Friedrich Wilhelm Nietzsche
Fragmente 1875-1879, Band 2
Friedrich Wilhelm Nietzsche

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[Sommer 1875]

[Dokument: Mappe loser Blätter]

Vorarbeit zu „Richard Wagner in Bayreuth"

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35. Zu Wagner. Der Kampf mit der αναγκη; darin ruht aller Fortschritt, daß man verlernt, irgend etwas für Nothwendigkeit zu halten. Wagner hat die Desperation vom modernen Menschen genommen, als ob er immer nur Epigone sein müsse. Während sonst in allem wir der alten Cultur verpflichtet sind, mit Staat Gesellschaft Religion: bringt er den Menschen an's Licht, der in uns vor aller Kultur ist und damit wirft er die schwere Last von sich.

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36. Er empfindet die Schmach der modernen Kunst innerhalb der modernen Gesellschaft, den Widerspruch der Anforderungen, er erträgt es nicht, quietistisch in der Ecke zu bleiben, sondern als Künstler verlangt er für die Kunst ihre öffentliche Würde und wird an allem zum Revolutionär. Alles an ihm ist prophetisch. Die Wortgelehrten haben nichts mehr zu sagen. Die Schrift-kunst und Poesie ist zum ersten Male erkannt und verachtet. Indem er christlichen und nordischen Mythus beseelt, spricht er doch gar nichts Dogmatisches aus und ist nicht rückständig, wie sonst der Dichter. Das Evangelium der Liebe gegenüber der Macht, der Convention, dem Geist des Handels und des Geldes und der Verträge. Er hat den Sinn für die Armen und Zurückgesetzten in unserer Cultur, den Mimen und Musiker entdeckt er. Er macht die Herzen weich und erschüttert. Und im Umkreis von Jahrhunderten saugt er alles Interesse an sich und ist der Wendepunkt. Der größte Künstler.

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Charakter der neuen Cultur: das Wissen ihr Fundament, der Nutzen ihre Seele. Woher nimmt man nun die Hoffnungen einer edleren Menschheit? Woher soll die Menschenliebe kommen? Der Veredlung des Einzelnen kann die Religion jetzt nicht mehr nützen, sein Wahrheitssinn empört sich. Die „Liebe zu Gott" ist eine Phrase. Da wäre es denn vorbei mit der Cultur? Der Nutzen bestialisirt und das Wissen mumisirt. Und die Rachegelüste der bisher unterdrückten Menschheit! Was bindet zusammen? Wo ist das Gemeinsame? Ist nicht alles Mittel zur Unterdrückung gewesen, die Kunst voran? Es ist der Haß und die Lust zu vernichten nur zu begreiflich. – Hier ist nun der Künstler Wagner ein Symptom des Entgegengesetzten. Es spricht der Geist der Verneinung des Bisherigen aus ihm; ebenfalls aber das Gefühl des tiefsten Mitleidens, des Hülfreichen, das den Kampf mit der Nothwendigkeit aufnimmt: das Prometheische des Künstlers. Fast hätte er bei diesem Kampf seine Kunst verloren: der Ekel war zu groß. „Ihr heroisch Weisen, gebt euer Herzblut drum."

Das Mitleiden, das zur Mitthat drängt!

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34. Es sind Elemente da in Wagner, die reaktionär erscheinen: das Mittelalterlich-chiristliche, die Fürstenstellung, das Buddhaistische; das Wunderhafte. Von hier aus mag er manchen Anhänger gewonnen haben. Es sind seine Mittel sich auszudrücken, die Sprache, die noch verstanden wird, aber einen neuen Inhalt bekommen hat. Diese Dinge sind bei dem Künstler künstlerisch, nicht dogmatisch zu nehmen. Auch das National-Deutsche gehört hierzu. Er sucht für das Kommende im Gewesenen die Analogien, so erscheint ihm das Deutsche Luthers, Beethovens und seiner selbst, das Deutsche und seine großen Fürsten, als Bürgschaften, daß etwas Analoges von dem, was er für nöthig in der Zukunft hält, einmal da war; Tapferkeit Treue Schlichtheit Güte Aufopferung, wie er alles dies in der herrlichen Symbolik seines „Kaisermarsches" zusammengesagt hat – das ist sein Deutschthum. Er sucht den Beitrag, den die Deutschen der kommenden Cultur geben werden. Das ist freilich nicht der „Historismus" der Gelehrten Deutschlands, wie Hillebrand meint. Denn das ist wirklich Reaktion und Lügengeist und Optimismus. Sondern in dem großen unbefriedigten Herzen, das weit größer ist als eine Nation – das nennt er deutsch: man nennt es vulgärer Weise das Kosmopolitische des Deutschen, das ist aber nur die Karikatur. Die Deutschen sind nicht national, aber auch nicht kosmopolitisch, die größten Deutschen; nur ihre Feinde haben ihnen den dummen Wahn, man müsse beschränkt sein, eingeimpft.

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32. Die Liebe im Tristan ist nicht schopenhauerisch, sondern empedokleisch zu verstehen, es fehlt ganz das Sündliche, sie ist Anzeichen und Gewähr einer ewigen Einheit.

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33 – In Wagner sind gefährliche Neigungen: das Maaßlose (wie leicht hätte sein Genie sich zersplittern können! Aber es ist, wie bei den Griechen, als Künstler ist er οωφοων(?), als Mensch nicht), die Neigung zu Pomp und Luxus (durch die fortwährende Entbehrung aufgestachelt, das Loos aller Künstler), das Eifersüchtige (er ist gezwungen zu einem Sich-messen an allen modernen Kräften, namentlich Künstlern, um das Wagnerhafte, aber Embryonische an ihnen zu entdecken und so sich doch als nothwendig zu fühlen; wenn er aber der Entwicklung auf sich hin Nothwendigkeit zumißt, so sieht er die andern Entwicklungen als Ab- und Nebenwege, auch Irrwege an, als entzogene Kräfte, als Vergeudung, und zürnt darüber; er zürnt auch dem Ruhme, der solchen Irrsternen gefolgt ist, weil es seinem Wege den Sonnenschein und seinem Werke die Fruchtbarkeit nimmt), das Vielgewandte, Vielverstehende (das Lesen in fremden Individuen, das Überschauen läßt kaum einen recht menschlichen Verkehr zu, wie man auch mit einem Weisen nicht umgehen kann. Einzig naht ihm die Liebe, aber diese blind, während er sieht. So gewöhnt er sich, sich lieben zu lassen und dabei zu herrschen: er hilft andern vor der Verzweiflung.) List und Kunst der Täuschung, zahllose vorgeschobene Motive, Auswege, gleichsam Nothbehelfe im Drama seines Lebens; die er blitzschnell findet und anwendet. Immer Recht haben, sein Unrecht bezieht sich höchstens auf die Form, den Grad, oder das gesammte Material war ihm nicht bekannt. – Alle diese Gefahren sind die Gefahren des Dramatikers, besonders gesteigert durch seinen Kampf, der um die Mittel nicht verlegen sein läßt. Er hat etwas von seinen Helden, sie sündigen nicht. – Nun liegt die Religion der Musik um sein ganzes Wesen: er fühlt es wie Verträge Macht Glanz Kampf und Sieg nicht beseligt, wie alles mächtige Wollen ungerecht macht, und so nennt er die Liebe das Höchste. Die Empedokleische. Er will ja helfen, nützen, erretten – und dies verurtheilt ihn zu einem solchen Leben der Leidenschaft und des Ungenügens.

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28. Im Drama ist seine Leidenschaft langathmig und hat ihre Bogengestalt, ansteigend, rasch absteigend; er ist nicht so idyllisch und breitet sich wie ein sanfter See aus. Er bewegt sich unruhig, an verborgenen Felsenzacken gleichsam, zuckend, und plötzlich, allmählich geräth er in eine fortreißende Bewegung, die Unruhe ist in eine Ruhe der schnellen breiten Bewegung übergegangen und nun stürtzt er hinunter in die Tiefe, prachtvoll und mächtig. Die Lust an der Leidenschaft, etwas von der Meereslust an der Brandung und Unwetter.

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29. Die vielköpfige Leidenschaft im Drama sein Element: es ist der seelische Vorgang in einer Gruppe von Personen, den er zugleich empfindet. Sein Orchester ist der Ausdruck der verflochtenen Leidenschaft, symbolisch, ohne Ende; der Mensch aller Zeiten wird sich hier wiedererkennen. Er hat ein Ausdrucksmittel, welches über Sprache Convention Gebärde weit hinaus ist; oder vielmehr: Wort, Gebärde dienen zur Verdeutlichung der inneren bewegten Welt des Gemüths.

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30. Das Volksthümliche: höchst merkwürdig, da er als Schriftsteller nicht einfach, nicht direkt ist, sondern sich müht, eine ihm unnatürliche Sprache zu sprechen. Er spricht die der höchsten Bildung, aber der alten, unvolksthümlichen, gelehrt-abstrakten; sobald er in sein Element kommt, wirft er dies alles von sich. Auch die Sentenz: man ist auf den Zustand zurückversetzt, wo man noch dichtete und fast noch nicht dachte: in die Zeit, wo die Sprache entstand.

31. Wie volksthümlich er ist, sehe man im Vergleich zu Goethe. Das ganze Faustproblem ist für uns dem Mittelalter kaum entkommenen Menschen sehr verständlich; von dieser Zeitbeziehung abgesehen, ist es die unverständlichste Dichtung. Goethe selbst wußte es, aber benutzte die „barbarischen Avantagen". Wie muß ein Volk zugerichtet sein, damit es den Faust als Volksstück gern haben konnte! Goethesche Lieder sind dem Volkslied nachgesungen, aber nicht vorgesungen: wie es der große Dichter thut.

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Letzter Akt der Götterdämmerung: alles Abendröthe, Sommerluft, Spätsommer, tiefes Glühen, Trauer webt in allem. Siegfried von seinen Thaten erzählend die rührende Erinnerung. Tragisch jäh bricht die Nacht ein.

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Wie war mir doch in Nirmsdorf, in der goldenen Aue! der Mond ist aufgegangen. In Plauen am Bach unter Schmetterlingen im Frühling. In Pobles, als ich über die verlorene Kindheit weinte. In Röcken, als ich bunte Schneckenhäuser fand. Bei Naumburg, als ich Kalkspathe und Gips grub. In Pforta als die Felder leer waren und der Herbst kam. Als der Großvater mir Hölty's „Wunderseliger Mann" erklärte. Bei Bonn am Einflusse der Wied (?) in den Rhein überkam mich noch einmal das Gefühl der Kindheit. Dann in der Neugasse, wo ich immer die mahnende Stimme des Vaters hörte. – Die Geschichte, welche die Haushälterin des Pastors Hochheim erzählte. Auf der krummen Hufe im Mondschein Schlittschuh fahrend, „was ich des Tags verdient auf meiner Leyer". – Ravaillac.

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25. Wagner ist Organisator von Massen: von großer Masse des Mythus, von großen langathmigen Scenen. Gesetzgeberisch für ganz große Verhältnisse. Deshalb kann er einfach sein, wie nie ein Dramatiker gewesen ist. Er erreicht damit die höchste Wirkung. Blick für den großen Rhythmus zeichnet ihn aus. In Betreff des Rhythmus im Kleinen ist er für das Lebensvolle, Bewegte, Vielartige; jede Musik erscheint steif nach der seinigen; er macht alles Vorhergehende zu einer archaischen Kunst. Es ist als ob es auch noch kein Orchester gegeben habe, bevor seines erklang: das beseelte Leben jedes Instrumentes war früher gar nicht da.

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26. Das Überflüssige in der Kunst: selbst das Gute einer bestimmten Art soll einmal dasein. Der Reichthum der Kunst in der Mannichfaltigkeit der Formen und Wiederholungen hat den Nachtheil, die Form zu verbrauchen, abzustumpfen. Weshalb man sehr streng gegen Nachahmer sein soll. Die griechische Tragödie war vorbei, als die Dilettanten darüber herfielen. – Das Schönste ist die Unnachahmbarkeit Shakespeares und Wagners. D. h. in vielen Dingen, Mitteln der Wirkung werden sie sofort massenhaft nachgeahmt, und es giebt jetzt keinen begabten Componisten, der nicht bereits Wagnerisches Gepräge hätte, in den Melismen, der Harmonik, der freien langen Melodie usw. Die Gefahr von solcher Nachahmung ist sogar sehr groß, wie bei Michel Angelo. Um so stärker muß man sich von der Zusammengehörigkeit der Wagnerischen Mittel und Zwecke überzeugen, um es fast mit Ekel zu empfinden, wenn dann die Mittel isolirt zu ganz andren und kleinen Zwecken verwendet werden. Wagner muß auf Musiker die Wirkung haben, daß er diese zu Virtuosen der Ausübung und zu strengen Lehrmeistern macht; aber das wahnsinnige Componiren sollte er ihnen verleiden.

27. Besonders ist die Gefahr des Naturalismus groß, nach Wagner. Das Erschreckende, Berauschende usw. seiner selbst wegen erstrebt. Eine ungeheure Fülle von Mitteln ist ja da.

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Um die Erbschaft der Vergangenheit antreten zu können, müssen wir uns auch verpflichtet fühlen, ihre Schulden zu bezahlen. Man muß gut machen, was sie versäumt und verbrochen hat: das ist der billige Dank dafür, daß wir an dem Theil haben dürfen, was sie gewonnen und errungen hat.

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24. Die vor-Wagnerische Musik hatte einen episch-lyrischen Charakter; eine Stimmung z. B. eine andächtige bußfertige, heitere usw. wollte sich aussprechen; eine gewisse Gleichartigkeit der Formen und längere Dauer setzten endlich den Hörer in diese Stimmung. Die Gesammt form eines Stimmungsbildes bekam gewisse Gesetze von Anfang und Schluß, Vermeidung von Langeweile und Monotonie bestimmte die Länge. Nun kamen die Contrastwirkungen der aufeinander folgenden Stimmungen auf und später auch, in demselben Tonstück, der Contrast des Ethos. Sehr häufig ein männliches und ein weibliches Motiv. Das sind alles noch uranfängliche Stufen der Musik. Dabei will sie meistens nur unterhalten, und höchstens rühren: die Stimmungen dürfen nicht zu tief, nicht zu stark sein und die Contraste deshalb auch nicht zu kühn. Allmählich lernte man aber doch eine Menge symbolischer Formen für alle Arten von Stimmungen erfinden. Und nun geschah etwas Neues: man bekam die willkürliche Contrastirung satt und überhaupt die Stimmung, das ηθος und seine Gegensätze; während man auf der anderen Seite immer raffinirter wurde in seltenen Stimmungen, in der Zeichnung abnormer Charaktere (blasirter, kindlicher, greisenhafter, nationaler). Beethoven erfand die Sprache der Leidenschaft, nicht mehr der Stimmung: und damit war die Form der Stimmungsmusik unmöglich: nicht mehr ein idyllischer See war jetzt zu malen. Ein innerer dramatischer Vorgang – denn jede Leidenschaft hat einen dramatischen Verlauf – erzwang sich seine Form; vielfach hemmte und störte das überlieferte Thema der Stimmungsmusik, das wie ein steifes Gesetz die Leidenschaft einschnürte. Es war oft ein Widerspruch: das Pathos, das sich in der Art des Ethos aussprechen sollte. Für das Pathos ist die große Form nöthig, um den großen geschwungenen Bogen jeder Leidenschaft wiederzugeben; die Symphonie wurde von Beethoven dafür erkannt, doch noch mit Anlehnung an die Contraste der Zustände; so daß er oft drei vier Stufen aus dem ganzen Verlauf einer Leidenschaft herausnahm und die Linie der ganzen Leidenschaft mehr errathen ließ, dadurch daß er vier Punkte ihrer Flugbahn hinzeichnete. Dadurch entstand für viele Zuhörer eine Entfremdung von der Musik: sie konnten die Flugbahn nicht erkennen, und die Contrastwirkungen der einzelnen Theile waren auch unfaßlich. Und so entstand bei den geringeren Musikern die reine Willkür der Theile und ihrer Folge; der Zusammenhang des Ganzen fehlte, es waren vier Stücke. (So wie Aeschylus vier Punkte aus dem Leben und Mythus herausnahm und später die Stücke selbständig wurden.) Also: die Erfindung der großen Form der Leidenschaft führte, nicht verstanden, zurück auf den Einzelsatz mit subjektivem Inhalt und das Spannungsverhältniß der Theile zu einander hörte ganz auf; nur daß man häufig wieder zur früheren Contrastwirkung zurückgriff. Denn man muß Leidenschaft haben, um sie darstellen, um sie verstehen zu lernen: Musiker, wie Schubert, Schumann Mendelssohn haben nur Ethos, und deshalb ist die nach-Beethovensche Symphonie ein so wunderliches Gebilde. Im Einzelnen stammeln sie die Sprache des Beethovenschen Pathos, das verwirrt den Zuhörer noch mehr. Mittel passen nicht zu der Absicht und die Absicht ist überhaupt nicht klar. Die lange Cdur Symphonie von Schubert ist langweilig, weil die einzelnen Sätze nur scheinbar im Ganzen, in Wahrheit nur im Kleinen, Einzelnen, ihre Berechtigung haben. Das Einzige, was diese Musiker gewirkt haben, ist, daß sie eine Menge von Ausdrucksformen zugänglicher, verbreiteter gemacht haben, besonders auch im Liede. – Beispiel an der neunten Symphonie Beethoven's: hier giebt der erste Satz den Gesammtton und -Wurf der Leidenschaft und ihres Ganges: das braust immer fort, die Reise durch Wälder Klüfte Ungeheuer: da braust in der Ferne der Wasserfall, da stürzt er in mächtigen Sprüngen hinab, mit einem ungeheuren Rhythmus in seinem Donner. Ruhe auf der Reise, ist der zweite Satz (Selbstbesinnung der Leidenschaft und Selbstgericht), mit Vision einer ewigen Ruhe, welche über alles Wandern und jagen wehmüthig-selig nieder lächelt. Der dritte Satz ist ein Moment aus der höchsten Flugbahn der Leidenschaft: unter den Sternen ist ihr Lauf, unruhig, kometenhaft, irrlichthaft, gespenstisch-unmenschlich, eine Art von Abirrung, die Rastlosigkeit, inneres flackerndes Feuer, ermüdend, quälendes Vorwärtsziehen, ohne Hoffen und Lieben: höhnisch derb mitunter, wie ein nie Ruhe findender Geist herumschweift, auf Gräbern. Und nun der vierte Satz: herzzerschmetternder Aufschrei: die Seele trägt ihre Last nicht mehr, sie hält den ruhelosen Taumel nicht aus, sie wirft selbst die Vision ewiger Ruhe von sich, die in ihr auftaucht, sie knirscht, sie leidet schrecklich. Da erkennt sie ihren Fluch: ihr Alleinsein, ihr Losgelöstsein, selbst die Ewigkeit des Individuums ist ihr nur Fluch. Da hört sie, die einsame Seele, eine Menschenstimme, die zu ihr wie zu allen Einzelnen redet und zwar als zu Freunden spricht und zur Freude der Vielsamkeit auffordert. Das ist ihr Lied. Und nun stürmt das Lied von der Leidenschaft für das Menschliche überhaupt herein, mit seinem eigenen Gange und Fluge: der aber nie so hoch gewesen wäre, wenn nicht die Leidenschaft des nächtlich fortstürmenden einzelnen Vereinsamten so groß gewesen wäre. Es knüpft sich die Mitleidenschaft an die Leidenschaft des Einzelnen an, nicht als Contrast, sondern als Wirkung aus jener Ursache. –

So bei Beethoven. Wagner erfindet nun, nach Beethoven, die Darstellung der verflochtenen Leidenschaften und braucht jetzt das sichtbare Drama zur Verdeutlichung, Wort und Gebärde. Er stellt Menschen gegenüber; er entwindet sich des Subjektiven der Leidenschaft, er stellt nicht mehr sich dar: oder zwar doch sich selbst, aber als Resonanz mehrerer leidenschaftlich handelnder Personen, deren Seelenleben in ihm nachlebt, in dem kunstvollen In- und Nebeneinander. Die Aufgabe ist so hoch, daß die Undeutlichkeit eine große Gefahr ist, und deshalb ist auf Deutlichkeit der Musiksprache Wagner's ganze Kraft gerichtet.

Er hat erreicht, was noch nie einer erreicht hat: die allerstärkste und deutlichste Sprache des Gefühls. Alle frühere Musik erscheint steif, schwächlich, manierirt, ängstlich. Die unglaubliche Festigkeit und Bestimmung jedes Gefühls grades ist bei ihm das Einzige: er hat das innerhalb der Musik gethan, was der Erfinder der Freigruppe innerhalb der Plastik that: darauf ruht seine Dirigentenkraft im Modificiren des Tempo's; er hat einen gleichsam objektiveren und hart gewordenen Eindruck der zartesten oder wildesten Regungen vor sich, den er trifft, mit zwingender Sicherheit, er schießt immer als Schütze, in's Herz. Alles ist ihm so individualisirte Leidenschaft, der Sturm und das Feuer hat sie, die ganze Natur lebt und webt, niemals unbestimmt, nie stimmungshaft, sondern wie etwas Wollendes, Begehrendes. – Nun ist das Drama bei ihm das bewegte Leben mehrerer Leidenschaften und ihre Geschichte, gleichsam ein Bündel von Kräften und Feuerzungen, die sich kreuzen, abstoßen, aufflammen, ersterben machen.

Durch die Oper waren viele einzelne Ausdrucksmittel der Leidenschaft erfunden worden und populär verständlich gemacht. Denn es ist nicht nur nöthig, diese Symbolik zu erfinden, sondern sich auch eine verstehende Hörerschaft zu erziehn. Im Concert ist dies am wenigsten geschehn; da herrscht die Affektation der "höheren Kunst" und des höheren Geschmacks. Aber in der mißrathenen dramatischen Unform der Oper wurde viel Verständniß für das Symbolische eingeschmuggelt. Hier wollte man den Effekt und war ehrlich genug dazu, fern von der vornehmen Gleißnerei, welche die „Würde der effektlosen Kunst" vertritt; da bekam man allmählich eine ganze große Summe von Effekten d. h. von verständlichen symbolischen Formen: da konnte nun ein Genie kommen und sich ihrer bemächtigen. Denn keine Form ist so gemein, daß sie nicht in der Hand des Genie's zum Ausdruck des Höchsten und Edelsten umgedeutet werden könnte. – Von der Seite Schillers her (und Shakespeares) ist das Gefühl für die langathmige Leidenschaft auf der Bühne erzogen worden: ein hoher Grad von Cultur, da das Volk sonst immer nur Stückwerk will und das Ganze und Lange preisgiebt. – Alle diese partiellen Vorbildungen und Vorbereitungen brachten immer ihr eignes Maß von Absurdität und Gelehrtenhaftem mit sich; und der aesthetische Ausdruck, das Schreiben und Reden darüber war ganz ekelhaft. Es gehörte der Blick des Genie's dazu, daß trotzdem eine Erziehung zum Drama und zur Musik der Leidenschaft da gewesen sei und daß es nur gälte, jetzt einmal alles, was ursprünglich zusammengehörte, aber, historisch, jetzt einzeln angelehrt worden war, wieder zusammenzufügen und den Versuch zu wagen, ob man jetzt das Ganze verstehe. Die ersten Versuche Wagner's gelangen nur mäßig, ja fast hätte er verzweifeln wollen. Das in Deutschland übliche Kleben am Dogma, am Hergebrachten wandte gegen die neue Gattung alles das ein, daß ihr zu jeder vorher dagewesenen Gattung vieles fehle: man sah die schlechte Oper, die schlechte symphonische Musik, das schlechte Shakespear'sche Drama in dem Werke Wagner's. Einzelne empfanden die Wirkung, und diese waren für Wagner jetzt das Publikum. Diese lehrte er, sich um die bisherige Aesthetik nicht kümmern. Während er sich seine Zuhörer und Zuschauer entfesselte, entfesselte er immer mehr seine eigene Kraft von allem Angelernten. Das göttliche Gefühl überkam ihn immer mehr, sein Reich gefunden zu haben, wo er Herrscher war. Es geht durch den Tristan ein Wohlgefühl von neuerlangter Meisterschaft, von rücksichtslosem Sagen, was er kann und will, das wohl in keinem Werk der Welt seines gleichen hat.

Jetzt erst hat er die große Form (die langathmige Leidenschaft, die vielköpfige Leidenschaft) gefunden; die Angst vor dem Mißverstehen, die ihn bis dahin zwang, das einzelne Stück immer noch zu sehr herauszuheben und zu isoliren (z. B. im Lohengrin), das Publikum gleichsam durch Annäherung an die gewohnte Form zu locken, kurz das Verführen-Wollende, das hat ihn jetzt verlassen. Nichts ist ihm unerträglicher als seine Zuhörer zu verlieren, darin ist er wahrhafter Künstler, der von der beseligenden Welt seines Wesens verständlich reden will; ein Kunstwerk, das sich nicht zu verstehen giebt, ist ein Widerspruch. Denn die Kunst ist eben die Kraft, das wirklich mitzutheilen, was man erlebt hat, weiter nichts! – Nun erkannte er die Schwächen der Mittheilbarkeit des Wort-Dramas als der Musik für sich. Das erstere hat durch den Gedanken das Wort die Gebärde auf das Gefühl zu wirken, gehört also damit in die Rhetorik. Aber nicht immer ist die Leidenschaft beredt, hier muß sie es sein, und zwar weitschweifig. Das Wort ist eine zu verbrauchte und abgenutzte Art sich mitzutheilen, und so muß der Wortdichter die Sprache und den Gedanken ungewöhnlich färben, um so den Ausdruck der Leidenschaft zu finden, geräth aber damit leicht ins Unverständliche; anderseits muß er durch Tiefe der Gedanken und Sentenzen das Ganze heben und geräth so in's Unwahre, d. h. die Leidenschaft spricht sich wirklich so nicht aus und theilt sich also auch nicht mit. Durch die Verbindung von Musik und Sprache und Gebärde erlangt Wagner vor allem, daß er die Grundregungen des Inneren, welche durch Wort und Gebärde nur ausgedrückt werden, selbst, direkt darstellt; und jetzt wird Wort und Gebärde leichtverständlich. Jetzt kann der dramatische Darsteller wieder natürlich sein (der frühere mußte affektiren, Sentenzen sprechen usw.). Der ganze Haushalt des Dramas durfte einfacher sein, das idealisirende Element war nicht erst durch große Complicirtheit des Baus usw. zu schaffen, die Kraft der Musik vermochte in jedem Augenblick alles zu heben. Die Sprache convertirte sich aus einer Gedankensprache in eine Gefühlssprache, wurde gedrängter, warf die unsangbaren Hülfszeitwörter weg usw. Mit diesem neuen Lichtapparat hatte er es in der Hand, dem innern Leben eine Überzeugung zu geben, wie sie nie ein Künstler erreicht haben kann: er konnte dem Wunderbaren einen augenblicklichen Glauben verschaffen. Deshalb konnte er auch Prozesse darstellen, die wenig Handlung in banalem Sinne sind, sondern <sich> fast ganz im Innern abspielen und doch mit der höchsten Verständlichkeit an die Theilnahme der Hörer appelliren, z. B. im Tristan. Daraus folgt nun eine Veredelung der leidenschaftlichen Gebärde, des Plastischen, überhaupt bringt die Musik, weil sie die Empfindung gleichsam streckt (denn die gesungene Leidenschaft ist länger als die gesprochene), eine Überwindung der unplastischen Aufgeregtheit mit sich, des Allzubewegten, an denen das Wortdrama leidet. – Nachdem dies alles der Künstler als seinen Machtbereich wußte, griff er nach dem Stoffe, der groß genug war, zu zeigen, daß hier eine Macht da sei, wie sie kein Künstler der Welt besessen hat – zur Tragödie der Götter und Helden überhaupt. „Die Geschichte der Religion als Tragödie."

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Instrumentation: er hat die Blasinstrumente erst zu großen Wirkungen erzogen, alle früheren sind Dilettanten, ihm gegenüber, auch Beethoven.

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Der dramatische Darsteller hat jetzt ein Vorbild in der Musik. Es ist ja durch ein Untertauchen in das fremde Wesen entstanden, Wagner schwindelt nicht wie die Dichter mit Drachen Kröten usw.: der Umfang des von ihm Erlebten und Darstellbaren ist unbegrenzt.

Selbstbeherrschung des Künstlers, der eine dreifach waltende Phantasie wie drei Rosse zügelt, zum höchsten Ziele.

Kein symphonisches Ausschweifen.

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23. Ein Wort über den Dichter Wagner. Denken in sichtbaren und fühlbaren Vorgängen, nicht in Gedanken ist das eigentlich Dichterische: dies zeigt sich im Mythus; dem nicht ein Gedanke zu Grunde liegt, wie man gewöhnlich meint, sondern der selbst ein Denken ist, aber nicht in Begriffen, ich meine ein Weltbild, welches nicht in Worten zu umspannen ist, sondern in Vorgängen. Wie sich Musik ausnimmt für einen Tauben, der nur die Chladnischen Sandfiguren sieht, so ist der Mythus für den Nichtdenker, das Volk; und für dies dichtet der Dichter, der darin selbst zum Volk, ich meine zu den Nichtdenkern, gehört. Der Ring des Nibelungen ist ein ungeheures Gedankensystem ohne die begriffliche Form des Gedankens. Vielleicht könnte ein Philosoph etwas ganz Entsprechendes zur Seite stellen, das ganz ohne Bild und Handlung wäre: dann hätte man zwei disparate Sphären. Aus der einen könnte man in die andre nicht hinein: um zur einen, müßte man reiner Denker, um zur andren zu kommen, reiner Dichter sein. Die Gedanken, welche die Helden der Dichtung äußern, sind nicht die Gedanken des Dichters als Dichter: er denkt in Vorgängen, die Folge der Scenen, und das, was vorgeht, ist sein Denken. Nur die vielen Halbdichter bringen eine Verwirrung hervor: d. h. die Künstler, die nicht ganz Dichter sind. – Wenn nun Wagner bald den christlich-germanischen Mythus, bald Schiffahrer-Legenden, bald buddhaistische, bald heidnisch-deutsche Mythen, bald protestantisches Bürgerthum nimmt, so ist deutlich, daß er über der religiösen Bedeutung dieser Mythen frei steht und dies auch von seinen Zuhörern verlangt; so wie die griechischen Dramatiker darüber frei standen und schon Homer. Auch Aeschylus wechselte nach Belieben seine Vorstellungen, selbst von Zeus. Fromm ist ein Dichter niemals. Es giebt keinen Cultus, keine Furcht und Angst <und> Schmeichelei vor diesen Göttern, man glaubt nicht an sie. Der Grieche, der im Bühnenhelden in abergläubischer Weise den Gott sah, war nicht der Zuschauer, den Aeschylus wollte. Die Religiosität der Götzen und Fetische muß vorüber sein, wenn jemand so frei in Vorgängen denken soll, als Dichter. Wagner fand einen ungeheuren Zeitpunkt vor: wo alle Religion aller früheren Zeiten in ihrer dogmatischen Götzen- und Fetischwirkung wankt: er ist der tragische Dichter am Schluß aller Religion, der „Götterdämmerung". So hat er die ganze Geschichte sich dienstbar gemacht, er nimmt die Historie als sein Denkbereich in Anspruch: so ungemein ist sein Schaffen, daß er durch alles Gewordene nicht erdrückt wird, sondern nur in ihm sich auszusprechen vermag. – In welchem Lichte sieht er nun alles Gewordne und Vergangne? – Die wunderbare Bedeutung des Todes ist hier voranzustellen: der Tod ist das Gericht, aber das frei gewählte, das ersehnte Gericht, voll schauerlichen Liebreizes, als ob es mehr sei als eine Pforte zum Nichts. (Bei jedem starken Schritt des Lebens auf dem Bretterhaus resonirt dumpf der Tod.) Der Tod ist das Siegel auf jede große Leidenschaft und Heidenschaft, ohne ihn ist das Dasein nichts werth. Für ihn reif sein ist das Höchste, was erreicht werden kann, aber auch das Schwierigste und durch heroisches Kämpfen und Leiden Erworbene. Jeder solche Tod ist ein Evangelium der Liebe; und die ganze Musik ist eine Art Metaphysik der Liebe; sie ist ein Streben und Wollen in einem Reich, welches dem gewöhnlichen Blick wie das Reich des Nichtwollens erscheint, ein sich Baden im Meere der Vergessenheit, ein rührendes Schattenspiel vergangener Leidenschaft.

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22. Wagner's Kunst gehört nicht zur jetzigen Kunst: er ist weit voraus oder darüber. Man soll seine Existenz nicht unserm Zeitalter zum Verdienst anrechnen, zumal es alles gethan hat um seine Existenz zu verhindern. Zähle auf, was Wagner gefördert hat – worin er nicht gehemmt, sondern unterstützt wurde (darunter als Gegenstück Meyerbeer anzuführen, der seinen Tages- und Zeiterfolg auf das Künstlichste in Scene setzte – Wagner hat immer das Gegentheil gethan, besonders seine „Freunde" waren immer schlimm daran, er erlaubte ihnen nie auszuruhen, plötzlich war er ihnen mit etwas Neuem aus dem Gesichtskreis, sie standen wie die jünger im Faust mit Sehnsucht und sahen nach oben). Ebensowenig sollen die Leipziger ihn als ihr Stadtkind verherrlichen dürfen: vielmehr haben sie durch ihr Verhalten gegen Wagner ihr Verhalten gegen die Lutherische Reformation in Erinnerung gebracht. Meine Betrachtung Wagner's bleibt als "unzeitgemäße" gerechtfertigt. Denn alle sonstige Kunst und Wissenschaft, die Musiker und Musikgelehrten dazu, haben ihm den Weg verlegen wollen. – Mir liegt daran, nicht von Wagners Gegnern zu sprechen; denn ich müßte von Jedermann reden. Wer hat sich nicht versündigt? Durch flaches Nicht-hören-wollen oder Halbhören usw. Aber ich schweige: wie ich es verstehe, zeige aber der Titel, daß ich diese Betrachtung unzeitgemäß nenne.

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21. Wie Unrecht thäte man, anzunehmen, Wagner sei es um die Kunst allein zu thun und er betrachte sie als das Heilpflaster für alle übrigen elenden Zustände! Sie ist ihm nur der Trost der αναγκη gegenüber, aber wo ist die Grenze der αναγκη, wenn man auf das weite Menschheitsleben blickt! Für das Individuum bleibt es der Haupttrost, seiner individuellen αναγκη gegenüber; zugleich aber stählt er so das Individuum, daß er den Kampf für das Allgemeine aufnimmt. Gerade das Drama Wagner's zeigt den Kampf des Individuums bis aufs Messer mit dem, was als αναγκη gilt, Gesetz, Herkommen, Vertrag, Macht, Geld; das Individuum kann nicht schöner leben, als wenn es in diesem Kampfe zum Tode reift und sich opfert. Dem hinsterbenden Individuum tritt das unerschöpfliche Leben der Gattung gegenüber; was ist unüberwindlich für diese! – Immerhin ist die Kunst für eine Ruhepause im Kampf, nicht für den Kampf selbst: für jene Minuten, wo man rückblickend und vorblickend alles symbolisch versteht, wo eine leise Müdigkeit uns befällt. Die Kunst ist der Traum für den Schlaf des Kämpfers, der erquickende Traum für den erquickenden Schlaf des Kämpfers. Der Tag bricht gleich wieder an, die heiligen Schatten verschweben, und da ist die Kunst fern. Aber ihre Tröstung liegt über dem Menschen von der Frühstunde her. So ist sie die höchste Weltbeglückerin, obschon ihr Glück wie ein Schatten ist. So ist die Kunst eine höhere Stufe der Religion, ohne deren gemeine Grundmotive, Betteln bei den Göttern und Abkaufen von etwas, ohne die niedrige Sucht nach Gewinn. Und so erscheint auch historisch die Kunst am Aussterben der Religionen; freilich werden dann gewöhnlich die Religionen noch durch die Kunst conservirt, durch Tempel Festaufzüge Ritual, dramatische Schaustellungen; dazu die vererbte Dankbarkeit gegen die mythischen Gestalten, welche der Kunst zu Gute kommen. Ein Zustand der Menschen, welcher die Kunst und Religion entbehren könnte, ist vielleicht keine Unmöglichkeit, aber wir können ihn uns noch nicht einmal imaginiren. Die beiden größten Leiden – 1) die Unsicherheit des Wissens, die Nichtgemeinsamkeit desselben bei allen Menschen und 2) die Ungleichheit des Könners – diese Leiden sind kunst bedürftig. Man kann nicht glücklich sein, so lange um uns herum alles leidet: man kann nicht sittlich sein, so lange der Gang der Dinge durch Macht und Gewalt und Ungerechtigkeit bestimmt wird; man kann nicht einmal weise sein, so lange nicht die ganze Menschheit im Wetteifer nach Weisheit gerungen hat. Überall findet der Einzelne sein Ungenügen: wie sollte er es aushalten können ohne zugleich in seinem Kampfe und Streben und Untergange etwas Erhabenes und Bedeutungsvolles zu erkennen? Das zeigt ihm die Tragödie; sie hat Lust am Rhythmus der Leidenschaft und am Opfer derselben; sie erhält die tragische Gesinnung aufrecht und zeigt sie in allem Wechsel der Sitten und Religionen als vorhanden. Lieber sterben als seinem innersten Zuge, seiner Leidenschaft, deren Verkörperung wir sind, untreu werden! Wehe der Menschheit, wenn dieser tragische Sinn ihr je entschwände! Nur ist die Kunst keine direkte Lehrerin und Erzieherin für das Handeln; die Objekte, die die tragischen Helden erstreben, sind nicht ohne Weiteres erstrebenswerthe Dinge. Es ist wie im Traum; was wir während der Bezauberung der Kunst für erstrebenswerth halten, so daß der Tod lieber zu wählen ist als darauf zu verzichten, das ist nicht oder selten im Leben zu gebrauchen; dafür ist die Kunst für die Ruhe und Rast, für den Schlaf des Thätigen; ihre Probleme sind vereinfacht, erleichtert, es sind lauter Abkürzungen der unendlich complizirten Rechnung des wirklichen Lebens. Aber gerade darin liegt ihre Größe und Unentbehrlichkeit, daß sie den Schein einer einfacheren Welt, einer präziseren Lösung seiner Räthsel erregt. Niemand kann diesen Schein entbehren; je complizirter die Erkenntniß von den Gesetzen des Daseins wird, um so inbrünstiger begehren wir nach jener Vereinfachung, wenn auch nur für Augenblicke; um so größer wird die Spannung zwischen Erkenntniß und Einzelnem; damit der Bogen nicht breche, ist die Kunst da. Da aber diese Kluft immer größer wird, und dem Einzelnen eine immer höhere Spannung zugemuthet wird, im Zeitalter der untergehenden Religionen, so kommen wir in eine Periode der Kunst, wie sie noch nie nöthig war und noch nie da war.

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Vom Theater und der Zerstreuungssucht. Der Mensch hält das Gewohnte für das Rechte. Unser ganzes Leben und Wesen ist eigentlich höchst ungewöhnlich und nachdenkenswerth – corrupt!

– Wagner ein umgekehrter Alexander: nicht ein Verbreiter der Cultur, sondern ein Concentrirer, ein Hohlspiegel, ein Zusammenzieher alles möglichen Culturhaften, aus der Weite in die Enge, aus der Zerstreutheit in einen Mittelpunkt zusammen. Seine Kraft zeigt sich darin, die Fäden zu ziehen, die so schlaff geworden sind. Das Adstringirende.

Man kann nicht glücklich sein, so lange – Und auch das Wissen ist ein Vorwurf, so lange man den Arbeitern – – –

Wagner als Küstenfahrer

Mährchen für Kinder und Weiber

Bayreuth Kampf mit den Elementen

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20. Die Geschichte der Entwicklung der Cultur seit den Griechen ist kurz genug, wenn man den eigentlichen zurückgelegten Weg in Betracht zieht und das Stillestehen, Zurückgehen, Zaudern, Schleichen gar nicht mit rechnet. Die Hellenisirung der Welt und die Orientalisirung des Hellenischen – die Aufgabe des großen Alexanders – ist immer noch das letzte große Ereigniß; die Übertragung einer fremden Cultur immer noch das Problem, an dem wir herumrechnen. Inzwischen ist der Alexandrinismus in immer höherer Kraft hervorgetreten; das verdummende Zwischenspiel des Christenthums – das rhythmische Spiel der beiden Faktoren gegen einander, an dem die Welt zu leiden hatte – natürlich abgerechnet, ist der Gang der Wissenschaft weiter geworden. Aber bei der unendlichen Zerstreuung des hellenischen Geistes ist die eigentliche Culturwirkung des Hellenischen auch immer fadenscheiniger und blässer; vor allem fehlt jede Einheit, es ist ein verwirrtes Wogen. So ist denn jetzt eine Reihe von Gegenalexandern nöthig geworden, die die ungeheure Kraft haben zusammenzuziehn und zu binden, die entferntesten Fäden heranzulangen und das Gewebe vor dem Zerblasenwerden zu bewahren. Nicht den gordischen Knoten der griechischen Cultur zu lösen, so daß seine Enden nach allen Weltrichtungen hin flattern, sondern ihn zu binden, nachdem er gelöst war – das ist jetzt die Aufgabe. In Wagner erkenne ich einen solchen Gegen-Alexander. Er hat, medizinisch zu reden, etwas Adstringirendes, er bannt und schließt zusammen, was vereinzelt und schwach, lässig war: insofern gehört er zu den ganz großen Culturgewalten und ist der Erste einer neuen Reihe von Menschen. Er waltet über den Religionen, über den Künsten, über den Wissenschaften der Geschichte und ist doch der Gegensatz eines Polyhistor, eines zusammentragenden zusammenrechnenden und ordnenden Talentes (wie Aristoteles für die Natur es war). Er ist ein Zusammenbildner und Beseeler des Zusammengebrachten, ein Vereinfacher der Welt. Dabei hat er so viel Menschheitsstufen in sich, um auch ganz in eine sofortige gegenwärtige Aufgabe sich hineinzudenken; er verbindet nicht nur die entferntesten Punkte des großen Meeres, sondern er kann auch, wenn er will, Küstenfahrer sein und sich der kleineren zeitgemäßen Arbeit gewachsen zeigen.

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19. Eine Reform des Theaters – es sieht für den oberflächlichen Beschauer fast lächerlich aus. Gut, es sei reformirt, was ist denn damit geschehn? wird er sagen. Nun, damit wäre der moderne Mensch verändert und reformirt; so nothwendig hängt hier alles zusammen. Es ist gar nicht möglich, die Würde der Kunst herzustellen, ohne nicht überall, in Sitte und Staat, mit Gerechtigkeit und Liebe zu neuern. Schon um zu begreifen, in wiefern die Stellung der Kunst entartet ist, in wie fern unsere Theater eine Schmach sind – muß man willig umlernen und das Herrschende Alltägliche einmal als etwas sehr Ungewöhnliches und Complicirtes verstehn. Die seltsamste Barbarei, gemeinste Ergötzlichkeit, gelehrtenhafte Absichten, Wichtigthun und Schauspielerei mit dem Ernst der Kunst, Geldgewinn, Eitelkeit der Gesellschaft, ermüdete Sinne – alles das trifft im Theater zusammen. Wirklich hat man nur das griechische dagegen zu halten, um zu sehn, wie gemein und dazu auf barocke Art gemein unsre Einrichtungen sind. Gesetzt, wir wüßten nichts von den Griechen, so wäre unserm Zustand vielleicht gar nicht beizukommen, und man hielte die Einwendungen für utopistische Träumereien. „Wie die Menschen einmal sind, gebührt ihnen eine solche Kunst – sie sind nie anders gewesen": – würde man sagen. An demselben Orte weihevolle Ergriffenheit und Sammlung, den Höhepunkt unseres Glückes, die höchste Bestärkung der edelsten Menschen, die hingebendste Aufopferung der Künstler, dies Schauspiel aller Schauspiele selbst, den siegreichen Schöpfer eines solchen Werkes zu sehen – ist es nicht Zauberei, das zu Stande gebracht zu haben? Müssen nicht die Menschen, die das erleben können, schon verwandelt und erneuert sein? Ist nicht ein Hafen in der wüsten Weite des Meeres gefunden, eine Stille über den Wassern? Sehe ich von dort aus zurück, wie kahl und ekelhaft kommt mir dann die moderne Art, mit der Kunst zu verkehren vor, wie entwürdigend das Singen und Musiciren in unsern Concerten und Geselligkeiten, das Lesen und Sprechen in unsern gelehrten Kreisen vor! Und wie erbärmlich ist die Stellung des modernen Staates, der sich noch dazu "Culturstaat" nennen läßt! Nur einen Wunsch habe ich bei einem solchen Blick, nie in diese flache Welt zurückkehren zu müssen oder so sehr als möglich gegen sie vertheidigt zu sein; während ich allen den wirklich Leidenden Hoffnung machen möchte, daß es noch Menschen giebt, welche für sie gegen die unterdrückenden Elemente eines luxusartigen Triebes kämpfen werden. Mit dem Handwerker, Bauer und Arbeiter will ich lieber zusammen wohnen als mit dem jetzigen „Gebildeten", mit dem frommen schlichten Manne ohne Gelehrsamkeit lieber als mit dem Gelehrten, ja selbst mit dem unverstellten Diener der Selbstsucht eher noch als mit dem maskirten.

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18. Wagner zeigt seine Macht besonders darin, wie er die Widerwilligen unterjocht. Kein begabter Musiker ist mehr, der nicht innerlich auf ihn hinhorchte und ihn hörenswerther fände als <die> übrige Musik zusammen. Viele, die durchaus etwas bedeuten wollen, ringen geradezu mit diesem sie überwältigenden inneren Reize, aber wo sehe man einen, der jetzt noch sich frei erhalten hätte? – sie werden kleinlicher, suchen schlechte Bundesgenossen und Freunde, schmeicheln der Zeit und verderben so: zumal aber wenn sie die große Form affektiren, sind sie nicht mehr ehrlich, sondern wollen täuschen. Besten Falls sind sie fleißig und lernen das, was in der Musik zu lernen ist: in Vertrauen darauf, daß die "Gebildeten" den schwierigen Unterschied zwischen Original und Kopie, zwischen Erlernbarem und Unlernbarem nicht merken, schaffen sie darauf los. Ihnen allen sei, wenn sie durchaus componiren wollen, die kleinste Form anempfohlen, etwas was ich mit freiem Ausdrucke das musikalische Epigramm nennen möchte, dafür reicht vielleicht der Witz und die Gestaltungskraft, und sie können ehrlich sein, dabei kann noch Herrliches entstehn, wie bei den Griechen, die sich auch auf die kleinste Form warfen, als die großen vorweggenommen waren.

Wagner selber will keine Componistenschule.

Da knüpft man sich an die früheren Meister mit ängstlicher Beflissenheit an, hält die Ohren zu und will lieber Schubert oder Händel oder irgend einen Charakter tragen als den Wagners. Unmöglich! Dieselbe Unentrinnbarkeit bei den schriftstellerischen Gegnern; von den eigentlichen Stroh- und Holz- und Zahlenköpfen abgesehn, ist jetzt jeder selbst nur mäßig begabte überwunden; und der Neid und Haß oder gar die Noth um Brod und Geld, die Verpflichtung, die man gegen Zeitungen eingegangen ist, die Furcht vor dem Publikum, die Anstandsfrage, wie man sich einen schicklichen Rückzug bereite, alles das giebt jetzt alledem, was über Wagner gesprochen und geschrieben wird, so einen ekelhaften Charakter. Hier und da bricht die eigentliche Wuth aus, und man ist so weit gegangen, alles was teuflisch ist in Verführungskünsten Berauschungen mit dem Namen „Wagner" zu bezeichnen. Alles neue Mittel, jene Macht zu mehren! Ob man in Japan oder in den Prérien Amerika's von Kunst redet, so kommt immer nur Eine Stellung in Betracht, die zu Wagner. Und vielleicht concentrirt sich die ganze moderne Kunstgeschichte, die letzten Jahrhunderte vorher und die nächsten nachher, um diesen einen Namen.

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17. Wie Wagner es versteht abzuschließen, zeigt seine Beschäftigung mit der deutschen Mythologie. Alle Gelehrten haben nur für ihn gearbeitet; jetzt nachdem das Werk der Wiederauferstehung des deutschen Mythus vollendet ist, ist jene Gelehrten-Gattung überflüssig geworden. Und so sollen sich Gelehrte überflüssig machen lassen! Nur in Hinblick auf solche endgültige Beseitigung ihrer Gattung durch einen Genius arbeiten sie ja! Als solche, die auf Erlösung hoffen, verzaubert zur unterirdischen sonnenlosen mühsamen Arbeit! – Wer hätte jetzt noch viel über Aeschylus und Soph<okles> zu sagen! Das Größere ist da, der Inbegriff auch ihrer Kunst, zugleich die höchste Rechtfertigung der Verehrung, welche sie genossen haben, fast auf Treu und Glauben hin. Ebenso ist die Religionsgeschichte an einen Wendepunkt gestellt, ebenso die Kunstgeschichte; eine ungeheure Summe von Wissen kann man jetzt wegwerfen, nachdem das erlösende Wort gesprochen ist; ein guter Theil von Gelehrsamkeit und Geschichte (Aesthetik namentlich) ist veraltet, zum Trödel geworden. Wie es andere verstehn, nicht abzuschließen, zeigt z. B. die Beschäftigung mit dem deutschen Mährchen; das war durch Gelehrte wieder entdeckt und den alten Weibern und Kindern abgelauscht worden. Statt nun den hohen Grad von Erniedrigung zu empfinden, der in der Verwandlung des Männer-mythus zum Alt-weiber-Mährchen liegt, und diesen Bann zu brechen, beschäftigte man sich mit alberner Kindlichkeit mit künstlerischer Verarbeitung des Mährchens, wie z. B. Schwind; und unsere blasirten Großstädter thaten kindlich! Die ganze deutsche Romantik war eine Gelehrtenbewegung, man wollte gern in's Naive zurück und wußte, daß man's so gar nicht war. Wer jetzt nicht heldenhaft ist, kann nicht in's Einfache und Naive hindurch; aber jene meinten, durch Verweichlichung Vergreisung Altjungferhaftes und eine Art von absichtlicher „zweiter Kindheit" dahin zu kommen. Man muß dem Volksliede nicht nachsingen, sondern vorsingen können, um ein volksthümlicher Sänger zu sein. Und das versteht Wagner, er ist volksthümlich in jeder Faser.

11 [26]

16. Wagner's Diadochen: er vermacht sein Reich auch "dem Stärksten", aber hier ist nicht von Nach-Wagnerischer Kunst die Rede: man wird auf lange hinaus mit dem Musikschaffen vorsichtig werden, das Produziren und Dilettiren ist vorbei. Er erweist sich eben als eine ganz große Culturmacht darin, daß man gar nicht sagen kann, wo alles noch sein Einfluß ausbrechen kann. Er hat, nicht durch Begriffe allein, sondern durch die That, ein Fragezeichen vor unsere ganze modern sich nennende Cultur gesetzt. Sie ist nicht modern, sondern alt und ganz verdorben bereits. Hier ist mächtig zu erobern und zu siegen; die größten Reiche stehen offen; wer z. B. wird das Reich der Erziehung als morsch erkennen und niederwerfen? (Wenn man die stillen unzufriedenen tiefen Gelehrten zur offenen Empörung und Erklärung treiben könnte, so wäre das an dem bisherigen Gesammtbildungswesen der empfindlichste Aderlaß. Übrig blieben alle politisch Angesteckten unter den Gelehrten und die litteratenhaften Menschen aller Art.) Er hat errathen und verrathen, daß vieles sehr schwach ist; und der Widerstand der bisherigen Machtinhaber z. B. der Gelehrten dürfte nicht viele Schlachten aushalten können. Mit dem Namen „Bayreuth" bezeichne ich eine der tiefsten Niederlagen, welche die deutschen Gebildeten erlitten; sie waren nicht dabei, sie waren wüthend dagegen, die Verachtung der Kommenden wird sie treffen.

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<15.> Die sittliche Grundnatur Wagner's entfaltet sich immer leuchtender. Auch sie braucht Sonnenschein d. h. den Erfolg im Streben. Ein großes Ziel bringt große Gefahren! und die Unzulänglichkeit dazu und folglich auch die mangelnde Einsicht in diese Unzulänglichkeit – mitunter in den Umständen liegend? – macht böse, man sucht die Gründe in Anderen für das Mißlingen, geht Neben- und Schleichwege, immer im Glauben an sein Ziel und behandelt alle Welt als schuldig, wird gleichsam unterschwürig und reizbar, ungerecht; so geschieht es, daß gute Naturen verwildern, auf dem Wege zum Besten. – Selbst unter denen, welche der sittlichen Reinigung nachjagten, unter Mönchen und Einsiedlern, finden sich verwilderte und über und über erkrankte Menschen. – Wagner durch Mißlingen ausgehöhlt und zerfressen wäre eine fürchterliche Natur; es würde ihn die finstere Melancholie eines Umsturz-Dämons einhüllen. Man soll nur mit schamhafter Zurückhaltung vor dem unenthüllbaren Heiligen des Innern reden: aber ist es nicht zu fühlen, wie im Grunde des Rienzi, des Holländers, Tannhäuser, Lohengrin, Tristan, Hans Sachs, Wotan, Brünnhilde ein verbindender unterirdischer Strom der sittlichen Veredlung fortläuft, und wie immer reiner und heller dieser Strom fluthet? Welcher Künstler bietet uns ein ähnliches Bild? Vielleicht Schiller. Aber doch ist der Maßstab großartiger bei Wagner, der Weg auch viel ausgedehnter. Die Musik, nicht nur der Mythus spricht diese Läuterung aus: und im Ring des Nibelungen ist eine Höhe und Heiligkeit der Stimmung erreicht, daß wir an das Glühen der Eisund Schneegipfel denken müssen. Wie eine wilde Naturkraft, dunkel und unruhig, begann Wagner, suchte stürmisch Befriedigung, dort wo sie die Meisten finden, floh mit Ekel zurück, versuchte es mit Neuem, erstrebte Macht berauschenden Erfolg Taumel und wieder Entsagung, versuchte die Last von sich zu werfen, zu vergessen, neu zu beginnen; der gesammte Strom stürzte sich bald in dieses, bald jenes Thal, kroch in die dunkelsten Schluchten, riß ungestüm Felsen und Wälder an sich, zertrümmerte, tobte – in der Nacht dieses halb unterirdischen Wühlens stand ein Stern über ihm: die Treue, die selbstlose Treue. In immer neuen Bildern prägte er sie aus, Elisabeth zu Tannhäuser, der Bruder zur Schwester im Rienzi, Freund zum Freund, Diener zum Herrn, Elsa zu Lohengrin, Senta zum fliegenden Holländer, Brünnhilde zu Wotan's innerstem Wunsch, Brünnhilde zu Siegfried: warum leuchtete ihm dies Wort gerade heller und gab ihm unaufhörlich zu denken und in Vorgängen zu dichten? Es ist dies das Urgeheimniß Wagner's: das Verhältniß der beiden innersten Kräfte seines Wesens zu einander, Wille und Intellekt, – daß diese sich treu bleiben, ist die große Nothwendigkeit, das Eine, was für ihn noth thut, wodurch er ganz bleibt; während er die schrecklichen Gefahren der Untreue, der Verführungen dazu um sich sieht. Jeder dieser Triebe strebt für sich, in's Ungemessene, will Befriedigung, es ist die innerste Seelenangst Wagner's, daß sie treu bleiben. Seine künstlerischen Begabungen sollen sich ebenfalls treu bleiben, und doch lockt die edelste Art der Neugierde bei Seite, es lockt z. B. die Verführung zur symphonischen Form: fühlt Ihr's nicht, wie oft Wagner sich mit grausamem Entschlusse dem dramatischen Ganzen, das wie ein Schicksal unerbittlich ist, unterwirft und wie der Musiker nicht durchgeht, wozu er so große Lust hätte? – Diese Treue gegen sich selbst oder gegen ein höheres Selbst, eines Weiblichen zu einem Männlichen ist das innerste Problem Wagner's; von da aus versteht er die Welt. Man denke nur an die Überfülle von Talenten, die alle für sich wollen! Die Treue ist bei Wagner sogar der universalere Begriff, unter den die Liebe fällt, die Geschlechts- Geschwister- Kindesliebe. Das ganze Thema der Treue ist bei ihm ausgeschöpft: das Herrlichste ist wohl Brünnhilde, die gegen den Befehl Wotan's Wotan Treue bewahrt und dadurch die Erlösung der Welt möglich macht – ein mythischer Gedanke vom höchsten Range und ganz ihm zu eigen. Da ist aber auch das Gefühl der erlittenen Untreue das Furchtbarste, was je ein Künstler erdacht hat: der Schwur "bei des Speeres Spitze" durch Brünnhilde das Herzzerschneidenste, was es giebt; wie mit Tigertatzen fällt uns da die Leidenschaft an. Die vielen tragischen Möglichkeiten, die in der Treue liegen, hat Wagner für die Kunst erst entdeckt. Sein eigenes Leben ging durch diese Möglichkeiten hindurch und war dadurch eines der schwersten Leben, das gelebt werden kann. Auf der größten Hälfte seines Lebens liegt das Nicht-Hoffen; darum auch das Nichtverzweifeln; aber wie ein Wanderer mit schwerer Bürde durch die Nacht zieht, allein, so mag ihm oft zu Muthe gewesen sein: ein plötzlicher Tod erschien ihm dann nicht als ein schreckendes, sondern ein verlockendes liebreizendes Gespenst. Last, Weg und Nacht – alles mit einem Male fort! Die Treue hielt ihn und stritt mit dem Gespenst.

11 [28]

14. Als Musiker hat Wagner etwas von Demosthenes, den furchtbaren Ernst um die Sache und den Griff und die Gewalt des Griffs, so daß er jedesmal die Sache faßt; er schlägt seine Hand darum, im Nu, und sie hält als ob sie aus Erz wäre. Er verbirgt wie jener die Kunst, er macht sie vergessen und doch ist er, wie jener, die letzte und höchste Erscheinung unter einer ganzen Reihe von gewaltigen Kunstgeistern. Er hat nichts Epideiktisches an sich, was alle früheren Musiker haben, die gelegentlich alle mit ihrer Kunst spielen und sich zeigen: man denkt bei Wagner weder an das Interessante, noch Ergötzliche, sondern fühlt nur das Nothwendige. Dazu gehörte eine ungeheure Willenskraft und die höchste künstlerische Reinheit des Charakters. Keiner hat sich so strenge Gesetze auferlegt wie Wagner, man erwäge nur das Verhältniß der Singstimme zur ungesungenen Rede und wiederum der Melodie der Stimme zum ganzen symphonischen Zusammenhang der Musik, um ein wahres Wunderwerk zu sehen! Und ist nicht jede Partitur Wagner's eine Art von Beweis dafür, daß es vor ihm gar keine rechte Anstrengung und Arbeit und Gewissenhaftigkeit gab? Der Fleiß und die Erfindsamkeit im Einzelnsten ist geradezu ein Ideal. Wie erscheint einem da ein Dichter! Wie etwas sehr Bequemes und Sorgenfreies, wie ein mit vielen Mußestunden beglückter Mensch, der die Arbeit scheut. Damit hat Wagner alle ausübenden Musiker hoch hervorgehoben, sie alle können mit ihrer Seele in ihrem Vortrage sein, weil ihre Aufgabe eine Seele fordert. Der virtuose Handwerker der Kunst ist durch Wagner abgethan; er reizt nicht mehr. Durch seine Mühe und Last und Zwang hat Wagner denen, die die Kunst ausüben, es leichter gemacht, er hat sie vor dem Gefühl, entwürdigt zu sein, geschützt. Und so hat Wagner allen denen geholfen, die sich mit Kunst abgeben; es wird bald nicht mehr möglich sein, daß der leichtfertige Betrieb der Kunst durch unsre Höfe, Stadttheater, Concertgesellschaften, weichliche Kunstfreunde und alle Art von "stillem Trunk ergebenen Leuten", die Kunst auf ihrem Kämmerlein in weichlicher Selbstbefriedigung treiben, sich vor der allgemeinen Verachtung rettet. Wir, die wir wissen, was alles an der einmal richtig erfaßten Kunst hängt, welches Geflecht von Pflichten – verachten wenigstens alle bestehenden Einrichtungen der Kunstpflege auf das Tiefste. Der Gegensatz ist freilich ins Ungeheure aufgerissen! und es ist möglich, daß die Nachkommen zu schwach sind, um ihn zu überwinden. Mit Demosthenes war es vorbei. Aber es sind noch genug Menschen da, welche das fruchtbare Land sind, auf welchem Wagner säen kann – genug, welche wenigstens zu kämpfen und zu arbeiten verstehen: Bayreuth beweist es. Da haben wir für die kommenden Tage schöne Arbeit mit Sicheln und Sensen dem Unkraute beizukommen. Durch diese Arbeit adeln wir uns; denn bisher war es in meinen Augen eine fast verächtliche Sache, ein "Kunstfreund" zu heißen, und ich schätzte die deutlich erkennbaren Kunstfeinde mehr; denn bei ihnen verrieth sich doch häufig das Gefühl, daß dies eine Beschäftigung einer üppigen und selbstsüchtigen Klasse sei, fern von der Noth des Volkes und im Grunde ein Mittel, sich gerade vom Volke zu "distinguiren". Nieder mit der Kunst, welche nicht in sich zur Revolution der Gesellschaft, zur Erneuerung und Einigung des Volkes drängt!

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13. Das Improvisatorische. Wagner hat zur Erklärung Shakespeare's darauf hingewiesen, wie er als improvisirender Schauspieler zu denken sei, der die Besonnenheit habe, seine Improvis<ation> zu fixiren; und ähnlich bezeichnet er sich als Musiker. "Selbstentäußerung"' als Wesen dieser Künste – Eingehen in fremde Seelen, Lust an dieser Vertauschung; ein solcher Seelenwechsel bei dem Musiker ist nun ein Phänomen höchster Art: das Nicht-Subjektive des Musikers etwas ganz Neues. So stellt Wagner die Meistersinger neben den Tristan – die herb-freudige Meisterschaft des Tristan, die durchgegohrne goldhellere Meisterschaft der Meistersinger: von einer solchen Möglichkeit hatten die älteren Musiker gar keine Vorstellung; wenn diese nicht ihre Stimmung, ihre Leidenschaft aussprechen wollten, waren sie steif oder spielten mit den überkommenen melodischen Typen. Besonders muß man Acht geben, wie mitunter die Musik entschieden im Gegensatz zu Wagner's persönlicher Stimmung steht: so ist Hagen als Hochzeitrufer eine der verwegensten Selbstentäußerungen Wagner's. Es versuche nur Einer das nachzumachen, nachdem er erst mit der Seele Partei ergriffen hat! Das Höchste ist vielleicht Mime. Und dann sehe man, wenn es Wunderthaten giebt, wie sehr da die Musik an diese Wunder glaubt, z.B. wenn Siegfried sein Schwert schmiedet: wozu eine Kraft der Entäußerung von der Zeit besteht, wovon unsre "Dichter" auch keine Ahnung haben. Wenn <sie> diese Wunder vorbringen, so schwindeln sie; wie unsere Philosophaster schwindeln, wenn sie sich in "Mystik" tauchen. Das ist aber der Fluch der jetzigen Philosophirer, daß sie sich mit ihrem phantasieleeren nüchternen und zugleich verworrenen Kopfe anstellen, als seien sie zur Mystik überhaupt befähigt; weshalb zu rathen ist, jedem, der mystische Wendungen macht, als einem unehrlichen Gesellen sechs Schritt fern zu bleiben; am wenigstens bedenklich ist es, wenn es nur Verlegenheits-Mystik ist, dort wo der Verstand unsicher wird, das Auge sich trübt, und der Besonnene sich zurückzieht – fast jeder Denker streift an solche Grenzen an. Wagner taucht in fremde Köpfe, Sinne, Zeiten hinein und hinab und macht uns nichts vor. Ein Riese, ein Höhlenwurm, Rheintöchter – das wäre alles für unsre "Dichter" Lügnerei und läppische Tändelei: sie haben den Zauber nicht im Leibe, um die Natur zu beseelen und das Belebten der Welt zu mehren! Es sei nur auf einen Augenblick – aber er war diesen Augenblick verwandelt, und trug den Eindruck davon: man höre, wie die Kröte kriecht!

11 [30]

Da uns nicht allzu beglückten Menschen dieser Zeit einmal ein ganz großer Mensch geschenkt ist, so sollen wir uns darüber von Herzen freuen und es auch zeigen, daß wir uns freuen; denn hassenswürdig ist die Freude, die keine Genossen sucht, sondern sich in's Kämmerlein versteckt. Vielleicht vermögen wir so das Glück in der Welt etwas zu mehren: und bei dem vielen Haß und Eifer, von dem wir voll sind und häufig genug überfließen, sollten wir doch am wenigsten unser Glück den Andern vorenthalten: es ist unsre Gegengabe, und ich wünsche sehr, daß noch ein Überschuß dabei bleibt. Wenn die Wahrheit meist bitter ist und doch gesagt wird, so wäre es grausam und böse, die süße Wahrheit im Stillen für sich zu verspeisen und Niemandem einen Antheil zu gönnen.

11 [31]

12. Daß die Kunst nicht die Frucht des Luxus von Klassen oder Einzelnen ist, sondern gerade einer vom Luxus befreiten Gesellschaft zugehört und ihre Entstehung zu verdanken hat, ist der neue Gedanke. Wie eine solche Gesellschaft beschaffen sein müsse, zeigt im mythischen Bilde Wagner in den Nibelungen: wo die Götter vernichtet, die Macht und das Geld seine fluchbeladene Bahn zu Ende gelaufen ist, wo der Geist der Treue, Liebe unter den Menschen herrscht. Die bisherige Kunst ist die Frucht des Luxus (doch nicht die kirchliche); auch die Musik hat einen Antheil daran gehabt und einen spielerischen Charakter erhalten, bis sie durch Beethoven zur Besinnung kam und von Wagner gereinigt wurde. Denn er ist der kathartische Mensch für die Kunst. Es sind wirklich die Armen und Schlechtbegüterten, auch die Wenig-Unterrichteten, an denen Wagner's Kunst ihren festesten Schutz hat. – Wagner hat ganz recht: wo die Politiker und die Weisen aufhören, da fängt der Künstler an, als Seher und Ahner der neuen Gedanken. Die nächste ungeheure Sphäre, die zu erobern ist, ist die Erziehung: und erst, wenn eine genügende Masse Menschen so im Widerspruche zu allen bestehenden Mächten sich fühlen, werden sie auch die Schultern gegen das Gebälk stemmen. Es ist eine sektirerische Kunst und wird eine sektirerische Erziehung sein: aber mit dem höchsten Streben, über die Sekte hinauszukommen. Es liegt in ihrem Wesen, nicht eine Grenze, eine Klasse abzusondern, nur durch äußere Gewalt kann sie eine Zeit Sekte sein. So lange es noch Menschen giebt, die nicht neu erzogen sind, haben die Neu-Erzogenen zu leiden.

„Wir sollen alle Genies sein" Wagner.

11 [32]

11. Wagner's Prosa-Schriften, außerordentlich gedrängt den Gedanken nach, sind schwer zu verstehen, weil er nicht accentuiren will und weil im größeren Satzgefüge er Hochton und Tiefton nicht gegen einander abwägt; es ist ihm alles so wichtig, als ob alles unterstrichen wäre. Man wird diese Schriften bei weitem deutlicher finden, wenn man sie gut vorgetragen hört: denn sie sind im Sprechstil, nicht im Schreibstil geschrieben. Es ist ein unruhiger Rhythmus in ihnen, eine Ungleichmäßigkeit des Zeitmaßes, wodurch sie, als Prosa, in Verwirrung setzen; die Dialektik ist vielfach gebrochen, durch Gefühlssprünge und oft mit einer Art von Widerwilligkeit vorgetragen, gleichsam versteckt; gleichsam als ob der Künstler sich des begrifflichen Demonstrirens schämte. Am meisten beschwert den nicht ganz Vertrauten die Art der autoritativen Würde, die ganz eigen und schwer zu beschreiben ist: mir kommt es so vor, als ob Wagner häufig gleichsam vor Feinden spreche, mit denen er keine Vertraulichkeit haben mag und denen gegenüber er sich nicht natürlich, sondern zurückhaltend, abhaltend zeigt. Nun bricht häufig genug die fortreißende Leidenschaft durch diesen absichtlichen Faltenwurf hindurch; dann zerbricht die künstliche, schwere und mit Nebenworten reich geschwellte Periode, und es entschlüpfen ihm Sätze und ganze Seiten, die zu dem Schönsten gehören, was die deutsche Prosa hat: so namentlich im Beethoven. Im ganzen fehlte ihm, wenn er Prosa schrieb, der Leser; an das Volk dachte und als Volk fühlte er, wenn er als Künstler schuf; aber als prosaischer Erklärer – an wen richtete er sich da! ja sollte er den „Gebildeten" vor Augen haben, den Gelehrten? Fast mußte er es: und daher das Erzwungene, Sich-zwingende. Die Noth gab ihm seine theoretischen Schriften ein, er schildert es selbst: man nahm ihm ja sein schönstes Mittel, sich mitzutheilen, das Beispiel. Immerhin möchte ich wissen, bis zu welchem Grad der Verwirrung das Reden über Wagner und über Musik gerathen wäre, wenn er nicht geschrieben hätte: und gewissen Schriften wie dem Beethoven, Schauspieler und Sänger, "über das Dirigiren" wohnt eine verstummen machende Kraft bei, wie sich das im Fortgange unserer Gesittung immer deutlicher zeigen muß. Hier ist ein ganz Großer, der von Erlebtem redet: was hätten die Kleinen, die nichts erlebt haben, unsere Aesthetiker und Kunsthistoriker noch zu sagen! Aber selbst die älteren namhaften aesthetischen Schriften sind seitdem im Werthe gesunken; man bedarf jetzt der Wagnerischen Schriften mehr als des Lessingschen Laokoon und der Schillerschen Prosa-schriften. Dabei sind sie reicher, auch leichter zu verstehen als Schiller's aesthetische Schriften, auch viel principieller; und verdienen deshalb viel mehr als die schillerschen an den Schulen und Universitäten gelesen und erklärt zu werden. Sie sind überhaupt die wichtigsten aesthetischen Schriften, die es giebt – schlimm daß man so etwas überhaupt noch sagen muß! Da ist alles – Problem und Lösung – erlebt erlitten und siegreich errungen, kein albernes Heiligsprechen und Schwören auf Aristoteles, wie selbst bei Lessing, tritt dazwischen. Zudem sind sie ein treffliches Übungsmittel in einer der schönsten Aufgaben, einen großen Künstler im Werden zu belauschen, zu sehn, wie er sich selbst verbessert – auch wenn er stolpert, schlägt er noch Feuer heraus -, befreit, verdeutlicht und "verinhaltlicht" aus dem Unbestimmten heraus kommt. Diese Schriften haben gar nichts Kanonisches, Strenges: sondern das Kanonische liegt in den Werken. Es sind Versuche, das Erlebniß zu begreifen, in Begriffen abzuhäuten. Wer es besser kann, thue es besser; es war ein schlimmer Zwang für Wagner, es überhaupt thun zu müssen. Es nahm ihm ja Keiner Zeit seines Lebens eine Last ab.

11 [33]

Zum Schlusse.

10. Die große Begabung ist das herrlichste Schauspiel von der Welt; wo sie erscheint, wird die Erde zu einem sommerlichen Garten und die Rosensträuche wollen gar nicht zu blühen aufhören. Alles muß ihr zum Heile werden, so schwere Schulen sie auch durchgeführt wird. Sie nährt sich von Gift und wird gesund und stark dabei, wenn ein Andres daran auch verderben sollte. Jede Gefährlichkeit macht sie beherzter, jeder Sieg sie besonnener. Das Gespött der umgebenden Welt ist ihr Reiz und Stachel, sie genießt es wie Lob und Balsam: schläft sie, so "Schläft sie nur neue Kraft sich an"; verirrt sie sich, so kommt sie mit der wundersamsten Beute aus Irrniß und Verlorenheit wieder heim. Sie macht den Leib immer gesunder und zehrt nicht am Leben, je mehr sie lebt; sie waltet über dem Menschen wie eine beschwingte Leidenschaft und läßt ihn gerade dann fliegen, wenn der Fuß im Sande ermüdet oder am Gestein wund worden ist. Sie kann nicht anders als mittheilen, und jeder darf an ihrem Dufte theilhaben; mildthätig und barmherzig ist sie ohne alles Nachdenken, sie sieht die Person nicht an und geizt nicht mit ihren Gaben. Zurückgewiesen, schenkt sie reichlicher, gemißbraucht von dem Beschenkten, giebt sie auch das kostbare Kleinod, das sie hat, noch hinzu; und noch niemals waren die Beschenkten der Gabe ganz würdig: so lautet die älteste und die jüngste Erfahrung. Dadurch ist die große Begabung das räthselvollste Ding, ein Abgrund in dem Kraft und Güte gepaart ruhen, eine Brücke zwischen Selbst und Nichtselbst: wer möchte den Zweck nennen, wozu sie überhaupt da ist? Sollte wirklich das Größere des Geringen wegen vorhanden sein, die größte Begabung um der kleinsten willen, die große Tugend und Heiligkeit um der Gebrechlichen willen? Wäre dies der Fall – nur einen Augenblick gönne man uns so eine überschwängliche Möglichkeit: so würde dies wie ein sonniger Strahl von Liebe sein, in dem das ganze Erdenleben vergoldet glänzte.

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9. Es ist durch Wagner wieder einmal bewiesen, daß der Einzelne, während eines gewöhnlichen Menschenlebens, etwas ganz Neues zeigen kann, daß einem, der auf den Kanon der Allmählichkeit der Entwicklung schwört, Hören und Selen vergeht. Alle begabten Menschen sind sehr geschwind – ich will einmal sehen, wie lange es dauert, bis unsere nichtgeschwinden Zeitgenossen nachgekommen sind; ihr Glaube an die Langsamkeit und an die Ameisen-Arbeit Vieler ist keine Schmeichelei auf ihre eigne Begabung. Von einem solchen Werk wie den Nibelungen, von einem Unternehmen wie dem Bayreuther, gab es keine Vorzeichen, keine Übergänge, keine Vermittlungen. Den langen Weg zum Ziele und das Ziel selbst wußte Keiner außer Wagner; es ist eine Weltumsegelung im Reich der Kunst, wobei, wie es scheint, nicht nur eine neue Kunst, sondern die wahre Kunst selber entdeckt wurde. Alle bisherigen modernen Künste sind dadurch als vereinzelte als Einsiedler- oder Luxus-Künste entwerthet; die halbtodten Erinnerungen an die wahre Kunst, die wir Neueren von den Griechen her hatten, dürfen nun ruhen. Es ist für Vieles an der Zeit, jetzt abzusterben. Alle spielsüchtige verweichlichte Kunst ist tödtlich erschrocken, alle mönchisch-einsame, verkümmerte Kunst erlöst. Das viele Reden und Lärmen, welches die moderne Bildung von der Kunst gemacht hat, wird als eine schamlose Zudringlichkeit empfunden werden, jetzt wo jeder jünger der neuerstandenen Kunst sich zu einem fünfjährigen pythagoreischen Schweigen verpflichtet. Er verlangt nach heiligeren Wassern und nach Weihungen; denn wer hätte nicht an dem widerlichen Götzendienst der bisherigen Kunst Hände und Gemüth besudelt! Schweigen und Reinsein – das gelobt er sich.

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8. Hervorragend ist Wagner's Trieb zur Mittheilung und seine Erfindsamkeit im Mittheilen. Ein Gedanke, wie der seinige, in der höchsten Kraft empfangen und zur Schönheit geboren, würde verurtheilt erscheinen, ein Hirngespinst zu bleiben, wenn Wagner nicht diese biegsame und unersättliche Mittheilbarkeit besäße. Er denkt seinen Gedanken in die jedesmaligen Umstände und Zeiten hinein, und erscheint dann der Ausdruck desselben verkümmert, so ist er trotzdem selbst in Wagner's Kopf und Herz rein und groß geblieben. Wo eine kleine oder bedeutende Gelegenheit sich von Ferne zeigte, seinen Gedanken durch ein Beispiel zu zeigen, war er bereit; wo eine halbwegs empfängliche Seele sich ihm aufthat, warf er seinen Samen hinein. Er knüpft Hoffnungen an, wo der kalte Beobachter mit den Achseln zuckt; er täuscht sich hundertfach, um einmal gegen diesen Beobachter Recht zu behalten – und um auf die Dauer gegen alle Skeptiker überhaupt Recht zu behalten. Die kleinen und großen Orchester, die er führte, die einzelnen Musiker und Schauspieler, denen er ein Wort sagte, die Städte, die ihn im Ernste seiner Thätigkeit sahen, die Fürsten und Frauen, die halb mit Scheu halb mit Liebe etwas von ihm zu erhaschen suchten, die verschiedenen europäischen Länder, denen er zeitweilig angehörte, die auf das Eifrigste weitergesprochenen Nachrichten, die er von seinen Plänen gab (und von denen schon seit Jahrzehnten die aesthetischen Berichterstatter der Zeitungen fast gelebt haben), die Schriften, mit denen er sich half, wenn er nicht zur That kommen konnte, die Schüler, die er sich erzog – überall ein Echo seines Gedankens, oft absichtlich entstellt, aber tausendfältig; und man braucht nicht lange mehr zu warten, so entspricht der Obermacht jenes gewaltigen Tones, den er in die Welt hineinrief, auch die Übermacht des Echos. Dann ist es nicht mehr möglich, ihn nicht zu hören. Während er so durch alle hindurch geht, wird er nicht der Sklave derer, welchen er sich mittheilt: er selber schreitet höher und bleibt nicht im Banne des einmal ausgesprochenen Worts, und überhaupt irgendeiner eigenen Vergangenheit. Man überlege nur, und schaudere bei dieser Überlegung: was stand auf dem Spiele, wenn Wagner jenen Gedanken nie durch ein solches Beispiel hätte zeigen können, wie er es jetzt in Bayreuth zeigt!; und wie groß war selbst die Wahrscheinlichkeit, daß ein Gedanke, von dem die anderen Menschen sich nicht träumen ließen, auch nur ein Traum im Kopfe dessen geblieben wäre, der ihn erdachte, und daß an Stelle von Bayreuth man von einem "Utopien" spräche. Es ist ja erstaunlich, was behagliche Menschen alles Utopien nennen: hier aber wären die unbehaglichtsen und kühnsten Menschen fast im Recht gewesen, von Utopien zu sprechen. Ein höherer Grad von Ekel und Verzweiflung an den Menschen, eine trotzigere Selbstigkeit des Erfinders hätte genügt: und im Grunde haben Wagner's Zeitgenossen auch alles gethan, um ihn zum Ekel zu bringen und in sich selber zurück zu drängen. Aber er wurde nicht müde und blieb gütig in seinem Willen, mitzutheilen.

Er verschmerzte das Ungeschick und die prüde Beklemmtheit, mit der man hier und da sich herbeiließ, seine Kunst zu fördern, als ob der nächtliche Volksauflauf in den Straßen Nürnbergs (in den Meistersingern) durch Ballettänzer wiederzugeben sei; er vertrug es, obwohl oft mit dem bittersten Zwange, daß sein Werk gerade unter den von ihm bekämpften Namen und Formen, in der Entstellung zur "Oper", Besitz von den Menschen ergriff; er erduldete selbst das Herbste – der große Dulder -, seine Freunde von "Erfolgen" und "Siegen" berauscht zu sehen, wo sein einzig-hoher Gedanke gerade mitten hindurch zerknickt und verleugnet war. Zum Entgelt für alle diese tiefsten Nöthe sagte er endlich: mein großes Werk ist fertig, jetzt sollt ihr es sehn – dort auf dem Hügel bei Bayreuth. Das war seine Rache: er theilte sein höchstes Besitzthum mit, den angesammelten Schatz von zwanzig Meisterjahren! – Aber der, welchem gegeben wird, muß auch annehmen können: und der große Sinn des Gebens fordert einen großen Sinn des Nehmens. Hier ist aber der Schatz fast übergroß: um ihn zu heben, mußte Wagner auch seine Kraft, sein Vertrauen, sein Wagen, sein blitzartiges Erfassen, sein treues Benehmen auf uns Alle übertragen: und diese dämonische Übertragbarkeit der ganzen Wagnerischen Natur ist fast noch eben so wunderbar als seine Natur selbst. An jedem Orchester, das Wagner führt, kann man ein Beispiel sehen; die von ihm benannte und zuerst geübte "Modifikation des Tempo's" ist im Grunde die Übertragung des Wagnerischen Seelenrhythmus auf die Seelen der von ihm geleiteten Musiker; und wie so die Seelen der Musiker erlöst und ins Hohe verwandelt sind, ist auch wiederum die Seele der Musik aus dem eisernen Gitterwerk der mathematisch zertheilten Zeit erlöst und redet nun erst vernehmlich zu uns. Und so, wie Wagner sich den Musikern mittheilt, wird sich der Geist und Rhythmus seines Bayreuther Werkes den Schauern und Hörern nittheilen müssen, so daß ihre Seele ausgeweitet, ihre Bogen schon ausgespannt sind, wie nie zuvor: nur dann erst wird das Ungeheure ganz gethan sein, wenn es auch in's Ungeheure wirkt und eine Furche hinter sich aufreißt, welche nicht wieder zugefüllt werden kann. Wohin diese Furche sich reißt, nach welcher Richtung, – wer möchte es ganz errathen? Aber eine Vermuthung, eine einzelne neben anderen, darf jetzt schon laut werden.

(Damit Übergang zur letzten Capitel. αναγκη, Bedeutung der Kunst, Fortsetzung, ihre Stellung in der wiederhergestellten Gesellschaft, Erziehung.)

11 [36]

Wagner ist groß, damit wir Alle groß werden.

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7. Man könnte auch die Freunde Wagner's zu seinen Gefahren rechnen; es ist höchst wunderbar, wie er fast unbewußt jeder Parteigestaltung sein Lebenlang ausgewichen ist, wie sich andrerseits hinter jeder Phase seiner Kunst ein Kreis von Anhängern zusammenschließt, scheinbar ihn einschränkend. Er geht mitten durch sie hindurch und läßt sich nicht binden. Sein Weg ist zu lang gewesen, als daß so leicht ein Einzelner ihn von Anfang an hätte mitgehen können; und so ungewöhnlich und steil – fast allen ging einmal der Athem aus. Fast zu allen Lebensperioden Wagner's hätten ihn seine Freunde gern dogmatisiren mögen, seine Feinde ebenfalls; und wenn eine geringere Art von Herrschsucht in ihm gewesen wäre, so hätte er viel zeitiger zum Herrn der deutschen Musikzustände werden können.

Der unselige Glaube, daß sich an ihn eine Schule von Componisten anlehnen müsse und werde, ist, wie ich vermuthe, nie der Glaube Wagner's gewesen; wozu er als Musiker erziehn wollte und erzog, das ist zu meisterhaften Dirigenten und Vortragskünstlern, zu wahrhaft dramatischen Sängern. Sonst ist es ja in der Entwicklung der Musik der Augenblick, wo eine bei weitem höhere Kraft und künstlerische Sittlichkeit sich darin offenbart, ein tüchtiger Meister der Darstellung und Ausübung zu werden als wieder fortzucomponiren d. h. das wahrhaft Große in seinen Wirkungen zu verflachen, dadurch daß man es nachmacht und seine Wirkungen vervielfältigt. Es ziemt sich ein viel weihevolleres Befassen mit Musik und gerade deshalb eine Beschneidung des albernen Produktionstriebs; während die Aufgabe, die große Kunst Beethovens und Wagners vorzutragen, eben erst gestellt ist und bei begabtesten Talenten unerhörten Fleiß und Charakter in Anspruch nehmen wird. Sodann das Volk zu erziehn zu dieser Höhe: was wiederum nur durch das Beste geschehn kann. Jetzt freilich hat der widerliche Betrieb unserer gebildeten Musikanstalten jenen größten Skandal nicht verhindert, welchen die Deutschen in der Kunst begangen haben – daß ein großer Krieg eine „Volksweise" als seinen musikalischen Ausdruck fand wie „die Wacht am Rhein"; ein so süßliches und gemeines Ding, daß jeder Landsknecht eines deutschen Heeres davor aus<ge>spuckt hätte. Und dann die Pflege des Männergesangs, wo man das glacirte Volkslied, mit zuckriger Harmonie und Tempokünsten einlernt! und deutsche Sängerfeste feiert, unserer großen Musik ins Gesicht lachend!

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5. Muße und Arbeit bei Wagner: es giebt für große Culturbewegungen immer Raststätten und Ruhepausen, und denen entsprechen auch wohl einzelne Begabungen ganz: so ist innerhalb der weihevollen und keuchenden Reformationsbewegung Montaigne ein solches In-sich-zur-Ruhe-kommen ein friedliches Dasitzen und Ausathmen; so las ihn gewiß Shakespeare. Ich empfinde mitunter diese Wohlthat bei Horaz, und es giebt Stimmungen, in denen solche Sätze eine zauberhafte Sänftigung in sich tragen. So weilt Wagner in der Historie; und es ist kein Zweifel, daß ihr heute diese Mission zufällt, im ungeheuren Ringen nach neuen Zielen einmal aufathmen zu können und sich gleichsam abgeschieden zu fühlen. Wenn die Deutschen seit einem Jahrhundert besonders den historischen Studien obgelegen haben, so zeigt dies, daß sie in der Bewegung der modernen Zeit die aufhaltende hemmende verzögernde und beruhigende Macht sind: was vielleicht Einige zu ihrem Lobe wenden dürften. Im Ganzen ist es ein höchstgefährliches Anzeichen, wenn das geistige Ringen eines Volkes vornehmlich der Historie zugewandt ist, ein Merkmal von Erschlaffung, von Rück- und Hinfälligkeit, von Müdegewordensein; dies stellen unsere Gelehrten in der Geschichte des modernen Geistes dar im Gegensatz zu allen Reformations- und Revolutions-Bewegungen, sie haben sich nicht die stolzeste Aufgabe zugestellt aber eine eigene Art friedfertigen Glücks sich gesichert. Jeder freiere männlichere Schritt führt freilich an ihnen vorüber, ein schaffender Mensch kann sich bei ihnen nur, wenn er einmal müde ist, aufhalten. So verhält sich Wagner zur Historie und Philologie; sie ist ihm ein Labsal auf der ungestümen Reise. Vielleicht wird die Historie dies nicht einmal sein können, wenn sie, wie es einst geschehen muß, in einem strengeren und tieferen Sinne und aus einer mächtigen Seele heraus geschrieben wird, als die deutschen Gelehrten bis jetzt gethan haben: es liegt etwas Beschönigendes, Unterwürfiges und Zufriedengestelltes auf allen ihren Arbeiten, und der Gang der Dinge ist ihnen recht. Es ist schon viel, wenn einer merken läßt, daß er gerade noch zufrieden sei weil es noch schlimmer hätte kommen können, die Meisten glauben unwillkürlich daß alles sehr gut sei, so wie es nun einmal gekommen ist. Wäre die Historie nicht immer noch eine verkappte christliche Theodicee, wäre sie mit mehr Gerechtigkeit und inbrünstigem Mitgefühl geschrieben, so würde sie zu einem furchtbaren Werkzeug der Revolution: während sie jetzt als Opiat gegen alles Umwälzende gedient hat. Ähnlich steht es mit der Philosophie; aus welcher ja die Meisten nichts andres lernen wollen als die Dinge ungefähr zu verstehen, um sich dann in sie zu schicken: und selbst in ihren edelsten Gestaltungen wird ihre stillende und tröstende Macht so stark hervorgehoben, daß die Ruhesüchtigen und Trägen meinen müssen, sie suchten das selbe, was die Philosophie suche. Mir scheint dagegen die wichtigste Frage aller Philosophien zu sein, wie weit die Dinge einen unabänderlichen Charakter haben: um dann, wenn diese Frage beantwortet ist, mit der rücksichtslosesten Tapferkeit auf die Verbesserung der als veränderlich erkannten Seite der Welt los zu gehen. Das lehren sie auch selber durch die That, dadurch daß sie an der Verbesserung der sehr veränderlichen Einsicht der Menschen arbeiteten und ihre Weisheit nicht für sich behielten; das lernen auch die wahren jünger wahrer Philosophien: welche, wie Wagner, aus ihnen nur gesteigerte Tapferkeit und Entschiedenheit für ihren Gang aber keine Einschläferungssäfte zu saugen verstehen. Wagner ist dort am meisten Philosoph, wo er am thatkräftigsten und heldenhaftesten ist; und vielleicht giebt es keine kühnere Symbolik für das heldenhafte und philosophische Verhalten zur Welt als das Wort Siegfrieds zu den Rheintöchtern, als er die Erdscholle über sein Haupt wirft „so werf ich es weit von mir." Es ist dies die Philosophie, welche die Götter vernichtet, an der Wotans Speer zerschellt.

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6. Wie er als Lernender dann wieder Herr wird über das Erlernte in Hinsicht auf Historie. Überkommt Wagner dann wieder seine bildende Kraft, dann ist ihm die Historie etwas anderes geworden; die Vergangenheit hat sich gleichsam geballt, verdichtet; er steht zu ihr wie der Grieche zu seinem Mythus, als zu etwas, an dem man mit Liebe und scheuer Andacht formt und weiterspinnt; sie ist biegsamer wandelbarer als eine Wirklichkeit geworden und trägt doch mehr Zeichen der einstmaligen Wirklichkeit als irgend ein vergangnes Ereigniß. Wo ist das ritterliche Mittelalter so mit Fleisch und Geist in ein Gebilde übergegangen, wie dies im Lohengrin geschehen ist? Und werden nicht die Meistersinger noch zu den spätesten Zeiten von dem deutschen Wesen erzählen, ja mehr als erzählen: werden sie nicht vielmehr eine der reifsten Früchte jenes Wesens sein, das immer reformiren, nicht revolviren kann und das auf dem breiten Grunde seines Behagens auch das edelste Unbehagen der erneuernden That nicht verlernt hat?

Zu erinnern, wie allein in der Musik überhaupt das völlig-Gelehrtenhafte überwunden ist – es ist der höchste Triumph des modernen Geistes, und der erste Musiker Wagner zeigt wieder in nuce dieselbe überwindende Kraft.

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4. Die Sprache der Dichtungen. Wagner leidet an der Entartung und Schwächung unserer Sprache, an den Sünden und Verlotterungen früherer Jahrhunderte, an den Hülfszeitwörtern, den vielfältigen Verlusten und Verstümmelungen der Casusbezeichnungen, an dem schwerfälligen Partikelwesen unserer Syntax: während er mit tiefem Stolze sich der uralten Ursprünglichkeit und Unerschöpflichkeit, der tonvollen Kraft ihrer Wurzeln erfreut, an welchen er, im Gegensatz zu den höchst abgeleiteten und künstlich-rhetorischen Sprachen der romanischen Stämme, eine wunderbare Nähe und Vorbereitung zur Musik, zur wahren Musik empfand. Es geht eine Lust an dem Deutschen durch Wagner's Dichtungen, eine Herzlichkeit und Freimüthigkeit im Verkehre mit ihm, wie so etwas außer bei Goethe wohl bei keinem Deutschen sich nachfühlen läßt. Man sollte jedes Wort singen können, und Götter und Helden sollten es in den Mund nehmen: das war eine ungeheure Anforderung, die Wagner an seine sprachliche Phantasie <stellte,> bei der jeder Andere hätte verzagen müssen: denn unsere Sprache ist fast zu betagt und verwittert; und doch rief sein Schlag mit dem Stabe gegen den Felsen eine reichliche Quelle hervor. Verwegene Gedrängtheit, Leiblichkeit des Ausdrucks, Gewalt und rhythmische Vielartigkeit, ein merkwürdiger Reichthum von starken und bedeutenden Wörtern, Vereinfachung der Satzgliederung, eine fast einzige Erfindsamkeit in der Sprache des wogenden Gefühls, der Ahnung, eine mitunter ganz rein und frisch sprudelnde Volksthümlichkeit und Sprüchwörtlichkeit – solche Eigenschaften würden aufzuzählen sein, und doch wäre dann immer noch die mächtigste und wunderwürdigste vergessen. Wer hintereinander zwei solche Dichtungen, wie Tristan und die Meistersinger liest, wird in Hinsicht der Wort-Sprache ein ähnliches Erstaunen empfinden müssen, wie hinsichtlich der Musik: wie nämlich es möglich sei, über zwei Welten, so verschieden an Farbe Form Figur als an Seele, schöpferisch zu gebieten. Dies ist das Mächtigste an der Wagnerischen Begabung, etwas was nur einem großen Meister gelingen wird: für jedes Werk eine eigenartige Sprache auszuprägen und der neuen Innerlichkeit auch einen neuen Leib, einen neuen Klang zu geben. Gegenüber einer solchen allerseltensten Macht, wird der Tadel immer nur kleinlich und unfruchtbar bleiben, der sich auf einzelnes Übermüthiges und Absonderliches oder auf die häufigen Dunkelheiten bezieht; für die freilich, welche bisher am lautesten getadelt haben, war im Grunde nicht sowohl die Sprache als die Seele, die Art zu empfinden und zu leiden anstößig, nämlich ganz und gar unzugänglich und unerhört. Wir wollen warten, bis diese selber eine andere Seele haben, dann werden sie selber auch eine andere Sprache sprechen: und dann wird es, wie mir scheint, auch mit der deutschen Sprache überhaupt besser stehn als es jetzt steht: etwas Wagnerischer nämlich, und nicht mehr so David-Straussisch!

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2. Der rhythmische Sinn im Großen. Die Anlage jedes Wagnerischen Dramas ist von einer Einfachheit, welche noch größer ist als die der antiken Tragödie; und dabei ist die dramatische Spannung die höchste. Dies liegt in der Wirkung der großen Formen, ihrer Gegensätze, ihrer einfachen Bindungen, das ist das Antike an dem Bau dieser Dramen. – Man durchdenke die Einleitungen der drei einzelnen Akte, das Verhältniß der drei Akte zu einander; hier zeigt sich eine schlichte Größe des Baumeisters, welche in der neueren Dichtung überhaupt nicht ihres Gleichen hat. Die Spannung beruht auf den Höhenverhältnissen der Leidenschaften, niemals auf dem Effekt des neuen und überraschenden Schauspiels. Ich wünschte mir den Grad von rhythmischer Augen-Begabung, um über das Ganze Nibelungenwerk in gleicher Weise hinschauen zu können, wie es in einzelnen Werken mir mitunter gelingt: aber ich ahne da noch eine besondere Gattung rhythmischer Freuden des höchsten Grades. Die Rheintöchterscene mit Siegfried im letzten Akt des letzten Dramas und die Rheintöchterscene mit Alberich im ersten Akt des ersten Dramas, der Liebesjubel der sich findenden Siegfrieds und Brünnhildens im letzten Akt des Siegfried und der Abschiedsjubel der sich Trennenden im ersten Akt der Götterdämmerung usw. Dann wieder die Nornenscene im Anfange des ersten Akts (Vorspiels) der Götterdämmerung. Im Tristan Liebessehnsucht (2. Akt), Todessehnsucht im dritten Akt. Im einzelnen Akt ist der Schluß oftmals (Tristan 1, Walküre 1, Siegfried 1) ein Sich-stürzen eines Stromes mit immer schnellerem Rauschen, die zunehmende Breite und zugleich Schnelligkeit der Empfindung, mit der höchsten Sicherheit. Andre Akte haben eine Katastrophe und darauf eine Erschütterung und Stillstehen der Empfindung über das Ungeheure, was geschehen: so Marke im 7ten Akt des Tristan; der Zug der Mannen mit Siegfrieds Leiche.

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3. Ein heftiger Wille, der gleichsam auf allen Wegen, Höhlen und Schluchten ans Licht will, springend, kletternd, fliegend, wild an die Wände stoßend und flatternd; eine jähe elementare Strömung, die unbefriedigt nach allen Seiten über das Strombett hinausschießt; eine auf verborgenen Felsen unruhig ruhende, wund und wild gewordene Meeresgottheit, die am Sturme mehr Lust hat als an der glatten Spiegelung des Himmels – dies ist die eine Seite der Wagnerischen Natur, furchtbar und friedlos, sich und anderen zur Qual (mir gab die Norn den Geist, der stets "unbefriedigt"). Dieser Wille, mit einem engen Geiste verbunden und zufällig Macht gewinnend, wäre ein Verhängniß geworden. Nur ein ganz hoher und freier Geist konnte dieser wilden Natur einen Weg ins Gute und Hülfreiche weisen und sie davor bewahren, daß sie gegen sich selber zerstörerisch wüthete. Dieser Geist, der sich auf Wagner niederließ, und der wie eine Flamme dem hin und her geworfenen Seefahrer beim Unwetter die Richtung zeigte, war der Geist der Musik; er führte ihn, ohne ihn erst in Fesseln geschlagen zu haben; wie es zum Beispiel der Geist der Politik gethan haben würde, wenn er sich mit einer solchen Natur hätte paaren wollen. So durfte er frei bleiben, denn es war ein liebevoller mit Güte und Süßigkeit überschwänglich mild zuredender Geist, dem die Gewaltthat und das Machtwort verhaßt ist und der Niemanden in Fesseln sehen will. Es gab Stunden und Zeiten, wo ihn auf eine schreckliche Weise der Zweifel heimsuchte, ob ihm dieser Geist noch treu geblieben sei; und wenn er dann seinen edel-mächtigen Flügelschlag um sich fühlte, so drang eine tiefe heiße Dankbarkeit und eine Fülle von ungesprochenen Gelöbnissen zu ihm empor: Treue gegen den Geist der Musik wurde seine Religion. – Wie aber die Musik zu Wagner's Willen redete, erschließen wir zu halbem Wege daraus, wie Musik zu uns spricht: wer könnte aber hierüber ganz deutlich reden? Genug, daß fast alle andere Musik uns – nicht bloß mir: denn ich brauche wahrhaftig nicht von mir allein zu reden – daß fast alle andere Musik uns nur wie eine veräußerlichte befangene unfreie Sprache klingt, als ob gespielt werden sollte, vor solchen, die des Ernstes nicht würdig wären oder als ob gelehrt und demonstrirt werden sollte, vor solchen, die nicht einmal des Spieles würdig wären. Es giebt in aller andren Musik eben nur kurze Stunden, wo plötzlich jene Sprache zu uns dringt, die wir immer in Wagner's Musik hören: seltne, sie gleichsam überfallende Augenblicke der Vergessenheit, wo die Musik mit sich selber redet und den Blick aufwärts richtet, wie die Rafaelsche Caecilia, weg von den Hörern, die Zerstreuung und Lustbarkeit oder Gelehrsamkeit von ihr fordern. Ich wüßte nicht, auf welchem Wege ich je des reinsten sonnenhellen Glücks theilhaftig geworden wäre als durch Wagner's Musik: und dies obwohl sie durchaus nicht immer vom Glück redet, sondern von den furchtbaren und unheimlichen unterirdischen Kräften des Menschentreibens, von dem Leiden in allem Glücke und von der Endlichkeit unseres Glücks; es muß also in der Art, wie sie redet, das Glück liegen, das sie ausströmt. – Man rechne nur nach, woran Wagner seine eigentliche Lust und Wonne hat, an was für Scenen, Conflikten, Katastrophen – da begreift man, was er ist und was die Musik für ihn ist. Wotan's Verhältniß zu Siegfried ist etwas Wundervolles, wie es keine Poesie der Welt hat: die Liebe und die erzwungene Feindschaft und die Lust an der Vernichtung. Dies ist höchst symbolisch für Wagners Wesen: Liebe für das, wodurch man erlöst gerichtet und vernichtet wird; aber ganz göttlich empfunden!

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Bei strömendem Regen und verfinstertem Himmel war der Grundstein gelegt worden. Im Zurückfahren zur Stadt schwiegen wir und Wagner sah mit einem Blick in sich lange hinein, der mit einem Wort nicht zu bezeichnen ist. Er begann an diesem Tage sein sechzigstes Lebensjahr. Ein beschleunigtes zusammendrängendes Schauen.

Alexander, der Asien und Europa kredenzt – sein innerer Blick – dies zu sehen!

Ich möchte diesem innerlichen Schauen nachschauen: von da aus nimmt sich das Bayreuther Werk am wundervollsten aus.

Die welche fallen, sollen in unglaublicher Schnelligkeit ihr ganzes Leben an sich vorüber fliegen sehen. So auch die, welche in einem bestimmten Ereigniß ihr Lebenswirken besiegeln: die Bedeutung des Grundsteins. Dieses unendlich beschleunigte innerliche Schauen Wagner's ist gewiß das höchste Schauspiel.

Wagner geschildert, wie er auf sein Werk in Bayreuth blickt: die Qual und Besorgniß vom ersten bis letztem Augenblick, das Gift in der Verunstaltung der Grundgedanken, es ist so vieles abzuwägen gegen einander!

Das Gefühl Wagner's, als der Grundstein gelegt war. Wer sein Gefühl bei der Aufführung zu dem Wagner's concentriren kann, hat gewiß das Höchste mit hinweg genommen.

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Ein großes Ereigniß ist nur für den großen Beobachter groß. Das Bayreuther Ereigniß macht mir Sorge: wo sind die Augen, um alles zu sehen? Zumal ist vielleicht das höchste Schauspiel, Wagner selbst, erst von einer viel weiteren Warte zu überschauen. Und doch, um uns nun ganz freuen zu können, müssen wir nicht nur von uns aus, sondern von Wagner aus auf diese Bayreuther That schauen, uns in ihn versetzen.

11 [45]

1. Die Deutschen sind ein lernendes Volk; und wenn ausnahmsweise einmal eine große Begabung unter ihnen auftritt, so zeigt sie auch diese Begabung in einem Maaße, das für andere Völker unbegreiflich ist. Wagner's Kunst und Wollen bleibt gegenwärtig für Nichtdeutsche schon deshalb etwas Unbemeßbares, weil sie auf eine solche Polyphonie des verschiedenartigsten Wissens an ihren Künstlern nicht eingewöhnt sind und weil sie sich überhaupt schon durch die weite Spannung des deutschen Wissens noch mehr belästigt als verwundert fühlen. Um ein Meister in der Musik zu werden ist jetzt fast jedes Menschenleben schon zu kurz: man lernt kaum aus, wenn man sich das Gebiet zertheilt und zum Beispiel sein Vollenden in der Kunst des Vortrags sucht. Wagner wurde ein allseitiger Meister der Musik und der Bühne und in jeder ihrer technischen Vorbedingungen ein Erfinder und Mehrer. Aber er wurde viel mehr: und um dies zu werden, war es ihm so wenig wie irgend jemandem erspart, auf dem Gebiete, wo er schaffen und erfinden sollte, sich lernend die höchste Cultur anzueignen. Wagner der Erneuerer des einfachen Drama's, der Entdecker der Stellung der Kunst in der wahren menschlichen Gesellschaft, der dichtende Erklärer vergangener Lebensbetrachtungen, der Philosoph, der Historiker, der Aesthetiker Wagner, der deutsche Mytholog, der zum ersten Male einen Ring um das herrliche uralte Gebilde schloß und die Runen seines Geistes darauf eingrub – welche Fülle von Wissen hatte er zusammen zu bringen und zu umspannen, um dies alles werden zu können! Und doch erdrückte weder diese Summe seinen Willen zur That, noch leitete das Einzelne und Anziehendste ihn abseits; um das Ungeheure eines solchen Charakters zu messen, nehme man zum Beispiel das große Gegenbild Goethes, der wie ein vielverzweigtes Stromnetz erscheint, welches aber seine ganze Kraft nicht zum Meere trägt, sondern mindestens eben so viel auf seinen Wegen und Krümmungen verliert und verstreut als es am Ausgange mit sich führt. Es ist wahr, ein solches Wesen hat und macht mehr Behagen, es liegt etwas Mildes und Edel-Verschwenderisches um ihn herum: während Wagner's Kunst und Stromgewalt vielleicht erschrecken und abschrecken kann. Mag aber sich fürchten, wer will: wir Anderen wollen dadurch nur um so muthiger werden, dadurch daß wir einmal einen Helden mit Augen sehen, der "das Fürchten nicht gelernt hat". Er geht nicht nur durch das Feuer, sondern auch durch den Dampf des Wissens und der Gelehrsamkeit hindurch und findet sein ihm vorbestimmtes Werk.

11 [46]

Wagner in Bayreuth – ein Schauspiel bei dem Schauspiel!

A. Was er ist und wie er es ward. Musiker Dichter Schriftsteller. Das Improvisatorische. Ethisches. Gefährliches.

B. Was er kann.

1. Macht (1 abschließend 2 adstringirend 3 gesetzgeberisch 4 mittheilend).

2. Nachwirkung (die neunte Symphonie, das anscheinend Reaktionäre, "die heroisch Weisen", die αναγκη).

Der Philolog

das Deutsche

Selbsterziehung

die Dramen

die Sprache

der Dichtung

die Harmonie

das Plastische.

Macht Wagner's

1) abschließende

2) adstringirende

3) gesetzgeberische, in Massen organisirende

4) mittheilende.

11 [47]

Einleitung. Von wo aus ist das Bayreuther Ereigniß zu betrachten?

Etwas Neues in einem Leben – Schweigen – Reinsein 9. Wagners Blick.

Werden. Das sittliche Grundwesen 3: Gegensätze, Treue 15. 32. Geist der Musik.

Der Lernende 1: Historie vom Künstler bezwungen 6. Gefahren 33. Beförderndes 7. Unzeitgemäßes 22.

Sein und die Machtäusserung (Polyphonie und Einheit seiner Machtäusserungen).

Polyphonie der Begabung (Wirkung des dionysischen Willens, der überall heraus will). Die große Begabung zum Schluß?

Das Schauspielerische (wenn man von einem Defekt einmal alles erklären wollte).

Das Improvisatorische – Selbstentäußerung 13.

Entwicklung der Musik der Leidenschaft und des Drama's 24. 28. 29.

Der Dichter 23. Der Dialog.

Der rhythmische Sinn im Großen 2. Keine Wolkengebilde, wie es zuerst erscheint.

Der Ausruhende: Historiker und Philosoph 5.

Reichthum seiner Gestalten, an denen er mit tiefer Innigkeit hängt!

Der Prosaiker 11.

Der Mittheilende 8.

Das Demosthenische 14.

Sprache der Dichtung 4.

Wagner in den Wiederholungen am schönsten (Liebessce<nen>, Fragen usw., dieselben Motive – Trauermarsch).

Das Abschließende 17.

Gegen-Alexander, das Adstringirende 20. Historie bezwungen 6.

Organisator von Massen 25.

Volksthümliches 30. 31.

Die große Begabung 10.

Zukunft. Kunst und αναγκη 21. 35.

Reform des Theaters – nichts Geringes. Gesellschaft in Bayreuth und sonst 19.

Unterjochung 18.

Wagner's Diadochen 16.

Schmach der modernen Kunst 36.

Keine Luxus-Kunst: Reform der Gesellschaft 12.

Gefährliche Nachwirkungen. Naturalismus 27.

Componistenschule.

Überflüssiges in der Kunst 26.

Anscheinend reaktionäre Elemente 34.

Sammlung von großen Gestalten und Scenen.

Neunte Symphonie und Schluß der Nibelungen.

Er wird sein: der Seher einer neuen Ordnung.

Man denke sich die Ergriffenheit einer Gesellschaft, die Ernst gemacht hat mit der Abschaffung der Macht und der Lüge und nun das Werk schaut! Wer diesen Augenblick schauen könnte, würde für alles jetzige erblinden.

11 [48]

3. Die Urstimmung des dithyr<ambischen> Dram<atikers>.

4. Wort Melodie Gebärde.

5. Rhythmus im Großen.

6. Der Dichter.

7. Der Musiker.

8. Abschließendes Adstringirendes.

11 [49]

2. Es wird absichtlich versucht: Ableitung des Einflusses – wohin alles:

A) in's rein Aesthetische und Schilderung der Anhänger

Fade (oder Regellose) Gefahren der Nachahmung

B) in's Compromittirende Politische usw.

und Gefährliche. Anti-Wissenschaftliche

Religiös-Restaurative

Unsittlich-Caressiren

11 [50]

– gegen den Hochmuth der Wissenden und ihre Albernheit (über Phantasierecht, Eckermann, p. 251) nimmt er die Partei des Volks: er verbindet, er erinnert an die Unmöglichkeit eines Lebens im Wissen.

– davon weiß ich eine Viertelstunde eher was als viele; aber wenn ich alt bin, werde ich mit Allen etwas Gemeinsames haben.

11 [51]

Wer so glücklich ist, sich darüber Rechenschaft geben zu können, was Wagner ist, der hat auch bis zu irgend einem Grade an dem unvergleichlichen Glück theilgenommen, das Wagner selbst in sich trägt: an dem Glück seiner Begabung. Diese ist ein aufwachsender Wald, ein Aufschießen der mannichfaltigsten Kräfte, die sich gegenseitig in Schranken halten, so daß sie freudig und geradezu aufwärts steigen und alle zusammen ein Ganzes bilden. Einheit im Verschiedenen fühlen, um das Verschiedene innig zu lieben – das ist sein Geheimniß: sein Auge ist von Natur auf Beziehungen gerichtet, nicht nur auf die Beziehung der Künste zu einander, sondern auch auf die Verbindung von Staat Gesellschaft und Kunst: also im stärksten Maaße darf ihm eine gesetzgeberische Befähigung zugesprochen werden. Er übersieht große Verhältnisse mit einem Blick und läßt sich nicht durch das Kleine befangen.

Wie die innere Schauwelt des Epos der Plastik vorausgehen muß, so auch die innere Nachahmungs-welt der Musik der Schauspielkunst.

Ein leidenschaftliches Verlangen nach Luxus und Glanz in Wagner: gerade von da aus war er befähigt, diesen Trieb im Innersten zu verstehn, zu verurtheilen. Sein äußeres Leben verhielt sich zu diesem Hange wie ein neckendes Possenspiel mit seinem Wechsel von Dürftigkeit und Luxus. Mit der Kunst des Luxus kritisirte er sich selbst und durchschaute sich.

11 [52]

Als Musiker. Das Demosthenische.

Als Dichter. Sprache.

Prosaschriften.

Wirkung im Unterjochen der Gegner.

Abzuschließen, überflüssig machen.

Das Improvisatorische.

Trieb zur Mittheilung.

Freunde Wagners.

Er vermacht sein Reich an den Stärksten.

11 [53]

Mittheilung an die Freunde (ohne unterjocht zu werden), an die Feinde (unterjochend).

Abzuschließen.

Und wie es seinen Freunden nicht gelang, ihn mit ihrer Liebe zu unterjochen, so gelang es seinen Feinden nicht, sich durch ihre Feindschaft gegen das Unterjochtwerden zu schützen.

11 [54]

Wagner als Musiker.

Als Dichter. Sprache.

Rhythmiker.

Prosa-Schriftsteller.

Wagner zu Geschichte und Philosophie.

11 [55]

Musiker

Dichter

Mittheilender

Schriftsteller

für Freunde

Erzieher

Diadochen.

11 [56]

Was Wagner sein wird? –

der Gott will Macht: Verträge Schuld Unfreiheit

er sucht einen Helden, der frei für ihn kämpfe (gegen ihn), um seine Macht zu behaupten

Wandlung des Willens. –

nachher: nur um seine Schuld los zu werden.

Als Siegfried stirbt, wird Wotan seine Schuld ledig und wählt den Untergang.

11 [57]

Das was die Musik schon ahnt, das erfährt der Held erst an einem Ende seiner Bahn: sein Leben, der bemitleidenswertheste Vorgang der Welt, die Musik, die die mitleidigste Sache derselben ist, folgt ihm auf jedem Schritt. Wie vermag sie das? – Dies zu begreifen, müssen wir in das Wesen des dithyrambischen Dramatikers einen Einblick zu erlangen suchen. –

11 [58]

§ 6. Das Improvisatorische. Der dithyrambische Dramatiker.

Aber die Beethovensche Musik mußte vorangehn: die der unpersönlichen Leidenschaft.

§ 7. Der Musiker. Demosthenischer Rhythm<us->Sinn.

§ 8. Dichter und Schriftsteller. Mittheilung in Form des Rückblicks.

§ 9. Reiniger der Kunst, Reiniger seiner selbst: der „Kunstfreund" beseitigt. Die große Begabung.

§ 10. Diadochen. Mißverständnisse gefährlich: das anscheinend Reaktionäre – das anscheinend Naturalistische.

§ 11. Der Ring des Nibelungen.

11 [59]

Luxus-Kunst. Verwendung der Mittel zu unwahren Bedürfnissen. Abschwächung der wahren Bedürfnisse. Trennung der Menschen von einander. Überarbeitung vieler Menschen, um den Scheinbedürfnissen zu genügen, während die wahren Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Die sociale Frage ist die Fortexistenz des Luxus, d.h. des Unnöthigen und Überflüssigen und Unbefriedigenden im Verhältniß der Arbeit zur Kunst. Das praktische Gegenmittel ist der Cynismus der Schlichtheit auf der einen Seite (<1.> negativ: zum Beweise, daß man nicht jene Scheinbefriedigung nöthig hat; 2. Positiv: das Drama – – –

11 [60]

  1. Als Lernender (Treue).
  2. Der rhythmische Sinn im Großen.
  3. Heftiger Wille und Geist der Musik (Treue).
  4. Sprache der Dichtung.
  5. Muße und Historie und Philosophie.
  6. Historie vom Künstler bezwungen (Treue).
  7. Freunde Wagner's als Gefahr. Keine Komponisten-Schule.
  8. Talent der Mittheilung (Übergang zum Schlußcapitel).
  9. Etwas Neues in einem kurzen Leben. Schweigen und Reinsein.
  10. Die große Begabung.
  11. Prosaschriften.
  12. Keine Luxuskunst: Reform der Gesellschaft.
  13. Improvisatorisches – Selbstentäußerung.
  14. Das Demosthenische, Verachtung gegen die bisherigen Kunstfreunde.
  15. Die ethische Entwicklung, Treue Hauptbegriff.
  16. Wagner's Diadochen. Vieles sehr schwach.
  17. Das Abschließende, er macht manchen Gelehrten überflüßig.
  18. Unterjochung der Widerwilligen.
  19. Reform des Theaters, in wiefern nichts Geringes.
  20. Die Menschen in Bayreuth und ihr Gegensatz sonst.
  21. Gegenalexander, das Adstringirende, Vereinfacher der Welt.
  22. Kunst und αναγκη.
  23. Wagner nicht zeitgemäß. Was hat ihn gefördert!
  24. Der Dichter am Schluß der Religionen.
  25. Entwicklung der Musik der Leidenschaft und des Dramas. Schluß mit dem Stoffe des Nibelungen mythus.
  26. Organisator von Massen.
  27. Das Überflüssige in der Kunst.
  28. Gefahr des Naturalismus nach Wagner.
  29. Langathmige Leidenschaft.
  30. Verflochtene Leidenschaft, vielköpfig.
  31. Das Volksthümliche (zur Prosa).
  32. Volksthümlich im Verhältniß zu Goethes Faust.
  33. Die Liebe empedokleisch.
  34. Das Gefährliche in Wagner.
  35. Reaktionäre Elemente.
  36. Kampf mit der αναγκη.
  37. Schmach der modernen Kunst.

Dramatiker – dämonische Mittheilbarkeit

doppelseitig 1 sich anderen

2 andere sich (Selbstentäußerung).

Musiker.

Dichter.

Darsteller.

Gesammtorganisator.


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