Freude, oder melodisches Seufzen nach Befreiung aus dem Gefängniß) immer als Ausdruck deprimirter Nerventhätigkeit. Der größte Theil der Musikfreude gehört hieher. – Es giebt Culturen der aufsteigenden Nerventhätigkeit und solche der absteigenden; ebenso Philosophien, Dichtungen.

Nur die Ermüdung (des Denkens) namentlich in einer zeitweiligen Hoffnungsarmut führt sie in den Wagnerischen Dunstkreis.

40 [11]

Das „Lied an die Freude" (22. Mai 1872) eine meiner höchsten Stimmungen. Erst jetzt fühle ich mich in dieser Bahn. „Froh wie seine Sonnen fliegen, wandelt Brüder eure Bahn -". Was für ein gedrücktes und falsches „Fest" war das von 1876. Und jetzt qualmt aus den Bayreuther Blättern alles gegen das Lied an die Freude.

40 [12]

Wie auf unseren Theatern Helden mit Lindwürmern kämpfen und wir an ihr Heldenthum glauben sollen, trotzdem wir sehen – also sehen und doch glauben – so auch bei ganz B<ayreuth>.

40 [13]

Musik-sentiment<alität>.

Zu beschreiben.

Nachtwach, schlafsehnsüchtig – hell röthlich braun.

40 [14]

Je vollkommner die Maschine, desto mehr Moralität macht sie nöthig. (Beil Flinte usw.)

40 [15]

Je feiner der Geist, desto mehr leidet der Mensch beim Übermaß der Begierden. Insofern bringt geistige Verfeinerung auch dasselbe hervor was die Moralität der gebundenen Geister.

40 [16]

Die Lehre von den nächsten Dingen.

Eintheilung des Tags, Ziel des Tags (Perioden).

Speisung.

Umgang.

Natur.

Einsamkeit.

Schlaf.

Broderwerb.

Erziehung (eigne und fremde).

Benutzung der Stimmung und Witterung.

Gesundheit.

Zurückgezogenheit von der Politik.

Unnatürliche Verschiebung:

die Krankheit (als heilsam)

der Tod (als Segen)

das Unglück (als Wohlthat)

Kampf gegen den Schmerz. Die Kampfmittel werden wieder zu Schmerzen (im Kämpfen liegt die Übertreibung, das auf-die-Spitze-treiben). Natur als Schmerz, Religion als Schmerz, Gesellschaft als Schmerz, Cultur als Schmerz, Wissen als Schmerz. Also: Kampf gegen den Kampf!

Heilung der Seele.

Sorge.

Langeweile.

Begierde.

Schwäche.

Wildheit, Rache.

Entbehrung.

Verlust.

Krankheit.

Freude. Dreifaltigkeit der Freude

1) als Erhebung

2) als Erhellung 4) dreieinig.

3) als Ruhe

40 [17]

Wir schätzen die Dinge nach der Mühe ab, die das Herstellen oder Fangen derselben uns gemacht hat. Daher "Werth". Dies wird auf die Wahrheit übertragen und giebt lächerliche Resultate.

40 [18]

Gegen die philosoph<isch>-relig<iösen> Kuppler

40 [19]

Der Lehrer ist, durch Verbreitung der Selbst-Erziehung, auf die höchsten Ansprüche zu steigern, in seinen mittleren Formen zu vernichten.

Die Schule zu ersetzen durch lernbegierige Freundschafts-Vereine.

40 [20]

Das unstäte Reiseleben der Gebildeten ist ein Beweis, daß sie sich aufsuchen müssen und daß so wenig Gebildete an einem Ort leben. Zehn gereifte und mannigfache Vertreter des Geistes bannen sich fest durch den gemeinsamen Zauber ihres Zusammenlebens. – Das Natur – suchen ist ein Surrogat bei dem Mangel an guter Gesellschaft. Lieber allein als schlecht gepaart. Man flieht nicht sowohl vor sich selbst als vor seinem Umgange, wenn man regelmäßig alle Sommer den Ort verläßt.

Anwurzelung ist aber nothwendig für das Bestehen aller gemeinsamen Institutionen. Man wird Reisender „ Wanderer", wenn man nirgends heimisch ist. Also: das moderne Kloster.

40 [21]

Metaphysik und Philosophie sind Versuche, sich gewaltsam der fruchtbarsten Gebiete zu bemächtigen: sie gehen immer eher zu Grunde, weil Wälder entwurzeln über die Kräfte des Einzelnen geht.

40 [22]

Gegen die geheuchelte Verachtung der nächsten Dinge und deren wirkliche Vernachlässigung (rohe Auffassung).

40 [23]

Die nächsten und die fernsten Dinge.

40 [24]

Wann ich geweint habe:

1) Commune

2) Gedicht Rosenlaui

3) Bauern Schwarzwald

4) Traum

5) Adresse aus Wien Geburtstag

40 [25]

Der Faden, auf dem die Gedanken manches Denkers laufen, ist so fein, daß wir ihn nicht sehen und daß wir vermeinen, jener fliege oder schwebe oder treibe die Kunst der beflügelten Dichter. Aber wie die Spinne oft an einem zarten Fädchen herab läuft –

40 [26]

Jetzt müssen wir unsere Zurückgezogenheit rechtfertigen: universal –

40 [27]

Wie erzeugt man Menschen mit gutem Temperament?


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