Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Weitere Geheimnisse des Handels. Das schmierige Papierchen aus dem Judenviertel.

Wenn ich so diese Nichtigkeiten niederschreibe, wobei ich mir Mühe gebe, der Wahrheit so nahe wie nur möglich zu bleiben, kann ich doch die Furcht nicht loswerden, daß man mir Übertreibung vorwerfen könnte. Dieser Vorwurf gegen einen Schriftsteller ist meistens ein Zeichen von Oberflächlichkeit und fast immer unbegründet.

Übertreibung im Schildern der Dinge selbst ist beinahe unmöglich, denn der Grad, zu dem sich menschliche Narrheit aufschwingen kann, ist selbst für den bösartigsten Künstler unerreichbar. Wo er irrt, liegt der Fehler an seiner Ungeschicklichkeit im Nachzeichnen, in der Verkehrtheit der Mittel, die er anwendet, nicht in Übertreibung.

Daß unter dem halben Dutzend Menschen, mit denen Walther hier in Berührung kam, kein einziger sich über den allerniedrigsten Pegel von Verstand und Herz erhob, kann nur den befremden, der die menschliche Gesellschaft studiert hat. Meine Schilderung ist wahr. Und ich brauche mich nicht einmal auf den bekannten Spruch zu berufen, »daß das Wahre manchmal nicht wahrscheinlich ist.«

Was haben denn diese Menschen, wie die hier gezeichneten, ihr Leben lang gewirkt? Was waren ihre Wünsche, ihre Neigungen, ihre Interessen, ihre geistigen Bedürfnisse? Wie war ihre Erziehung – oder besser: mit was für einer Erziehung waren sie zufrieden? Niemals kam ihnen in den Sinn, daß sie, wohl beschaut, zu der niedrigsten Sorte der Geschöpfe gehörten, die man mit zoologischem Wohlwollen über die Tiere des Feldes stellt. Und dabei ... dieser lumpenhafte Dünkel!

Ich weiß, gewiß, der geistige und sittliche Wert der Menschen geht nicht immer zusammen mit der größeren oder geringeren Wichtigkeit des Berufs, und er hängt auch nicht davon ab. Es ist begreiflich, daß manch einer um seines Unterhalts willen sich mit einem Broterwerb zufrieden geben muß, der seinem Gemüt wenig Anregung giebt; vielleicht gerade das Gegenteil. Ich lasse es nun dahingestellt, inwieweit diese Disharmonie möglich und entschuldbar ist, und ich werfe deshalb nicht die Frage auf, ob ein Mensch von Gefühl z.B. Fleischhacker oder Scharfrichter sein kann ... aber wahr bleibt es, daß jemand, der ohne Not, ohne die Peitsche des Hungers, seinen Lebensunterhalt in rohen oder nichtigen Verrichtungen sucht, auf einem niedrigen Standpunkte stehen muß.

Und diese Kopperliths ließen doch ganz freiwillig Verstand, Herz und Charakter brach liegen! Selbst wenn der junge Herr Pompilius nicht ganz die reine Wahrheit sprach, wenn er einem unerfahrenen Kunden vom Lande erzählte, daß Papa so schrecklich reich wäre, daß sie es ums Brot nicht zu thun brauchten u.s.w., selbst wenn Pompilius aufschnitt, so hätten sie doch immer einen anderen Wirkungskreis wählen können. Aber ... da hatten sie ja etwas lernen, sich anstrengen müssen, und das paßte ihren Gewohnheiten, ihrer Faulheit nicht. Arbeit und Kenntnisse, das war gut genug für Menschen, deren Papa nicht so schrecklich reich war.

Der ganze Reichtum des alten Herrn belief sich auf einige hunderttausend Gulden, eine Summe, die in sechs Teile gehen sollte. Es war also nicht so arg, und sie hatten sich wohl bethätigen dürfen. Das thaten sie ja auch. Zwei der Söhne hatten das gewählt, was ihnen als väterliches Erbteil am nächsten lag: den Kattunhandel. Hierzu war nur ein kleiner Teil des Geldes nötig, das im übrigen hauptsächlich in Effekten angelegt bleiben konnte. Hätten sie sich entschließen können, das Inventar von den Vorräten zu entlasten, die jahraus, jahrein auf den Böden lagen, dann hätten sie es noch mit geringerem Kapital betreiben können. Zu diesem Aufräumen aber – welches Dieper öfters bescheiden und mit Begründung vorschlug – waren sie nicht zu bewegen. Meinten sie vielleicht, die alten ausgefahlten Lappen würden je wieder den Preis erreichen, der vor der Blütezeit des amerikanischen Baumwollenmarktes und der englischen Weberei dafür bezahlt worden wäre? Sie meinten weder dies oder noch etwas anderes. Sie meinten gar nichts.

Der übliche »Handel« war einfach bis zum Stumpfsinn. Zweimal im Jahre bestellte man auf Muster einige tausend Stück gedruckten Kattun. Die Weisheit, die beim Bestellen verzapft wurde, imponierte Walther gewaltig, der schon daran verzweifelte, ob er es wohl jemals so weit bringen würde, zu wissen, ob sich nächstes Jahr die Bürgerfrauen in Stoffe mit Schlangenlinien oder mit Pünktchen kleiden würden? Wilkens saß bei solcher Gelegenheit auf hohem Thron. Aber keiner kam auf die Idee, die Bauernmädchen und Dienstmädchen selbst zu befragen, die doch am besten wußten, worauf es ankam.

Und ... die Erhabenheit gegen so 'nen Handlungsreisenden! Es ist interessant, daß die englischen Fabrikanten für diese Beschäftigung gewöhnlich Deutsche in Dienst nehmen. Eine christlichere Thätigkeit giebt es nicht. Für diesen Beruf ist das Evangelium der linken Wange geschrieben! Solch unglücklich Wesen wurde drei-, viermal weggeschickt, ehe Herr Pompilius oder Herr Wilkens sich herabließ, die neuen Figuren zu betrachten, die die Musterzeichner der Fabriken ausgeheckt hatten. Endlich bekam er dann die gnädige Mitteilung, daß man wahrscheinlich nichts brauchen würde. Man hätte schon bei anderen Häusern ansehnliche Bestellungen gemacht. Der Markt wäre flau, ganz außergewöhnlich flau ... Schließlich wurde er dann allergnädigst zugelassen, und die Sitzung nahm ihren Anfang. Eugen, dessen Worte teuer waren, stellte sich noch am wenigsten lächerlich an. Die beiden anderen wetteiferten in Albernheiten, und der Reifende beantwortete diesen oder jenen Witz mit seinem allerunterthänigsten Lächeln. Er hielt sich dann für seine verunglückte Menschenwürde an anderer Stelle schadlos, in der Postkutsche, auf dem Schiff, an der Wirtshaustafel, wo er die zwei Dutzend Anekdoten losließ, die ein Handlungsreisender im Vorrat haben muß, und auf diese Weise kam er bei den Kameraden, Gegenseitigkeit zugesichert, in den Ruf eines wirklichen Herrn.

Kamen dann die bestellten Waren an, so stieg die Wichtigkeit im Comptoir und im Magazin bis ins Erhabene. Der abgemachte Preis wurde um die Unkosten der Verpackung, des Transportes, der Versicherung erhöht, und dann wurde die Summe nach dem Tageskurse in holländisch Geld umgerechnet. Das war besonders die Aufgabe von Pompilius, und er war in ihr sehr fest ... geworden, wie der altertumskundige Gerrit sagte, nach vielen Jahren mangelnder Sicherheit. Nun also verstand Pompilius die Kunst. Beim Verkauf legte man etwa fünfzehn Prozent auf den Einkaufspreis und der Cyklus der Berufsweisheit war abgelaufen, ... bis auf das Überteuern, Betrügen und Beschwatzen der kaufenden Krämer. Auch in diesem Teile des Fachs war Pompilius Meister. Selbst Wilkens mußte anerkennen, daß ...

Keiner der Herren hatte je etwas anderes gethan, keiner hatte sich nach anderer Anregung gesehnt. Sie fühlten sich völlig befriedigt. Selbst die Buchführung des alten Dieper ging über ihre Sphäre. Genau besehen, übertraf sogar der alte Gerrit die Chefs an menschlichem Werte: er konnte etwas. Eine seiner Haupttugenden bestand in einer fast unbetrügbaren Kenntnis der Geldsorten, und sein Geldzählen, lieferte Monumente von Regelmäßigkeit. Schade, daß die Reihen beim Einstreichen wieder zerstört wurden ... es waren silberne Verse, wahrhaftig! Und noch in anderer Hinsicht zeichnete er sich aus: im Packen ... wohlverstanden, wenn es ihm nicht gerade gelegen kam, steif zu sein von Rheumatismus. Doch mußte jeder Vorurteilsfreie zugeben,, daß Walther ihn hierin mit Riesenschritten zu überflügeln drohte.

Zweimal im Jahre ging dann Wilkens auf die Reise, und dann spielte er selbst bei den Krämern in den kleinen Städten die Rolle, zu der er sonst die ausländischen Reisenden verdammte. Die Götter sind gerecht. Dann wurde er an derselben Stelle bestraft, an der er gesündigt hatte. Zwölfmal mußte er manchmal um Zutritt nachsuchen, um nach dem Hinterzimmerchen von solchem Kattungeschäftchen durchzudringen. Ein andermal ließ man ihn vor dem Ladentisch, stehen und abwarten, was solch schnippisch Ding von Ladenmädchen – der Herr Wilkens des Ortes – über ihn beschließen würde. Manche Überlieferungen meldeten auch, daß er sich dann manchmal gefallen lassen mußte, mit dem wachstuchenen Musterpaket unter dem Arm – und dem vorschriftsmäßigen Wohlwollenheitslächeln ans dem Gesicht – stundenlang auf der Treppe draußen im Regen zu warten: »weil er im Laden den Kunden im Wege gestanden hätte.« Es versteht sich, daß er diese merkantile Liebenswürdigkeit beantwortete durch ein allerhöflichstes »Mit Vergnügen, Jüffrau!«

Von einem Fehler, den Handlungsreisende oftmals haben, war Wilkens endgiltig freizusprechen. Nie erzählte er Anekdoten aus dem Kalender. Seine Würde war dagegen. Wo er meinte sein offizielles Handelsgesicht ein wenig ablegen zu dürfen, beschränkte er sich auf die Erzählung von diesem oder jenem sehr interessanten Bankerott, bei dem er es verstanden hatte, für seinen Chef ein Prozent mehr herauszuschlagen, als die anderen Gläubiger bekamen. Über das vergoldete Schnupftabaksdöschen, das ihm diese Heldenthat eingebracht hatte, ging er leicht hinweg ... aus Bescheidenheit, sagte er, aber er konnte es zeigen. Und wer dann nicht ausdrücklich nach diesem Orden fragte, den fand er nicht höflich. Seine zweite Lieblingsgeschichte, die er etwa beim Nachtisch zum besten gab, war die höchst rührende Erzählung von drei Stücken Bielefelder Linnen, die von einem Unkundigen für irisches Fabrikat angesehen worden waren, ein Irrtum, aus dem sicher ein Prozeß entstanden wäre, wenn nicht er, Wilkens – denn, meine Herren, das ist eigentlich mein Fach – als Sachverständiger die Angelegenheit zu einem fröhlichen Ende zu bringen gewußt hätte, indem er bemerkte ... Daß diese beiden Geschichten seiner Unterhaltung einen besonderen Reiz verliehen, ist nicht zu leugnen. Aber er war sehr sparsam damit, denn er meinte: »es giebt Reisende und Reisende, und heutzutage ist nicht jeder imstande, eine gute Unterhaltung richtig zu würdigen.« – –

»Und, junger Herr,« sagte Dieper, »wie ist es denn nun mit dem Briefchen im Judenwinkel? 's ist 'n schmierig Papierchen, junger Herr!«

»Ja, Dieper, das ist es! Warum sagen Sie's nicht Papa? Dieser Gerrit ...«

»Gewiß, junger Herr! Ich hab' mit dem alten Herrn schon oft drüber gesprochen. Aber Sie wissen, daß er nicht gern ...« »Wissen Sie, Dieper, was Sie thun? Schicken Sie ihn!«

Und mit dem Daumen über die Schulter zeigte er nach Walther hin.

»Nicht wahr, du kannst doch wohl Geld in Empfang nehmen?«

Walthers Gesicht hellte sich auf bei dem Gedanken, daß er etwas können sollte.

»Es ist sehr gefährlich,« sagte Wilkens.

»An das Inkasso kann ich das Papier nicht geben,« klagte Dieper, »'s ist zu schmierig. M'neer hat's mir verboten, weil er manchmal einen der Direktoren der Kasse in der »Doktrina« trifft. Und, sagte M'neer, 's sieht nicht gut aus ... solche schmierige Papiere. Und 's ist auch die Wahrheit? junger Herr!«

Noch immer werden einige Leser die wirkliche Bedeutung, dieses eleganten Ausdrucks nicht verstehen.

Ein »schmierig« Papierchen ist ein Accept von jemand, der auf der Börse keinen Namen hat. So ein Mann kann solide sein, ehrlich, zuverlässig, es hilft nichts. Die von ihm quergeschriebenen Wechsel sind »schmierige Papiere«. Besonders waren sie oft von kleinen Ladeninhabern aus den Provinzen.

In diesem besonderen Fall indessen schien mehr Grund zum Mißtrauen zu bestehen als gewöhnlich. Der Mann, von dem hier die Rede war, wohnte in einer Querstraße einer Quergracht im Judenviertel, und Gerrit, der mehrmals Geld bei ihm geholt hatte, klagte, daß er »bei diesem Kerl« seine ganze Münzenkunde zusammenraffen müsse, um nicht zu kurz zu kommen. Der Acceptant lockte ihn stets in eine dunkle Kammer ganz hinten, in der die zahlreiche Familie hauste und die wenig erleuchtet war: 'ne Höhle, sagte Gerrit. Und ein anständiger Tisch, um das Geld drauf zu zählen, war da auch nicht. Selbst der Fußboden konnte schlecht dazu dienen, denn der war voller Ritzen und Löcher, und wenn man's trotzdem versuchte, kollerten die zahlreichen Kinder recht unprosodisch durch die silbernen Verszeilen. Kurz: die Wohnung dieses Juden war ein Garten der Hesperiden: es war wenig Aussicht, etwas zu pflücken, desto mehr aber, selbst gerupft zu werden. Und Gerrit meinte: »der Kerl legt's drauf an.«

Das wußte der junge Herr Pompilius alles ganz gut, und doch drang er darauf, daß der unerfahrene Walther mit dem Einkassieren dieses schmierigen Papiers betraut werden sollte.

»Sehen Sie, Dieper, 's ist nützlich für ihn, daß er alles lernt.« »Gewiß, junger Herr, aber ...«

»Wie soll's auch sein? Gerrit ist steif von Rheumatismus ... sagen Sie das Papa. Und wenn nun Pieterse das Geld bekommt ... hm, ich meine nur, er muß eben alles lernen.«

Der wahre Grund, der Pompilius zu dieser hartnäckigen Verfolgung seines Vorschlages veranlaßte, war ein ganz, anderer. Er hoffte, daß der Jude unserem Walther ein paar falsche Stücke in die Hand stecken würde, oder daß sonst ein Nachteil sich herausstellen würde. Daraus wollte er dann in seinem ewigen Streite gegen Gerrits Rheumatismus Kapital, schlagen. Von den Nachteilen, die durch Walthers Einkassieren entstanden, kam auf ihn – wenn man es nicht gar auf Haushaltsconto abschieben konnte – ja bloß ein kleiner Teil. Und das wollte er gern opfern, um den Knecht loszuwerden, der ihn schon als kleinen Jungen gekannt hatte und der ... sogar in die »Chronique scandaleuse« seiner Jugend eingeweiht war. So sehr skandalös war die Chronik nun freilich nicht. Aber Pompilius bildete sich das ein, wenn auch seine Abweichungen vom Pfad der Tugend meist mit ein paar Groschen zu decken gewesen waren. Wie das Geld, so die Ware ...

Also, er setzte es durch.

Walther bekam sein schmierig Papierchen, das übrigens nicht unsauberer aussah als andere Wechsel, und barg es mit Sorgfalt in sein väterliches Notizbuch. Die zu empfangende Summe betrug einige hundert Gulden.

Wilkens gab ihm den Geldsack mit und den guten Rat, recht aufzupassen.

Binnen einer Stunde war Walther mit dem verlangten Betrage zurück. Bis auf ein wenig Schneidemünze in außergewöhnlich kantigen Stücken bestand er in glänzenden Dukaten mit unversehrtem Rand. Gerrit sogar, dem sie Dieper später als Merkwürdigkeit zeigte, mußte zugestehen, daß man sie selten so schön zu sehen bekam, und noch dazu ... »von so'm schmierigen Juden.«

Es ging über seine Begriffe, und da ich dasselbe von meinen Lesern voraussetze, will ich die Ursachen von dem guten Ablauf der Sache im nächsten Kapitel erzählen.

Ich muß gestehen, daß ich mit Vergnügen das Comptoir von Ouwetyd und Kopperlith einen Augenblick verlasse. Aber ein Schriftsteller kann sich seine Arbeitsstätte nicht wählen, ebensowenig wie ein Lehrbursche. Meine nächstliegende Pflicht war nun einmal, eine gewisse Menschenrasse zu beschreiben, bei der Feuerländer, Huronen und Irokesen sich bedanken können, daß sie nicht das allerletzte Glied der Kette bilden, die den Menschen mit den Tieren verbindet.


 << zurück weiter >>