Friedrich Wilhelm Nietzsche
Fragmente 1875-1879, Band 2
Friedrich Wilhelm Nietzsche

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[Sommer – Herbst 1875]

[Dokument: Druckmanuskripte]

13 [1]

– – – Musste die wahre Musik erklingen, weil die Menschen sie am wenigsten verdienten, aber am meisten ihrer bedurften? Man versenke sich nur einmal in das überschwängliche Wunder dieser Möglichkeit: schaut man von da aus auf das Leben zurück, so leuchtet es, so trübe und umnebelt es vorher auch erscheinen mochte; es wird selber zum Abbild und Gleichniss der Musik Beethovens und spricht in der Form der Erscheinung von Erlösung und wiedergewonnener Unschuld. "Nie hat eine Kunst der Welt etwas so Heiteres geschaffen als diese Symphonien in A-dur und F-dur, mit allen ihnen so innig verwandten Tonwerken des Meisters aus der göttlichen Zeit seiner völligen Taubheit. Die Wirkung hiervon auf den Hörer ist Befreiung von aller Schuld – die Wirkung des Heiteren geht hier sofort über alle Befriedigung durch das Schöne weit hinaus. Jeder Trotz der erkenntnissstolzen Vernunft bricht sich hier sofort an dem Zauber der Überwältigung unsrer ganzen Natur; die Erkenntniss flieht mit dem Bekenntniss ihres Irrthums, und die ungeheure Freude dieses Bekenntnisses ist es, in welcher wir aus tiefster Seele aufjauchzen, so ernsthaft auch die gänzlich gefesselte Miene des Zuhörers sein Erstaunen über die Unfähigkeit unseres Sehens und Denkens gegenüber dieser wahrhaftigsten Welt uns verräth. – Aller Schmerz des Daseins bricht sich an diesem ungeheuren Behagen des Spieles mit ihm; der Weltenschöpfer Brahma lacht über sich selbst, da er die Täuschung über sich selbst erkennt; die wiedergewonnene Unschuld spielt scherzend mit dem Stachel der gesühnten Schuld, das befreite Gewissen neckt sich mit seiner ausgestandenen Qual. – Jetzt warf er den Blick auch auf die Erscheinung, die, durch sein inneres Licht beschienen, in wundervollem Reflexe sich wieder seinem Innern mittheilte. Jetzt spricht wiederum nur das Wesen der Dinge zu ihm und zeigt ihm diese in dem ruhigen Lichte der Schönheit. Jetzt versteht er den Wald, den Bach, die Wiese, den blauen Aether, die heitre Menge, das liebende Paar, den Gesang der Vögel, den Zug der Wolken, das Brausen des Sturmes, die Wonne der selig bewegten Ruhe. Da durchdringt all sein Sehen und Gestalten diese wunderbare Heiterkeit, die erst durch ihn der Musik zu eigen geworden ist. Selbst die Klage, so innig ureigen allem Tönen, beschwichtigt sich zum Lächeln: die Welt gewinnt ihre Kindesunschuld wieder. ,Mit mir seich heute im Paradiese' – wer hörte sich dieses Erlöserwort nicht zugerufen, wenn er der Pastoral-Symphonie lauschte?"

7.

 

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