Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Merkwürdige Vergnügungen auf dem Lande. Trauriges Ende eines romantischen Traums vom Wechselkurs. Walther wird wütend und fängt an, sich über seine Chefs eigene Gedanken zu machen. Eine ganz neue Seite seines Charakters.

Ich muß gestehen, daß unser Walther von dem ihm in der Rollkammer angewiesenen Wirkungskreis nicht sehr erbaut war.

Er war ärgerlich, ja beinahe wütend. Obwohl das niemand wunder nehmen wird, glaube ich doch nicht, daß die wahre Ursache dieser bei Walther ungewohnten Stimmung dem Beschauer so ohne weiteres vor Augen liegt.

Man wird leicht geneigt sein, seinen Verdruß lediglich der Enttäuschung zuzuschreiben, weil er sich das Leben auf dem Lande ganz anders vorgestellt hatte. Gewiß, der Beruf, einem ungezogenen Jungen als Stellvertreter für ein Schaukelpferd zu dienen, war weder ländlich noch idyllisch, weder romantisch noch ritterlich oder erhebend, und Walther nahm sich allen Ernstes vor, andere Beschäftigungen zu erdenken, für den Fall, daß er einmal im Besitze eines Landsitzes oder bloß einer kleinen Sommerfrische sein würde.

Aber Enttäuschungen dieser Art hatte er seit einiger Zeit so viel erlebt, daß er nachgerade schon daran gewöhnt war. Die Blumen seiner Phantasie waren matt und geruchlos geworden. Jede Berührung, in die er mit der Welt oder, was er dafür halten mußte, gekommen war, lieferte ihm so ganz andere Eindrücke, als er sich vorgestellt hatte, daß er mutlos die Augen von den Traumbildern abwendete, die früher sein inneres Leben schön und dadurch das äußere erträglich gemacht hatten. Die Ursache dieser Untreue gegen sich selbst lag indessen weniger in dem Abstand zwischen Wirklichkeit und Illusion, als in dem Schwinden seiner Empfänglichkeit und Fähigkeit, das Wirkliche zu färben und zu verschönern, selbst umzuformen, wo es not that.

Der Dichter, der über die Prosa des Lebens klagt, legt Zeugnis ab gegen sich selbst. Diese Prosa wurzelt in der unverletzlichen Majestät des Seins. Was ist, muß sein und trägt die Rechtfertigung seines Daseins in sich. Das springt dem Philosophen und dem Dichter in die Augen, und damit beschäftigt er sich, ohne sich um das größere oder geringere Interesse zu kümmern, das Beobachter niederer Sphäre daran nehmen. Er muß viel zu hoch über der gewöhnlichen Auffassung stehen, um den Unterschied zwischen angeblicher Tiefe und scheinbarer Oberflächlichkeit zu verspüren.

Walther selbst hatte, vor kurzer Zeit noch, den Beweis davon geliefert. Wußte er nicht dem Geringsten, was sein dürres Leben ihm bot, Farbe und Leben mitzuteilen? Hatte er auf seinem engen Kämmerchen nicht die Kraft gehabt, sich eine ganze Welt voller Herrlichkeit aufzurichten? Warum konnte er das jetzt nicht mehr?

Die unselige Bekanntschaft mit einem Dutzend schlechter Buben war die Ursache. Die Reinheit seiner Seele war beschmutzt, sein Dichterblick in Nebel gehüllt. Die Fühlhörner seines sittlichen Empfindens verloren das Vermögen, ihn vor dem Schmutz zu warnen und ihm den Weg zum Erhabenen zu zeigen. Sein Flügelschlag war erlahmt, und er meinte die Kraft zu fliegen, selbst die Lust dazu, verloren zu haben. Selbst wenn er sich bei sorgfältiger Selbstprüfung einredete – was er sicher versucht hätte – daß lediglich anhaltende Enttäuschungen die Ursache seiner Mutlosigkeit waren, ich behaupte doch, daß er den Mut bewahrt hätte, wenn er sich nicht seine Reinheit hätte rauben lassen. Kein Gegenstand kann hell zurückstrahlen aus einem verschmierten Spiegel, und eine verdorbene Menschenseele ist dichterischer Auffassung nicht fähig.

Ich weiß wohl und ich sehe täglich Beweise dafür, daß diese Wahrheit von vielen geleugnet oder wenigstens übersehen wird. Sie ist wohl zu einfach. Solche Leute müssen, wenn sie nicht inkonsequent sein wollen, die Richtigkeit der soeben angeführten Vergleichung mit dem Spiegel in Zweifel ziehen, oder annehmen, daß man reines Wasser aus verdorbenem Brunnen schöpfen kann. Mir kommen die Brunnen, aus dem solche Vorstellungen fließen, selbst nicht sauber vor.

Walther hatte seit einiger Zeit das Poetisieren verlernt. Er wagte es nicht, weil er Grund hatte, sich vor dem Lieblichen zu schämen. Wohl sehnte er sich nach dem Verlorenen zurück, wohl ertappte er sich oft auf bitterem Trübsinn, aber es schien ein Anstoß von außen nötig zu sein, um ihn mit der notwendigen Kraft in die alte Spur zurückzuführen. Dieser Stoß wird ja wohl auch kommen – und wer anders konnte ihn geben als Femke oder wer ihr glich? – aber so weit sind wir noch nicht.

Man würde sich irren, wenn man den schädlichen Einfluß, den die Gesellschaft unreifer Taugenichtse auf Walther ausübte, mit dem sogenannten »Klugmachen« identifiziert. Dieses selbst halte ich nicht nur für unschädlich, sondern sogar für wünschenswert. Gerade in Walthers lächerlicher Unklugheit hatte der Grund gelegen, daß er geneigt war, liederliche Erklärungen hübsch zu finden. Wäre er von gebildeten Eltern erzogen worden, die ihm mit wissenschaftlichem Ernst mitgeteilt hätten, was in dieser Sache mitzuteilen war, wahrlich, er hätte an den Witzeleien der niedersten Sorte keinen Geschmack gefunden, mit denen man jetzt seinen Wissensdrang gereizt und betrogen hatte. Nicht das Wissen macht unrein, sondern das Anhören schmutziger Redensarten über das Wissen ... Schande über die Eltern und Erzieher, die ihre Kinder der Gefahr aussetzen, die lieblichsten Geschenke der Natur auf eine Art zu empfangen, die sie zu einer Pest macht!

Indessen, ich sagte schon, daß Walthers Ärger über die sonderbare Art, mit der man ihn an den Vergnügungen des Landlebens teilnehmen ließ, diesmal eine andere Ursache hatte, oder mindestens einen anderen unmittelbaren Anlaß, als den bereits einigermaßen alltäglich gewordene Ärger über die gewohnten Enttäuschungen.

Während der Gespräche, denen er soeben beiwohnte, war ihm zum erstenmal der Gedanke gekommen, daß er in einen Kreis von sehr ungebildeten Menschen geraten war. Noch vor kurzem hatte er, dem niederen Fluge der ausgetauschten Ideen gegenüber, sich selbst die Schuld gegeben und eher angenommen, daß er wohl nicht auf der Höhe stand, die Wichtigkeit der behandelten Gegenstände richtig zu schätzen. Aber das Gespräch über den Wechselkurs hatte ihn geweckt.

Auch er hatte sich bisher noch keine Rechenschaft gegeben von der Ebbe und Flut in diesen Beziehungen zum Auslande, und erst durch Julies plötzliche Fragen wurde er sich seiner Unwissenheit bewußt. Unwillkürlich machte er sich selbst Vorwürfe, daß er diese Frage nicht längst gestellt hatte, und nun sie endlich durch jemand anders aufgeworfen wurde, war er neugierig auf die Antwort.

Das Stottern und Stammeln der Erklärer befremdete ihn. Auf einmal brachte er ihre offenbare Unwissenheit in Zusammenhang mit der mehr als achtlosen Weise, in der er in diesem Kreise empfangen worden war, und zugleich mit seinem niedrigen Standpunktchen im ganzen. Wie? dachte er, diese erwachsenen Menschen, diese reichen Menschen, diese vornehmen Menschen wissen keine Erklärung zu geben für eine Erscheinung, die sich tagtäglich ihrer Wahrnehmung aufdrängt? Und gerade diese Menschen sind es, an denen ich mir ein Vorbild nehmen soll, um in der Welt etwas zu werden? Und durch sie werde ich mit einer Geringschätzung behandelt, die ... die ...

Kurz, er war wütend und fühlte den Trieb ... zur Rache wohl nicht, aber doch die Notwendigkeit einer gewissen Genugthuung. Er dachte auf Mittel, um dem alten Herrn und dem Herrn Pompilius und all den Krückers den Beweis zu liefern, daß man sehr verkehrt gethan hatte, als man ihn in diese Rollkammer schickte. Es versteht sich von selbst, daß Julies Frage in der hinteren Galerie längst vergessen war, wo die Unterhaltung immer noch auf die bekannte interessante Manier weiter ging, aber unser Walther vertiefte sich, wie er mir dem kleinen Bonifaz spielte, in das Rätsel. Die Sache begann ihm wie eine Herausforderung zu erscheinen, auf die er ritterlich verpflichtet war in den Schranken zu erscheinen, der erhabenen Dame zu Ehren, die das Turnier ausgeschrieben hatte ...

Ja gewiß, eine hochgeborene Dame war im Spiel. Auf diese Besonderheit, nicht die geringste der Ursachen, die Walther anspornten, sein Denkvermögen zu schärfen, hatte ich längst hinweisen müssen. Diese Julie ... o Götter, war sie es nicht, die sich schon einmal herabließ, ihn als eine Person zu behandeln, als sie ihn nach seinen Gefühlen in betreff des liegenden Jagdhundes fragte? Ein junger Ritter sollte solche Auszeichnung vergessen? Nein, undankbar war Walther nicht. Jetzt wollte er zeigen, daß sein Herz imstande war, einen Wiederhall zu geben auf einen solchen Beweis von Vertrauen, und daß sie nicht vergebens ihren Schleier in den Kampfplatz hinabgeworfen hatte. Denn ... so begann sich die Sache jetzt auszunehmen. Mit Schwert und Lanze focht man nicht mehr – leider! – die Dame, die in unseren Tagen Ritter auf die Probe stellen wollte, appellierte an die Kraft des Geistes. Mit scheinbarer Gleichgültigkeit läßt sie eine Frage über den Rand der Tribüne gleiten, und da unten warten Löwen und Tiger ... nein, diese Sorte von Kämpfen gehören in eine frühere Epoche, wo es auch ganz hübsch war, aber wir haben es hier ausdrücklich mit Rittern zu thun. Erstaunt, erschrocken, entsetzt, verdutzt starren sie das Wagestück an, das da von ihnen gefordert wird. »Anstarren« ist vielleicht nicht das rechte Wort ... sie wenden die Augen ab und zaudern, und ziehen sich zurück, und berufen sich auf die Unmöglichkeit, das Pfand unversehrt zurückzubringen und als Huldigung zu Füßen der Schönen niederzulegen. Alles hat seine Grenzen, verehrte Dame, auch der Rittermut! Kaiser, Könige und Prinzen, eben noch fest im Sattel, tapfer gegeneinander die Lanze fällend ... sie suchen Ausflüchte, um sich der schrecklichen Waffenthat zu entziehen, die von ihrem Geist gefordert wird. Sire Kopperlith hat sein Lächeln verloren, und Ritter Pompilius seine Selbstgenügsamkeit. Don Eugen war der Schreck ins Herz geschlagen, und er stand auf dem Punkte – mehr zu sagen als eine einzige Silbe! War nicht sogar der kriegerische Clan der Krückers – von alters so berühmt wegen seiner unvergleichlichen Schläue in Korken – genötigt, sein Feldgeschrei eine Oktave tiefer anzustimmen und sich zu beschränken auf ein demütiges: »Ja, sehen Sie, das sind so Geschäfte, mein liebes Mevrouwtje!« Hieß das nicht in Walthers Übersetzung ganz deutlich: »Schöne Dame, wenn Sie auf uns rechnen, um Ihr Pfand wiederzubekommen, machen Sie sich nur darauf gefaßt, unverschleiert nach Hause zu gehen!«

»Niemals!« rief Ritter Walther. Und er gürtete sich ... zu begreifen.

Die Frage, mit der er sich beschäftigte, wie einfach sie auch in der That ist – gleich den meisten Fragen – ist sie doch ein Steinchen, über das viele Geldmänner und sogenannte Ökonomisten stolpern. Wer da meint, daß ich die geistigen Gesichtszüge der Kopperliths und der Krückers übertreibe, der versuche sein Heil einmal bei Fachleuten. Und man braucht sich nicht auf die Frage zu beschränken, welche die naive Julie aufs Tapet gebracht hat, und auch nicht auf das »Fach,« zu dem Fragen dieser Art gehören. Überall wird der aufmerksame Beobachter die Bemerkung machen, daß das Verständnis einfacher Wahrheiten zu den Seltenheiten gehört, und daß selbst das »Sich-nicht-dabei-Beruhigen« von Fachleuten als unpraktische Excentricität angesehen wird.

Also, Walther war excentrisch. Die ihm noch unklare Verschiebung des trivialen Falles zu einer Heldenthat regte ihn auf. Während er mechanisch mit dem kleinen Bonifaz spielte, suchte er den Kern der Frage zu durchdringen, und die eigenartige Richtung seines Geistes – stets eine Folge eines Charakters, der nur mit einfacher Wahrheit Frieden haben kann – führte ihn bald zu der Einfachheit der Auffassung, mit der alle Fragen, auch die moralischen, gelöst werden müssen.

Die Steinchen, die er dem kleinen Jungen zuwarf, und die dieser zu ihm zurückrollte, stellten in seiner Phantasie bald die Waren vor, die aus verschiedenen Ländern in die benachbarten Landstriche eingeführt worden. Der Bedarf an Zahlungsmitteln wuchs an nach Maßgabe der Menge von Gütern, die man empfing. So lange man nun hier durch das Zurücksenden anderer Waren Genüge thun konnte ... gewiß, so ist es, meinte er. Und er konstruierte:

Wir schicken ... Käse und Butter nach England. Das muß bezahlt werden. So ein Kaufmann da drüben muß nun jemand suchen, der von uns Geld zu bekommen hat für ... Weißgrund-Dreifarb oder Barchent ... ein schweres Fach, sagt M'neer Wilkens! – und dann bezahlen wir eigentlich den Barchent mit Käse. Wenn wir nun aber zu wenig Käse geschickt haben, um alle die Leinewand, die wir empfingen, zu bezahlen, dann ist es schwer, in Holland einen zu finden, der bei einem Engländer etwas gut hat. Und diese Schwierigkeit muß überwunden werden durch höheres Gebot auf den Wechsel, denn es versteht sich, daß das Recht an Wert gewinnt, je weniger vorhanden ist und je mehr gebraucht wird. Wer also einen Wechsel abgeben kann, verlangt mehr dafür als ...

Indem er so hin und her tüftelte, hatte er die Steinchen, die als Spielzeug für den kleinen Jungen dienen mußten, in Sorten geteilt, die allerlei Waren vorstellten. Der Fußboden der Rollkammer wurde in Länder und Provinzen geteilt. Da lag England mit seiner bedruckten Baumwolle, da Frankreich, das Wein lieferte, da Niederland mit seinem unvermeidlichen Käse und Butter ... ja, auch Spanien bekam ein Eckchen für seinen Kork. Und er schob die Produkte hin und her und schaffte eine Handelsbewegung und vergaß dabei sogar die »Krisen« nicht. Bonifaz hatte keinen rechten Begriff von der Sache und riß auch öfters einmal eine »Niederlage« auseinander, ein Verfahren, das man ganz gut als eine Revolution bezeichnen und dementsprechend, so gut es ging, in Rechnung stellen konnte. Bald war er denn auch mit der Auflösung des Problems fertig, und ihn verlangte nach dem Augenblick, da er unter den Augen seiner Dame die Widersacher aus dem Sattel heben könnte.

Laß sehen, was dann weiter geschehen mußte. Kaiser Kopperlith trat ihm die Hälfte seines Reiches ab, mit der Hand seiner Schwiegertochter Julie, die dem Himmel danken mußte, daß sie aus den Ketten des Pseudoritters Pompilius erlöst wurde. Sehr gut, aber wie groß sein Triumph auch war, Walther schenkte ihm doch das Leben. Auch Eugen durfte weiter leben, und auch die Krückers, unter der Bedingung, daß sie dreimal den Pantoffel von Walthers Dame küßten.

Eine Unsicherheit noch hielt den Ritter, der nachher seine Feinde aus dem Felde schlagen sollte, in einiger Spannung. Sollte er die Waffenthat in Prosa ausführen oder ... allerdings in Versen war die Niederlage des Feindes viel zerschmetternder. Und Zerschmetterung hatten sie verdient! War es unedel oder nicht von all den stolzen Rittern, die so stolz auf ihrer Baumwolle und ihren Korken saßen, die romantische Möglichkeit zu übersehen, daß der junge Schildknappe ohne Geschlechtswappen und Hauszeichen ... vielleicht der unbekannte Sproß eines edlen Stammes sein konnte? Hätte man nicht etwas Ehrerbietung fühlen müssen gegenüber seiner Unbekanntheit? »Unser jüngster Bediensteter, unser jüngster Bediensteter!« hatte der Wappenkönig Pompilius gerufen ... nun, warum hatte allein die edle Julie – Gott segne sie! – Romantakt und Belesenheit und Turnier-Instinkt genug, um unter der Jacke des Comptoirschreiberleins einen Kämpen ersten Ranges zu vermuten? Waren sie denn taub und blind und beschränkt, alle die anderen? »Zu den Waffen, zu den Waffen!« rief alles in Walther. »Jüngster Bediensteter ... ich will sie bedienen ... jung und alt, bedienen will ich sie! Und der Welt und meiner Dame will ich's zeigen ... sakkerlot!«

Da kam eins der Mädchen bestellen, das; der junge Herr Bonifaz zu Tisch gerufen würde, und »Pieterse möchte so gut sein, mitzukommen!«

Walther stieg mit erhobenem Haupte und zusammengeballten Fäusten in das Zimmer, wo das Essen stattfinden sollte. Beim Eintreten konnte er sich nicht enthalten, Julie einen Blick zuzuwerfen, der so viel besagen sollte, wie: »Sei nur getrost, Dame meines Herzens, ich habe deinen Hilferuf verstanden und will den guten Kampf kämpfen. Die Hauptsache liegt im Verhältnis zwischen Baumwolle und Käse ... sei getrost: dein Ritter ist hier!«

Daß Julie nichts davon verstand, wäre zu viel gesagt. Sie sah den ganzen Walther nicht und konnte sich daher auch keinen Irrtümern in betreff seiner Absichten hingeben.

Walther glühte wie eine Kohle und brannte vor Streitlust, aber ... wie sollte er seine Weisheit an den Mann bringen? Eigentlich war es Julies Pflicht, ihm auf den Weg zu helfen. Aber sie that so, als ob die Geschichte ihr ganz und gar entfallen wäre! So sind diese Edelfrauen! Erst locken sie den Ritter auf das allergefährlichste Gebiet, sie reizen ihn auf zu dem wahnwitzigen Verlangen, in ihrem Dienste zu Grunde zu gehen, und dann ... ja dann überlassen sie ihn sich selbst. Lieber Himmel, dumme Julie, begreifst du denn nicht, daß Walther da sitzt und auf einen Blick von dir wartet! O, o, o ... wenn er nur erst über das erste Wort weg wäre!

Dieses erste Wort aber ließ sich nicht leicht anbringen. Walther horchte auf jede Äußerung, jeden Ton, aber ... leider! ... Zwar begann er ein paarmal: »Der Wechselkurs, M'neer« ... aber die Worte erstickten ihm in der Kehle.

Das Essen war natürlich ausgezeichnet, aber was hatte er davon? Diese leichtsinnige Julie stellte sich an, als hätte sie nie einen Ritter auf Posten geschickt. Sie lachte, sie schäkerte, sie kicherte, sie erfreute die Gesellschaft durch ihre Naivetät ... oder durch die Unerfahrenheit, die dafür galt ... und kümmerte sich gar nicht um ihren zukünftigen Befreier aus den Krallen des allzu niedrig geborenen Ehegemahls. Walther bildete sich ein, sie wollte seine Standhaftigkeit bloß auf die Probe stellen. So etwas war wohl mehr vorgekommen, meinte er.

Die Tischgespräche waren von der bekannten interessanten Art.

Der alte Herr wurde bald laut und schlug den Ton an, den Walther von seinen Nachmittagsbesuchen auf dem Comptoir her kannte. Sogar an ihn richtete der alte Herr das Wort, zum großen Ärger von Pompilius, der öfter versuchte, die Flut von Papas Gesprächigkeit in ein vornehmeres Strombett abzuleiten.

»Na, nun sag' mal, Männchen, wie gefällt's dir denn nun draußen? Denn, Junge, jetzt bist du, was man nennt, draußen! Stellen Sie sich vor, M'neer Krücker, er meinte, draußen wäre auf dem Singel bei dem Aschenthor! Hihihi, das meinte er!«

Die Krückers fanden das ganz besonders dumm.

»Und sag' doch mal, wie viel dachtest du, daß der junge Herr Flodoard in Rom jährlich verzehrt! Nein, stille, Pompilius, laß ihn nur. Hören Sie mal zu, M'neer Krücker! Im ganzen Jahre, weißt du! Mein Sohn Flodoard in Rom!«

»Aber Papa ...«

»Ruhig, Pompilius! Na, Männchen, sag's mal ... sag's nur ruhig. M'neer Krücker möchte es gern mal hören.«

Walther schwitzte. Er suchte Julies Augen zu begegnen, aber es glückte nicht. In Gottes Namen! Mit oder ohne Ermutigung durch seine Dame ... für seine Dame!

»Der Wechselkurs, M'neer! ...«

»Nei..ei..ei..n, darum handelt es sich nicht! M'neer Krücker möchte gern wissen, wie viel du dachtest, daß mein Sohn Flodoard ... in Rom ...«

Pompilius fiel seinem Vater in die Rede, und diesmal hatte er das Glück, ihn von dem interessanten Thema abzubringen. Auch einer der Krückers half mit, indem er sich mit rührendem Interesse nach Leon erkundigte.

»Es geht ihm ausgezeichnet,« sagte der alte Herr, »ausgezeichnet! Was meinen Sie wohl, M'neer Krücker, er hat schon 'n Titel ... o, so 'n langen Titel! Und ... er ist wohledelgestreng, was sagen Sie nun? Wohl...edel...gestreng, M'neer Krücker! Ist's nicht wahr, Pompilius?«

»O ja, Papa.«

»Und er schreibt famos hübsche Briefe! Pompilius, du mußt M'neer Krücker einmal so 'n Brief von Leon zeigen.«

»Gewiß, Papa!«

»Und Ihr anderer Sohn, der Seeoffizier, M'neer Kopperlith?«

»Der war, als er's letzte Mal schrieb, in ... wie heißt es doch, Pompilius?«

»In Amboina, Papa.«

»Richtig! Und wissen Sie, M'neer Krücker, was er da gethan hat? Er hat da mit der Tochter des Gouverneurs getanzt! Mit der Tochter des Gouverneurs!«

Die armen Krückers waren rein weg vor Erstaunen.

Walther bemerkte wohl, daß sie hier eine Bearbeitung erfuhren, wie man sie auch bei ihm angewendet hatte, als er vor Erstaunen über die fürstlichen Ausgaben des Signore Flodoardo zu Rom in Ohnmacht fallen sollte. Und diese Beobachtung brachte ihn ein Schrittchen weiter vorwärts in der Menschenkenntnis, oder besser, sie gab ihm den Mut, sich das einzugestehen, was er begriff.

So lange es ihn selbst betraf, hinderte ihn seine Verlegenheit, das Kindische an dieser Jagd nach der Vornehmheit richtig zu fassen. Aber jetzt, wo er auf den Gesichtern der Gäste etwas wie Spott zu bemerken glaubte, fiel ihm das Überdenken viel leichter. Auch ohne Rücksicht auf den Schiffbruch, den die ganze Gesellschaft in der Kursfrage erlitten hatte, rückte ihm die Möglichkeit nahe, daß diese ganze Familie Kopperlith, mit ihrer Villa und ihrem eigenen Fuhrwerk und sonstigen Vornehmheiten, doch am Ende tiefer stehen könnte, als sie sich that und als sie von anderen scheinbar angesehen wurde.

Er konnte den Vergleich mit dem vergnügten gesunden Ton, der bei den Holsmas geherrscht hatte, nicht zurückdrängen, und dieser Vergleich fiel sehr zum Nachteil seiner Herren Chefs aus. Auch gesellschaftlich schienen sie eigentlich kein Recht auf die Vergötterung zu haben, die ihnen von Niedrigeren entgegengebracht wurde; denn wenn wirklich Reichtum einen Grund zu so großer Verehrung hergeben konnte, o wie platt kleinbürgerlich war doch die Einrichtung des Hauses, wie prosaisch die Rollkammer, wie enge der Hinterkasten von der Britschka, wie kleinlich die Angst um die Hutschachtel und den Korb mit Pfefferkuchen, wie kindisch dieses unaufhaltsame Streben nach Vornehmthun! Der junge Herr Rodomont hatte mit der Tochter eines Gouverneurs getanzt ... was für eines Gouverneurs? Lieber Himmel, die Holsmas hatten Prinzessinnen in ihrer Familie und waren nicht stolz darauf. Hungerten sie nach Bewunderung ihrer hohen Stellung? Erkannten sie nicht sogar sehr gern an, ohne Not und ohne Scheu, daß die einfache Femke mit ihnen nahe verwandt war ... sie, ein Wäschermädel!

Aber hier brach Walther seinen Gedankengang ab. Das geschah oft, sobald ihr Bild vor ihm auftauchte. Jede Erinnerung an die Heldenzeit seiner Seele machte ihm den Eindruck eines schneidenden Vorwurfs. Das Liebliche machte ihm Schmerz, und er fühlte bloß eine ohnmächtige Wut: diese Kopperliths! Es dauerte auch nicht lange, bis diese Stimmung sich deutlicher auf seinem Gesicht zeigte, als es in anständiger Gesellschaft erlaubt ist. Er kniff die Lippen zusammen, und sah einen der Krückers – der doch nichts dafür konnte – herausfordernd an. Aber man that ihm nicht die Ehre an, nach dem Grunde zu fragen, weshalb er so sauer sah. Wahrscheinlich hatte keiner darauf geachtet, und diese Hintansetzung stimmte ihn bitterer als sonst etwas. Er war wütend und hatte Lust, sich zu prügeln ... mit wem? Mit allen zusammen, wenn es sein konnte. Mit Bonifaz und dem alten Herrn, mit Pompilius, den Krückers, Eugen, der Jüffrau und Hersilia. Mit allem, was eine eigene Villa hatte, und was keine hatte. Mit der ganzen Welt, höchst einfach!

Wie ungerecht auch diese Stimmung war – es wird dem wohlmeinenden Leser dieser Seelengeschichte angenehm sein zu bemerken, daß unser Walther doch auch etwas anderes war als bloß kindlich und gutartig. Es wurde aber auch wirklich Zeit.


 << zurück weiter >>