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Eine unbedeutende Geschichte. Der Leser wohnt einem Mittagsmahl im Freien bei und wird dann zu einer mühevollen Fahrt in das dritte Stockwerk eingeladen, wo Walther aber nicht ermordet wird. Über die Enttäuschung des romantisch angelegten Lesers wird sich der Autor zu trösten wissen.

Es wird Zeit, zurückzukehren zu der besonderen Klasse der Juden, denen man zu Amsterdam gestattet hat, eine Stadt innerhalb der Stadt zu errichten, und zwar, genauer, zu dem alten Weiblein mit den Feigen. Ich nehme es ihr gewiß nicht übel, daß sie sich polemischer Schriftstellerei gegen die Säulen anderer Konfession enthält.

Dafür liefert sie uns Anleitung zu Betrachtungen von ganz anderer Art, die für die Aufmerksamkeit mancher meiner Leser wohl zu niedrig sind, für meine aber nicht.

Wenn auch meine Einsicht nicht entwickelt genug ist, um die tiefsten Winkel mancher Geheimnisse zu ergründen – z. B. das Geheimnis des Stübers, von dem ich vor kurzem sprach – so darf ich doch auch manchmal auf meine Unwissenheit stolz sein, wenn ich an die vielen denke, die sich ihrer Unwissenheit nicht bewußt sind.

Jetzt suche ich z.B. nach der Seelengeschichte dieser alten Frau. Denn eine Seele hatte sie. Und eine Geschichte auch.

Sie ist Säugling gewesen. Sie ist Kind, Jungfrau, Braut, Gattin, Mutter geworden. Jetzt ist sie Großmutter. Vielleicht noch mehr. Eine so lange Laufbahn durchläuft keiner, ohne daß von den Eindrücken, die er erlebt, etwas sitzen bleibt. Sie hat viele gekannt, einige gehaßt, einige geliebt oder, was vielleicht noch mehr ist, einen! Es gab Leute, die sie liebten. Wer, wie, warum? Was fragen wir danach! Es muß so gewesen sein. Sie ist Mutter geworden und war also einmal die Auserkorene, vielleicht die Auserkorene eines einzigen Augenblicks. Viele ihrer Verwandten und Bekannten hat sie überlebt, sie hat am Totenbett gestanden von Bekannten, Freunden, Angehörigen, Lieblingen.

Auch mit der Politik ist sie in Berührung gekommen, insofern keiner sich ganz dem Einfluß entziehen kann, den diese auf jeden einzelnen ausübt. Damals, und da wieder, und dann nochmals hat sie ihr Geschäftchen schließen müssen, ihren Kram wegschleppen, weil da ein Prinz vorbeikommen sollte, oder ein Kaiser hatte Geburtstag, oder die Christen wollten einen Buß- und Bettag abhalten oder eine Dankstunde. Vielleicht auch bloß, weil der Bürgermeister schlechter Laune war, denn in freien Staaten ist nichts freier als die Laune der kleinen Machthaberchen. Vielleicht hing ihr Handel auch einmal ab vom Straßenrumor der Revolution? Wir wissen ja, wie die Steine, die von den Großmännchen des Tages geworfen werden in den Ocean der Weltgeschichte, Kreise ziehen, die sich ringsum ausbreiten bis zum äußersten Rand der Gesellschaft, und wie sie auch in die Tiefe sich ausdehnen bis zur untersten Schicht.

Viel ist ihr über den Kopf gegangen, vieles hat sie gestreift, berührt, geschrammt, gestoßen. Und diese Frau soll keine Geschichte haben? Wer das meint, der gebe lieber zu, daß er nicht gelernt hat, solche Geschichten zu lesen.

Sie hatte Triefaugen, das ist wahr, und sah gerade so unappetitlich aus wie ihre Feigen. Runzeln hatte ihr Gesicht nicht – war es überhaupt ein Gesicht? – es waren Furchen und Gruben. Wie feuchte lederne Lappen hingen die Falten übereinander, und der Beschauer hatte Mühe, sich vorzustellen, wie das alles seinen rechten Weg fand und wieder an Ort und Stelle kam, wenn es durch die mummelnde Bewegung ihres Mundes hin und her geworfen worden war.

Das Weibchen war mit ihrem Mittagsessen beschäftigt. Ein kleiner Junge von etwa vier Jahren hatte ihr in einem geflickten Feuertopf einen Imbiß von Kartoffeln und Zwiebeln gebracht, was sie nicht ohne Mühe und Verlust mit einer vom Nachbar ausgeborgten Gabel nach dem Munde führte. Beim Essen verlor sie keinen Augenblick ihr Geschäft aus dem Auge und musterte mit kinderkundigem Blick den unmündigen Teil der Menschheit, der sich ihrem Kram näherte oder ... vorbeiging. Denn viele Kinder geben ein Beispiel von der Philosophie, die uns lehrt, daß irdische Güter, auch Feigen, nicht absolut notwendig sind, um glücklich zu werden, manchmal sogar schädlich. Vielleicht war die Flauheit des Marktes die Folge einer finanziellen Krisis, wie es im Handel wohl einmal vorkommt. Um sich auf edle Weise zu rächen, vielleicht auch um die Naschhaftigkeit der anderen Kinder zu reizen – – nein: aus herzlicher Liebe zu dem kleinen Jungen, dessen Urgroßmutter sie war, gab sie ihm ein Stäbchen mit Feigen Allerdings verband sie mit ihrem Geschenk die Bedingung, daß er die Hälfte seinem Schwesterchen abgeben müsse.

Und das Stöckchen kann ich dann behalten?« fragte der Knabe. »Ganz und gar? Das ganze Stöckchen?«

»Gewiß, Liebling, 's Stöckchen kannst du behalten, ganz und gar!«

Die Augen des Kindes glänzten vor Glück. Da wanderte eine Feige nach innen. Die zweite folgte. Dann ... sauber die Hälfte der dritten abgebissen. Die andere Hälfte wurde wieder angesteckt. »'s Stöckchen kann ich behalten!« jauchzte der Kleine. Als die Alte den Topf ausgegessen hatte, gab sie ihn mit Liebkosungen und einem Kuß an das Kind zurück. Der Knabe eilte davon, jubelnd das Geschenk für die kleine Rachel in der Luft schwenkend. Die stand in einer kleinen Entfernung mit anderen Kindern und spielte; auf die frohe Kunde lief sie dem Brüderchen hastig entgegen. Sie strauchelte und fiel und that sich weh ... vielleicht auch nicht, aber sie heulte doch los, wie fallende Kinder zu thun pflegen.

Walther hatte das alles mit angesehen. Seit einigen Augenblicken war er in der Nähe der alten Frau stehen geblieben, mit der Absicht, sie nach der Wohnung des Mannes zu fragen, der das »schmierige Papier« acceptiert hatte. Sie sah einem Strauchdiebe wenig ähnlich, und die Mitteilung, daß er mit einer so gewichtigen finanziellen Operation beschäftigt war, konnte schon in ihren Schoß niedergelegt werden. Doch zauderte er noch. Auch im Glorioso kamen sehr alte Weibchen vor, die sich im entscheidenden Augenblick in wohlgewappnete Männer verwandelten! Anderseits konnte er Hilfe und Auskunft nicht entbehren. Er wußte mit Bestimmtheit, daß er sich in der Straße befand, wo er Geschäfte hatte, ... aber welches war das Haus? Von Nummern war wenig zu sehen, denn von oben bis unten hing alles voll Fetzen und Lumpen. Dort in der Ruine, die gerade hinter dem Platze der Feigen- und Sauregurkenfrau zu sehen war, mußte nach seiner Berechnung die gesuchte Person wohnen, aber er konnte sich darauf nicht verlassen. In dem baufälligen Hause konnte kein Sack voll Gulden sein, meinte er, selbst nicht so viel Deute.

Er begann jetzt besser zu verstehen, warum sein Briefchen »schmierig« war. In der ganzen Straße sah kein Haus so aus, als ob da jemals ein Wechsel bezahlt werden könnte.

Nachdenklich blieb er stehen und ließ sich einen Augenblick durch das Schauspiel mit dem Kinde von seinen Gedanken ableiten. Bibelfest, wie er war, brachte ihm das Jauchzen des Knaben die Stelle aus dem vierten Buch Mose vor die Erinnerung, wo die Kundschafter kommen mit Trauben, Granatäpfeln und ... Feigen. Auch da wird von einem Stock gesprochen, von einem Tragstock, dachte Walther, und wollte sich gerade in ... etwas ganz anderes vertiefen als seine nächstliegende Pflicht, als er das zweijährige Rachelchen straucheln und fallen sah. Schnell bei der Hand, richtete er das Kind auf, wischte ihm die Thränen ab und trug es zu der alten Frau, die sehr freundlich dankte.

»Gott soll's dir segnen hundertmal, junger Herr!« sagte sie.

Nun, es giebt wenig, was billiger wäre, als jemand Gottes Segen zu wünschen. Auch wäre ja wohl das Kind von selber wieder aufgestanden und zu seiner Urgroßmutter gelaufen. Aber doch that der Dank Walther wohl, und er schöpfte daraus den Mut, das alte Frauchen nach der Wohnung von Rubens, dem Manne, den er suchte, zu fragen.

»Mein eigener Enkelsohn, lieber Junge! Hast du Geschäfte mit ihm? Gottes Segen drauf! Hier wohnt er, gleich hinter mir ... sieh, da die Treppe hinauf. Geh ruhig hinauf und lauf bis zum dritten Stockwerk, wo du die Decken siehst hängen und all das Bettzeug und sein Schabbeshemd. Und du klopfst an die Thür neben 'm Gußstein, und du rufst: Ruben, Ruben! Denn Ruben Rubens heißt er. Und er ist Kommissionär in Lumpen, und mein eigener Enkelsohn, und Rachelchens Vater, wahrhaftigen Gott!«

Diese feierliche Versicherung, die sich auf Rubens gesellschaftliche Stellung und Familienverhältnisse bezog, war weniger überflüssig, als es scheint.

Walther fiel es schon nicht leicht, zu begreifen, daß ein Mensch, der dort wohnte, hundert Gulden bezahlen könnte. Aber das nun einmal zugegeben, kam es ihm doch merkwürdig vor, daß ein Mann, der über so viel Geld verfügte, der Enkel von solcher alten Sauregurkenfrau sein sollte, und Rachelchens Vater. Er kannte die Eigentümlichkeit noch nicht, die viele Juden – wie Asiaten überhaupt – noch immer von den westlichen Völkern unterscheidet, daß sie nämlich oftmals eine ganz tüchtige Vermögenslage hinter scheinbarer Armut verstecken. Eine Art von umgekehrter Reklame, ganz anders als bei den Kopperliths.

Daß der Kommissionär in Lumpen – ein Verbindungsglied zwischen dem Lumpensammler und dem Papierfabrikanten – seine Großmutter da auf der Straße sitzen ließ ... lieber Gott, sie wollte nichts anderes. Sie war in diesem Handel aufgewachsen und wollte darin sterben. »Saures« und verdorbene Leckereien waren ihre Spezialität. In einem anderen Fache hätte sie nichts geleistet, denn sie hatte die Nase für den richtigen Geruch. Sie hatte nun einen achtzigjährigen Krieg geführt gegen flaue Kauflust, schlecht Wetter, lästige Polizei ... denn einmal war es dem Magistrat sogar eingefallen, den Handel mit verdorbenen Eßwaren zu verbieten! Sie hat wohl auch ihre Jugend-Illusionen gehabt. Einmal ist ihr die Bemerkung entschlüpft: »Wenn ich noch einmal auf die Welt käme, ginge ich ins Knochenfach.« Aber das würde ja wohl auch sein Unangenehmes haben. Gewählt ist gewählt ... und Jehovah selbst konnte es nicht ändern, daß Frau Rubens ihre Seele mit sauren Gurken und schlechten Feigen genährt hatte. Was soll er im Himmel mit solchen Seelen anfangen, fragst du? Nun, und der junge Herr Pompilius mit seinem Weißgrund-Dreifarb, und der Herr Wilkens mit seinem Barchent? Und die landeten doch sicher einmal im Himmel. Pompilius war von der Walekerk und Wilkens holländisch-reformiert: zwei sehr gute Glauben, wie jeder weiß.

Walther bedankte sich sehr höflich für die Aufklärung und kletterte hinauf.

Schade, daß keine Räuber waren auf den ausgetretenen Treppen; es war da so dunkel, daß man Lust bekommen konnte, sich selbst zu bestehlen. Das Klettern unseres Lehrlings verlangte eine ganz besondere Gymnastik. Ganz unten hatte seine rechte Hand sich eines Stricks vergewissert, der nach oben führte. Nach einigen Schritten war er genötigt, seine Augen gänzlich ihres Dienstes zu entbinden, aber die Sache fiel um so mehr auf seine Hände, die höchstens von Zeit zu Zeit einen Augenblick Ruhe bekamen, wenn er glaubte, festen Grund unter den Füßen zu haben. Walther schwebte da – aber im Dunkeln – wie die Vogelnestsucher an der javanischen Südküste, oder wie die Eiderdaunensammler im hohen Norden, oder wie die Kriegsleute des Herodes, die in hängenden Kästen die Räuber in den Felshöhlen bekämpften, wie im Josephus zu lesen steht. Walther kannte diese Geschichte und hatte eine Abbildung dazu gesehen. Nicht ohne Angst berechnete er, was kommen sollte, wenn das Tau riß. Da er durchaus nichts sehen konnte, sah er ganz deutlich die Felskanten und Spitzen? auf die er stürzen müßte.

Gott sei Dank, der erste Stock war glücklich erreicht. Er konnte etwas ausruhen. Der Zugang zum zweiten Stock war enger und das Tau, an dem er sich emporziehen sollte? dünner und glätter. Mutvoll fing er auch diesen Zug an und würgte sich zum zweiten Stock durch. Hier hoffte er, daß er sich um ein Stockwerk verzählt haben könnte, aber nein – wer bloß zwei Stock gestiegen ist, steht auch nicht höher als zwei Stockwerke.

Walther tastete nach dem Gußstein, aber es war keiner da. Er sah ein, daß seine nächstliegende Pflicht noch immer im Steigen bestand. Auch kam durch irgend einen Riß oder Spalt etwas Licht, und er unterschied wohl irgendwo im Dunkeln Strümpfe und Mützen und dergleichen, aber kein Schabbeshemd. Also höher hinauf, höher!

Was so ein Lehrling auf einem Kaufmannscomptoir für sonderbare nächstliegende Pflichten zu erfüllen hat! Die Soldaten des Herodes ... doch das ist jetzt nicht die Frage ... die dritte Treppe hinauf!

Sicher war er auf dem rechten Wege, denn der Zwiebelgeruch wurde stärker und stärker. Noch ein bißchen Mut, und er mußte in die Gegend kommen, wo die Speise bereitet wurde, die er unten in dem Topfe gesehen hatte.

Wahrhaftig, das Tau war zu Ende. Vorsichtig fühlte er mit dem Fuße vorwärts und nach beiden Seiten. Er fühlte Grund. Und noch eine Probe, und noch eine ... er hatte etwas unter sich, was so etwa fester Grund hätte sein können. Er tastete um sich und fühlte den Gußstein, und wenn er auch von dem Schabbeshemd nichts sah, hier mußte es sein. Er klopfte also auf gut Glück gegen die Wand und rief: »M'neer Rubens! M'neer Rubens!«

»Nu, komm schon 'rein!« antwortete eine Frauenstimme. »Was 'n Skandal aufm Flur! Was willst du? Wechsel? Komm 'rein und mach nicht so'n Lawai! Mein Mann ist krank.«

Da eine Thür geöffnet wurde, konnte Walther nun endlich sehen. Die Frau, die sich zeigte, beantwortete seine Frage, ob da M'neer Rubens wohnte, bejahend. Er trat ein.

»Von den Herren Ouwetyd und Kopperlith,« stotterte Walther, mit dem vergeblichen Versuche, in Stimme und Haltung etwas Offizielles zu bringen.

Und er holte das schmierige Papierchen zum Vorschein.

»Vater,« sagte die junge Frau, »das sind sie schon mit einem von de Wechselche ... ach Gott, er hat die Nacht davon geträumt!«

Es fiel Walther auf, daß sie mit jemand zu sprechen schien, denn er sah außer der Frau selbst keinen Menschen im Zimmer. Dies klärte sich sofort auf. Es kam Antwort hinter den Vorhängen einer Bettstelle hervor.

»Du hast ihn wach gemacht!« sagte die Frau in vorwurfsvollem Tone.

»O, das thut mir leid,« antwortete Walther mit mehr freundlichem Interesse, als sein Auftrag gestattete oder mit sich brachte.

Ja, wenn es sein Wechselchen gewesen wäre, er hätte gewiß vorgeschlagen, daß er ein andermal wiederkommen werde.

»Was soll ich dir sagen?« rief der Kranke. »Ich hab's Fieber. Von wem kommt er denn?«

»Von den Herren Ouwetyd und Kopperlith ...«

»Kann mir nichts helfen. Wie ich dir sag', kann mir nichts helfen. Ich frag', wer ihn ausgestellt hat. Sieh mal nach, Rebeckche, ob's Briefche ist von Schomele, oder 's Briefche von Büssemakers, oder 's Briefche von Bebbel Ruls in Köln. Denn 's verfalle drei diesen Tag ... einer siebenunddreißig, sechzehn, acht, und einer dreihundertdrei, und einer siebenhundertdreizehn, sechs, zwölf. Und gieb mir noch was Essigwasser, Rebeckche, denn ich hab' so'n Durst vom Fieber. Siebenhundertdreizehn, sechs, zwölf ist von Schomele, und hier ist's Geld.« Rebekka gab ihrem Ehegemahl zu trinken. Als sie darauf Walther ersuchte, ihm den Wechsel zu zeigen, hielt dieser ihn ihr vor, ohne ihn loszulassen. Die Frau zeigte sich durch dies komische Mißtrauen durchaus nicht beleidigt. Es schien ihr nicht aufzufallen, oder sie achtete nicht darauf.

»Er ist von Schomele, Vater,«

»Siebenhundertdreizehn, sechs, zwölf, gut ... und hier ist Geld.«

Der Kranke schien unter seiner Matratze herumzukramen. Man hörte ihn wühlen und stöhnen und auch das Geklingel gefüllter Geldsäcke, die aneinander stießen. Rebekka zeigte auf einen Tisch, auf dem kaum noch ein Fleckchen leer war. Da würde wohl eine Feder liegen. Und nach einigem Suchen brachte sie auch eine Medizinflasche mit etwas Tinte.

»Ja ... aber ... Jüffrau ...«

»Rebekkchen, ich hab' wieder so 'n Durst,« klagte der Kranke.

Das freut mich um Walthers willen. Das bewahrte ihn davor, eine allzu beleidigende Äußerung seiner Vorsichtigkeit von sich zu geben.

Mit Rebekka, die ihrem Manne wieder zu trinken reichte, trat er an das Bett des Kranken. Sie schien Kälte und Zug zu fürchten, wenn sie die Vorhänge zu weit zurückschlug ...

»Ich will Ihnen helfen, Jüffrau,« rief Walther und hielt die Gardine, damit die Öffnung nicht größer wurde, als um das Gewünschte gerade hindurchzulassen.

Nachdem Rubens getrunken hatte, reichte er zwei Säcke mit Geld heraus.

»Aber,« sagte Walther zögernd, »sie haben mir gesagt, daß das Geld vorgezählt werden sollte ...«

»Wenn ich dir sag', daß ich 's Fieber hab' und krank bin wie 'n geschlagener Mann, was willst du? Wenn ich hab' gezeichnet meine Hand, daß ich will zahlen, na, was soll ich thun? Ich zahl'. Und wenn ich zeichne meine Hand fürs Zählen, will ich zählen. Hilf ihm, Rebekkche, und gieb mir was zu trinken, ich hab' so 'n Durst vom Fieber. Und zähl ihm 's Geld vor ... siebenhundertdreizehn, sechs, zwölf.«

Das junge Frauchen labte ihren Mann und hockte sich dann auf dem Fußboden nieder, Walther kniete daneben. Sie schüttete das Geld in ihren Schoß und wollte anfangen zu zählen. Aber es ging nicht. Sie konnte selbst nicht klug werden aus den zahllosen Geldsorten, die ihr Mann da zusammengebracht hatte. Man hätte ein Museum damit gründen können. Auch war kein Platz. Der Fußboden lag voller Lumpen ... Ach, der alte Gerrit wußte es wohl, und wie ein Donnerschlag klang Walther die gräßliche Prophezeiung in den Ohren: »Wenn du mit 'm Thaler davonkommst, kannst du von Glück sagen!« Er bekam große Angst.

Da raschelte etwas auf dem Flur, und die alte Feigenfrau zeigte sich in der geöffneten Thür. Sie sprach in einem jüdischen Jargon, den Walther nicht verstehen konnte. Aber es schien von dem Gelde zu sein, denn die junge Frau hörte auf mit Aussuchen und Zählen.

»Vater, 's ist die Großmutter, und sie sagt ...«

Es folgte wieder allerlei, was Walther nicht verstand, aber er hörte doch ein paarmal den Namen »Rachelche« heraus. Noch einmal begann die alte Frau ihre Rede und zeigte auf ihn und schien sich über all die zusammengescharrten, abgeknabberten Schillinge und Dreizehnthalben und sonstigen unkenntlichen Geldstücke zu ärgern.

»Na,« sagte der Kranke, »ich hab' wohl auch gut Geld, wenn's sein muß. Hier, Rebekkche, nimm ...«

Er reichte seiner Frau einen schweren Sack herüber, den er mit ersichtlicher Mühe unter seiner Lagerstatt hervorgegraben hatte.

»Nimm's, Rebekkche, und zähl's aus ... zweihundert Stück, und dann noch ... zwanzig Stück, und ... sechs. Und thu'n Achtundzwanziger bei, der gut ist, und ... sechs Deute ... und laß 'n gehn mit Gott. Und gieb mir zu trinken, ich. hab' so 'n Durst.«

Walther empfing sein Geld in schönen Dukaten und bedankte sich sehr freundlich. Das Wohlwollen der alten Frau hatte ihm wohlgethan. Wenn er in diesem Augenblick hätte wählen sollen, wer mehr Verehrung verdiente, sie oder die so viel höher geborene Mevrouw Kopperlith ...

Ohne die geringste Absicht, es dem alten Frauchen nachzusprechen, wünschte er ihr beim Abschied tausend göttliche Segen. Ihr, und dem M'neer Rubens, der so krank war. Und der jungen Frau, die ihn so liebreich pflegte. Und dem kleinen Rachelchen ... o allen!

Und als er die Straße erreichte, schoß es ihm durch den Kopf – sakkerlot, wie schade! – beim Unterschreiben – hatte er ja den schönen Schnörkel ganz vergessen!

Na, ein andermal! Er war glücklich, daß er Menschen getroffen hatte, die ihm liebenswürdig vorkamen, und das war mehr wert als der schönste Schnörkel.


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