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Der Autor hält eine schöne Vorlesung über den Ursprung einiger vornehmer Vornamen, und verfolgt schließlich die Erhabenheit des »Mannes wie Sie, Mynheer« bis in die feinsten Löcher.

Der alte Herr, der bis jetzt noch an Diepers Pult gelehnt hatte, begann sich zu langweilen. Oder er bekam Lust, die Langeweile, die ihn plagte, und die jeden ödete, der mit ihm in Berührung kam, ein bißchen zu verändern. Bei Dieper hatte er nun ein halb Stündchen auf der linken Seite gelehnt, – er wollte auch einmal rechts lehnen.

Auch mußte der kleine Comptoirlehrling noch erst von Respekt vor der Erhabenheit des Mynheer Kopperlith getränkt werden. Er näherte sich also latschig der Ecke, wo der hungrige Walther noch immer Leons Brief abschrieb, um sich im »Handel« zu üben.

»Na, Männchen, wie geht's denn eigentlich mit dir? Mit deiner Arbeit? Schreibst du auch hübsch? Nein, nein, bleib nur sitzen, bleib ruhig sitzen. Ich will nur eben mal sehen, ob du auch hübsch schreibst, verstehst du. Und ... klein, recht klein, wegen des Portos. Denn, Männchen, der Brief ... geht nach Rom.«

Es wurde für Walther wirklich Zeit, daß er einmal aufsah. Er wäre fast in Ohnmacht oder Schlaf gefallen. Das Wort Rom machte ihn etwas munter.

Er hatte etwas geschrieben, was nach Rom gehen sollte, er! Gott weiß welcher Papst seine Schrift zu sehen bekommen sollte! Und sogar ... welcher Räuber! Und die Stadt selbst! Die Stadt Cäsars, die Stadt von Romulus und Remus, von Numa Pompilius – – ja wahrhaftig, warum hieß denn eigentlich sein oberster Unterchef Pompilius?

Das hat Walther nie erfahren – aber ich.

Sechsunddreißig Jahre, bevor sich Walther diese historische Handelsfrage vorlegte, befand sich das Haus Kopperlith vor der Notwendigkeit, einen Namen für den Erstgeborenen ausfindig zu machen. Wie soll er heißen? Der gemeine Bürgersmann, der sich mit Hans und Peter genügen läßt, um später seinen Sprossen von nachgekommenen Mitsprossen unterscheiden zu können, hat keinen Begriff, welch Gewicht von Kopperlithschem Standpunkt dieser Frage beizulegen ist.

Erstens soll das Kind nicht so heißen wie ein gewöhnliches Kind. Zweitens, drittens ... bis hundertstens ... soll der Name andeuten, daß er Bürge ist für ... Zeugnis ablegt für ... abzielt auf ... sakkerlot, es ist schwer, ein Kind zu taufen, wenn man Kopperlith heißt! Wer da kein Mitleid hat mit der Not der angehenden Wöchnerin, der vergißt, daß sie etwas anderes zu thun hat als den Rang aufrechtzuerhalten. Das ist nicht so schlimm. Wer wirklich Rang hat, der reicht auch mit Jan, Willem und Hendrik. Wenn man aber Rang erobern muß! Denn die Kopperliths gehörten zu einer Unterklasse einer gewissen Hauptabteilung der Gesellschaft, die seit anderthalb Geschlechtern sich fruchtlos bestrebte, von einigen für Beinahe-Patrizier gehalten zu werden, und diese einige waren hauptsächlich die Lieferanten für den Küchenbedarf. Schlächter und Bäcker hätten die Nase gerümpft, wenn da ein junger Herr Jan in der Familie gewesen wäre.

Also etwas anderes! Moderne Namen aus französischen Romanen begannen bereits gewöhnlich zu werden. Mevrouw Kopperlith hatte einmal einen Regenschirm in einem Laden getauft und war durch einen Jungen bedient worden, der auf den Namen Alphons hörte. Und unlängst war ein italienischer Schornsteinfeger gehenkt worden, der seine Großmutter ermordet hatte, obwohl er den stolzen Namen Teofilo führte ... Seien wir billig. Die Geschichte ist lange her, die Großmutter wäre nun wohl auch so schon tot, und schließlich – es giebt mehr Missethaten als christlich-vornehme Taufnamen, woraus folgt, daß man schon einmal genötigt sein wird, seinen Namen mit wer weiß wem zu teilen. Aber daß der Kerl Schornsteinfeger sein mußte!

Gar kein Name? Würde die Welt wohl verstehen, daß das Kind eigentlich etwas anderes war als ein Mitbürger? Ach, sie sind so schwer von Begriffen.

Und – möglich ist ja alles – wenn das erwartete Knäblein nun gar ein Mägdlein ist? Das ist doch menschlich möglich, selbst bei einer so erhabenen Familie.

Ein Name aus einem Buch? aus welchem? Deutsch, Englisch und Italienisch las die wohledelgeborene Frau Kopperlith nicht, und Holländisch noch weniger. Vielleicht hätte sie die Bücher aus den fremden Sprachen gelesen, wenn sie sie nur verstanden hätte, aber Holländisch verstand sie gerade genug, um zu wissen, daß in dieser Sprache nie etwas geschrieben worden ist, was die Aufmerksamkeit eines anständigen Menschen verdient. Wer weiß, ob sie nicht bei Milton, Dante, Herder, Klopstock, Wieland, selbst bei Bilderdyk ein paar recht übermenschliche Namen gefunden hätte!

So aber blieb sie auf die speziell-französische Romantik angewiesen, ein Feld, das schon durch allerlei geringes Volk abgegrast wird, vergleiche den Schirmladen. Doch endlich strahlte ein Lichtschein. Man versicherte ihr von sehr befugter Seite – es war Kees Krül, Mitinhaber eines großen Versicherungsbureaus – daß ein gewisser Bernardin de St. Pierre ein Buch geschrieben hätte ... ein Büchelchen – schau! ... mit einem Worte: ein sehr nettes Büchelchen. Darin kommen ein paar Namen vor, allerpassendst, allerpassendst! Kees Krül mußte zugeben – ein Mann, der einen Anteil hatte an einer Versicherungsfirma! – wenn er einen Sohn oder eine Tochter zu taufen hätte, würde er sich nicht besinnen, die Paten aus diesem netten Büchelchen zu holen.

Gerrit wurde nach der Leihbibliothek geschickt, und – er war damals noch sechsunddreißig Jahre weniger steif von Rheumatismus, brauchte diese Krankheit auch noch nicht, weil sein Feind Wüllekes noch in weiter Ferne war – er kam bald mit dem Verlangten wieder.

Mevrouw Kopperlith las, und im Vertrauen auf ihren Gewährsmann bewunderte sie die Schönheit des französischen Buches. Die Wahl war getroffen. Paul oder Virginie – Paul und Virginie – gewiß, die Kopperliths waren ja fruchtbar, es konnten auch Zwillinge sein – aber feiner, moderner, vornehmer konnte es nicht mehr kommen!

Ach, wie eitel sind doch alle menschlichen Berechnungen! Kaum hatte die zukünftige Mutter ein paar Tage von dem schmerzlichen Suchen ausgeruht, da kam die Nachricht, daß ihr bereits zwei Wöchnerinnen zuvorgekommen waren, eine mit einem Paul, eine mit einer Virginia! Und das waren, mikroskopisch genau besehen, Damen von genau demselben Stande wie sie selber. Also keine Hoffnung auf Erhöhung, und das war doch der Zweck.

Neue Spannung, neue Unruhe, beinahe Verzweiflung! Aber wo die Not am höchsten, ist die Rettung ja immer am nächsten – woraus folgt, daß jeder Wohlmeinende die Not möglichst groß machen müßte.

Die Erlösung kam diesmal von einem Bücherverleiher, der Gerrit ein Bündel Romane von einem ganz neuen Brett mitgab. Es waren die Werke des süßen Florian, die, im Vaterlande längst vergessen, in Kopperlithschen Kreisen als die Blüte der Geschichtsschreibung angesehen wurden. Nun war ja Mevrouw Kopperlith für so etwas nie zu haben gewesen. Schon auf der Schule hatte sie ihre Vornehmheit dadurch bewiesen, daß sie nie ihre Lektion konnte. Aber jetzt merkte sie, daß die Geschichte gar nicht so trocken war, als sie gedacht hatte, und holte in wunderbar kurzer Zeit alles nach. Von Karl dem Großen oder Alexander oder Cäsar wollte sie ja freilich nichts wissen, auch war ihr ganz schnuppe, wo Griechenland lag oder Persien oder Neu-Caledonien. Nur nicht pedantisch! Aber in wenig Tagen lernte sie aus dem famosen Gonzalvo von Cordova die ganze Geschichte Spaniens. Und ... Rom? Wie konnte man sich so lange mit so viel Gelehrsamkeit um den Ursprung dieses Staates Sorgen machen? Der Herr Chevalier de Florian hat das doch in seinem Prachtwerk »Numa Pompilius« ganz klar auseinandergesetzt. Wer den kannte, der konnte Livius und Tacitus missen, und alle die anderen, die Mevrouw überhaupt nicht kannte. Außerdem: lieferte nicht der schlaue Franzose auch seine Taufnamen für vornehm zur Welt gekommene Kinder? Wer in ihrem Falle nicht mit Namen wie Hersilia und Pompilius zufrieden war, der war überhaupt kein Kind mit pompösem Namen wert. Und daß in der Zukunft noch ein sabinisch-romantischer Leon dazukam, versteht sich von selber.

Aber ... Rodomont! Dieser verdankte seinen Namen einem Irrtum. In einem Ritterroman – der Leser wird ihn vielleicht kennen – der Hauptheld trug einen Panzer von Walfischrippen, und er schlug nie das Visier auf, sodaß er lange vor seiner ersten Waffenthat Hungers gestorben ist – in diesem Roman kam ein Name vor, der gut klang, der würdevoll aussah, in nichts an Amsterdam oder die Wirklichkeit überhaupt erinnerte, kurz ein verwendbarer Name. Aber im kritischen Taufaugenblick in der Kirche war der Pastor gerade etwas zerstreut. Er hatte nämlich das schöne Ritterbuch auch gelesen. Einer der anderen Helden – es war einer, der sich für zu vornehm achtete, Feinde zu bekämpfen unter zwölf Fuß rheinisch, und deshalb wenig zu thun hatte, hieß Rodomont, Der spukte gerade dem Pastor durch den Kopf, als er den richtigen Namen sagen sollte. Er sagte also:

»Rodomont ...«

Der alte Herr Kopperlith, der damals noch nicht alt war, rief ihm schnell zu, daß er sich irrte, es handle sich um den Walfischmann ...

»Rodomont-Baleine,« sprach der Pastor, »ich taufe dich auf diesen Namen ...« u. s. w.

Es war geschehen. Die Taufe ist ein Sakrament. Wenn der Name einmal ausgesprochen ist, kann man nicht mehr kommen und sagen: »Entschuldigen Sie gütigst, ich wollte einen anderen.« Rodomont hieß Rodomont, und den »Walfisch« hatte er noch umsonst dazu. Nun, er wurde später Seeoffizier, da ging es.

Wie Eugen zu seinem Namen kam, weiß ich nicht. Etymologie lasse man beiseite. Die »Wohlgeborenheit,« die in diesem Namen liegt, hätte Mynheer und Mevrouw Kopperlith wohl gefallen, aber so lange sich kein Florian fand, diese Wissenschaft in ein romanhaftes Kleid zu stecken, oder in Verse, ließen sie so etwas lieber beiseite. Vielleicht war es ein Nachklang von dem Liede »Prinz Eugen der edle Ritter,« welches Lied in allen Ländern, die sich seiner Zeit gegen Ludwig XIV. verbündeten, sehr beliebt gewesen ist.

Was schließlich Flodoard angeht – Gerrit sagte zum großen Verdruß der ganzen Familie immer Floddewar – so hatte dieser seinen Namen aus dem Personenverzeichnis des Theaterstücks: »Abellino oder der große Bandit,« auch ein hübsches Buch. Er fühlte sich in Rom mit seinem Namen ganz am Platze. »Signor Flodoardo« klang wenigstens nicht amsterdamisch. Wer sollte raten, daß so viel Wohlklang aus einem Lappengeschäft herstamme.

Überhaupt, Lappen – na ja, aber die Herren Ouwetyd und Kopperlith »machten« nur im großen, d. h. sie verkauften niemals einen Fetzen, der kürzer war als achtundzwanzig Yards, welches Maß solch ein Ding zu der Würde eines »Stücks« erhebt. Der Leser muß darauf wohl acht geben, denn wer an seinem Ladentisch bloß siebenundzwanzig Yards abmißt, ist ein Krämer. Dieser kleine Unterschied ist also ... ein großer Unterschied.

Daß auch Walthers Phantasie sich vor all dieser Namens-Vornehmheit verbeugte, versteht sich. Es wäre ihm aber jetzt weniger darauf angekommen, wenn man ihm etwas zu essen gegeben hätte.

Statt dessen bekam er noch mehr Hoheit zu schlucken. Der alte Herr achtete es nicht unter seiner Würde, sich gegenüber diesem kleinen Jungen groß zu thun. Walther wäre beinahe selbst stolz geworden auf die Ehre dieser Vertraulichkeit, aber er merkte wohl, daß er diese Ehre mit jedem teilte, der sich nicht herausnehmen durfte, dem alten Faulpelz den Mund zu verbieten, wenn er ihnen die Knöpfe von der Jacke reißen wollte ...

»Ja, ja, Männchen, nach Rom! Das dachtest du nicht, he!«

»N..ei..ei..n, M'neer!«

»Hi hi hi hi, nach Rom! Hörst du wohl, Pompilius, er dachte nicht, daß der Brief nach Rom ging! Ja, Männchen, so ist's aber doch! Dieser Brief geht – darum mußt du recht hübsch schreiben – an meinen Sohn, den jungen Herrn Flodoard, der in ... Rom ist. Was sagst du dazu?«

Was sollte Walther dazu sagen? Ich weiß es wirklich nicht. Walther wußte es auch nicht. Das war ihm unangenehm. Sollte er vielleicht auf diese Weise seine nächstliegende Pflicht versäumen?

Der alte Herr weidete sich an seiner Verlegenheit. Er hatte seinen Zweck erreicht: der junge Mensch war vernichtet. Und da giebt es noch Leute, die behaupten, Holländer von Vermögen wüßten sich nicht zu amüsieren!

»Mein Sohn ... der junge Herr Flodoard ... ist da ...«

Hier stockte der kindische Schwätzer. Ihm kam der Gedanke, daß vielleicht der dumme Junge aus dem Bürgerstande nicht hoch genug stand, um vernünftig zu begreifen, was »ein Maler« ist. Er hatte nicht ganz unrecht. Selbst Jüffrau Pieterse, Walthers Mutter, hätte diese Titulatur nicht sehr hoch geschätzt.

»Er ist Feinmaler, verstehst du? Pompilius, du mußt ihm Moses beim Dornbusch mal zeigen ...«

»In dem Überzug, Papa!«

»Ach ja, im Überzug. Sonst nämlich kannst du ihn in dem Saal, hier gleich oben, sehen ... wenn er nicht in dem Überzug ist. Das hat mein Sohn, der junge Herr Flodoard, selbst gemalt, ganz allein. Was sagst du dazu? Und nun ist er in ... Rom, und will sich noch üben in der Kunst, im Feinen, weißt du, ganz im Feinen von der Kunst. Denn ... das wirst du wohl verstehen, wie? es giebt Maler und Maler. Du mußt nicht denken, daß der junge Herr Flodoard Bilder ums Brot malt. Durchaus nicht, ganz und gar nicht. Du verstehst doch wohl den Unterschied, wie?«

Der arme Knopf! Walther steckte ein Gesicht auf, als ob er vollkommen bereit wäre, alles zu verstehen, was man ihm erzählen könnte.

»Ums Brot ... hi hi hi, kein Gedanke! Pompilius, stell' dir vor, 's könnten Menschen sich einbilden, daß Flodoard um sein Brot malte ... hi hi hi ... ums Brot!«

»Ja, Papa!«

»Nein, Männchen, ich will dir ganz was anderes sagen ... ganz was anderes! Der junge Herr Flodoard malt ... zu seinem Vergnügen und ... für die Kunst! Was sagst du dazu?«

Walther blieb stumm vor Erstaunen. Sehr gut!

»Für die Kunst, Männchen! Denkst du, er kriegt was für seine Bilder? Pompilius, du mußt ihm doch mal Moses vor dem Dornbusch zeigen ...«

»Ja, Papa!«

»Siehst du, Männchen, das hat er selbst gemalt, und er kriegt nichts dafür. Und 's hängt auf'm Saal, hier oben, verstehst du? ... und du kannst's sehen ... wenn der Überzug ab ist ... denn jetzt ist 'n Überzug drüber ... weil Mevrouw nach draußen geht, nach meiner Villa ... Grünenhaus heißt sie. Und da kannst du auch mal raus kommen, denn ... da hängen auch Bilder von dem jungen Herrn Flodoard ... das wirst du selber sehen. Dachtest du, er kriegt was dafür?«

»N..ei..ei..n, M'neer, o nein!«

»So? Ich dachte, du dachtest. Aber siehst du, 's ist verkehrt. Der junge Herr Flodoard verzehrt viel Geld in Rom, sehr viel Geld! Sag' mal, wie viel Geld meinst du, verzehrt der junge Herr Flodoard in Rom? Rate mal!«

Ach, davon stand wieder nichts im Strabbe! Unser Walther fühlte sich in peinlicher Verlegenheit. Der alte Narr schien auf Antwort zu warten.

»Ja, ja, rate nur. Kannst ruhig raten!«

»Hun... dert ... Gulden. M'neer!«

»Hi hi hi, hörst du, Pompilius! Hörst du, Eugen! Haben Sie gehört, Dieper? Hundert Gulden. Hilf mir dran denken, Eugen, das muß ich Mama erzählen! Hundert Gulden! Hundert Gulden! Soll ich dir nun mal was sagen, Männchen? Hundert Gulden, ... ja! monatlich, weißt du? Hundert Gulden monatlich! ... was sagst du nun?«

»He, M'neer!«

»Mo...nat...lich!«

»He!«

»Mo...nat...lich! Hun...dert ... Gulden ... monatlich!«

Walther schwitzte.

»Ja, das ganze Geld verzehrt er in Rom. Und das hat er ... sag' mal, was meinst du, bei wem er das Geld hat? wo er sich's holt?«

»Bei ... dem ...«

»Na, sag's mal. Sag's mal ruhig. Wo denkst, daß er sich das Geld holt?«

»Beim Papst, M'neer?«

War es nicht schade, daß auf dem Comptoir von Mynheer Kopperlith nicht gelacht werden durfte? Walther war allerdings diesmal weniger naiv, als es schien. Daß er sich in Rom bloß immer den Papst und seine lieben Räuber vorstellte, war ja richtig. Aber das war's nicht. Sein unerbittliches Gegenüber heischte Antwort. Diese mußte den Eindruck verwischen, den seine unanständige Schätzung von Flodoards Geldverhältnissen gemacht hatte. Er griff also so hoch er konnte, und that seine nächstliegende Pflicht. Mochte nun auch der alte Herr Kopperlith zugeben müssen, daß er vorläufig noch keine gekrönten Häupter zu seinen Banquiers zählte, so war doch ...

»Der Papst? Nein, Männchen, der Papst nicht. Der junge Herr Flodoard empfängt alle Monate hundert Gulden auf dem Comptoir von einem ... na, was meinst du? Ich will dir's nur sagen ... von einem Fürsten! Nicht wahr, Dieper? Ja, ja, Männchen, M'neer Dieper kann dir die Wechsel zeigen – denn die werden auf meinem Comptoir durch M'neer Dieper bezahlt, verstehst du? – Die Wechsel des Fürsten Torlonia! Was sagst du nun? Du siehst wohl, daß der junge Herr Flodoard nicht ums Brot zu malen braucht. Er muß durchaus Moses am Dornbusch mal sehen, Pompilius, aber ... jetzt ist alles im Überzug, weißt du. Sonst verdirbt die Seide auf den Stühlen – es sind nämlich Stühle mit seidenen Sitzen im Saal ... und die Vergoldung an den Spiegeln ... weil Mevrouw hinausgeht, nach Grünenhaus, ... so heißt nämlich meine Villa – und ich auch – ich meine, daß ich selber auch hinausgehe. Bist du wohl schon mal draußen gewesen, Männchen?«

»Ja...awohl, M'neer!«

Diese Antwort gefiel dem Alten nicht. Es war auch ein bißchen unvorsichtig von Walther, so plump die Eitelkeit jemandes zu treffen, der das »Draußensein« für sein Privileg hielt.

»Du ... schon mal ... draußen gewesen? Wo denn, Männchen?«

»Auf dem Singel, M'neer, vor dem Aschenthor.«

Hier wäre wieder ein schmetterndes Gelächter entstanden, wenn auf dem Comptoir von jemand anderem hätte gelacht werden dürfen als durch den alten Herrn selber.

Dieser übte die Funktion des Chors für sich selbst so gut es ging aus. Dieper legte die Feder hin. Wilkens zog die Stirn in Falten. Pompilius grinste, und selbst über das ernste Gesicht Eugens glitt ein Lächeln.

»Hi hi hi, vor dem Aschenthor! Aber Junge, aber ... Kerlchen ... aber Bursche ... das ist nicht draußen, Männchen! Himmel, Pompilius, was doch solche Menschen für komische Ideen haben!«

»O ja, Papa!«

Wieder krümmte sich der alte Narr vor Vergnügen über Walthers Thorheit, und wieder mußte es der Knopf seiner Jacke entgelten.

»Draußen ist ... was man nennt: draußen, ganz und gar draußen, verstehst du?«

Ob Walther es nun wußte, lassen wir dahingestellt. Er kroch vor Verlegenheit in sich selbst hinein.

»O ja, M´neer! Gewiß, M´neer! Ich wußte nicht, was M'neer meinte ...«

»Richtig! Hi hi hi ... er wußte nicht, was draußen ist! Na, na, ich nehm´ dir´s nicht übel, sei nur getrost! Draußen sein ist ... den Sommer über draußen sein, verstehst du! Das ist ... 'ne Villa haben, verstehst du? Na ... ich hab´ ´ne Villa ... bei Haarlem, im Wäldchen ... ach, Eugen, er weiß gewiß nicht, was das Wäldchen ist. Sag', weißt du's wohl?«

»N..ei..ei..n, M'neer!«

Walther triumphierte. Er wußte sehr wohl, was das »Wäldchen« ist. Das stand ja in seinem Geographiebuch. Und ... Laurens Coster mit seiner scheußlichen Erfindung? Welcher Holländer wird das Wäldchen nicht kennen? Vielleicht sagte er aber auch »nein« aus Verlegenheit, denn das Vergnügen, mit dem man seinen Irrtum aufgenommen hatte, war ihm nahe gegangen. Er war ja beschämt, als hätte man ihn auf einem Diebstahl ertappt ... nein, noch schlimmer!

»Ja, ja, ich hab' 'ne Villa im Wäldchen, gleich bei den Logementen ... sag', Pompilius ... er kann wohl den Sommer mal nach Grünenhaus kommen, nicht?«

»O ja, Papa!«

»Siehst du, dann kann er Sonntag früh mit dem ersten Schiff ...«

»Vier Stüber, Papa!«

»Ja, vier Stüber. Und 's Abends zurück, macht achte. Und 'n Dübbeltje für den Mann, der ihm den Weg zeigt. Sonst ... du brauchst bloß zu fragen nach der Villa von M'neer Kopperlith, im Wäldchen, gleich bei den Logementen. 's ist ganz leicht zu finden. Und du brauchst bloß zu sagen: die Villa von M'neer Kopperlith ... denn, siehst du, du kannst diesen Sommer ganz gut mal raus kommen ... weil ich meine eigene Villa hab', weißt du, wirklich draußen, ganz draußen! Du wirst sehen. 's ist gleich bei den Logementen, im Wäldchen, weißt du? Im Haarlemer Wäldchen! Hi hi hi, bei dem Aschenthor! Eugen, denk' dran, daß ich das auch ja Mama erzähle, heute mittag bei Tische, weißt du!«

Nach noch ein paar Schwätzereien von derselben Sorte erlöste endlich der alte Herr das Comptoir von seiner Gegenwart. Walther litt mehr, als man sich vorstellen kann. Hätte man ihm in dem Augenblick die Wahl gelassen, eine türkische Schanze zu erstürmen oder aufzublicken – er hätte das erstere gewählt. Scham ist immer peinlich, aber gar die falsche! Und dann auf so unbekanntem Gebiete! Nie, nie, nie hatte er geahnt, daß der »Handel« eine so schwere Sache war.


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