Friedrich Wilhelm Nietzsche
Fragmente 1875-1879, Band 2
Friedrich Wilhelm Nietzsche

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[Ende 1876 – Sommer 1877]

[Dokument: Mappe loser Blätter]

23 [1]

Die geschickten Bewegungen des Fußes beim Ausgleiten Stolpern Klettern sind nicht die Resultate eines blind wirkenden aber zweckmäßigen Intellektes, sondern einmal angelernt, wie die Bewegungen der Finger beim Klavierspiel. Jetzt wird sehr viel von dieser Fertigkeit gleich vererbt.

23 [2]

Die Menschen setzen das Ähnliche hin als das Gleiche, z. B. den Priester gelegentlich als den Gott; den Theil gleich dem Ganzen z. B. in der Magie.

23 [3]

Man kann nicht erklären, was die Empfindung ist: aber ich glaube, es ist nicht viel, wenn man es weiß, und gewiß steckt kein Welträthsel dahinter.

23 [4]

Dieselbe Manier zu denken, welche noch jetzt die große Masse bestimmt, ja auch den gebildeten Einzelnen, falls er sich nicht sehr besinnt, hat den sämmtlichen Phänomenen der Cultur zum Fundamente gedient. Diese partie honteuse hat die ungeheuersten und herrlichsten Folgen nach sich gezogen, auch die Cultur hat ein pudendum zum Geburtsschooß, wie der Mensch.

23 [5]

Aristoteles meint, der Weise σοφος sei der welcher sich nur mit dem Wichtigen Wunderbaren Göttlichen beschäftige. Da steckt der Fehler in der ganzen Richtung des Denkens. Gerade das Kleine Schwache Menschliche Unlogische Fehlerhafte wird übersehn und doch kann man nur durch sorgfältigstes Studium desselben weise werden. Der Weise hat sehr viel Stolz abzulegen, er hat nicht die Augenbrauen so hoch zu ziehn, zuletzt ist es der, welcher ein Vergnügen sich macht, das Vergnügen des Menschen zu stören.

23 [6]

Ist für etwas z. B. Eigenthum Königthum die Empfindung erst erregt, so wächst sie fort, je mehr man den Ursprung vergißt. Zuletzt redet man bei solchen Dingen von „Mysterien", weil man sich einer überschwänglichen Stärke der Empfindung bewußt ist, aber genau genommen keinen rechten Grund dafür angeben kann. Ernüchterung ist auch hier von Nöthen, aber eine ungeheure Quelle der Macht versiegt freilich.

23 [7]

Epikur's Stellung zum Stil ist typisch für viele Verhältnisse. Er glaubte zur Natur zurückzukehren, weil er schrieb, wie es ihm einfiel. In Wahrheit war so viel Sorge um den Ausdruck in ihm vererbt und an ihm großgezogen, daß er nur sich gehen ließ und doch nicht völlig frei und ungebunden war. Die „Natur", die er erreichte, war der durch Gewohnheit angezogene Instinkt für den Stil. Man nennt dies Naturalisiren; man spannt den Bogen etwas schlaffer z. B. Wagner im Verhalten zur Musik, zur Gesangskunst. Die Stoiker und Rousseau sind im gleichen Sinne Naturalisten: Mythologie der Natur!

23 [8]

Kunst die Wissenschaft verhindernd bei den Griechen.

23 [9]

Warum überhaupt einen Erhaltungstrieb annehmen? Unter zahllosen unzweckmäßigen Bildungen kamen lebensfähige, fortlebensfähige vor; es sind millionenjahrelange Anpassungen der einzelnen menschlichen Organe nöthig gewesen, bis endlich der jetzige Körper regelmäßig entstehen konnte und bis jene Thatsachen regelmäßig sich zeigen, welche man gewöhnlich dem Erhalt<ungs>trieb zuschreibt. Im Grunde geht es dabei jetzt ebenso nothwendig, nach chemischen Gesetzen, zu, wie beim Wasserfalle mechanisch. Der Finger des Klavierspielers hat keinen "Trieb" die richtigen Tasten zu treffen, sondern nur die Gewohnheit. Überhaupt ist das Wort Trieb nur eine Bequemlichkeit und wird überall dort angewendet, wo regelmäßige Wirkungen an Organismen noch nicht auf ihre chemischen und mechanischen Gesetze zurückgeführt sind.

23 [10]

Alle Ziele und Zwecke, die der Mensch hat, waren einmal in seinen Vorfahren auch bewußt; aber sie sind vergessen worden. Der Mensch hängt in seinen Richtungen sehr von der Vergangenheit ab: Platon<ische> αναμνησις. Dem Wurm ist der Kopf abgeschnitten, aber er bewegt sich in gleicher Richtung.

23 [11]

Auch dunkle Krankheiten z. B. Wahnsinn Veitstanz hat man verehrt und religiös idealisirt. Dabei sind ihre Äußerungen immer schöner und großartiger geworden. Derselbe Vorgang bei dem heftigen Affekt der Liebe, den man als Gott faßte, und so nicht nur für die Vorstellung, sondern in der Wirklichkeit idealisirte.

23 [12]

Es war ein sehr glücklicher Fund Schopenhauers als er vorn "Willen zum Leben" sprach: wir wollen diesen Ausdruck uns nicht wieder nehmen lassen und seinem Urheber dafür im Namen der deutschen Sprache dankbar sein. Aber das soll uns nicht hindern einzusehen, daß der Begriff Wille zum Leben vor der Wissenschaft sich noch nicht das Bürgerrecht erobert hat, ebenso wenig als die Begriffe "Seele" „Gott" Lebenskraft usw. Auch Mainländers Reduktion dieses Begriffs auf viele individuelle "Willen zum Leben" bringt uns nicht weiter, – man erhält dadurch statt einer universalen Lebenskraft (welche zugleich als außer, über und in den Dingen gedacht werden soll!) individuale Lebenskräfte, gegen welche dasselbe einzuwenden ist wie gegen jene universale. Denn bevor der Mensch ist, ist auch sein Individualwille noch nicht: oder was sollte dieser sein? Im Leben selber aber sich äußernd – ja ist denn das Wille zum Leben? Doch mindestens Wille im Leben zu bleiben, also, um den bekannteren Ausdruck zu wählen, Erhaltungstrieb. Ist es wahr, daß, wenn der Mensch in sein Inneres blickt, er sich als Erhaltungstrieb wahrnimmt? Vielmehr nimmt er nur wahr, daß er immer fühlt, genauer daß er irgend an welchem Organe irgend welche, gewöhnlich ganz unbedeutende Lust- oder Unlustempfindungen hat: die Bewegung des Blutes des Magens der Gedärme drückt irgend wie auf die Nerven, er ist immer fühlend und immer wechselt dies Gefühl. Der Traum verräth diese innere fortwährende Wandlung des Gefühls und deutet sie phantastisch aus. Die Stellungen, die die Glieder im Schlafe einnehmen, machen eine Umstellung der Muskeln nöthig und beeinflussen die Nerven und diese wieder das Gehirn. Unser Sehnerv unser Ohr unser Getast ist immer irgend wie erregt. Aber mit dem Erhaltungstrieb hat diese Thatsache einer fortwährenden Erregtheit und Bemerkbarkeit des Gefühls nichts gemein. Der Erhaltungstrieb oder die Liebe zum Leben ist entweder etwas ganz Bewußtes oder nur ein unklares irreführendes Wort für etwas anderes: daß wir der Unlust entgehen wollen, auf alle Weise, und dagegen nach Lust streben. Diese universale Thatsache alles Beseelten ist aber jedenfalls keine erste ursprüngliche Thatsache, wie es Schopenhauer vom Willen zum Leben annimmt: – Unlust fliehen, Lust suchen setzt die Existenz der Erfahrung und diese wieder den Intellekt voraus. – Die Stärke der Wollust beweist nicht den Willen zum Leben, sondern den Willen zur Lust. Die große Angst vor dem Tode, mit der Schopenhauer ebenfalls zu Gunsten seiner Annahme vom Willen argumentirt, ist in langem Zeitraum großgezüchtet durch einzelne Religionen, welche den Tod als entscheidende Stunde ansehen; sie ist hier und da so groß geworden. Falls sie aber unabhängig davon beobachtet wird, so ist sie nicht mehr als Angst vor dem Sterben d. h. dem ungeprobten und vielleicht zu groß vorgestellten Schmerz dabei, dann vor den Verlusten, welche durch das Sterben eintreten. Es ist nicht wahr daß man das Dasein um jeden Preis will, z. B. nicht als Thiere, auf welche Schopenhauer so gern hinweist um die ungeheure Macht des allgemeinen Willens zum Leben festzustellen.

23 [13]

Gelehrte wie Paul de Lagarde meinen, die Thatsachen des religiösen Bewußtseins müsse man vermöge der Wissenschaft festhalten. Aber wohl kann man sie constatiren, beschreiben, wissenschaftlich erklären: aber für das Individuum ist es dann mit ihnen vorbei. Denn der gute Glaube an sie ist zerstört, wenn man begriffen hat, wie irrthümlich menschlich es in ihrem Wesen aussieht. Die Wissenschaft ist der Tod aller Religionen, vielleicht einmal auch der Künste.

23 [14]

Der Weise kennt keine Sittlichkeit mehr außer der, welche ihre Gesetze aus ihm selbst nimmt; ja schon das Wort "Sittlichkeit" paßt für ihn nicht. Denn er ist völlig unsittlich geworden, insofern er keine Sitte kein Herkommen, sondern lauter neue Lebensfragen und deren Antworten anerkennt. Er bewegt sich auf unbegangenen Pfaden vorwärts, seine Kraft wächst, je mehr er wandert. Er ist einer großen Feuersbrunst gleich, die ihren eigenen Wind mit sich bringt, und von ihm gesteigert und weiter getragen wird.

23 [15]

Um der Kultur seine Erkenntniß zu weihen, sind wir in dem denkbar glücklichsten Zeitpunkte: jede Freiheit der Erkenntniß ist erobert und abgerungen und doch stehen wir allen Grundempfindungen, auf denen die alte Kultur ruht, noch nahe. Es wäre möglich, daß dies letztere einige Generationen später fehlte! –

23 [16]

Der Moment, in welchem die Luftschifffahrt erfunden und eingeführt wird, ist günstig für den Socialismus, denn der verändert alle Begriffe von Boden-Eigenthum. Der Mensch ist überall und nirgends, er wird entwurzelt. Man muß durch Gesellschaften sich sicherstellen, in strenger gegenseitiger Verpflichtung und Ausschließung aller Nichtverpflichteten. Sonst geht alles in die Lüfte und läßt sich anderswo nieder, wenn er nicht zahlen kann, nicht Verpflichtung halten mag.

23 [17]

Menschen, die keine wissenschaftliche Cultur haben, schwatzen, wenn sie über ernste und schwere Gegenstände reden und thun es mit Anmaaßung. Sokrates behält recht. Das Wichtigthun der Menschen ist beinahe so schlimm als völlige Verrücktheit. Freilich, zum Handeln, zum Ausbau der Cultur ist dieser Eifer diese Art Wahnsinn für Meinungen sehr wesentlich. Ohne Wuth kommt nichts zu Stande. Trotzdem: da die Erkenntniß von Wahrheiten überhaupt da ist und Vergnügen gewährt, so wollen wir ihre Fahne hoch halten, wenn auch mit keiner Grimasse des Pathos.

23 [18]

Selbst bei den freisinnigsten Denkern schleicht sich Mythologie ein, wenn sie von der Natur reden. Da soll die Natur das und das vorgesehen, erstrebt haben, sich freuen oder: "die menschliche Natur müßte eine Stümperei sein, wenn sie –„ Wille, Natur sind Überbleibsel des alten Götterglaubens.

23 [19]

Alle die, welche Maximen machen, verfallen leicht in den Fehler, vom Menschen etwas Allgemeines auszusagen, was von Zeiten oder Classen der Gesellschaft gilt; aber dasselbe haben alle Philosophen gethan, welche über die Menschen geschrieben haben – erst die Historie in Verbindung mit der Thiergeschichte läßt erkennen, wie groß der Mangel an Besonnenheit war. So verweist Schopenhauer, um zu zeigen, daß das Leben der Menschen einen moralischen metaphysischen Zweck habe, darauf, daß am Ende des Lebens man sich um seine moralischen Qualitäten bewußt werde – als ob ein solches Gefühl, wenn es jetzt wirklich allgemein existirte, irgend etwas anderes beweisen könnte als daß durch bestimmte Meinungen und Glaubenssätze die Menschen sich gewöhnt haben, in der Nähe des Todes an ihre Sünden zu denken: das heißt: eine solche Thatsache, wie sie Schopenhauer hinstellt, beweist, daß gewisse metaphysische Vorstellungen existiren und existirt haben, nicht aber daß sie wahr sind. Nun kommt dazu, daß es eine zeitlich sehr begrenzte Thatsache ist und daß z. B. im Alterthum man sehr oft, ohne an Sünden zu denken, starb. Und wenn es eine ganz allgemein, für alle Perioden der Menschheit und für jeden Menschen geltende Beobachtung wäre, es ist kein Beweis für die Wahrheit des von Schopenhauer behaupteten Satzes damit gegeben.

23 [20]

Wenn Männer mit starken geistigen Bedürfnissen an die Verbindung mit Frauen denken, so überkommt sie das Gefühl als ob sie sich einem Netz näherten, welches sich immer mehr zusammenzieht, und sie argwöhnen einen immer währenden Zwang, ja zuletzt, wenn es sich um Erziehung der Kinder handelt, einen immer neu auflodernden Kampf.

23 [21]

Wenn man eine Natur- und Menschenerklärung Sucht, welche unsern höchsten und stärksten Stimmungen entspricht, so wird man allein auf metaphysische stoßen. Wie es ohne alle diese erhabenen Irrthümer um die Menschen aussehen würde – ich glaube thierisch. Dächte man sich ein Thier mit dem Wissen einer strengen Naturkunde begabt, es würde damit kein Mensch werden, sondern im Wesentlichen als Thier fortleben, nur daß es in seinen vielen Mußestunden z. B. als Pferd vor der Krippe, gute Bücher läse, welche ihm es völlig begreiflich machten, daß die Wahrheit und das Thier sich gut vertragen.

23 [22]

Fast bei allen Philosophen ist die Benutzung des Vorgängers und die Bekämpfung desselben nicht streng, und ungerecht. Sie haben nicht gelernt ordentlich zu lesen und zu interpretiren, die Philosophen unterschätzen die Schwierigkeit wirklich zu verstehen, was einer gesagt hat und wenden ihre Sorgfalt nicht dahin. So hat Schopenhauer ebensowohl Kant als Plato völlig mißverstanden. Auch die Künstler pflegen schlecht zu lesen, sie neigen zum allegorischen und pneumatischen Erklären.

23 [23]

Ebensowohl Gott als der Teufel kann mit Fug und Recht zu dem Menschen sprechen: "Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, – so haben wir dich unbedingt." In diesem Punkte sind sie Verbündete. Übrigens sieht man dabei daß es mit jenem "unbedingt" nicht viel auf sich hat.

23 [24]

Ursprünglich sieht der Mensch alle Veränderungen in der Natur nicht als gesetzmäßig, sondern als Äußerungen des freien Willens d. h. blinder Zuneigungen Abneigungen Affekte Wuth usw. an: die Natur ist Mensch, nur so viel übermächtiger und unberechenbarer, als die gewöhnlichen Menschen, ein verhüllter in seinem Zelte schlafender Tyrann; alle Dinge sind Aktion wie er, nicht nur seine Waffen Werkzeuge sind belebt gedacht. Die Sprachwissenschaft hilft beweisen, daß der Mensch die Natur vollständig verkannte und falsch benannte: wir sind aber die Erben dieser Benennungen der Dinge, der menschliche Geist ist in diesen Irrthümern aufgewachsen, durch sie genährt und mächtig geworden.

23 [25]

Man wirft dem Socialismus vor, daß er die thatsächliche Ungleichheit der Menschen übersehe; aber das ist kein Vorwurf, sondern eine Charakteristik, denn der Socialismus entschließt sich, jene Ungleichheit zu übersehen und die Menschen als gleich zu behandeln d. h. zwischen allen das Verhältniß der Gerechtigkeit eintreten zu lassen, welches auf der Annahme beruht, daß alle gleich mächtig, gleich werthvoll seien; ähnlich wie das Christenthum in Hinsicht auf sündhafte Verdorbenheit und Erlösungsbedürftigkeit die Menschen als gleich nahm. Die thatsächlichen Differenzen (zwischen gutem und schlechtem Lebenswandel) erscheinen jenem zu gering, so daß man sie bei der Gesammtrechnung nicht in Anschlag bringt; so nimmt auch der Socialismus den Menschen als vorwiegend gleich, den Unterschied von gut und böse, intelligent und dumm als geringfügig oder als wandelbar: worin er übrigens in Hinsicht auf das Bild des Menschen, welches ferne Pfahlbauten-Zeiten gewähren, jedenfalls Recht hat: wir Menschen dieser Zeit sind im W<esentlichen> gleich. In jenen Entschluß, über die Differenzen hinweg zu sehen, liegt seine begeisternde Kraft.

23 [26]

Immer mehr, je entwickelter der Mensch ist, nimmt er die Bewegung, die Unruhe, das Geschehen wahr. Dem weniger entwickelten scheint das Meiste fest zu sein, nicht nur Meinungen, Sitten, sondern auch Grenzen, Land und Meer Gebirge usw. Das Auge entschließt sich erst allmählich für das Bewegte. Es hat ungeheure Zeiten gebraucht, um das Gleichbleibende, scheinbar Dauernde zu fassen, das war seine erste Aufgabe, schon die Pflanze lernte vielleicht an ihr. Deshalb ist der Glaube an "Dinge" dem Menschen so unerschütterlich fest geworden, ebenso wie der an die Materie. Aber es giebt keine Dinge, sondern alles fließt – so urtheilt die Einsicht, aber der Instinkt widerspricht in jedem Augenblick.

23 [27]

Schopenhauer concipirt die Welt als einen ungeheuren Menschen, dessen Handlungen wir sehen und dessen Charakter völlig unveränderlich ist: diesen können wir eben aus jenen Handlungen erschließen. Insofern ist es Pantheismus oder vielleicht Pandiabolismus, denn er hat kein Interesse, alles was er wahrnimmt in's Gute und Vollkommene umzudeuten. Aber diese ganze Unterscheidung zwischen Handlungen als Wirkungen und einem an sich seienden Charakter als Ursache ist schon am Menschen falsch, erst recht in Hinsicht auf die Welt. So etwas wie der Charakter hat an sich keine Existenz, sondern ist eine erleichternde Abstraktion. Und dies ist der Werth solcher Metaphysiker wie Schopenhauer: sie versuchen ein Weltbild: nur ist Schade, daß es die Welt in einen Menschen verwandelt: man möchte sagen, die Welt ist Schopenhauer im Großen. Das ist eben nicht wahr.

23 [28]

Die bittersten Leiden sind die, welche keine große Erregung mit sich bringen – denn die hohe Leidenschaft, sie sei welche sie wolle, hat ihr Glück in sich – sondern jene, welche nagen, wühlen und stechen: also namentlich die, welche durch rücksichtslose Menschen, welche ihre Art von Übermacht benutzen, uns zugefügt werden: etwa mit dem erschwerenden Umstande daß sie dabei von einer intimen Vertrautheit mit uns, durch einen Verrath der Freundschaft, Gebrauch machen. Das einzige große Gefühl, mit welchem man über solche Leiden hinwegflöge, wäre Haß mit der Aussicht auf Rache, auf Vernichtung des Andern. Aber gewöhnlich sagt sich der bessere Mensch, daß der Übelthäter gar nicht so boshaft war als er uns erscheint und daß manche Verdienste für ihn sprechen: so unterdrückt er den Gedanken an Wiedervergeltung, wird aber dabei nicht froh; er ist an die Zeit gewiesen, an das Schwächerwerden aller Erinnerungen. –

23 [29]

Zwei Dinge sind schädlich: der nagende Verdruß über eine Unbilde, mit seinem hundertfachen Wiederkäuen Ausspeien des Erlebten, dann matte imaginäre Rachebefriedigungen – eine wirkliche Rache und eine schnelle, wenn ihre Folgen uns auch mit Schmerz belasten, ist viel gesünder. Sodann das Leben in erotischen Vorstellungen, welche die Phantasie beschmutzen und allmählich eine Oberherrschaft gewinnen, bei welcher die Gesundheit leidet. – Die Selbsterziehung hat hier vorzubeugen: beiden Trieben muß auf die natürliche Art entsprochen werden und die Vorstellung rein erhalten werden. Die versagte Rache und die versagte Liebe machen den Menschen krank, schwach und schlecht.

23 [30]

Vorsicht vor Ringen! (Ringe sind gewundene Schlangen, welche sich harmlos stellen.) diese golden gewundenen Schlangen stellen sich zwar harmlos –

23 [31]

In welchem Gedichte wird soviel geweint wie in der Odyssee? – Und höchst wahrscheinlich wirkte das Gedicht auch ebenso auf die zuhörenden Griechen der älteren Zeit; jeder genoss dabei unter Tränen die Erinnerung an alles Erlittene und Verlorne. Jeder ältere Mann hatte eine Anzahl Erlebnisse mit Odysseus gemein, er fühlte dem Dulder alles nach. – Mich rührt oft das gar nicht Rührende, sondern das Einfache Schlichte Tüchtige bei Homer und ebenso in Hermann und Dorothea zu Thränen, z. B. Telemachos im ersten Gesang

23 [32]

Vielleicht ist der unegoistische Trieb eine späte Entwicklung des socialen Triebes; jedenfalls nicht umgekehrt. Der sociale Trieb entsteht aus dem Zwange, welcher ausgeübt wird, sich für ein anderes Wesen zu interessiren (der Sclave für seinen Herrn, der Soldat für seinen Führer) oder aus der Furcht, mit ihrer Einsicht, dass wir zusammen wirken müssen, um nicht einzeln zu Grunde zu gehen. Diese Empfindung, vererbt, entsteht später, ohne dass das ursprüngliche Motiv mit in's Bewusstsein trete; es ist zum Bedürfniss geworden, welches nach der Gelegenheit ausschaut sich zu bethätigen. Für andere, für eine Gemeinsamkeit, für eine Sache (wie Wissenschaft) sich interessiren erscheint dann als unegoistisch, ist es aber im Grunde nicht gewesen. –

23 [33]

Gründliche Kenner der Nordamerikaner sagen dass "die herrschende Meinung in den Vereinigten Staaten sich gegen jeden erklärt, der es unterlässt nach dem Höchsten zu streben, was für ihn erreichbar ist. Zurückbleiben aus freiem Willen gilt geradezu als Schande, als eine Art von Vergehen, gegen die Gesellschaft."

23 [34]

Die Welt ohne Eros. – Man bedenke, dass, vermöge des Eros, zwei Menschen an einander gegenseitig Vergnügen haben: wie ganz anders würde diese Welt des Neides der Angst und der Zwietracht ohne diess aussehen!

23 [35]

Tragische Jünglinge. – In der Neigung der Jünglinge für die Tragödie, in ihrer Manier sich trübselige Geschicke zu prophezeien, von den Menschen schlecht zu denken, ist etwas von jener Lust versteckt, welche in ihnen rege wird, wenn einer ausruft: "Wie weise ist er für sein Alter: wie kennt er schon den Lauf der Welt!"

23 [36]

Es ist ein herrliches Schauspiel: aus lokalen Interessen, aus Personen, welche an die kleinsten Vaterländer geknüpft sind, aus Kunstwerken, die für einen Tag, zur Festfeier gemacht wurden, aus lauter Punkten kurzum in Raum und Zeit erwächst allmählich eine dauernde die Länder und Völker überbrückende Cultur; das Lokale bekommt universale, das Augenblickliche bekommt monumentale Bedeutung. Diesem Gange in der Geschichte muss man nachspüren; freilich stockt einem mitunter der Athem, so zersponnen ist das Garn, so dem Zerreissen nahe der Knoten, welcher das Fernste mit dem Späten verbindet! – Homer, erst für alle Hellenen, dann für die ganze hellenische Culturwelt und jetzt für jedermann – ist eine Thatsache, über die man weinen kann.

23 [37]

Schopenhauer sagt mit Recht: "Die Einsicht in die strenge Nothwendigkeit der menschlichen Handlungen ist die Gränzlinie, welche die philosophischen Köpfe von den anderen scheidet." Falsch dagegen: "der letzte und wahre Aufschluß über das innere Wesen des Ganzen der Dinge muß nothwendig eng zusammenhängen mit dem über die ethische Bedeutsamkeit des menschlichen Handelns". Ebenso falsch: "zu schließen sind Alle, zu urtheilen Wenige fähig".

23 [38]

Auch wenn man Martern und den Tod für seinen Glauben erduldet, beweist man nichts für die Wahrheit, sondern nur für die Stärke des Glaubens an das, was man für Wahrheit hält. (Das Christenthum freilich geht von dem unstatthaften Einfalle aus: "was stark geglaubt wird, ist wahr". "Was stark geglaubt wird, macht selig, muthig, usw.") Das Pathos der "Wahrheit" ist an sich nicht förderlich für dieselbe, insofern es dem erneuten Prüfen und Forschen entgegenwirkt. Es ist eine Art Blindheit mit ihm verbunden, ja man wird, mit diesem Pathos, zum Narren: wie dies Winkler sagt. Man muß von Zeit zu Zeit skeptische Perioden durchleben, wenn anders man ein Recht haben will sich eine wissenschaftliche Persönlichkeit zu nennen. Schopenhauer hat seine Position vielfach mit Fluchen und Verwünschungen und fast überall mit Pathos verschanzt; ohne diese Mittel würde seine Philosophie vielleicht weniger bekannt geworden sein (z. B. wenn er die eigentliche Perversität der Gesinnung es nennt, an keine Metaphysik zu glauben").

23 [39]

Der welcher über die inneren Motive des Menschen schreibt, hat nicht nur kalt auf sie hinzudeuten; denn so kann er seine Schlüsse nicht glaubhaft machen. Er muß die Erinnerung an diese und jene Leidenschaft, Stimmung erwecken können, und muß also ein Künstler der Darstellung sein. Dazu wiederum ist nöthig, daß er alle diese Affekte aus Erfahrung kennt; denn sonst wird er indigniren durch Kälte und den Anschein von Geringschätzung dessen, was die anderen Menschen so tief bewegt und erschüttert hat. Daher muß er die wichtigsten Stufen der Menschheit durchgemacht haben und fähig sein, sich auf sie zu stellen: er muß religiös, künstlerisch, wollüstig, ehrgeizig, böse und gut, patriotisch und kosmopolitisch, aristokratisch und plebejisch gewesen sein und die Kraft der Darstellung behalten haben. Denn bei seinem Thema ist es nicht wie bei der Mathematik, wo ganz bestimmte Mittel des Ausdrucks, Zahlen Linien da sind, welche ganz unzweideutig sind. Jedes Wort über die Motive des Menschen ist unbestimmt und andeutend, man muß aber stark anzudeuten verstehen, um ein starkes Gefühl darzustellen.

23 [40]

Es giebt tröpfelnde Denker und fließende, wie sich die Quellen ebenso unterscheiden. Lichtenberg hält fleißig unter und bekommt endlich den Becher voll; aber er hat die Zeit nicht gehabt, uns den Becher voll zu reichen; seine Verwandten haben uns die Tropfen zugemessen. Da wird man leicht unbillig. An sich erweckt der fließende Denker den Anschein der vollen Kraft, aber es kann auch nur Täuschung sein.

23 [41]

Nicht nur der Glaube an Gott, auch der Glaube an tugendhafte Menschen, Handlungen, die Schätzung "unegoistischer" Triebe, also auch Irrthümer auf psychologischem Gebiet haben der Menschheit vorwärts geholfen. Es ist ein großer Unterschied, ob einer die Helden Plutarchs mit Begeisterung nachahmt oder anzweifelnd analysirt. Der Glaube an das Gute hat die Menschen besser gemacht: wie eine Überzeugung vom Gegentheil die Menschen schwächer mißtrauischer usw. macht. Dies ist die Wirkung von La Rochefoucauld und vom Verfasser der psychologischen Beobachtungen: diese scharfzielenden Schützen treffen immer ins Schwarze, aber im Interesse der menschlichen Wohlfahrt möchte man wünschen, daß sie nicht diesen Sinn der Verkleinerung und Verdächtigung hätten.

23 [42]

Der Reiz mancher Schriften z. B. des Tristram Shandy beruht unter anderem darauf, daß der angeerbten und angezogenen Scheu, manche Dinge nicht zu sehen, sich nicht einzugestehen, in ihnen widerstrebt wird, daß also mit einer gewissen "Keuschheit der Seele" ein schelmisches Spiel getrieben wird. Dächte man sich diese Scheu nicht mehr angeerbt, so würde jener Reiz verschwinden. Insofern ist der Werth der vorzüglichsten Schriften sehr abhängig von der ziemlich veränderlichen Constitution des inneren Menschen; die Stärkung des einen, die Schwächung des anderen Gefühls läßt diesen und jenen Schriftsteller ersten Ranges langweilig werden: wie uns z. B. die spanische Ehre und Devotion in den Dramatikern, das Mittelalterlich-Symbolische bei Dante mitunter unerträglich ist und ihren Vertretern in unserem Gefühle Schaden thut.

23 [43]

Die außerordentliche Unsicherheit alles Unterrichtswesens hat darin ihren Grund, daß es kein gemeinsam anerkanntes Fundament mehr giebt, und daß jetzt weder Christenthum noch Alterthum noch Naturwissenschaft noch Philosophie eine überstimmende und herrschende Macht haben. Man bewegt sich schwankend zwischen sehr verschiedenen Ansprüchen: zuletzt will gar noch der Nationalstaat eine "nationale" Kultur, um damit die Unklarheit auf den Gipfel zu bringen – denn national und Kultur sind Widersprüche. Selbst an den Universitäten, den Festungen der Wissenschaft, giebt es Leute, welche über der Wissenschaft noch als höhere Mächte Religion oder Metaphysik, mit der Heimlichkeit von Verräthern, anerkennen.

23 [44]

Die Lehrer ganzer Klassen setzen einen falschen Ehrgeiz hinein, ihre Schüler individuell verschieden zu behandeln. Nun ist aber im höchsten Maaße wahrscheinlich, daß der Lehrer, bei seiner geringen und einseitigen Beziehung zu den Schülern, sie nicht genau kennt und einige grobe Fehler in der Beurtheilung des einen oder andren Charakters macht (welche zudem bei jungen Leuten noch biegsam sind und nicht als vollendete Thatsache behandelt werden sollten). Der Nachtheil, welchen die Erkenntniß der Klasse, daß einige Schüler grundsätzlich immer irrthümlich behandelt werden, mit sich bringt, wiegt alle etwaigen Vortheile einer individualisirenden Erziehung auf, ja überwiegt bei weitem. Im Allgemeinen sind alle Lehrer-Urtheile über ein Individuum falsch und voreilig: und kein Beweis von wissenschaftlicher Sorgfalt und Behutsamkeit. Man versuche es nur immer mit einer Gleichsetzung und Gleichschätzung aller Schüler und nehme das Niveau ziemlich hoch, ja man behandle alles Censurengeben mit ersichtlicher Geringschätzung und beschränke sich darauf, den Gegenstand des Unterrichts interessant zu machen, so sehr daß der Lehrer es sich, vor der Klasse, anrechnet, wenn ein Schüler sich auffällig uninteressirt zeigt -: es ist ein bewährtes Recept, und läßt überdies das Gewissen des Lehrers ruhiger. – Es versteht sich übrigens von selbst, daß Klassenerziehung eben nur ein Nothbehelf ist, wenn der einzelne Mensch durchaus nicht von einem einzelnen Lehrer erzogen werden kann und somit der individuelle Charakter und die Begabung ihren eigenen Wegen überlassen werden müssen: was freilich gefahrvoll ist. Aber ist der einzelne Erzieher nicht ebenfalls eine Gefahr? –

23 [45]

Verwunderung der Naiven daß der Staat die Erziehung und Schule nicht ganz unparteiisch fördert: wozu hätte er sonst sie mit aller Mühe in die Hand genommen! Das Mittel, die Geister zu beherrschen. (Anwartschaft aller Lehrer auf Stellen! so hat man sie.)

23 [46]

Wir gewinnen eine neue Freude hinzu, wenn uns die metaphysischen Vorstellungen Humor machen, und die feierliche Miene, die Rührung der angeblichen Entdeckung, der geheimnißvolle Schauer wie eine alte Geistergeschichte uns anmuthet. Seien wir nicht gegen uns mißtrauisch! Wir haben doch die Resultate langer Herrschaft der Metaphysik in uns, gewisse complexe Stimmungen und Empfindungen, welche zu den höchsten Errungenschaften der menschlichen Natur gehören; diese geben wir mit jenem unschuldigen Spotte keineswegs auf. – Aber warum sollen wir nicht lachen, wenn Schopenhauer die Abneigung vor der Kröte uns metaphysisch erklären will, wenn die Eltern Gelegenheitsursachen für den Genius der Gattung werden usw.?

23 [47]

Rée als scharfzielender Schütze zu bezeichnen welcher immer ins Schwarze trifft.

23 [48]

Die moralische Selbstbeobachtung genügt jetzt keineswegs, Historie und die Kenntniß der zurückgebliebenen Völkerschaften gehört dazu, um die verwickelten Motive unseres Handelns kennen zu lernen. In ihnen spielt <sich> die ganze Geschichte der Menschheit ab, alle ihre großen Irrthümer und falschen Vorstellungen sind mit eingeflochten; weil wir diese nicht mehr theilen, suchen wir sie auch nicht mehr in den Motiven unserer Handl<ungen>, aber als Stimmung Farbe Oberton erklingen sie mit darin. Man meint, wenn man die Motive des Menschen classificirt nach der nothwendigen Befriedigung seiner Ansprüche, dann habe man wirklich alle Motive aufgezählt. Aber es gab zahllose fast unglaubliche, ja verrückte Bedürfnisse, welche nicht so leicht jetzt zu errathen wären: diese alle wirken jetzt noch mit.

23 [49]

Manchmal überkommt uns, etwa bei der tiefsten Erschütterung durch einen Trauerfall Treubruch Liebeswerbung, eine Empörung wenn wir die naturalistisch historische Erklärung hören. Aber solche Empfindungen beweisen nichts, sie sind wiederum nur zu erklären. Die Empfindungen sind tief geworden, aber nicht immer gewesen; und jenen höchsten Steigerungen entspricht kein realer Grund, sie sind Imaginationen.

23 [50]

Wenn Genie's unangenehme, ja schlechte Eigenschaften haben, so muss man ihren guten Eigenschaften um so dankbarer sein, dass sie in solchem Boden, mit dieser Nachbarschaft, bei solchem Clima, solchem Wurmfrass doch diese Früchte zeitigten.

23 [51]

Manches an dem wiederhergestellten Katholicismus wird von uns falsch beurtheilt, weil hier südländische Äusserungen der Religiosität vorliegen. Es sieht uns äusserlich, schwärmerisch unwahr-übertrieben an: aber der Protestantismus ist eben auch nur nordischen Naturen begreiflich.

23 [52]

Die Musik ist erst allmählich so symbolisch geworden, die Menschen haben immer mehr gelernt, bei gewissen Wendungen und Figuren seelische Vorgänge mitzuverstehen. Von vorn herein liegen sie nicht darin. Musik ist nicht unmittelbarer Ausdruck des Willens, sondern erst in der Fülle der Kunst kann sie so erscheinen.

23 [53]

Musik hat als gesammte Kunst gar keinen Charakter, sie kann heilig und gemein sein, und beides ist sie erst, wenn sie durch und durch symbolisch geworden ist. Jene sublimirten Verherrlichungen der Musik überhaupt, wie sie z. B. bei Bettina zu finden sind, sind Beschreibungen von Wirkungen gewisser Musik auf ganz bestimmte Individuen, welche alle jene sublimirten Zustände in sich haben und durch sie nun auch der Musik sich nähern.

23 [54]

Man lobt das Unegoistische ursprünglich, weil es nützlich, das Egoistische <tadelt man>, weil es schädlich ist. Wie aber, wenn dies ein Irrthum wäre! Wenn das Egoistische in viel höherem Grade nützlich wäre, auch den anderen Menschen, als das Unegoistische! Wie wenn man beim Tadel des Egoistischen immer nur an den dummen Egoismus gedacht hätte! Im Grunde übte man die Klugheit? – Freilich Güte, und Dummheit gehen auch zusammen, un bon homme usw.

23 [55]

Nach der Novelle „am Malanger Fjord" zu urtheilen, ist Th. Mügge das einzige deutsche Erzählertalent im Scottischen Stile; er ist durchaus meisterhaft sicher.

23 [56]

Lob Epicur's. – Die Weisheit ist um keinen Schritt über Epikur hinausgekommen – und oftmals viele tausend Schritt hinter ihn zurück.

23 [57]

Wenn ich die Dinge nach dem Grade der Lust ordne, welche sie erregen, so steht obenan: die musikalische Improvisation in guter Stunde, dann das Anhören einzelner Sachen Wagner's und Beethovens, dann vor Mittag gute Einfälle im Spazierengehen haben, dann die Wollust usw.

23 [58]

Der Genuss an der Kunst hängt von Kenntnissen (Übung) ab; auch bei der volksthümlichsten Kunst. Es giebt keine unmittelbare Wirkung auf den Hörer, ein Hinausgreifen über die Schranken des Intellects. Viele geniessen Wagnerische Musik nicht, weil sie nicht genussfähig durch höchste musikalische Bildung geworden sind.

23 [59]

Menschen, welche sich in hervorragender Weise vom Ererbt-Sittlichen loslösen, "gewissen"-los sind, können dies nur in der gleichen Weise werden, wie Missgeburten entstehen; das Wachsen und Sich-bilden geht ja nach der Geburt fort, in Folge der angeerbten Gewohnheiten und Kräfte. So könnte man in jenem Falle den Begriff der Missgeburt erweitern und etwa von Missgebilden reden. Gegen solche hat die übrige Menschheit dieselben Rechte wie gegen die Missgeburten und Monstra: sie darf sie vernichten, um nicht die Propagation des Zurückgebliebenen Missrathenen zu fördern. Z. B. der Mörder ist ein Missgebilde. –

23 [60]

Eine gewöhnliche Erfahrung: es ging schlecht, aber viel besser als ich glaubte.

23 [61]

Glück und Unglück. – Bei manchen Menschen zeigt sich das Glück ergreifender als ihr Unglück. – Wer kann heitere Musik aus einem Irrenhause heraus tönend ohne Thränen hören?

23 [62]

Beim Gehen an einem Waldbach scheint die Melodie, die uns im Sinne liegt, hörbar zu werden, in starken zitternden Tönen; ja sie scheint mitunter dem inneren Bild der Melodie, welche wir verfolgen, vorauszulaufen um einen Ton und erlangt eine eigne Selbstständigkeit, welche aber nur Täuschung ist.

23 [63]

Das Hauptelement des Ehrgeizes ist, zum Gefühl seiner Macht zu kommen. Die Freude an der Macht ist nicht darauf zurückzuführen, dass wir uns freuen, in der Meinung anderer bewundert dazustehen. Lob und Tadel, Liebe und Hass sind gleich für den Ehrsüchtigen, welcher Macht will.

Furcht (negativ) und Wille zur Macht (positiv) erklären unsere starke Rücksicht auf die Meinungen der Menschen.

Lust an der Macht. – Die Lust an der Macht erklärt sich aus der hundertfältig erfahrenen Unlust der Abhängigkeit, der Ohnmacht. Ist diese Erfahrung nicht da, so fehlt auch die Lust.

23 [64]

Zeichen höherer Naturen. – Die metaphysischen Vorstellungen eines Menschen sind Zeugnisse für seine höhere Natur, edlere Bedürfnisse: insofern soll man immer im würdigsten Tone von ihnen reden.

23 [65]

Nutzen und Nachtheil alles Märtyrerthums. – Die vielen Märtyrertode sind Kraftquellen für die Menschen geworden, nach der Seite der Überzeugungs-Hartnäckigkeit, nicht nach der Seite der strengen Wahrheitsprüfung. Die Grausamkeiten schaden der Wahrheit, aber nützen dem Willen (der sich im Glauben manifestirt).

23 [66]

In wiefern tröstet es einen Unglücklichen, eine Strafe nicht verdient zu haben? Er wird zum Besten der Menschheit als Mittel benutzt, um sie abzuschrecken: aber er hatte es nicht verdient, als Mittel betrachtet zu werden? Sobald man aber einsieht, dass niemand etwas verdient, tröstet jener Gesichtspunkt auch gar nicht mehr. Übrigens sollte man sich unter allen Umständen darüber freuen, als Mittel zur Verbesserung der Menschen zu dienen.

23 [67]

Übliche Form des Argwohns. – Man ist unbillig argwöhnisch gegen Bücher, deren Resultate uns missfallen – und umgekehrt. In einer Partei werden die Grundsätze des Parteikampfes niemals ernsthaft geprüft; nur die entgegenstrebenden Parteien und deren Interessen bringen eine starke Kritik hervor.

23 [68]

Mancher trifft den Nagel, aber nicht auf den Kopf, er macht das Problem heillos schief. Es wäre besser, er hätte die Sache ganz verfehlt.

23 [69]

Ablösung des Zufälligen durch das Nothwendige. – Im Stadium höherer geistiger Befreiung soll man alles Zufällig-Natürliche, mit dem man das Leben verknüpft hat, durch Gewähltes-Nöthiges ersetzen. Wer unzureichende Freunde von früher her hat, soll sich lösen; einen neuen Vater, neue Kinder soll man sich unter Umständen wählen.

23 [70]

Grosse Wirkungen falsch abgeleitet. – Grosse Wirkungen auf grosse Ursachen zurückzuführen ist ein sehr gewöhnlicher Fehlschluss. Erstens können es kleine Ursachen sein, welche aber eine lange Zeit wirken. Dann kann das Object, auf welches gewirkt wird, wie ein vergrössernder Spiegel sein: ein schlechter Dichter kann grosse Wirkung thun, weil das Publikum gerade ihm homogen ist, z. B. Uhland unter seinen schwäbischen Landsleuten.

23 [71]

Suche die Einsamkeit, um Vielen oder Allen (der Vielsamkeit) am besten nützen zu können: wenn du sie anders suchst, so wird sie dich schwach krank und zu einem absterbenden Gliede machen.

23 [72]

Nicht die Abwesenheit der Liebe, sondern die Abwesenheit der Freundschaft macht die unglücklichen Ehen.

23 [73]

Der Ausdruck „Lohn" ist aus der Zeit her in unsere verschleppt, in welcher der Niedriggeborne Unfreie wenn man ihm überhaupt etwas gab oder gönnte sich immer beglückt begnadet fühlte, wo er wie ein Thier bald durch die Peitsche bald durch Lockungen aufgemuntert wurde, aber niemals etwas "verdiente". Wenn jener thut, was er thun muss, so ist kein Verdienst dabei: wird er trotzdem belohnt, so ist dies eine überschüssige Gnade, Güte.

23 [74]

Die jetzigen Dramatiker gehen häufig von einem falschen Begriff des Dramas aus und sind Drastiker: es muß bei ihnen um jeden Preis geschrieen gelärmt geschlagen geschossen getödtet werden. Aber "Drama" bedeutet "Ereigniß" factum, im Gegensatz zum fictum. Nicht einmal die historische Ableitung des griechischen Wort-Begriffs giebt ihnen Recht. Die Geschichte des Dramas aber erst recht nicht; denn der Darstellung des Drastischen gehen die Griechen gerade aus dem Wege.

23 [75]

Der ehemalige Wunderbeweis. – Wenn jemand seine Hand in glühend flüssiges Metall taucht und unversehrt herauszieht, so setzt es immer noch in Erstaunen aber ehemals meinte man gewiß ein Wunder zu sehen: der es that, glaubte selber an eine geheimnißvolle Kraft und übernatürlichen Beistand. Auch der, welcher die Erklärung der Thatsache jetzt nicht weiß, meint doch, es gehe natürlich zu und es werde ihm so gut glücken wie jenem. Ehemals hätte man jede Behauptung damit beweisen können und jeder hätte einem solchen Beweise geglaubt.

23 [76]

Die wissenschaftlichen Methoden entlasten die Welt von dem großen Pathos, sie zeigen, wie grundlos man sich in diese Höhe der Empfindung hineingearbeitet hat. Man lacht und wundert sich jetzt über einen Zank, der zwei Feinde und allmählich ganze Geschlechter rasend macht und zuletzt das Schicksal der Völker bestimmt, während vielleicht der Anlaß längst vergessen ist: aber ein solcher Vorgang ist das Symbol aller großen Affekte und Leidenschaften in der Welt, welche in ihrem Ursprunge immer lächerlich klein sind. Nun bleibt zunächst der Mensch verwundert vor der Höhe seines Gefühls und der Niedrigkeit des Ursprungs stehen; auf die Dauer mildert sich dieser Gegensatz, denn das beschämende Gefühl des Lächerlichen arbeitet still an dem Menschen, der hier einmal zu erkennen angefangen hat. – Es giebt anspruchsvolle Tugenden, welche ihre Höhe nur unter metaphysischen Voraussetzungen behaupten können z. B. Virginität; während sie an sich nicht viel bedeutet, als eine blasse unproduktive Halbtugend, welche überdies geneigt macht, über die Mitmenschen recht ketzerrichterisch abzuurtheilen.

23 [77]

Unterscheidet man Stufen der Moralität, so würde ich als erste nennen: Unterordnung unter das Herkommen, Ehrfurcht und Pietät gegen das Herkommen und seine Träger (die Alten) als zweite Stufe. Gebundensein des Intellekts, Beschränkung seines Herumgreifens und Versuchens, Steigerung des Gefühls innerhalb des abgegrenzten Bereichs erlaubter Vorstellungen. – Dagegen die Forderung des unegoistischen unpersönlichen Handelns, worin man gewöhnlich den Ursprung der Moralität sieht, gehört den pessimistischen Religionen an, insofern diese von der Verwerflichkeit des ego, der Person ausgehen, also die metaphysische Bedeutung des „Radikal-Bösen" vorher in den Menschen gelegt haben müssen. Von der pessimistischen Religion her hat Kant sowohl das Radikal-Böse als den Glauben daß das Unegoistische das Kennzeichen des Moralischen sei. Nun existirt dies aber nur, wie Schopenhauer richtig sah, im Nachgeben gegen bestimmte Empfindungen, z. B. des Mitleidens Wohlwollens. Empfindungen kann man aber nicht fordern, anbefehlen. Die Moral hat aber immer gefordert, sie wird somit „mitleidig und wohlwollend sein" (unegoistisch sein) nicht als entscheidende Kennzeichen des „moralischen Menschen" gelten lassen: wie man ja thatsächlich oft von „unmoralischen Menschen" spricht, welche aber sehr gutmüthig und mitleidig sind.

23 [78]

Die falsche Voraussetzung aller Moral ist der Irrthum, daß der Mensch frei handele und verantwortlich sei. Jedes Gesetz, jede Vorschrift (in Staat, Gesellschaft, Schule) setzt diesen Glauben voraus, wir sind so daran gewöhnt, daß wir loben und tadeln, auch nach der erworbenen Einsicht in die Unverantwortlichkeit: während wir doch die Natur nicht tadeln und loben. Unegoistische Handlungen fordern, wie es die pessimistischen Religionen thun, Liebe fordern: das setzt denselben Grundirrthum voraus.

23 [79]

Um die Monogamie und ihre große Wucht zu erklären, soll man sich ja vor feierlichen Hypothesen hüten, wozu die erwähnte Scham vor einem Mysterium verführt. Zunächst ist an einen moralischen Ursprung gar nicht zu denken; auch die Thiere haben sie vielfach. Überall wo das Weibchen seltener ist als das Männchen oder seine Auffindung dem Männchen Mühe gemacht hat, entsteht die Begierde, den Besitz desselben gegen neue Ansprüche anderer Männchen zu vertheidigen. Das Männchen läßt das einmal erworbene Weibchen nicht wieder los, weil es weiß, wie schwer ein neues zu finden ist, wenn es dies verloren hat. Die Monogamie ist nicht freiwillige Beschränkung auf ein Weib, während man unter vielen die Auswahl hat, sondern die Behauptung eines Besitzthums in weiberarmen Verhältnissen. Deshalb ist die Eifersucht bis zu der gegenwärtigen Stärke angeschwollen und aus dem Thierreich her in überaus langen Zeiträumen auf uns vererbt. In den Menschenstaaten ist das Herkommen der Monogamie vielfach aus verschiedenen Rücksichten der Nützlichkeit sanktionirt worden, vor allem zum Wohle der möglichst fest zu organisirenden Familie. Auch wuchs die Schätzung des Weibes in derselben, so daß es von sich aus später das Verhältniß der Monogamie allen übrigen vorzog. – Wenn thatsächlich das Weib ein Besitzstück nach Art eines Haussklaven war, so stellte sich doch bei dem Zusammenleben zweier Menschen, bei gemeinsamen Freuden und Leiden, und weil das Weib auch manches verweigern konnte, in manchem dem Mann als Stellvertreter dienen konnte, eine höhere Stellung des Eheweibes ein. – Jetzt, wo die Weiber in den civilisirten Staaten thatsächlich in der Mehrheit sind, ist die Monogamie nur noch durch die allmählich übermächtig gewordene Sanktion des Herkommens geschützt; die natürliche Basis ist gar nicht mehr vorhanden. Ebendeshalb besteht hinter dem Rücken der feierlich behandelten und geheiligten Monogamie thatsächlich eine Art Polygamie.

23 [80]

Wenn Schopenhauer dem Willen das Primat zuertheilt und den Intellekt hinzukommen läßt, so ist doch das ganze Gemüth, so wie es uns jetzt bekannt ist, nicht mehr zur Demonstration zu benutzen. Denn es ist durch und durch intellektual geworden (so wie unsere Tonempfindung in der Musik intellektual wurde). Ich meine: Lust und Schmerz und Begehren können wir gar nicht vom Intellekt mehr losgetrennt denken. Die Höhe Mannichfaltigkeit Zartheit des Gemüths ist durch zahllose Gedankenvorgänge großgezüchtet worden; wie die Poesie sich zur jetzigen Musik verhält, als die Lehrerin aller Symbolik, so der Gedanke zum jetzigen Gemüth. Diese Gedanken sind vielfache Irrthümer gewesen; z. B. die Stimmung der Frömmigkeit ruht ganz auf dem Irrthume. Lust und Schmerz ist wie eine Kunst ausgebildet worden, genau durch dieselben Mittel wie eine Kunst. Die eigentlichen Motive der Handlungen verhalten sich jetzt so wie die Melodien der jetzigen Musik; es ist gar nicht mehr zu sagen, wo Melodie, wo Begleitung Harmonie ist; so ist bei den Motiven der Handlungen alles künstlich gewebt, mehrere Motive bewegen sich neben einander und geben sich gegenseitig Harmonie Farbe Ausdruck Stimmung. Bei gewissen Stimmungen meinen wir wohl den Willen abgesondert vom Intellekt zu haben, es ist eine Täuschung; sie sind ein Resultat. Jede Regung ist intellektual geworden; was einer z. B. bei der Liebe empfindet, ist das Ergebniß alles Nachdenkens darüber, aller je damit verbundenen Metaphysik, aller verwandten miterklingenden Nachbarstimmungen.

23 [81]

Bei dem Ursprunge der Kunst hat man nicht von aesthetischen Zuständen und dergleichen auszugehen; das sind späte Resultate, ebensowie der Künstler. Sondern der Mensch wie das Thier sucht die Lust und ist darin erfindsam. Die Moralität entsteht, wenn er das Nützliche sucht d. h. das was nicht sogleich oder gar nicht Lust gewährt, aber Schmerzlosigkeit verbürgt, namentlich im Interesse Mehrerer. Das Schöne und die Kunst geht auf das direkte Erzeugen möglichst vieler und mannichfaltiger Lust zurück. Der Mensch hat die thierische Schranke einer Brunstzeit übersprungen; das zeigt ihn auf der Bahn der Lust-Erfindung. Viele Sinnenfreuden hat er von den Thieren her geerbt (der Farbenreiz bei den Pfauen, die Gesangfreude bei den Singvögeln). Der Mensch erfand die Arbeit ohne Mühe, das Spiel, die Bethätigung ohne vernünftigen Zweck. Das Schweifen der Phantasie, das Ersinnen des Unmöglichen, ja des Unsinnigen macht Freude, weil es Thätigkeit ohne Sinn und Zweck ist. Mit den Armen und Beinen sich bewegen ist ein Embryo des Kunsttriebs. Der Tanz ist Bewegung ohne Zweck; Flucht vor der Langeweile ist die Mutter der Künste. Alles Plötzliche gefällt, wenn es nicht schadet, so der Witz, das Glänzende, Starktönende (Licht Trommellärm). Denn eine Spannung löst sich, dadurch daß es aufregt und doch nicht schadet. Die Emotion an sich wird erstrebt, das Weinen, der Schrecken (in der Schauergeschichte) die Spannung. alles was aufregt, ist angenehm, also die Unlust im Gegensatz zur Langeweile als Lust empfunden.

23 [82]

Wenn jemand die Wissenschaft zum Schaden der Menschheit fördert (- nämlich es giebt keine prästabilirte Harmonie zwischen der Förderung der Wissenschaft und der Menschheit) so kann man ihm sagen: willst du zu deinem Vergnügen die Menschheit deiner Erkenntniß opfern, so wollen wir dich dem allgemeinen Wohlbefinden opfern, hier heiligt der gute Zweck das Mittel. Wer die Menschheit eines Experimentes wegen vergiften wollte, würde von uns wie ein ganz gefährliches Subjekt in Banden gelegt werden; wir fordern: das Wohl der Menschheit muß der Grenzgesichtspunkt im Bereich der Forschung nach Wahrheit sein (nicht der leitende Gedanke, aber der, welcher gewisse Grenzen zieht). Freilich ist da die Inquisition in der Nähe; denn das Wohl aller war der Gesichtspunkt, nach dem man die Ketzer verfolgte. In gewissem Sinne ist also eine Inquisitions-Censur nothwendig, die Mittel freilich werden immer humaner werden.

23 [83]

Eine alte Stadt, Mondschein auf den Gassen, eine einsame männliche Stimme – das wirkt als ob die Vergangenheit leibhaftig erschienen sei und zu uns reden wollte – das Heillose des Lebens, das Ziellose aller Bestrebungen, der Glanz von Strahlen darum, das tiefe Glück in allem Begehren und Vermissen: das ist ihr Thema.

23 [84]

Man überschätzt an Künstlern die fortlaufende Improvisation, welche gerade bei den originellsten Künstlern nicht existirt, wohl aber bei den halb reproduktiven Nachahmern. Beethoven sucht seine Melodien in vielen Stücken, mit vielem Suchen zusammen. Aber die Künstler selbst wünschen, daß das Instinktive „Göttliche" Unbewußte in ihnen am höchsten taxirt werde und stellen den Sachverhalt nicht treu dar, wenn sie darüber sprechen. Die Phantasie (wie z. B. bei dem Schauspieler) schiebt viele Formen ohne Wahl heran, die höhere Cultur des Künstler- Geschmacks trifft die Auswahl unter diesen Geburten und tödtet die anderen ab, mit der Härte einer lykurgischen Amme.

23 [85]

Der Vorzug unserer Cultur ist die Vergleichung. Wir bringen die verschiedensten Erzeugnisse älterer Culturen zusammen und schätzen ab; dies gut zu machen ist unsere Aufgabe. Unsre Kraft soll sich zeigen, wie wir wählen; wir sollen Richter sein.

23 [86]

Zum Schluß: Vernunft und Wissenschaft, "des Menschen allerhöchste Kraft!"

23 [87]

Wir nennen den moralisch, welcher in Hinsicht auf ein von ihm anerkanntes Gesetz sich unterordnet und demgemäß handelt, sei dies ein Staatsgesetz, sei es die Stimme Gottes in der Form religiöser Gebote, sei es selbst nur das Gewissen, oder die philosophische "Pflicht". Ob jemand mit Recht oder Unrecht solche Gesetze glaubt, ist gleichgültig; für die Moral ist nur wichtig, daß er nach ihnen sich richtet. – Innerhalb der verschiedenen Sphären des Egoismus ist ein Unterschied von Höher und Nieder: hier sich auf Seiten des höheren geläuterten Egoismus stellen nennen wir ebenfalls moralisch. – Gut nennen wir jetzt eine moralische Handlungsweise ohne weiteres noch nicht. Seelengüte wird dem Menschen zugesprochen, welcher nicht in Hinsicht auf ein Gesetz, sondern nach inneren Trieben gern Mitleiden Mitfreude Aufopferung usw. zeigt. Also Moralität zum Instinkt geworden, in ihrer Ausübung mit Lust verbunden, wie dies nach langer Vererbung und Gewohnheit zu geschehen pflegt: das heißt bei uns Gutsein.

23 [88]

Man spricht von Milderungsgründen: sie sollen die Schuld mindern und darnach soll die Strafe geringer ausfallen. Aber geht man auf die Genesis der Schuld ein, so mildert man allmählich die Schuld weg, und dann dürfte es gar keine Strafe geben. Denn im Grunde giebt es eben, bei der Unfreiheit des Willens, keine Schuld. Läßt man die Strafe als Abschreckung gelten, so darf es keine Milderungsgründe geben, die sich auf die Entstehung der Schuld beziehen. Ist die That constatirt, so folgt die Strafe unerbittlich; der Mensch ist Mittel zum Wohle aller. Auch das Christenthum sagt: Richtet nicht! freilich mit der Rücksicht auf den persönlichen Nachtheil. Christus: "Gott soll richten". Dies ist aber ein Irrthum.

23 [89]

Die Philosophen finden den Willen zum Leben namentlich dadurch bewiesen, daß sie das Schreckliche oder Nutzlose des Lebens einsehen und doch nicht zum Selbstmord greifen – aber ihre Schilderung des Lebens könnte falsch sein! –

23 [90]

Wie jetzt auch die Frage der Kritik des Erkenntnißvermögens beantwortet werde, die Untersuchung ist so schwierig, die Gedankenselbstprüfung so subtil, daß ihr Resultat mit den Resultaten der bisherigen Religion Kunst und Moral gar nichts zu thun hat. Diese verdanken sie nicht solchen wissenschaftlichen Prozeduren, sondern höchst unwissenschaftlichen. Das Bedürfniß nach ihnen ist ohne alle Consequenz für die "Wahrheit", Realität ihrer Annahmen.

23 [91]

Das gute Kunstwerk der Erzählung wird das Hauptmotiv so entfalten wie die Pflanze wächst, immer deutlicher sich vorbildend, bis endlich als neu und doch geahnt die Blüthe sich erschließt. Die Kunst des Novellisten ist namentlich die, das Thema präludiren zu lassen, es symbolisch mehrermal vorwegzunehmen, die Stimmung vorzubereiten, in welcher man den Ausbruch des Gewitters anticipirt, benachbarte Töne der Hauptmelodie erklingen zu machen und so auf jede Weise die erfindende Fähigkeit des Lesers zu erregen, als ob er ein Räthsel rathen sollte; dieses aber dann so zu lösen, daß es den Leser doch noch überrascht. – Wie der Knabe spielt, so wird der Mann arbeiten, ein Schulereigniß kann alle handelnden Personen eines politisch großen Vorgangs schon deutlich erkennen lassen. – Vielleicht ist auch eine Philosophie so darzustellen, daß man die eigentliche Behauptung erst zuletzt stellt und zwar mit ungeheurem Nachdruck.

23 [92]

Es ist ein Zeichen von Größe, mit geringen Gaben hoch beglücken zu können.

23 [93]

Die Philosophie großer Menschen entspricht gewöhnlich dem Lebensalter, in welchem die Conception dazu gemacht wurde. So ist für den, welcher die zwanziger Jahre Schopenhauers intim kennt, die ganze Philosophie Schopenhauers förmlich auszurechnen, zu prophezeien.

23 [94]

Erzogen wird jeder Mensch, durch die Umstände, Gesellen, Eltern, Geschwister, Ereignisse der Zeit, des Ortes: aber dies ist alles Erziehung des Zufalls und vielfältig geeignet, ihn recht unglücklich zu entwickeln. Über diese Erziehung durch den Zufall ist aber die Menschheit im Ganzen noch nicht hinausgekommen: gehindert durch die metaphysische Vorstellung (an welcher selbst Lessing's scharfer Geist stumpf wurde), daß ein Gott die Erziehung der Menschheit in die Hand genommen habe und daß wir seine Wege nicht völlig begreifen können. Von nun an hat die Erziehung sich ökumenische Ziele zu stecken und den Zufall selbst im Schicksal von Völkern auszuschließen: – die Aufgabe ist so groß, daß eine ganz neue Gattung von Erziehern, ein neues Gebilde aus Ärzten Lehrern Priestern Naturforschern Künstlern der alten Kultur – – –

23 [95]

Die Besonnenheit der antiken Dichter zeigt sich darin, daß sie das Gefühl von einer Stufe zur andern heben und es so sehr hoch steigern. Die Neuern versuchen es gerne mit einem Überfalle; oder: sie ziehen gleich mit aller Gewalt am Glockenstrange der Leidenschaft. Mißlingt es ihnen aber am Anfang, so sind sie auch verloren. Ein gutes Buch sollte, als Ganzes, einer Leiter der Empfindung gleichen, es müßte nur von Einer Seite her einen Zugang haben, der Leser müßte sich verwirrt fühlen, wenn er es auf eigne Faust versuchte, darin sich seinen Weg zu machen. Jedes gute Buch würde sich so selber schützen; wer schleppt gerne einen Strick mit aufgereihten Worten hinter sich drein, welche er zunächst nicht versteht? Im Gleichniß gesprochen: als man mir den standhaften Prinzen Calderon's in der Schlegelschen Übersetzung vorlas, gieng mir's so: ich zog meinen Strick eine Zeitlang und ließ ihn endlich mißmuthig fahren, machte einen neuen Versuch und zog wieder einen Faden voller Worte hinter mir, aber selten kam das erklärende erlösende Wort: Qual Verdruß, wie bei einem Bilde, auf dem alle Zeichnung verblaßt ist und Eines Vieles bedeuten kann.

23 [96]

Der Fehler der Moralisten besteht darin, daß sie um das Moralische zu erklären egoistisch und unegoistisch wie unmoralisch und moralisch einander gegenüber stellen, d.h. daß sie das letzte Ziel der moralischen Entwicklung, unsere jetzige Empfindung als Ausgangspunkt nehmen. Aber diese letzte Phase der Entwicklung ist durch zahlreiche Stufen, durch Einflüsse von Philosophie und Metaphysik, von Christenthum bedingt und durchaus nicht zu benutzen, um den Ursprung des Moralischen zu erklären. Überdies ist möglich, daß unegoistisches Handeln zwar ein uns geläufiger Begriff, aber keine wirkliche Thatsache, sondern nur eine scheinbare ist; die Ableitung des Mitleidens z. B. führt vielleicht auf den Egoismus zurück, ebenso wie es wahrscheinlich keine Thaten der Bosheit an sich, des Schädigens ohne persönlichen Grund usw. giebt. Das Reich des Moralischen ist vor allem das Reich des Sittlichen gewesen, man nannte aber den "guten Menschen" durchaus nicht zu allen Zeiten den, welcher die Sitte unegoistischer Handlungen, das Mitleiden und dergleichen hatte, sondern vielmehr den, welcher überhaupt den Sitten folgte. Ihm stand der böse Mensch, der ohne Sitte (der unsittliche) gegenüber.

23 [97]

Das Mitgefühl mit dem Nächsten ist ein spätes Resultat der Cultur: wie weit muß die Phantasie entwickelt sein, um anderen wie uns selber nachzufühlen (erst wenn wir gelernt unsere eigenen nicht gegenwärtigen Schmerzen und Freuden durch die Erinnerung nachzufühlen und wie gegenwärtige zu empfinden). Vielen Antheil hat gewiß die Kunst, wenn sie uns lehrt, Mitleiden selbst mit vorgestellten Empfindungen unwirklicher Personen zu haben.

23 [98]

Die gute Recension eines wissenschaftlichen Buches besteht darin, daß das aufgestellte Problem desselben besser gelöst wird; dem entsprechend wäre es, wenn die Kritik eines Kunstwerks darin bestünde, daß jemand das darzustellende Motiv des Kunstwerks besser darstellte, z. B. ein Musiker durch die That zeigte, daß ein Anderer mit seinem Thema nicht genug zu machen gewußt habe; insgleichen ein Bildhauer, ein Romanschreiber. Alle gute Kritik heißt Bessermachen; deshalb ist Bessermachen-können unerläßliche Bedingung für den Kritiker. – Nun sehe man aber die gewöhnlichen Kritiker der Kunst und Philosophie an! Sie sagen: "es gefällt uns nicht"; aber wodurch wollen sie beweisen, daß ihr Geschmack entwickelter höher steht, wenn nicht durch die That?

23 [99]

Man redet von Ahnungen, als ob z. B. die Religion gewisse Erkenntnisse, wenngleich dunkel, vorausgefühlt habe. Ein solches Verhältniß zwischen Religion und Wissenschaft giebt es nicht. Das was man Ahnung nennt, ist aus ganz anderen Motiven aufgestellt als wissenschaftlichen, auf ganz anderen Methoden begründet, nicht einmal auf halbwissenschaftlicher Methode. Es ist zufällig, wenn das Eine dem Andern ähnlich sieht. Alle Religionen zusammen sollen gewisse gemeinsame Wahrheiten" dunkel enthalten, man glaubt damit einer Philosophie etwas Günstiges zu sagen, wenn man die religiöse Phantastik auf ihre Seite bringt: aber es ist umgekehrt. Wissenschaft und Religion werden sich in ihren Resultaten gar nicht ähnlich sehen können.

23 [100]

Es leben zu gleicher Zeit Menschen der verschiedensten Culturstufen selbst in den hochentwickelten Nationen neben einander fort. In Deutschland und der Schweiz ist alles, was von der Reformation an die Seelen beherrschte, noch irgendwo zurückgeblieben, es ist möglich, durch mehrere Jahrhunderte rückwärts zu wandern und Menschen dieser Zeiten zu sprechen. Ja, der sehr reich entwickelte Mensch (wie Goethe) lebt große Zeiträume, ganze Jahrhunderte voraus in den verschiedenen Phasen seiner Natur.

23 [101]

Die Künstler sind die Advokaten der Leidenschaft, denn sie ist voller Effekt und giebt dem Künstler zehnmal mehr Gelegenheit, seine Kunst zu zeigen. So entsteht der Schein als ob die Leidenschaften etwas Herrliches, Begehrenswerthes seien, denn die Dichter nehmen die schönsten Worte in den Mund; eigentlich aber verherrlichen sie die Leidenschaft, weil sie sich am meisten verherrlichen wollen.

Theilweise sind sie auch selber von leidenschaftlichem Hange und insofern ihre eignen Advokaten. Nun stellen sie aber in der Welt das Verherrlichenswerthe überhaupt fest, sie sind die geborenen Lobredner der Dinge – sie haben die Stellung des Menschen zur Leidenschaft wirklich verändert d.h. diese selbst subtilisirt, veredelt: z.B. die Liebe. Es ist ihr Verdienst.

23 [102]

Frau von Staël: das Zeitalter der Einsicht hat seine Unschuld ebensowohl wie das goldene Zeitalter.

23 [103]

Werth der Gewissensbisse für die geistige Befreiung. – Es ist kein Zweifel, dass zur Vermehrung der geistigen Freiheit in der Welt die Gewissenbisse wesentlich beigetragen haben. Sie reizten häufig zu einer Kritik der Vorstellungen, welche, auf Grund früherer Handlungen, so schmerzhaft wirkten; und man entdeckte, dass nicht viel daran war, ausser der Gewöhnung und der allgemeinen Meinung innerhalb der Gesellschaft, in welcher man lebte. Konnte man sich von diesen beiden losmachen, so wichen auch die Gewissensbisse.

23 [104]

Künstler könnten die glücklichsten Menschen sein, denn ihnen ist es erlaubt, das Vollkommene zu erzeugen als Ganzes und sogar oft; während die Andern immer nur an kleinen Theilen eines Ganzen arbeiten. Aber die Künstler verwöhnen sich durch den Anblick des Vollkommnen Ganzen und fordern es auch sonst, sie machen höhere Ansprüche, sind neidisch, haben sich nicht gewöhnt sich zu beherrschen, sind dünkelhaft im Urtheil; und mitunter fehlen ihrem Schaffen die geniessenden und lobenden Empfänger.

23 [105]

Das Pathos gehört in die Kunst. – Wer wird nicht giftig und innerlich aufgebracht, wenn er einen hört, der sein Leben gar zu pathetisch nimmt und von „Golgatha" und "Gethsemane" redet! – Wir vertragen das Pathetische nur in der Kunst; der lebende Mensch soll schlicht und nicht zu laut sein.

23 [106]

Das wollen was der Andre will und zwar seiner selbst wegen, nicht unsertwegen, das macht den Freund, sagt Aristoteles. Hier wird die unegoistische Handlung beschrieben; befinden wir uns gegen gewisse Personen dauernd in solcher Verfassung, so ist dies Freundschaft. Nach der jetzt üblichen Auffassung der Moralität ist das Freundesverhältniss das moralischeste, welches existirt.

23 [107]

Man muss eine Zeitlang im metaphysischen Dunstkreis gelebt haben, nur um zu erfahren, wie wohl es thut in nüchterner Morgenfrische alle Dinge zu sehen und tiefen Athem in reiner Luft zu schöpfen.

23 [108]

Richtig lesen. – Die Kunst richtig zu lesen ist so selten, dass fast jedermann eine Urkunde ein Gesetz einen Vertrag sich erst interpretiren lassen muss; namentlich wird durch die christlichen Prediger viel verdorben, welche fortwährend von der Kanzel herab die Bibel mit der verzweifeltsten Erklärungskunst heimsuchen und weit und breit Respect vor einer solchen künstlich spitzfindigen Manier, ja sogar Nachahmung derselben erwecken.

23 [109]

Wenn die Moral auf den Gesichtspunkt des gemeinsamen Nutzens und Schadens zurückgeht, so ist es consequent das Moralische einer Handlung nicht nach den Absichten des Individuums, sondern nach der That und deren Erfolg zu bemessen. Das Seelenspalten und Nierenprüfen gehört einer Auffassung der Ethik an, bei der auf Nutzen und Schaden gar nichts ankommt. Man verlange die Handlung und kümmere sich nicht so ängstlich um die Motive (deren Verflechtung übrigens viel zu gross ist als dass man nicht bei jeder psychologischen Analysis einer Handlung immer etwas irrte).

23 [110]

Geistige Übergangsclimata. – Wir haben uns freigemacht von vielen Vorstellungen – Gott ewiges Leben vergeltende jenseitige und diesseitige Gerechtigkeit, Sünde Erlöser Erlösungsbedürftigkeit -; eine Art vorübergehende Krankheit verlangt einen Ersatz an die leeren Stellen hin, die Haut schaudert etwas vor Frost, weil sie früher hier bekleidet war. Da giebt es Philosophien, welche gleichsam Übergangsclimata darstellen, für die, welche die frische Höhenluft noch nicht direct vertragen. – Vergleiche, wie die griechischen Philosophensekten als Übergangsklimata dienen: die alte Polis und deren Bildung wirkt noch in ihnen nach: wozu soll aber übergegangen werden? – es ist wohl nicht gefunden. Oder war es der Sophist, der volle Freigeist?

23 [111]

Man soll gar nicht mehr hinhören, wenn Menschen über die verlorne Volksthümlichkeit klagen (in Tracht Sitten Rechtsbegriffen Dialecten Dichtungsformen usw.). Gerade um diesen Preis erhebt man sich ja zum Über-Nationalen, zu allgemeinen Zielen der Menschheit, zum gründlichen Wissen, zum Verstehen und Geniessen des Vergangnen, nicht Einheimischen. – Kurz, damit eben hört man auf, Barbar zu sein.

23 [112]

Das Erhabne wirkt als Reizmittel und Pfeffer auf Ermüdete, das Schöne bringt Beruhigung für die Erregten – das ist ein Hauptunterschied. Der Erregte scheut sich vor dem Erhabnen, der Ermüdete langweilt sich bei dem Schönen. Übrigens ist das Erhabne, wenn es vom Schönen disjungirt wird, identisch mit dem Hässlichen (d. h. allem Nicht-Schönen); und wie es eine Kunst der schönen Seele giebt, so auch eine Kunst der hässlichen Seele.

23 [113]

Selbstverachtung. – Jene heftige Neigung zur Selbstprüfung und -Verachtung, die man bei Sündern Büssern und Heiligen wahrnimmt, ist häufig auf eine allgemeine Ermüdung ihres Lebenswillens (oder der Nerven) zurückzuführen, Regen welche sie auch die schmerzhaftesten Reizmittel anwenden.

23 [114]

Erwägt man, wie die Irrthümer großer Philosophien gewöhnlich ihren Ausgangspunkt in einer falschen Erklärung bestimmter menschlicher Handlungen und Empfindungen haben, wie auf Grund einer irrthümlichen Analysis z. B. der sogenannten unegoistischen Handlungen eine falsche Ethik erbaut wird, dieser zu Gefallen dann wiederum Religion und mythologisches Unwesen zu Hülfe genommen werden und endlich die Schatten dieser trüben Geister auch in die Physik und gesamte Weltbetrachtung hineinfallen: erwägt man dies Alles, so sieht man ein, wie unbillig die gewöhnliche Unterschätzung der psychologischen Beobachtung ist: während eben die Oberflächlichkeit der psychologischen Beobachtung, also das Resultat jener Unterschätzung, dem menschlichen Denker und Urtheilen die gefährlichsten Fallstricke gelegt hat und fortwährend von Neuem legt. Woher nun diese Nichtachtung? Etwa weil auch dem leeren und eiteln Gesindel der Gesellschaft, männlichen oder weiblichen Geschlechts, gelegentlich solche Bemerkungen gelingen, weil man da in bestimmten Zeiten sich moralische Sentenzen im Carneval der geistreichen Gefallsucht als eine Art Confetti zuzuwerfen pflegte? – Aber der Unterschied ist eben außerordentlich, wenn ein streng wägender Denker den gleichen psychologischen Satz, der einmal auch in jenen Kreisen entdeckt worden ist, ausspricht und ihn mit dem Gepräge und Kopfbilde seiner Autorität versieht. Vielleicht thut jetzt, als Vorarbeit für alles zukünftige Philosophiren, nichts so noth, als Stein auf Stein, Steinchen auf Steinchen psychologische Arbeit zu häufen und tapfer jeder Mißachtung dieser Art Arbeit zu widerstreben. Zu welchen Entdeckungen wird eine spätere Generation, vermöge eines solchen Materials, kommen! – Freilich muß jener unehrliche Geist von diesem Gebiete fern gehalten werden, in dem z. B. Schleiermacher seine Schüler aufforderte, die psychologischen Thatsachen des religiösen Bewußtseins zu untersuchen: denn hier war es von vornherein auf die Erhaltung der Religion und auf das Fortbestehen der Theologie (welcher er eine neue Arbeit zuweisen wollte) abgesehen. – Wie es in der Natur keine Zwecke giebt und sie trotzdem Dinge von der höchsten Zweckmäßigkeit schafft, so wird auch die ächte Wissenschaft ohne Zwecke (Nutzen Wohlfahrt der Menschen) arbeiten, sondern ein Stück Natur werden, d. h. das Zweckmäßige (Nützliche) hier und da erreichen, ohne es gewollt zu haben.

23 [115]

In den Eigenthümlichkeiten der indogermanischen Sprachen, welche sie gegen die Urmuttersprache abheben, hat man die zurückgelassenen Spuren der verlorenen Sprachen zu erkennen, welche ursprünglich die Völker hatten, die durch indogermanische Wanderstämme überfallen und besiegt wurden: und so daß die Sprache der Eroberer ebenfalls siegreich wurde und auf die Unterworfenen übergieng. Vielleicht im Accent und dergleichen blieb die alte Gewöhnung noch hängen und gieng auf die neu erlernte Sprache über.

23 [116]

Dankbar gegen die Folgen. – Manche metaphysische und historische Hypothesen werden nur deshalb so stark vertheidigt, weil man so dankbar gegen ihre Folgen ist.

23 [117]

Naturgenuss. – Bei einer Critik des Naturgenusses wird viel abzuziehn sein, was gar nicht auf aesthetische Erregung zurückgeht, z. B. bei Besteigung eines hohen Berges die Wirkung der dünnen leichten Luft, das Bewusstsein der besiegten Schwierigkeit, das Ausruhen, das geographische Interesse, die Absicht dasselbe schön zu finden was andere Leute schön fanden, der vorweggenommene Genuss, davon einmal zu erzählen.

23 [118]

Es giebt Stellen im Nebensatz des Allegretto der Adur Symphonie, bei denen das Leben so angenehm hinschleicht wie die Minuten an einer Rosenhecke an Sommerabenden.

23 [119]

Die Hoffnung ist der Regenbogen über den herabstürzenden jähen Bach des Lebens, hundertmal vom Gischt verschlungen und sich immer von neuem zusammensetzend, und mit zarter schöner Kühnheit ihn überspringend, dort wo er am wildesten und gefährlichsten braust.

23 [120]

Unterschätzen wir auch die flacheren lustigen lachsüchtigen Weiber nicht, sie sind da zu erheitern, es ist viel zu viel Ernst in der Welt. Auch die Täuschungen auf diesem Gebiete haben ihren Honigseim. – Wenn die Frauen tüchtiger inhaltsreicher werden, so giebt es gar keine sichere Stätte für harmlose Thorheit auf der Welt mehr. Liebeshändel gehören unter die Harmlosigkeiten des Daseins.

23 [121]

Ein socratisches Mittel. – Socrates hat Recht: man soll, um vom Eros nicht ganz unterjocht zu werden, sich mit den weniger schönen Weibern einlassen.

23 [122]

Wenn sich einer an das Buchmachen gewöhnt hat, so zieht er seine vielleicht ganz hellen Gedanken so auseinander, daß sie schwerfällig und dunkel werden. So hat sich selbst Kant durch die Gelehrten-Manier des Büchermachens (welches ja sogar im herkömmlichen Urtheil als akademische Verpflichtung gilt) zu jener weitschweifigen Art der Mittheilung bestimmen lassen, welche bei ihm doppelt bedauerlich ist, weil es ihm (seiner akademischen Pflichten wegen) immer an Zeit gefehlt hat: er mußte während des Schreibens sich häufig erst wieder in seine Gedankenkreise eindenken. Hätte er sich begnügt, das in kürzester Form, in der Weise Hume's, mitzutheilen, was er vor dem Schreiben (vielleicht auf einem Spaziergange) in sich festgestellt hatte, so wäre der ganze Streit über das richtige Verständniß Kant's, der jetzt noch fortlebt, überflüssig gewesen.

23 [123]

Frühzeitige Redefertigkeit schleift sich alle Gedanken zum sofortigen wirkungsvollen Gebrauche zurecht und ist deshalb leicht ein Hinderniß tiefen Erfassens und überhaupt einer gründlichen Einkehr in sich selbst. – Deshalb pflegen demokratische Staaten die Redefertigkeit auf den Schulen. –

23 [124]

Erfahrene Menschen kehren ungern zu Gegenden, zu Personen zurück, die sie einst sehr geliebt haben. Glück und Trennung sollen an ihren Enden zusammengeknüpft werden: da trägt man den Schatz mit fort.

23 [125]

Während Schopenhauer von der Welt der Erscheinung aussagt, dass sie in ihren Schriftzügen das Wesen des Dinges an sich zu erkennen gebe, haben strengere Logiker jeden Zusammenhang zwischen dem Unbedingten, der metaphysischen Welt und der uns bekannten Welt geleugnet: so dass in der Erscheinung eben durchaus nicht das Ding an sich erschiene. Von beiden Seiten scheint mir übersehen, dass es verschiedne irrthümliche Grundauffassungen des Intellectes sind, welche den Grund abgeben, weshalb Ding an sich und Erscheinung in einem unausfüllbaren Gegensatz zu stehen scheinen: wir haben die Erscheinung eben mit Irrthümern so umsponnen, ja sie so mit ihnen durchwebt, dass niemand mehr die Erscheinungswelt von ihnen getrennt denken kann. Also: die üblen, von Anfang an vererbten unlogischen Gewohnheiten des Intellectes haben erst die ganze Kluft zwischen Ding an sich und Erscheinung aufgerissen; diese Kluft besteht nur insofern unser Intellect und seine Irrthümer bestehen. Schopenhauer hinwiederum hat alle characteristischen Züge unserer Welt der Erscheinung – d. h. der aus intellectuellen Irrthümern herausgesponnenen und uns angeerbten Vorstellung von der Welt – zusammengelesen und statt den Intellect als Schuldigen anzuklagen, das Wesen der Dinge als Ursache dieses thatsächlichen Weltcharacters angeschuldigt. – Mit beiden Auffassungen wird eine Entstehungsgeschichte des Denkens in entscheidender Weise fertig werden: deren Resultat vielleicht auf diesen Satz hinauslaufen dürfte: das was wir jetzt die Welt nennen, ist das Resultat einer Menge von Irrthümern welche in der gesammten Entwicklung der organischen Wesen allmählich entstanden, in einander verwachsen und uns jetzt als aufgesammelter Schatz der ganzen Vergangenheit vererbt werden. Von dieser Welt als Vorstellung vermag uns die strenge Wissenschaft thatsächlich nur in geringem Maasse zu lösen, insofern sie die Gewalt uralter Gewohnheiten nicht zu brechen vermag: aber sie kann die Geschichte der Entstehung dieser Welt als Vorstellung aufhellen.

23 [126]

Es ist wahr, niemals ist in Deutschland so viel philosophirt worden wie jetzt: selbst zur Zeit der höchsten Gewalt Hegel's über die deutschen Köpfe erschienen nicht annähernd so viele philosophische Schriften wie in den letzten 15 Jahren. Aber irre ich mich? Oder habe ich Recht zu vermuthen, daß eine große Gefahr in diesem Anzeichen liegt? Die Gattung des jetzt beliebten Philosophirens ist derart, daß sie als Symptom einer über Hand nehmenden Abneigung gegen exakte strenge methodische Studien erscheint. Es ist ein vergnügliches, unter Umständen geistreiches Herumwerfen der philosophischen Ideen-Fangbälle, welche jetzt fast für jedes Verständniß faßlich geworden sind; ein solches Spiel nimmt sich besser aus als das ermüdende Wälzen schwerer einzelner Probleme der Wissenschaft und giebt in der That eine gewisse Ausbildung zum geselligen und öffentlichen Effektmachen. – Ich wünschte mich zu irren.

23 [127]

Wer vom Reiz der Gefahr spricht, kennt die Lust an der Emotion der Furcht an sich.

23 [128]

Frauen in Colonien. – Die Achtung und Artigkeit, welche die Amerikaner den Frauen erweisen, ist vererbt aus jener Zeit, in der diese bedeutend in der Minderheit waren: sie ist eine Eigenthümlichkeit colonialer Staaten. Manches bei den Griechen erklärt sich hieraus. Ein Ausnahmefall: wo die Colonisten viele Weiber antreffen, entsteht gewöhnlich ein Sinken der Schätzung der Weiber.

23 [129]

Der hochentwickelte Mensch thut die Natürlichkeiten des Daseins wie Essen Trinken usw. einfach ab, ohne viel Reden und falsche Verschönerung, welche frühere Culturstufen lieben. Ebendahin gehört auch die Geselligkeit, die Ehe; auf alle solche Dinge fällt nicht mehr jener starke Accent, welchen andere Zeiten dafür haben. Gut, es mag „formloser" sein, unschöner zum Ansehen, der religiöse Anschein ist von diesen Dingen gewichen und damit viel „Poesie". Indessen diese Einbussen werden reichlich compensirt, vor allem viel Energie gespart, Zeit gespart (wie bei unserer Kleidung) und der ganze Sinn nicht auf diese Äusserlichkeiten gerichtet. Jemand der es in etwas zur Meisterschaft bringen will, erhebt sich zu einer vornehmen Art zu sein durch sein Ziel. – Wie wir in den Künsten durch Vergeistigung eine Menge des Hässlichen mit in's Reich der Kunst hinübergetragen haben, so auch im Leben; man muss fühlen, was in diesen auf den ersten Blick unschönen Lebensformen pulsirt, welche neuen und höheren Gewalten, da erschliesst sich dem Blick eine höhere Schönheit.

23 [130]

Es gehört zu den Eigenheiten des metaphysischen Philosophirens, ein Problem zu verschärfen und als unlösbar hinzustellen, es sei denn dass man ein Wunder als eine Lösung ansieht, z. B. das Wesen des Schauspielers in der Selbstentäusserung und förmlichen Verwandlung zu sehen: während das eigentliche Problem doch ist, durch welche Mittel der Täuschung es der Schauspieler dahin bringt, dass es so scheint als wäre er verwandelt.

23 [131]

Der denkende Geist bei Musikern ist gewöhnlich frisch, sie sind öfter geistreich als die Gelehrten; denn sie haben in der Ausübung ihrer Kunst das Mittel, dem reflektirenden Denken beinahe völlige Ruhe, eine Art Schlafleben zu verschaffen; deshalb erhebt sich dies so lustig und morgenfrisch, wenn der Musiker aufhört Musik zu machen. – Man täuscht sich mitunter darüber, weil vielfach die Bildung des Musikers zu gering ist und er nicht genug Stoff hat, an dem er Geist zeigen könnte. Eben so steht es mit <dem> denkenden Geist der Frauen.

23 [132]

Wer in der deutschen Sprache Sentenzen bildet, hat die Schwierigkeit, daß sie gerade am Ende nicht scharf und streng abgeschliffen werden können, sondern daß Hülfszeitwörter hinterdrein stürzen wie Schutt und Gerümpel einem rollenden Steine. – Selbst der feinste Kopf ist nicht vermögend die Kunst der Sentenzen-Schleiferei gebührend zu würdigen, wenn er nicht auf diesem Gebiete selber gewetteifert hat. Man nimmt es ohne diese praktische Belehrung für leichter als es ist, man fühlt das Gelungene nicht scharf genug heraus; deshalb haben die Leser von Sentenzen ein verhältnißmäßig geringes Vergnügen an ihnen, ebenso wie die gewöhnlichen Betrachter von Kameen. Nur im Wetteifer lernt man das Gute kennen: so sollte man, um der Lust der Erkenntniß willen, wenigstens eine Wissenschaft eine Kunst wirklich ausüben, und vielleicht einen Roman, eine philosophische Betrachtung, eine Rede von Zeit zu Zeit ausarbeiten; – durch Nachdenken über seine eignen Erfahrungen begreift man dann auch die verwandten diesen Erfahrungen angrenzenden Gebiete – und erwirkt sich den Zugang zu vielen der besten Lustempfindungen.

23 [133]

Man ist auch ungerecht, wenn man die großen Männer zu groß findet und die Dinge in der Welt zu tief. Wer dem Leben die tiefste Bedeutung geben will, umspinnt die Welt mit Fabeln; wir sind alle noch tief hinein verstrickt, so freisinnig wir uns auch vorkommen mögen. Es giebt eine starke Neigung, uralt angeboren, die Abstände zu übertreiben, die Farben zu stark aufzutragen, das Glänzende als das Wahrscheinlichere zu nehmen. Die Kraft zeigt sich vornehmlich in diesem allzuscharfen Accentuiren; aber die Kraft in der Mäßigung ist die höhere, Gerechtigkeit ist schwerer als Hingebung und Liebe. – Wenn ein Mörder nicht das Böse seiner Handlung anerkennen will und sich das Recht nimmt, etwas gut zu nennen, was alle Welt böse nennt, so löst er sich aus der Entwicklung der Menschen: müssen wir ihm dies Recht zugestehn? Wenn einer sogenannte schlechte Handlungen durch Loslösung von den hergebrachten Urtheilen und Aufstellung der Unverantwortlichkeit rechtfertigte, dürfen wir sagen: „nur rein theoretisch darf er so etwas aufstellen, nicht aber praktisch darnach handeln"? Oder: "als Denker hat er Recht, aber er darf nicht Böses thun". In wie weit darf sich das Individuum lösen von seiner Vergangenheit? So weit es kann? Und wenn es einsieht, daß in dieser Vergangenheit falsche Urtheile, Rücksichten auf grobe Nützlichkeit wirkten? Daß der Heiligenschein um das Gute, der Schwefelglanz um das Böse dabei verschwindet? Wenn die stärksten Motive, aus der Ehre und Schande des Mitmenschen entnommen, nicht mehr wirken, weil er die Wahrheit diesem Urtheile entgegenstellen kann?

23 [134]

Warum erdichtet man nicht ganze Geschichten von Völkern, von Revolutionen, von politischen Parteien? Weshalb rivalisirt der Dichter des Roman's nicht mit dem Historiker? Hier sehe ich eine Zukunft der Dichtkunst.

23 [135]

Ehemals definirte man, weil man glaubte, daß jedem Worte Begriffe eine Summe von Prädikaten innewohne, welche man nur herauszuziehn brauche. Aber im Worte steckt nur eine sehr unsichere Andeutung von Dingen: man definirt vernünftiger Weise nur, um zu sagen, was man unter einem Worte verstanden wissen will und überläßt es jedem, sich den Sinn eines Wortes neu abzugränzen: es ist unverbindlich.

23 [136]

Die Schule der Erzieher entsteht auf Grund der Einsicht: daß unsere Erzieher selber nicht erzogen sind, daß das Bedürfniß nach ihnen immer größer, die Qualität immer geringer wird, daß die Wissenschaften durch die natürliche Zertheilung der Arbeitsgebiete bei dem Einzelnen die Barbarei kaum verhindern können, daß es kein Tribunal der Cultur giebt, welches von nationalen Interessen abgesehn die geistige Wohlfahrt des ganzen Menschengeschlechts erwägt: ein internationales Ministerium der Erziehung.

23 [137]

Eine Sentenz ist im Nachtheil, wenn sie für sich steht; im Buche dagegen hat sie in der Umgebung ein Sprungbrett, von welchem man sich zu ihr erhebt. Man muß verstehen, unbedeutendere Gedanken um bedeutende herumzustellen, sie damit einzufassen, also den Edelstein mit einem Stoff von geringerem Werthe. Folgen Sentenzen hinter einander, so nimmt man unwillkürlich die eine als Folie der andern, schiebt diese zurück, um eine andere hervorzuheben, d. h. man macht sich ein Surrogat eines Buches.

23 [138]

Da die Kunst immer seelenvoller wird, so bemerken die späteren Meister, daß die Kunstwerke der früheren Zeit ihnen nicht entsprechen und dies veranlaßt sie, da etwas nachzuhelfen und zu glauben daß es nur die technischen Bedingungen sind, welche damals den alten Meistern fehlten. So denkt Wagner, daß Beethoven besser d. h. seelenvoller instrumentirt haben würde, wenn die Instrumente besser gewesen wären; namentlich aber in der Modifikation des Tempo's, denkt er, daß jener, wie alle früheren, nur ungenügend in der Bezeichnung gewesen wäre. In Wahrheit ist die Seele aber noch nicht so zart bewegt, so lebendig in jedem Augenblick gewesen. Alle ältere Kunst war starr, steif; in Griechenland wie bei uns. Die Mathematik, die Symmetrie, der strenge Takt herrschten. – Soll man den modernen Musikern das Recht geben, ältere Werke mehr zu beseelen? – Ja; denn nur dadurch daß wir ihnen unsere Seele geben, leben sie noch fort. Wer die dramatische seelenvolle Musik kennt, wird Bach ganz anders vortragen, unwillkürlich. Hört er ihn anders vortragen, so versteht er ihn nicht mehr. Ist ein historischer Vortrag überhaupt möglich?

23 [139]

Die Erfinder der indogermanischen Sprache waren wahrscheinlich der obersten Kaste zugehörig und benutzten die vorhandenen geringeren Sprachen. Eine hohe philosophische und dichterische Bildung sprach aus ihnen und bildete eine entsprechende Sprache; diese ist ein bewußtes Kunstprodukt; musikalisches dichterisches Genie gehörte dazu. Dann wurde es eine Dichter- und Weisensprache, verbreitete sich später über die nächsten Kasten und wanderte mit den Kriegerstämmen aus. Es war das kostbarste Vermächtniß der Heimat, das man zäh festhielt.

23 [140]

Die Dichter, gemäß ihrer Natur, welche eben die von Künstlern d. h. seltsamen Ausnahmemenschen ist, verherrlichen nicht immer das, was von allen Menschen verherrlicht zu werden verdient, sondern ziehen das vor, was gerade ihnen als Künstlern gut erscheint. Ebenso greifen sie selten mit Glück an, wenn sie Satiriker sind. Cervantes hätte die Inquisition bekämpfen können, aber er zog es vor, ihre Opfer d. h. die Ketzer und Idealisten aller Art auch noch lächerlich zu machen. Nach einem Leben voller Unfälle und Mißwenden hatte er doch noch Lust zu einem litterarischen Hauptangriff auf eine falsche Geschmacksrichtung der spanischen Leser; er kämpfte gegen die Ritterromane. Unvermerkt wurde dieser Angriff unter seinen Händen zur allgemeinsten Ironisirung aller höheren Bestrebungen: er machte ganz Spanien, alle Tröpfe eingeschossen, lachen und sich selber weise dünken: es ist eine Thatsache daß über kein Buch so gelacht wurde wie über den Don Quixote. Mit einem solchen Erfolge gehört er in die Decadence der spanischen Cultur, er ist ein nationales Unglück. Ich meine daß er die Menschen verachtete und sich nicht ausnahm; oder macht er sich nicht nur lustig wenn er erzählt wie man am Hofe des Herzogs mit dem Kranken Possen trieb? Sollte er wirklich nicht über den Ketzer auf dem Scheiterhaufen noch gelacht haben? Ja, er erspart seinem Helden nicht einmal jenes fürchterliche Hellwerden über seinen Zustand, am Schlusse des Lebens: wenn es nicht Grausamkeit ist, so ist es Kälte, Hartherzigkeit, welche ihn eine solche letzte Scene schaffen hieß, Verachtung gegen die Leser, welche wie er wußte auch durch diesen Schluß nicht in ihrem Gelächter gestört wurden.

23 [141]

Alle urspr<ünglich> starre, peinliche Empfindung wird allmählich angenehm. Aus Zwang wird Gewohnheit, daraus Sitte, endlich Tugend mit Lust verbunden. Aber die Menschen, welche diese letzte Stufe erreicht haben, wollen nichts davon wissen, daß ihre fernen Vorfahren den Weg begonnen haben.

23 [142]

Der Mensch erstrebt mitunter eine Emotion an sich, und benutzt Menschen nur als Mittel. Am stärksten in der Grausamkeit. Aber auch in der Lust am Tragischen ist etwas davon (Goethe fand diesen Sinn für das Grausame bei Schiller). In der dramatischen Kunst überhaupt will der Mensch Emotionen, z. B. des Mitleides, ohne helfen zu müssen. Man denke an Seiltänzer, Gaukler. – Die Leidenschaften gewöhnen den Menschen an sich: deshalb haben sehr leidenschaftliche Völker z. B. Griechen und Italiäner solches Vergnügen an der Kunst der Leidenschaft, der Emotion an sich; ohne diese haben sie Langeweile.

23 [143]

Die Empfindung kann nicht gleich und auf einer Höhe bleiben, sie muß wachsen oder abnehmen. Die Verehrung der griechischen Polis summirte sich zu einer unendlichen Summe auf, endlich vermochte das Individuum diese Last nicht mehr zu tragen.

23 [144]

Es ist nach Art der unwissenschaftlichen Menschen, irgend eine Erklärung einer Sache keiner vorzuziehn, sie wollen von der Enthaltung nichts wissen.

23 [145]

Der gut befähigte Mensch erlebt mehrenmal den Zustand der Reife, insofern er verschiedene Culturen durchlebt und im Verstehen und Erfassen jeder einzelnen einmal einen Höhepunkt erreicht. und so kann ein Mensch in sich den Inhalt von ganzen Jahrhunderten vorausfühlen: weil der Gang, den er durch die verschiedenen Culturen macht, derselbe ist, welchen mehrere Generationen hinter einander machen. – So hat er auch mehrenmal den Zustand der Unreife, der perfecten Blüthe, der Überreife: diese ganze Stufenleiter macht er vielleicht erst einmal als religiöser, dann wieder als künstlerischer und endlich wissenschaftlicher Mensch durch.

23 [146]

Man verwundert sich immer von Neuem, wie Shakespeare im Stande gewesen sei, seine Helden jedesmal so passend, so gedankenreich reden zu lassen, so daß sie Sentenzen äußern, welche an sich bedeutend aber doch auch wiederum ihrem Charakter entsprechend lauten? Da vermuthet man wohl, um es zu erklären, daß solche Gespräche ein Mosaik von gelegentlich gefundenen Einzelsätzen seien. Dieser Vermuthung möchte ich entgegnen, daß es bei dem Dramatiker eine fortwährende Gewöhnung giebt, jede Bemerkung nur dem Charakter einer bestimmten Person gemäß, im Verhältniß zu einer Situation zu erfinden: eine Gewohnheit welche eben eine ganz andere als die unsere ist: die Bemerkung ihrer Wahrheit halber zu machen, ganz abgesehn von Person und Situation. Aber auch wir fragen uns mitunter: „was würdest du sagen, wenn du dies erlebtest?" An dieses hypothetische Reden ist der Dramatiker gewöhnt, es ist seine Natur geworden, immer unter solchen Voraussetzungen seine Gedanken zu erfinden.

23 [147]

Wie alte sinnreiche religiöse Zeremonien zuletzt als abergläubische unverstandene Prozeduren übrigbleiben, so wird die Geschichte überhaupt, wenn sie nur noch gewohnheitsmäßig fortlebt, dem magischen Unsinn oder <der> carnevalistischen Verkleidung ähnlich. Die Sonne, welche bei der Verkündigung der Infallibilität auf den Papst leuchten sollte, die Taube, welche dabei fliegen sollte, erscheinen jetzt als bedenkliche Kunststückchen, welche nur auf Täuschung absehen; aber die alte Cultur ist voll davon, und die ganze Unterscheidung, wo die Täuschung beginnt, gar nicht gemacht. Jetzt bewegte sich in Neapel ein katholischer prunkhafter Leichenwagen mit Gefolge in einer der Nebengassen, während in unmittelbarer Entfernung der Carneval tobte: alle die bunten Wagen, welche die Kostüme und den Prunk früheren Culturen nachmachten. Aber auch jener Leichenzug wird irgendwann einmal ein solcher historischer Carnevalszug sein; die bunte Schale bleibt zurück und ergötzt, der Kern ist entflohn oder es hat sich wie in den Kunstgriffen der Priester zur Erweckung des Glaubens die betrügerische Absicht hinein versteckt.

23 [148]

Das Alterthum ist im Ganzen das Zeitalter des Talents zur Festfreude. Die tausend Anlässe sich zu freuen waren nicht ohne Scharfsinn und großes Nachdenken ausfindig gemacht; ein guter Theil der Gehirnthätigkeit, welche jetzt auf Erfindung von Maschinen, auf Lösung der wissenschaftlichen Probleme gerichtet ist, war damals auf die Vermehrung der Freudenquellen gerichtet: die Empfindung, die Wirkung sollte in's Angenehme umgebogen werden, wir verändern die Ursachen des Leidens, wir sind prophylaktisch, jene palliativisch. – Unsere Feste werden billigerweise Cultur-Feste und im Ganzen selten.

23 [149]

Wir haben ein Vergnügen an der kleinen Bosheit, weil sie uns so wenig schadet z. B. am Sarkasmus; ja wenn wir uns völlig geschützt fühlen, so dient uns selbst die große Bosheit (etwa in dem giftigen Geifer eines Pamphletes) zum Behagen; denn sie schadet uns nicht und nähert sich dadurch der Wirkung des Komischen, – das überrascht, ein wenig erschreckt und doch nicht Schaden anstiftet.

23 [150]

Die Kunst gehört nicht zur Natur, sondern allein zum Menschen. – In der Natur giebt es keinen Ton, diese ist stumm; keine Farbe. Auch keine Gestalt, denn diese ist das Resultat einer Spiegelung der Oberfläche im Auge, aber an sich giebt es kein Oben und Unten, Innen und Außen. Könnte man anders sehen, als vermöge der Spiegelung, so würde man nicht von Gestalten reden, sondern vielleicht in's Innre sehen, so daß der Blick ein Ding allmählich durchschnitte. Die Natur, von welcher man unser Subjekt abzieht, ist etwas sehr Gleichgültiges, Uninteressantes, kein geheimnißvoller Urgrund, kein enthülltes Welträthsel; wir vermögen ja durch die Wissenschaft vielfach über die Sinnesauffassung hinaus zu kommen, z. B. den Ton als eine zitternde Bewegung zu begreifen; je mehr wir die Natur entmenschlichen, um so leerer bedeutungsloser wird sie für uns. – Die Kunst beruht ganz und gar auf der vermenschlichten Natur, auf der mit Irrthümern und Täuschungen umsponnenen und durchwebten Natur, von der keine Kunst absehen kann; <sie> erfaßt nicht das Wesen der Dinge, weil sie ganz an das Auge und das Ohr angeknüpft ist. Zum Wesen führt nur der schließende Verstand. Er belehrt uns z. B. <daß> die Materie selbst ein uraltes eingefleischtes Vorurtheil ist, daher stammend daß das Auge Spiegelflächen sieht und das menschliche Tastorgan sehr stumpf ist: wo man nämlich widerstrebende Punkte fühlt, so construirt man sich unwillkürlich widerstrebende continuirliche Ebenen (welche aber nur in unserer Vorstellung existiren), unter der angewöhnten Illusion des spiegelnden Auges, welches im Grunde eben auch nur ein grobes Tastorgan ist. Ein Ball von elektrischen Strömungen, welche an bestimmten Punkten umkehren, würde sich als etwas Materielles, als ein festes Ding anfühlen: und das chemische Atom ist ja eine solche Figur, welche von den Endpunkten verschiedener Bewegungen umschrieben wird. Wir sind jetzt gewöhnt, Bewegtes und Bewegung zu scheiden; aber wir stehen damit unter dem Eindrucke uralter Fehlschlüsse: das bewegte Ding ist erdichtet, hineinphantasirt, da unsere Organe nicht fein genug sind, überall die Bewegung wahrzunehmen und uns etwas Beharrendes vorspiegeln: während es im Grunde kein "Ding", kein Verharrendes giebt.

23 [151]

Da die neue Erziehung den Menschen eine viel größere Gehirnthätigkeit zumuthet, so muß die Menschheit viel energischer nach Gesundheit ringen, um nicht eine nervös überreizte, ja verrückte Nachkommenschaft zu haben (denn sonst wäre eine Nachwelt von Verrückten und Überspannten sehr wohl möglich – wie die überreifen Individuen des späteren Athen's mitunter in das Irrsinnige hineinspielen): also durch Paarung gesunder Eltern, richtige Kräftigung der Weiber, gymnastische Übungen, die so sehr gewöhnlich und begehrt sein müssen wie das tägliche Brod, Prophylaxis der Krankheiten, rationelle Ernährung, Wohnung, überhaupt durch Kenntnisse der Anatomie usw.

23 [152]

Das Christenthum sagt "es giebt keine Tugenden, sondern Sünden". Damit wird alles menschliche Handeln verleumdet und vergiftet, auch das Zutrauen auf Menschen erschüttert. Nun sekundirt ihm noch die Philosophie in der Weise La Rochefoucauld's, sie führt die gerühmten menschlichen Tugenden auf geringe und unedle Beweggründe zurück. Da ist es eine wahre Erlösung zu lernen, daß es an sich weder gute noch böse Handlungen giebt, daß in gleichem Sinne wie der Satz des Christenthums auch der entgegengesetzte des Alterthums aufgestellt werden kann "es giebt keine Sünden, sondern nur Tugenden" d. h. Handlungen nach dem Gesichtspunkte des Guten (nur daß das Urtheil über gut verschieden ist). Jeder handelt nach dem ihm Vortheilhaften, keiner ist freiwillig böse d. h. sich schädigend. Es ist ein großer Fortschritt zu lernen, daß alles Moralische nichts mit dem Ding an sich zu thun hat, sondern "Meinung" ist, in das Bereich des sehr veränderlichen Intellekts gehört. Freilich: wie sich unser Ohr den Sinn für Musik geschaffen hat (der ja auch nicht an sich existirt), so haben wir als hohes Resultat der bisherigen Menschheit den moralischen Sinn. Er ist aber nicht auf logische Denkgesetze und auf strenge Naturbeobachtung gegründet, sondern wie der Sinn für die Künste auf mancherlei falsche Urtheile und Fehlschlüsse. Die Wissenschaft kann nicht umhin, dies unlogische Fundament der Moral aufzudecken, wie sie dies bei der Kunst thut. Vielleicht schwächt sie auf die Dauer diesen Sinn damit etwas ab: aber der Sinn für Wahrheit ist selber eine der höchsten und mächtigsten Effloreszenzen dieses moralischen Sinnes. Hier liegt die Compensation.

23 [153]

Barbarisirende Wirkung der Abstraktion und Sublimation bei Gelegenheit des Aristotelis<mus> in der Wissenschaft.

23 [154]

Wenn man an die höhere Nützlichkeit, an ökumenische Zwecke bei dem Wort Moral denkt, so ist im Handel mehr Moralität enthalten, als im Leben nach jener Kantischen Aufforderung "thue das was du willst daß dir gethan werde" oder im christlichen Wandel nach der Richtschnur des Wortes: liebe den Nächsten um Gottes willen". Der Satz Kant's ergiebt eine kleinbürgerliche Privat-Achtbarkeit der Sitte und steht im Gegensatz zu ökumenischen Zwecken: von deren Existenz er nicht einmal einen Begriff hat. Wie wenig geforderte Liebe überhaupt zu bedeuten hat, namentlich aber eine Liebe dieser indirekten Art, wie die christliche Nächstenliebe, das hat die Geschichte des Christenthums bewiesen: welche im Gegensatz zu den Folgen der buddhaistischen, reisessenden Moral durchweg gewaltsam und blutig ist. Und was heißt es überhaupt: "ich liebe den Mitmenschen um Gottes Willen!" Ist es mehr als wenn jemand sagt „ich liebe alle Polizeidiener, um der Gerechtigkeit willen" oder was ein kleines Mädchen sagte: „ich liebe Schopenhauer, weil Großvater ihn gern hat: der hat ihn gekannt"?

23 [155]

Durch gewisse Ansichten über die Dinge ist das Pathos der Empfindung in die Welt gekommen, nicht durch die Dinge selbst: z. B. alles, was Faust in der ersten Scene als Ursache seiner Leiden angiebt, ist irrthümlich, nämlich auf Grund metaphysischer Erdichtungen erst so bedeutungsschwer geworden: könnte er dies einsehen, so würde das Pathos seiner Stimmung fehlen.

23 [156]

(Aus der Vorrede)

Nachdem ich von Jahr zu Jahr mehr gelernt habe, wie schwierig das Finden der Wahrheit ist, bin ich gegen den Glauben, die Wahrheit gefunden zu haben mißtrauisch geworden: er ist ein Haupthinderniß der Wahrheit. Wenn doch alle die, welche so groß von ihrer Überzeugung dachten, Opfer aller Art ihr brachten, ja Ehre Leib und Leben in ihrem Dienste nicht schonten, nur die Hälfte ihrer Kraft der Untersuchung gewidmet hätten, mit welchem Rechte sie an der oder jener Überzeugung hiengen, auf welchem Wege sie zu ihr gekommen seien: wie friedfertig sähe die Geschichte der Menschheit aus! Wie viel mehr des Erkannten würde es geben! Alle die grausamen Scenen, die Verfolgung der Ketzer wären uns aus zwei Gründen erspart geblieben: einmal weil die Inquisitoren vor allem in sich selbst inquirirt hätten und über die Anmaaßung, die absolute Wahrheit zu vertheidigen, hinausgekommen wären; sodann weil die Ketzer selber so schlecht begründeten Sätzen, wie die Sätze aller religiösen Rechtgläubigen und Ketzer sind, keine weitere Theilnahme geschenkt hätten, nachdem sie gründlich dieselben untersucht hätten.

Nun habe ich diesmal ein Thema vor mir, welches vielleicht das Wichtigste der Menschheit ist – denn was ist nicht durch Erziehung entstanden, stark geworden, gut und schlecht? – zudem läßt es sich in großem Maaßstabe erst behandeln, nachdem die Ungläubigkeit zur herrschenden Gesinnung geworden ist. Da möchte ich nun namentlich die feurigen überzeugungsdürstigen Jünglinge warnen, nicht sofort meine Lehren wie eine Richtschnur für das Leben zu betrachten, sondern als wohl zu erwägende Thesen, mit deren praktischer Einführung die Menschheit so lange warten mag, als sie sich gegen Zweifel und Gründe nicht hinreichend geschützt haben. Überdies ist mir die Weisheit nicht vom Himmel gefallen, denn ich bin kein "Genie", habe keine intuitiven Einblicke durch ein Loch im Mantel der Erscheinung. Schopenhauer mag das warnende Beispiel sein: er hat in allen Punkten, derentwegen er sich für ein "Genie" hielt, Unrecht.

23 [157]

Das Leben wird leicht und angenehm durch eine rücksichtslose Befreiung des Geistes, welche versuchsweise einmal an allen den Vorstellungen rüttelt, welche das Leben so belastet, so unerträglich machen: so daß man, um die Freude dieser Entlastung zu haben, das einfachste Leben vorzieht, welches uns diese Freude ermöglicht.

23 [157]

Paul Winkler 1685 „der Mensch ist so lange weise als er die Wahrheit sucht; wenn er sie aber gefunden haben will, wird er ein Narr".

23 [159]

Lesern meiner früheren Schriften will ich ausdrücklich erklären, daß ich die metaphysisch-künstlerischen Ansichten, welche jene im Wesentlichen beherrschen, aufgegeben habe: sie sind angenehm, aber unhaltbar. Wer sich frühzeitig erlaubt öffentlich zu sprechen, ist gewöhnlich gezwungen, sich bald darauf öffentlich zu widersprechen.

23 [160]

Zum Schluß.

Ich will weise werden bis zum 60. Jahre und erkenne dies als ein Ziel für Viele. Eine Menge von Wissenschaft ist der Reihe nach anzueignen und in sich zu verschmelzen. Es ist das Glück unseres Zeitalters, daß man noch eine Zeitlang in einer Religion aufwachsen kann und, in der Musik, einen ganz echten Zugang zur Kunst hat; das wird späteren Zeiten nicht mehr so gut zu Theil werden. Mit Hülfe dieser persönlichen Erfahrungen kann man ungeheure Strecken der Menschheit erst verstehen: was wichtig ist, weil alle unsere Cultur auf diesen Strecken ruht. Man muß Religion und Kunst verstehen – sonst kann man nicht weise werden. Aber man muß über sie hinaus sehen können; bleibt man darin, so versteht man sie nicht. Ebenso ist die Metaphysik eine Stufe, auf der man gestanden haben muß. Ebenso die Historie und das Relativische. Man muß in großen Schritten dem Gang der Menschheit als Individuum nachgehen und über das bisherige Ziel hinauskommen.

Wer weise werden will, hat ein individuelles Ziel, in welchem alles Erlebte, Glück Unglück Unrecht usw., als Mittel und Hülfe aufgeht. Überdies kommt das menschliche Leben da in die richtige Gestalt, denn der alte Mensch erreicht das Ziel seiner ganzen Natur nach am leichtesten. Das Leben verläuft auch interessant, das Thema ist sehr groß und nicht zu zeitig zu erschöpfen. – Die Erkenntniß selbst hat kein Ziel weiter.

23 [161]

Die sittliche Reinheit der Menschen ist durch einige falsche Vorstellungen mehr gefördert worden als es die Wahrheit zu thun vermöchte. Daß ein Gott das Gute wolle, daß der Leib zu besiegen sei, um die Seele frei zu machen, daß Verantwortlichkeit für alle Handlungen und Gedanken existire, das hat die Menschheit hochgehoben und verfeinert. Allein schon die Aufstellung des "Guten"!

23 [162]

In dem vorlitterarischen Zeitalter muß die höhere Intelligenz sich ganz anders dargestellt haben als im litterarischen: der Einzelne, durch keine schriftliche Tradition mit den früheren Weisen verbunden und an die Bedingtheit des Erkennens gemahnt, durfte sich fast für übermenschlich nehmen. Der Weise verliert immer mehr an Würde.

23 [163]

Wenn Worte einmal da sind, so glauben die Menschen, es müsse ihnen etwas entsprechen z.B. Seele Gott Wille Schicksal usw.

23 [164]

Das sogenannte metaphysische Bedürfniß ist eine Gegeninstanz gegen die Wahrheit irgend einer Metaphysik. Der Wille commandirt.

23 [165]

Der Vortheil, den der reine Mensch seinen Mitmenschen bringt, liegt in dem Vorbild, das er giebt: dadurch entreißt er sie ihrem wilden Dämon, wenn auch nur auf Augenblicke. – Es kommt sehr viel auf die Augenblicke an.

23 [166]

Die edleren Motive sind die complicirten; alle einfachen Motive stehen ziemlich niedrig. Es ist wie bei den einfachen und complicirten Organismen. Die Länge und Schwierigkeit des ganzen Wegs wirft den Schein des Großen und Hohen auf den, welcher ihn geht.

23 [167]

Wenn die Menschen nicht für Götter Häuser gebaut hätten, so läge die Architektur noch in der Wiege. Die Aufgaben, welche der Mensch sich auf Grund falscher Annahmen stellte (z. B. Seele loslösbar vom Leibe), haben zu den höchsten Culturformen Anlaß gegeben. Die "Wahrheiten" vermögen solche Motive nicht zu geben.

23 [168]

Will man über Kunst Erfahrungen machen, so mache man einige Kunstwerke, es giebt keinen anderen Weg zum aesthetischen Urtheil. Die meisten Künstler selbst sind dadurch allein nützlich, daß sie das Bewußtsein der großen Meister gewinnen, festhalten und übertreiben: also gleichsam als wärmeleitende Medien. Einige Novellen, einen Roman, eine Tragödie – das kann man machen, ohne mit seinen Hauptbeschäftigungen Schiffbruch zu leiden; auch soll man solcherlei keineswegs drucken. Überhaupt soll man lernen, mannichfach productiv zu sein: es ist das Hauptkunststück, um in vielen Dingen weise zu werden.

23 [169]

Es ist eine Stufe der Cultur, das Große und Extreme zu schätzen, den großen Menschen, die stärkste Produktivität, das wärmste Herz. Aber um die Welt zu begreifen, muß man zur höheren Stufe kommen, daß das Kleine und Unscheinbare wichtiger in seinen Wirkungen ist z. B. die gebundenen Geister usw.

23 [170]

Der günstigste Zeitpunkt dafür, daß ein Volk die Führerschaft in wissenschaftlichen Dingen übernimmt, ist der, in welchem genug Kraft Zähigkeit Starrheit dem Individuum vererbt werden, um ihm eine siegreiche frohe Isolation von den öffentlichen Meinungen zu ermöglichen: dieser Zeitpunkt ist jetzt wieder in England eingetreten, welches unverkennbar in Philosophie Naturwissenschaft Geschichte, auf dem Gebiete der Entdeckungen und der Culturverbreitung gegenwärtig allen Völkern vorangeht. Die wissenschaftlichen Größen verhandeln da mit einander wie Könige, welche sich zwar alle als Verwandte betrachten, aber Anerkennung ihrer Unabhängigkeit voraussetzen. In Deutschland glaubt man dagegen alles durch Erziehung Methoden Schulen zu erreichen: zum Zeichen dafür, daß es an Charakteren und bahnbrechenden Naturen mangelt, welche zu allen Zeiten für sich ihre Straße gezogen sind. Man züchtet jene nützlichen Arbeiter, welche mit einander, wie im Takte, arbeiten und denen das Pensum in jenen Zeiten schon vorgeschrieben worden ist, als Deutschland, vermöge seiner originalen Geister, die geistige Führerschaft Europa's innehatte: also um die Wende des vorigen Jahrhunderts.

23 [171]

Die Mängel des Stils geben ihm bisweilen seinen Reiz. – Alexander von Humboldt's Stil. Die Gedanken haben etwas Unsicheres, soweit es sich nicht um Mittheilung von Facta handelt. Dazu ist alles in die Höhe gehoben und durch ausgewählte schöne Worte mit Glanz überzogen: die langen Perioden spannen es aus. So erzeugt dieser Stil als Ganzes eine Stimmung, einen Durst, man macht die Augen klein, weil man gar zu gern etwas Deutliches sehen möchte, alles schwimmt in anreizender Verklärung in der Ferne: wie eine jener welligen Luftspiegelungen, welche dem Müden Durstenden ein Meer eine Oase ein Wald zu sein scheinen (vor die Sinne führen).

23 [172]

Eine neue Darstellung der Kunstlehre hat davon auszugehen, dass der Mensch sich an allen Gemüthserregungen an sich, eben als Emotionen, erfreut, auch den schmerzlichsten: er will den Rausch. Die Kunst erregt ihn spielend zu Schmerz Thränen Zorn Begierde, aber ohne die praktischen schlimmen Folgen: doch giebt es auch Menschen, welche selbst jene Folgen mit hinnehmen, nur um die Emotion zu haben (der Grausame).

23 [173]

Schopenhauer hat leider in dem Begriff „intuitive Erkenntniss" die schlimmste Mystik eingeschmuggelt, als ob man vermöge derselben einen unmittelbaren Blick auf das Wesen der Welt, gleichsam durch ein Loch im Mantel der Erscheinung hätte und als ob es bevorzugte Menschen gäbe, Welche, ohne die Mühsal und Strenge der Wissenschaft, vermöge eines wunderbaren Seherauges etwas Endgültiges und Entscheidendes über die Welt mitzutheilen vermöchten. Solche Menschen giebt es nicht: und das Wunder wird auch für den Bereich der Erkenntniss fürderhin keinen Gläubigen mehr finden.

23 [174]

Die ausgeschlüpfte Seidenraupe schleppt eine Zeitlang die leere Puppe noch nach sich; Gleichniss.

23 [175]

Neigung und Abneigung unvernünftig. – Wenn Neigung oder Abneigung die Zähne erst eingebissen haben, so ist es schwer loszukommen, wie wenn eine Schildkröte sich in einen Stock verbissen hat. Die Liebe, der Hass und die Schildkröte sind dumm.

23 [176]

Beim unegoistischen Triebe ist die Neigung zu einer Person das Entscheidende (wenn es die Lust am Mitleid nicht ist und ebensowenig die Abwehr der Unlust, welche wir beim Anblick des Leidens fühlen). Aber die Neigung macht einen solchen Vorgang doch nicht moralisch? Ist denn alles Interessirtsein für etwas ausser uns Gelegenes moralisch? – Auch alles sachliche Interesse (bei Kunst und Wissenschaft) gehört in's Bereich des Unegoistischen – aber auch des Moralischen?

23 [177]

Philosophie nicht religiös aufzufassen. – Eine Philosophie mit religiösen Bedürfnissen erfassen heisst sie völlig missverstehen. Man sucht einen neuen Glauben, eine neue Autorität – wer aber Glaube und Autorität will, der hat es an den hergebrachten Religionen bequemer und sicherer.

23 [178]

Es war Abend, Tannengeruch strömte heraus, man sah hindurch auf graues Gebirge, oben schimmerte der Schnee. Blauer beruhigter Himmel darüber aufgezogen. – So etwas sehen wir nie, wie es an sich ist, sondern legen immer eine zarte Seelenmembrane darüber – diese sehen wir dann. Vererbte Empfindungen, eigne Stimmungen werden bei diesen Naturdingen wach. Wir sehen etwas von uns selber – insofern ist auch diese Welt unsere Vorstellung. Wald Gebirge, ja das ist nicht nur Begriff, es ist unsere Erfahrung und Geschichte, ein Stück von uns.

23 [179]

Aberglaube. – Menschen in grosser Erregung sind am abergläubischsten. Die Wiederherstellung der Religionen liegt in Perioden grosser Erschütterung und Unsicherheit. Wo alles weicht, greift man nach dem Strickwerk der Illusionen des jenseits.

23 [180]

Das sterbende Kind. – Man giebt einem Kinde, das sterben muss, alles, was es will, Zuckerbrod – was thut es wenn es sich den Magen verdirbt? – Und sind wir nicht alle in der Lage eines solchen Kindes? –

23 [181]

Eine Prozession am Frohnleichnamsfest, Kinder und alte Männer brachten mich zum Weinen. Warum? – Abends Klavierspiel heraus aus dem Irrenhause.

23 [182]

Sollten nicht Viele welche ehrgeizig sind, im Grunde nur die Emotion suchen, die mit ehrgeizigen Bestrebungen verbunden ist? Man kann solche Empfindung hemmen ersticken oder gross wachsen machen; letzteres thun die Emotionsbedürftigen. Viele suchen ja sich zu ärgern – so weit geht jenes Bedürfniss der Emotion.

23 [183]

Aus der Furcht erklärt sich zumeist die Rücksicht auf fremde Meinungen; ein guter Theil der Liebenswürdigkeit (des Wunsches nicht zu missfallen) gehört hierher. So wird die Güte der Menschen, mit Hülfe der Vererbung, durch die Furcht grossgezogen.

23 [184]

Nutzen der z<urückgebliebenen> St<andpuncte>. – Die zurückgebliebenen Standpuncte (politische sociale, oder ganze Typen bei Künstlern, Metaphysikern) sind ebenso nöthig als die fortschreitenden Bewegungen: sie erzeugen die nöthige Reibung und sind für die neuen Bestrebungen Kraftquellen.

23 [185]

Glaube versetzt Berge. – Ein interessanter Aberglaube ist es, dass der Glaube Berge versetzen könne, dass ein gewisser hoher Grad von Fürwahrhalten die Dinge gemäss diesem Glauben umgestaltet, dass der Irrthum zur Wahrheit wird, wenn nur kein Gran Zweifel dabei ist: d. h. die Stärke des Glaubens ergänzt die Mängel des Erkennens; die Welt wird so, wie wir sie uns vorstellen.

23 [186]

Liebe und Hass nicht ursprüngliche Kräfte. – Hinter dem Hassen liegt das Fürchten, hinter dem Lieben das Bedürfen. Hinter Fürchten und Bedürfniss liegt Erfahrung (Urtheilen und Gedächtniss). Der Intellekt scheint älter zu sein als die Empfindung.

23 [187]

Erweiterung der Erfahrung. – Es giebt Fälle, wo Träume den Kreis unserer Erfahrung wirklich bereichern: wer wüsste, ohne Träume, wie es einem Schwebenden zu Muthe ist?

23 [188]

Sehnsucht nach dem Tode. – Wie der Seekranke vom Schiff in erstem Morgengrauen nach der Küste zu späht, so sehnt man sich oft nach dem Tode – man weiss, dass man den Gang und die Richtung seines Schiffes nicht verändern kann.

23 [189]

Traurigkeit und Sinnenlust. – Warum ist der Mensch im Zustand der Trauer geneigter sich sinnlichen Vergnügungen blindlings zu überlassen? Ist es das Betäubende in ihnen, was er begehrt? Oder Bedürfniss von Emotion um jeden Preis? – Sancho Pansa sagt „wenn der Mensch sich zu sehr der Traurigkeit überlässt, wird er zum Thier".

23 [190]

Wenn Richard Wagner Beethoven zum Vortrag bringt, so versteht es sich von selber, daß Wagner's Seele durch Beethoven hindurch klingen wird und daß Tempo Dynamik Ausdeutung einzelner Phrasen Dramatisirung des Ganzen Wagnerisch und nicht Beethovenisch ist. Wer daran Ärgerniß nehmen will, dem ist es zu gönnen; Beethoven selbst aber würde gesagt haben "es ist ich und du, aber es klingt gut zusammen; so sollte es immer sein". Dagegen wenn die Kleinmeister Beethoven vortragen, so wird Beethoven etwas von der Seele der Kleinmeister annehmen – denn der Duft der Seele hängt sich sofort an die Musik und läßt sich nicht von ihr fortblasen. – Ich fürchte, Beethoven hätte keine Freude daran und sagte „das ist ich und nicht-ich, hol's der Teufel!"

23 [191]

Der Philolog ist der, welcher lesen und schreiben kann, der Dichter der, welcher nach der deutlichen Wortableitung und gemäß der Historie "diktiren" mußte, da er nicht lesen und schreiben kann. Man kann aus diesem Gegensatz des Lese-Schriftgelehrten und des Dichters viel wichtige Dinge ableiten.

23 [192]

Nicht nur in dem Verhalten des Staates, welcher straft um abzuschrecken, sondern im Verhalten jedes Einzelnen, der lobt oder tadelt, wird der Grundsatz "der Zweck heiligt das Mittel" befolgt: denn tadeln hat ebenfalls nur Sinn, als Mittel abzuschrecken und fürderhin als Motiv zu wirken; loben will antreiben, zum Nachmachen auffordern: insofern aber beides gethan wird als ob es einer geschehenen Handlung gelte, so ist die Lüge, der Schein bei allem Loben und Tadeln nicht zu vermeiden; sie sind eben das Mittel, welches vom höheren Zwecke geheiligt wird. Vorausgesetzt freilich, daß alle, sowohl die Tadelnden als die Getadelten, von der Lehre der völligen Unverantwortlichkeit und Schuldlosigkeit überzeugt sind, so wirkt der Tadel nicht mehr, es sei denn daß die Gewohnheit, namentlich die der Eitelkeit und Ehrsucht stärker bliebe als alle durch Lehren beigebrachte Überzeugungen.

23 [193]

Ach, wenn die Mittelmäßigen eine Ahnung hätten, wie sicher ihre Leistungen von den Oligarchen des Geistes – welche zu jeder Zeit leben – als mittelmäßig empfunden werden! Nicht der größte Erfolg bei der Masse würde sie trösten.

23 [194]

Motto:

Tanz der Gedanken, es führt
eine der Grazien dich:
o wie weidest den Sinn du mir! –
Weh! Was seh' ich! Es fällt
Larve und Schleier der Führerin
und voran dem Reigen
schreitet die grause Nothwendigkeit.

Rosenlauibad

Juni 1877

August 1877

23 [195]

Und wenn der Urheber dieses Buches sich fragt, zu wessen Vortheil er seine Aufzeichnungen gemacht zu haben wünscht, so ist er unbescheiden genug, geradezu denjenigen Denker zu nennen, welcher als Verfasser jener Schrift über den Ursprung der moralischen Empfindungen ein Besitzrecht auf die angrenzenden Gebiete seines wissenschaftlichen Bezirks sich erworben hat und der seinen Untersuchungen jenen entscheidenden auch dieses Buch beherrschen<den> Gedanken vorangestellt hat. Dieser Satz, hart und schneidig gemacht unter dem Hammerschlag der historischen Erkenntniß, kann vielleicht einmal als die Axt dienen, welche dem "metaphysischen Bedürfnisse der Menschen" an die Wurzel gelegt werden soll: und in sofern würde er zu den folgenreichsten Sätzen der menschlichen Erkenntniß gehören.

23 [196]

Reisebuch

unterwegs zu lesen.

Vorrede, – – –

Menschen, welche sehr viel innerhalb eines bestimmten Berufes arbeiten, behalten ihre allgemeinen Ansichten über die Dinge der Welt fast unverändert bei: diese werden in ihren Köpfen immer härter, immer tyrannischer. Deshalb sind jene Zeiten, in welchen der Mensch genöthigt ist seine Arbeit zu verlassen, so wichtig, weil da erst neue Begriffe und Empfindungen sich wieder einmal herandrängen dürfen, und seine Kraft nicht schon durch die täglichen Ansprüche von Pflicht und Gewohnheit verbraucht ist. Wir modernen Menschen müssen alle viel unserer geistigen Gesundheit wegen reisen: und man wird immer mehr reisen, je mehr gearbeitet wird. An den Reisenden haben sich also die zu wenden, welche an der Veränderung der allgemeinen Ansichten arbeiten.

Aus dieser bestimmten Rücksicht ergiebt sich aber eine bestimmte Form der Mittheilung: denn dem beflügelten und unruhigen Wesen der Reise widerstreben jene lang gesponnenen Gedankensysteme, welche nur der geduldigsten Aufmerksamkeit sich zugänglich zeigen und wochenlange Stille, abgezogenste Einsamkeit fordern. Es müssen Bücher sein, welche man nicht durchliest, aber häufig aufschlägt: an irgend einem Satze bleibt man heute, an einem anderen morgen hängen und denkt einmal wieder aus Herzensgrunde nach: für und wider, hinein und drüber hinaus, wie einen der Geist treibt, so dass es einem dabei jedesmal heiter und wohl im Kopfe wird. Allmählich entsteht aus dem solchermaassen angeregten – ächten, weil nicht erzwungenen – Nachdenken eine gewisse allgemeine Umstimmung der Ansichten: und mit ihr jenes allgemeine Gefühl der geistigen Erholung, als ob der Bogen wieder mit neuer Sehne bespannt und stärker als je angezogen sei. Man hat mit Nutzen gereist.

Wenn nun, nach solchen Vorbemerkungen und Angesichts dieses Buches, noch eine wesentliche Frage übrig bleibt, so bin ich es nicht, der sie beantworten kann. Die Vorrede ist des Autors Recht; des Lesers aber – die Nachrede.

Friedrich Nietzsche

Rosenlaui-Bad, am 26. Juli

Sommersonnenwende 1877

(Mittsommerwende?)

23 [197]

  1. Sylvesternacht: das Klanggespenst meines Ohrs selbst entweicht
    Kalt – die Sterne funkeln
    O du
    Hohnvolle Larve des Weltalls– alte und neue Zeit – vor Neujahr.
  2. der Springbrunnen im Mondschein
    schön gelangweilt boshaft
    will kalt übergießen
  3. 3 Morgens auf dem Schiff. Wohin? wir wagen nicht den Tod
  4. Der Blinde am Wege. Die Seele giebt keinen Schein
  5. Ecce homunculus – Glockenspiel
  6. Alpa Alpa
  7. Campo Santo
  8. Bergkrystall

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