Friedrich Wilhelm Nietzsche
Fragmente 1875-1879, Band 2
Friedrich Wilhelm Nietzsche

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[Ende 1876 – Sommer 1877]

[Dokument: Notizbücher]

21 [1]

Gletscher Steinchen Blümchen

21 [2]

Alle Schriftsteller erleben zu bewusst, zu unsicher.

21 [3]

Kamm, Halsband, Ohrringe Broche – Ein Stil es ist Filigran.

21 [4]

"anständige Verbrecher"

"die Eitelkeit des Gelehrten"

"Freundschaft"

"Lob des Irrthums"

"der europäische Mensch"

21 [5]

Eitelkeit verträgt sich mit Selbstverachtung – höhere Warte des Selbstmordes.

21 [6]

Periode der grossartigen Mot<ive> das Persönliche nicht das Unpersönliche.

21 [7]

Offenheit Verstecktheit als Ausgangspuncte der Tugenden niederer Bevölkerung.

Vornehm-vulgär für die höhere Kaste.

21 [8]

Wir hören nicht gerne Handlungen erzählen, welche der Erzählende uns nicht zutraut: oder sie müssen ganz in's Erstaunliche und Ausnahmsweise gehen.

21 [9]

der Freigeist

die Ehe

das leichte Leben

psychologische Beobachtungen

21 [10]

Die munteren hüpfenden Bewegungen des Wallfisches machen Freude als ob sie Spiel und Lust bedeuteten: inzwischen ist es die Qual die die Natur im Innern ihm macht. So bewundert man die Munterkeit grosser Staatsmänner.

21 [11]

Menschheit, eine unordentlich fungirende Maschine mit ungeheuren Kräften.

21 [12]

Auf vulkanischem Boden gedeiht alles.

21 [13]

Schopenhauer zur Welt wie Blinder zur Schrift.

21 [14]

Das Ahnungsvolle Intuitiv-Unlogische im deutschen Wesen ist Zeichen, dass es zurückgeblieben, noch mittelalterlich-bestimmt ist – manche Vorzüge liegen darin, wie in allen Dingen.

21 [15]

Die deutsche Zukunft ist nicht die der deutschen Geldbeutel.

21 [16]

Bildung des Auges wichtiger als des Ohres.

21 [17]

Weg vom Freidenken geht nicht zum Freihandeln (individuell) sondern zum regierungsweisen Umgestalten der Institutionen.

21 [18]

Säugethier Zeugethier

21 [19]

elfter Finger – Fingerhut

21 [20]

Es verwundet, den Hochverehrten sich zum Dank verpflichten.

21 [21]

Traum von der Kröte.

21 [22]

Ehrgeizige Menschen, durch Krankheit zur Unthätigkeit verurtheilt, werden sich selbst die bösesten Feinde. Der thätige Ehrgeiz ist eine Hautkrankheit der Seele, er treibt alles Schädliche nach aussen.

21 [23]

Wer sich erlaubt öffentlich zu sprechen ist verpflichtet sich auch öffentlich zu widersprechen, sobald er seine Meinungen ändert.

21 [24]

Es giebt nur Gründe gegen den Selbstmord individuell. Starke Medizin. Moralische Gründe gar nicht.

21 [25]

Man muss nicht zu viel Recht haben wollen, aber auch nicht zu wenig.

21 [26]

Der Freund der moralischste Mensch. Aristoteles.

21 [27]

Auf That kommt alles an – Nutz.

21 [28]

Für die jetzige, europäische Cultur ist characteristisch die langsame Berauschung und das Stillestehen an einer gewissen Grenze.

21 [29]

Man denkt nie soviel an eine Freundin oder Geliebte, als wenn die Freundschaft oder Liebschaft im letzten Viertel steht.

21 [30]

Wer an den Vergnügungen erst vorsichtig herumkostet, behält nachher kaum einen Mund voll Annehml<ich>k<eit> übrig.

21 [31]

Das Egoistische gilt als böse, in den meisten Fällen mit Unrecht; denn dass es schädigt, giebt ihm nicht diesen Character. Es will sich erhalten, Character der Nothwehr (selber Emotion der Nerven zu haben kann Bedürfniss sein). Ohne Bedürfniss schädigen und mit Absicht ist Unsinn.

21 [32]

Man klagt dass socialistische Arbeiter denselben besitzsüchtigen bürgerlichen Sinn haben, sobald, sie das Ziel erreichen.

Falsch: Das ist das Richtige. Die Anschauungen aus der Lage: niemand ist Schutzzöllner wenn – – –

21 [33]

Alles gesellschaftliche Essen und Trinken, widerwärtig.

21 [34]

Musik anhören Rauchen Essen und Trinken – von der lutherischen schwerfälligen Gemüthlichkeit aus.

21 [35]

Gegen den Rausch.

21 [36]

Nützlichkeit im Wesen der Moral – der Grenzbewohner als Mörder.

21 [37]

Inconsequenz des Princips, mit in den Gang hineingerissen, eingewachsen, fortwachsend, mitunter dem Princip eine andere Richtung gebend.

21 [38]

Glockenlaute – goldenes Licht durch die Fenster. Traum. Ursache a posteriori hineingedichtet wie bei den Augenempfindungen.

21 [39]

Eduard Leuchtenberg Roon

Pflugschaar.

1 Sentenzen.

2 Zur Kenntniss des Menschen.

3 Allgemeine Orientirung.

4 Religion.

5 Kunst.

6 Moral.

21 [40]

Liebe und Hass blödsichtig einäugig, ebenso „Wille".

21 [41]

Unsern höchsten Stimmungen entsprechende Naturerklärung ist metaphysisch.

21 [42]

Stelle im Tristram über Barbarei.

C. Desmoulins

Henker

Cynismus die Hinrichtung erfrischt.

21 [43]

Der Socialismus beruht auf dern Entschluss die Menschen gleich zu setzen und gerecht gegen jeden zu sein: es ist die höchste Moralität.

21 [44]

Der Reiz der Wissenschaft hebt sich jetzt noch durch den Contrast.

21 [45]

Wer es kann, der folge mir in der Gerechtigkeit gegen verschiedene Culturen.

21 [46]

Philosophie ist die Fata Morgana welche die Lösung den ermüdeten Jüngern der Wissenschaften vorspiegelt.

21 [47]

Inhaltsreiche Menschen haben in Bezug auf die selben Dinge Ebbe und Fluth, Zuneigung und Abneigung. Man muss jede dieser verschiedenen Strömungen – – –

21 [48]

Die Wahrheit steht hier ganz auf dem Kopf, was für die Wahrheit besonders unschicklich ist.

21 [49]

Leichenzug im Carneval einstmals historisch wie jetzt die anderen Wagen.

21 [50]

Tristan: Auf- und Überschwung der Leidenschaft.

21 [51]

Gewisse Erkenntnisse schützen sich selbst: man versteht sie nicht.

21 [52]

Glaube an die Wahrheit

Wer sich erniedrigt

Mitleid schweigt

21 [53]

Die Wissenschaft macht dem, welcher sie fördert, Lust: sehr wenig dem, welcher Resultate empfängt.

Aber anders mit Kunst Religion usw. Wir müssen das Reich der Unwahrheit in uns halten: dies ist die Tragödie.

21 [54]

Violette (mehr roth als blau) Tapeten Vorhänge nerven beruhigend, ein amerikanischer Arzt hat Wahnsinn damit kurirt.

21 [55]

Hat man sich auch einer Religion entwöhnt, so glaubt man doch einen Satz besser bewiesen, wenn seine Stimmung uns religiös anmuthet z. B. "ein ganz sicheres Evangelium".

21 [56]

A. Bedingungen der Erzieher.

  1. Beschaulichkeit
  2. mehrere Culturen durchlebt
  3. eine Wissenschaft.

<B.> Themata:

C. Erholungen – – –

Centra der Cultur nöthig, sonst die Verflachung: warum die Höfe, die Universitäten, die grossen Städte es nicht sind?

21 [57]

Pflüger. Richter zugl<eich> Seelsorger.

Vorrede hinterdrein.

21 [58]

Contrast tief leidender Betrachtung, ihrer Erfordernisse zur Tröstung und der wissenschaftlichen Cultur.

21 [59]

Würdige Beurtheilung eines Metaphysikers wie Schopenhauer als Zeugniss für den Menschen (aber einen unwissenschaftlichen).

21 [60]

Wenn der Mensch sofort mit Einsicht in die Wahrheit begabt wäre, die Schule des Irrtums nicht durchgemacht hätte?

21 [61]

Wirkung des Feuertodes, die Grausamkeit als Kraftquelle für die Nächsten.

21 [62]

Die Wahrheit einflusslos wie die gehende Sonne.

21 [63]

Anfang: unsere Erzieher sind selber nicht erzogen.

Schluss: Tod so lange wie möglich zu verscheuchen. Aeternität.

21 [64]

Auferstehung je 300 Jahre.

21 [65]

F<rage>. Wenn man etwas nimmt hat man es?

Ja.

Aber die Jungfrauschaft?

21 [66]

Hat man angefangen öffentlich zu denken, so muß man sich erlauben, sich öffentlich zu widersprechen.

21 [67]

Goethe's Lieblingsproblem im Wilhelm Meister.

21 [68]

Separiren geistiger Phasen mit Bewusstsein, Zeichen von Cultur.

21 [69]

Frauen Heirathen Trauung

21 [70]

Optim<ismus> Pessim<ismus> nichts

21 [71]

Graugrün Oberkleid und blau hell Unterkleid mit weissen Spitzen

21 [72]

Die bösen Handlungen auf Irrthümern beruhend z. B. Rache auf dem Glauben an Verantwortlichkeit, ebenso Grausamkeit, soweit Triumph der Macht.

21 [73]

Alle bösen Eigenschaften gehen auf den Erhaltungstrieb des Einzelnen zurück, der doch gewiss nicht böse ist. Missgunst bei Hunger, wenn ein anderer – – –

21 [74]

Aus einem metaphysischen Zeitalter in ein realistisches [+] ist ein tödtlicher S<prung> Übergänge [+]

21 [75]

Gegen Aristoteles, Geistergeschichten – durch die Kunst das Mitgefühl der Menschen gemehrt, darauf Moral, ebenso durch die Religion.

21 [76]

Wie wäre der Genius der Cultur?

21 [77]

Einzug der Wissenschaft in die Welt auf Schleichwegen nicht effectvoll.

21 [78]

Warum zögern wir noch und betrüben uns selber durch unsere Freuden – es ist gleichgültig – aber wer uns ein schändliches [- -] geben will [– – –] sonst braucht man sich nicht

zu schämen.

21 [79]

Mädchen-Affe.

21 [80]

Was wir lieben, daran sollen wir alle guten Seiten– – –

Nun lieben wir uns selber – – –

21 [81]

Entweder schätzen wir uns auf Grund eignen Urtheils oder auf Autorität.

Vergleichung ein Hauptmittel zur Lust an uns.

21 [82]

I Zur Geschichte der Cultur.

II Menschliches, Allzumenschliches.

III Sentenzen-Buch.

IV Entstehung der griechischen Litteratur.

V Schriftsteller und Buch.

VI Philologica.

21 [83]

Moralität hängt oft vom Erfolg <ab>.

21 [84]

Schluss gelöbniss über Wissenschaft. Wenn ihr es könnt, werdet ihr müssen.


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