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Wie ich die letzte Hälfte des vorigen Kapitels noch einmal durchlese, merke ich, daß ich einen großen Teil des Weges, der von der Vellestraat nach dem »Comptoir« führt, ausgelassen habe. Nach dem Vorbeidrücken an den leckenden Ölfässern mußte man durch einen Gang, an einem Hinterhause von ein paar Stockwerken vorbei, und endlich über einen Hof, auf den das Comptoir »heraussah.« Der Leser, der auf Genauigkeit Wert legt – und um andere kümmere ich mich nicht – wird gewarnt, diesen Hof nicht mit dem Plätzchen zu verwechseln, das dem »Magazin« so edelmütig ein wenig Licht abgab. Zwischen diesen beiden Luft- und Lichtlöchern lag noch ein großes Stück von einem Hause, lang, schmal und hoch.
Nach dieser Entdeckungsreise führte Gerrit unseren Walther nach dem Comptoir, wies ihm dort ein Schemelchen an und gab ihm den Rat, zu warten, bis die »Herren« kommen würden.
»Es wird wohl noch so 'n Stündchen dauern,« sagte er, »denn wir sind in der Saurengurkenzeit. Und ich will mal eben in der Küche ein Schälchen Kaffee trinken. Laß dir's gut gehen so lange!«
Walther trieb in der That die Unbescheidenheit so weit, daß er auf das Stühlchen hinaufkletterte, das ihm angewiesen war, und begann seinen Gedanken nachzuhängen.
Die Gegenstände, die seine Aufmerksamkeit auf sich zogen, waren nicht derart, daß seine Stimmung sehr fröhlich werden konnte. Die Aussicht durch zwei vergitterte Fenster auf den Hof und das Hinterhaus erinnerte ihn – bis auf den Unterschied im Wärmegrad – an das Gedicht des wackeren Tollens über Nowaja-Semlja:
Ein' ewig graue Luft hängt schwer wie Blei hernieder.
Kein Sterblicher hält's aus – wer weg ist, kommt nicht wieder.
Kein andrer Erdenfleck, und sei er noch so triste,
Ist so elendig nackt, so arm an Grün, so wüste!
Meint ihr, daß Tollens solche schöne Verse hätte schreiben können, wenn ihn sein Vater nicht auf das Comptoir eines Farbwaarenhändlers gesteckt hätte? Wo anders hätte sein Auge solch traurige Tinten in sich aufsaugen können, solche Eindrücke des Engen, Bedrückten, Kahlen, Frostigen? Der alte Herr Tollens wußte wohl, was er that. Sein Sohn ist gewiß nur durch ein Blumentöpfchen auf dem Hofe verführt worden.
So verräterisch handelte nun Walthers Schicksal nicht. Kein einziger Gegenstand fiel ihm ins Auge, der ihm einen Vorwand geboten hätte, an etwas zu denken, als: »im Handel, im Handel, ich bin hier im Handel!«
Von Zeit zu Zeit gestattete sich einer der Dienstboten, in der Küche, neben dem unterirdischen Gange, der nach dem Magazin führte, einiges Geräusch zu machen. Dann ließ sich Walther jedesmal von seinem Sitz herabgleiten, um alles, was etwa hereinkommen könnte, mit Höflichkeit zu grüßen. Es kam aber nichts, und Walther bestieg sein Thrönchen wieder.
Aber den Hut behielt er in der Hand, um augenblicks eine grüßende Haltung annehmen zu können, wenn wirklich jemand zum Vorschein kommen sollte.
Auf dem tannenen Fußboden bemerkte er Eindrücke von Fußtapfen. Da glänzte die Narbe, die ein rechtsumkehrtmachender Hacken hinterlassen hatte ... wie hieß doch der Mann, der Einsiedler, den er bei den Holsmas hatte nennen hören? Der Mann auf der Insel, der so erschrak, als er menschliche Fußtapfen erblickte?
An der Wand hingen hie und da Bündel von Papieren, unter dem Schutz von Kartonblättern, mit allerlei Aufschriften, die Walther in Verlegenheit brachten. Da las man: Connossementen, Fakturen, Frachtbriefe, ja sogar: Diverse Notas. Und diese Aufschriften waren von einem vorgedruckten Rand umgeben: Blumen, Blattwerk, Füllhörner und allerlei Ranken, über denen ein splitternackter Merkur thronte, der saß auf Wolken und sah sehr ernsthaft auf die Aufschriften und die üppigen Arabesken herab. In den Wolken stand: »O & K, Nr...« bei späterem Gebrauch auszufüllen.
Das ist der Gott des Handels, dachte Walther. Ob der wohl auch damit angefangen hat, daß er Lehrling auf dem Comptoir wurde? Wie machte man es in dem alten Griechenland, wenn man in der Welt etwas werden wollte? O, ich weiß wohl, die Fabellehre ist Unsinn, aber die Leute, die solche Geschichten ausdachten, mußten sich doch eine Vorstellung vom Anfang gemacht haben. Von wem hatte der Merkur Rechnen gelernt? Damit muß man doch anfangen. Ich will schon aufpassen ... Kapital verhält sich zu Kapital, wie Zinsen zu Zinsen .., dies giebt das, was giebt denn das? Und das Multiplizieren. Und dann Dividieren. Und wenn es Brüche giebt ... unangenehm ist es ja, aber ich suche den allgemeinen Nenner. Ja, ich will schon mein Bestes thun, wie der Doktor gesagt hat ...
Da rasselte wieder etwas auf dem Flur. Vielleicht warf eines der Mädchen den Schrubber hinaus, oder den Wischlappen.
Walther setzte sich vor dem Schrubber und dem Wischlappen in Positur, und vor dem Mädchen, das darüber herrschte. Ach, es kam noch immer kein Mensch. Er hatte noch nichts im »Handel« verrichtet, noch keine einzige Gleichung aufgelöst, keine Zahl für eine ganze Reihe von Brüchen brauchbar gemacht, und doch ... war er müde! Die Uhr schlug schon, oder erst neun. »Schon« für einen, der seit fünf Stunden mit seinen Gedanken beschäftigt war. »Erst« neun Uhr, für einen Arbeiter, der sich so gern auszeichnen wollte und sich nun,. schon vor Beginn des Werkes, erschöpft fühlte.
Walther wurde sehr verdrossen. Von der Vorstellung beherrscht, daß seine hauptsächlichste Arbeit im Rechnen bestehen sollte, besorgt, daß er nicht den Ansprüchen genügen könnte – denn solche ansehnliche Menschen werden sich wohl nicht mit leichten Summen abgeben – legte er sich selbst ein Examen auf, und er war so verwirrt, daß er sich wiederholt ertappte auf: »sechs mal acht ist ... drei und ein Viertel,« oder ... gar nichts. O Gott, o Gott, wie soll das werden, seufzte er, mit dem Handel!
Jedesmal, wenn eins der Bilder aus den letztvergangenen Tagen vor ihm auftauchte, jagte er es weg. Nicht die Jüffrau Laps, nicht die Goremest, nicht die gute Frau Claus – er sah den Merkur an, der keine Kleider hatte. Kleider oder nicht – er wollte nichts davon wissen. Er saß da nicht auf dem hohen Stühlchen, um an Mythologie zu denken, oder ans Schämen oder an das Bad an der Pumpe. Weg mit allem: er mußte in den Handel!
Und wohl betrachtet, war er ja schon drin. War er nicht auf dem Comptoir der Herren Ouwetyd und Kopperlith? Mußte er nicht nachher, heute noch, binnen einer Viertelstunde vielleicht, bereit sein, auf die schwierigsten Fragen zu antworten? Auf Fragen, die selbst den großen Strabbe in Verlegenheit bringen müßten? Ach, warum hatte Femke ihm nicht angeraten, der Klügste in der ganzen Welt zu werden, statt bloß in der Schule? Es wäre eine Anstrengung gewesen. Dann hätte er nicht Angst zu haben brauchen, gegenüber diesem Merkur, nicht einmal vor dem schrecklichen Herrn Kopperlith.
Ja, Femke hatte mehr von ihm fordern müssen, als er sich damals bereit erklärte, ihr zu Gefallen alles zu thun! Ihr Wunsch war kindlich. Was hatte er nun davon, daß er der Erste bei Meister Pennewip geworden war? Er war ein bißchen schlauer als Schlachterskeesje, aber das weiß ja jeder, das genügt nicht für die Welt, wenn man Gott des Handels werden will, oder gar um es zum Inhaber eines Amsterdamer »Hauses« zu bringen. Femke hatte es ja gut gemeint, gewiß. Böse war er ihr nicht. Im Gegenteil. Für sie und mit ihr wollte er gern...
Weg, weg mit Femke! Dreimal neun ist siebenunddreißig. Himmel! schon wieder. Es ist um toll zu werden...
So beginnt Wahnsinn. Das Heilmittel für jemand, der das Leiden kennt, ist Ordnung und Arbeit. Man muß die Phantasien, die im Gemüt liegen, auf ihren Platz setzen und dann ans Werk gehen. Wer zu ermüdet ist zum Denken, kann auch Holz hacken. Das hilft, glaubt mir!
Ja, es war für einen undisziplinierten Verstand, um wahnsinnig zu werden. Zum Glück hörte Walther eine Thür schlagen und dann ein Geräusch von Fußtritten. Aber es war nicht im Hause. Ein alter Herr zeigte sich in dem Gange neben dem Hinterhause und betrat den Hof. Der Mann näherte sich den hinteren Fenstern, sah schnell einmal hinein, als wollte er sehen, wer da schon so früh des Morgens auf dem Comptoir wäre, verschwand durch eine gläserne Seitenthür im Korridor und kam dann bald darauf im Zimmer selbst zum Vorschein.
Selbstverständlich hatte Walther eine Haltung angenommen, die für seine Existenz um Entschuldigung zu bitten schien. Es war nicht nötig. Der alte magere Herr nahm es ihm durchaus nicht übel, daß er existierte, und nicht einmal, daß er dort war.
»Bleiben Sie sitzen, junger Herr. Sie sind gewiß der junge Herr Pieterse. Ja, ja, ich weiß wohl. Ganz gut. Gut, junger Herr, Sie sollen hier aufs Comptoir kommen? Nun, 's ist gut. Bleiben Sie sitzen, bleiben Sie sitzen, und kümmern Sie sich nicht um mich. Ich bin der Buchhalter...«
Walther hatte sich verbeugt und wieder verbeugt und genickt, und wenn er wieder einmal in den Handel trat, wollte er seinen Hut auf dem Kopfe behalten, damit er ihn abnehmen könnte, wenn jemand hereinkäme; so hatte seine Mutter ihn belehrt. Er fühlte, daß das bei der Begrüßung des Herrn Dieper fehlte. Der freundliche alte Herr mußte ihn für unhöflich ansehen.
Und das war er nicht, wirklich nicht. Er hatte sogar ein Gefühl von Dankbarkeit gegen den Herrn Dieper, der so liebenswürdig war, ihn aus seiner gräßlichen Einsamkeit zu erlösen.
Um das zu bezeugen, blieb er stehen, selbst als der gute Buchhalter noch einmal hinzugefügt hatte:
»Setzen Sie sich nur, junger Herr ... ich bin der Buchhalter.«
Walther fragte nicht, ob dieses »ich bin der Buchhalter« vielleicht andeuten sollte: »setz dich jetzt nur wieder hin: nachher, wenn die Herren kommen, ist es etwas anderes.«
Auf diesen Gedanken konnte er um so weniger kommen, als in seinen Augen ein Buchhalter kaum ein weniger erhabenes Wesen war als ein Chef selber. Der Unterschied entging seinem Beobachtungsvermögen gänzlich, und er hätte – wenn er zur Schätzung beider aufgefordert wäre – am Ende denselben Fehler gemacht, wie das Kind, das fragt, warum denn die Wolken niemals hinter dem Monde vorbeischieben.
Der Ausdruck von Diepers Gesicht war eine fortgesetzte Freundlichkeit. Er verschwand einen Augenblick in dem Alkoven, den da hinten ein Wandvorsprung bildete, und kam dann in Buchhalteruniform, d.h. mit einer langen grauen Jacke, zurück, die schon manchen Sturm erlebt hatte, und mit einem schwarzen Käppchen auf seinen weißen Haaren.
Es war nämlich »manchmal ein wenig Zug auf dem Comptoir«. So versicherte er Walther, der eine Gebärde machte, daß er diese Mitteilung mit inniger Dankbarkeit aufnähme und bei der ersten Gelegenheit vergelten werde...
Ach, er hätte so gern diesem guten alten Dieper einen Dienst erwiesen. Er stellte ihn noch über Merkur, und fand, daß er einem Engel glich.
»Ja, 's zieht hier manchmal. Und 's ist nichts in der Welt, wovor der Mensch sich so in acht nehmen muß wie vor Zug.«
Daß Walther nicht widersprach, wird der Leser wohl glauben. Aber er meinte, das wäre nicht genug. Wie ein Blitz flog ihm der Gedanke durch die Seele, alle Ritzen des Fensters, der Thür, des Fußbodens dicht zu verkleben, um dem freundlichen Greise in seinem furchtbaren Kampfe gegen den mächtigen Feind beizustehen. Wie war es bloß möglich, daß er noch Mittel gefunden hatte, in solch zugiger Welt überhaupt noch greises Haar zu bekommen? Mußte er nicht schon lange – bereits als Säugling – eingegangen sein? Es giebt zähe Naturen, ich weiß wohl, aber wer sollte dem alten Dieper das angesehen haben, daß er dazu gehörte? Der Mann sah gar nicht aus wie ein Held, viel eher wie ein Schwächling, der sich durch die kleinste Luftbewegung konnte umwehen lassen ... und seit beinahe siebzig Jahren hatte er all den Zimmer-Orkanen standgehalten, wovon er als Trophäe den »Fluß«, das »Reißen« im Kopfe hatte. Denn, Leser, so belohnt der Abgott »Zug« jeden, der ihm demütig dient und ihn fürchtet in Unkunde und Unschuld. Nach der kurzen Abwechslung, die der Eintritt des Buchhalters unserem Walther verschafft hatte, begann wieder eine neue Zeit der Langenweile.
Dieper hatte einen eisernen Schrank geöffnet und ein halb Dutzend Comptoirbücher herausgenommen, die er auf dem flachen Mittelstück des doppelten Comptoirpults »für zwei«, auch »Vis-à-vis« genannt, ordnete.
Gegenüber der Seite, an der jetzt der Buchhalter Platz nahm, stand eine Reihe von Pulten »für einzelne«. Und dagegen erlaubte Walther sich eben anzulehnen – es ist geschehen! – als er einen Augenblick vergaß, daß der Buchhalter wohl einmal aufblicken konnte. Aber das that Dieper nicht. Er debitierte und kreditierte gewissenhaft und achtete nicht auf die Dinge dieser Welt, die etwa gegen ein anderes Pult als gerade seines lehnten oder es auch ließen.
Zwischen dem Alkoven und dem eigentlichen Kern des Handelshauptquartiers stand eine Schranke, etwa in Tischhöhe, die die Grenze bestimmte zwischen den fremden Besuchern des Comptoirs und den Glücklichen, die da zu Hause waren. Eine mit Scharnieren daran befestigte Klappe konnte aufgeschlagen werden und dann als Operationsbasis des Geldzählens dienen. Jetzt, in herabhängender Haltung, erfüllte sie die nicht überflüssige Aufgabe, Walthers Langeweile abzuleiten. Hierin wurde das Ding unterstützt durch eine runde Öffnung in einer der Ecken, in die ein eiserner Ring paßte, bestimmt, um den Rand der Geldsäcke festzuklemmen.
Ein Glück für Walther, daß er das nicht wußte. So konnte er sich doch mit der Frage befassen, welches denn eigentlich die Handelsbestimmung dieses Ringes wäre, und auch die des Loches?
Jetzt endlich – Gott sei Dank – passierte etwas. Dieper nahm eine Prise, und Walther stand wie ein Pfahl.
»Die Herren kommen ´n bißchen spät, junger Herr.«
Bevor Walther noch Zeit hatte zu versichern, daß er den Herren darum nicht böse wäre und ihnen deshalb ihre Würde als Chefs nicht zu entziehen gedächte, lag der Buchhalter schon wieder über seinem Memorial gebückt.
Richtig besehen, war der Zustand noch unangenehmer als früher. Vorhin langweilte er sich auch. Aber jetzt hatte er noch die Angst dabei, daß Dieper merken könnte, wie sehr er sich langweilte, denn – niemand langweilt sich ohne Schamgefühl. Man läßt sich nicht gern dabei erwischen, woraus man vielleicht schließen kann, daß es nicht erlaubt ist, sich zu langweilen.
Walther hätte sich z. B. in dieser Zeit etwas in der Sicherheit auf der Multiplikationstabelle bis 20×20 oder noch weiter einüben können. Warum nicht? Aber an so etwas dachte er nicht. Seine einzige Sorge war, vor allem Herrn Dieper nicht zu stören. Das war jetzt seine nächstliegende Pflicht!
Um das recht zu schaffen, hielt er sogar den Atem an, mit der natürlichen Folge, daß er in Husten ausbrach.
Es giebt kein so unehrerbietig Ding als die Natur.
»´n bißchen erkältet, junger Herr?« fragte Dieper. »Ja, ja, das kommt von der Wärme. Der Mensch muß sich in acht nehmen, bei so'm Wetter. Mit einmal hat man's weg, mit einmal!«
Das war nun entschieden Pech, daß der Reiz in Walthers Kehle fortdauerte bis zum Eintreten eines der »Herrn« und noch länger. Der arme Junge fühlte sich genötigt, einem seiner Chefs den Rücken zuzukehren, um ihm nicht ins Gesicht zu husten.
Das verdarb die Vorstellung und schleuderte Walther in eins der Abgründchen augenblicklicher Verzweiflung, an denen das Leben so reich ist, die aber später, wenn es vorbei ist, nichts weiter gewesen sind als eine kleine Unebenheit auf dem Wege.
»Morgen, Dieper!« hatte der Eintretende gerufen. »Ist Wilkens noch nicht da?«
»Diener, junger Herr Eugen,« antwortete der Buchhalter. »Nein, junger Herr Eugen, Wilkens ist noch nicht hier. Vielleicht mit Mustern aus? Da ist der junge Herr Pieterse.«
»So?«
Walther hustete.
»Er muß eben warten, bis Pompilius kommt ... oder Wilkens.«
Walther nickte, noch immer hustend, daß er mit der größten Geduld auf Herrn Pompilius oder Herrn Wilkens warten wolle.
»Nehmen Sie ´n Glas Wasser, junger Herr,« mahnte Dieper.
»Ja gewiß, lassen Sie ihn ´n Glas Wasser trinken,« wiederholte der junge Herr Eugen großmütig. »Da steht Wasser, und ´n Glas auch.«
In der That. Neben dem eisernen Schranke, in dem des Nachts die »Bücher« aufgehoben wurden, stand in einer finsteren Ecke auf einem Kasten eine verwitterte Wasserkaraffe, und daneben ein Glas mit erdfarbigem Ansatz. Walther trank ein Paar Züge und behandelte die dazu gebrauchten Gerätschaften mit einer ehrerbietigen Zärtlichkeit, die sauberen Wassers und klaren Glases wert gewesen wären.
Als er endlich ausgehustet hatte, saß der junge Herr Eugen mit breit ausgestreckten Ellbogen vor einem Einzelpulte und las einen französischen Roman. Daß Dieper schon wieder über seinen Büchern lag, versteht sich von selbst.
Walther stand nun neben dem eisernen Geldschrank und dem Kasten, auf den er geräuschlos die kostbaren Gegenstände wieder hingestellt hatte. Ohne sich nur im mindesten zu bewegen, wartete er auf Herrn Pompilius oder auf Herrn Wilkens ...
Seit Anbruch des Tages hatte er nichts anderes gethan als gewartet.
Wie sagt doch der gute Kamphuyzen? »Es muß viel Leid gelitten sein, es muß viel Streit gestritten sein ...«
Was ist aber der Erfolg des vielen Leidens, das gelitten, des vielen Streites, der gestritten werden muß?
Kamphuyzen meint: Friede. Nun, wenn auch das nicht immer, so doch Selbstgefühl und Stolz und Ruhe des Gemütes, die Belohnung dessen, der als Knabe viel getragen, viel gethan, Hitze und Kälte gelitten: »Multa tulit fecitque puer, sudavit et alsit!«
Wollte etwa einer meinen, daß diese beiden Dichtersprüche zu gewichtig, zu ernst, zu klassisch sind für die kleinen Widerwärtigkeiten von der Art, mit denen Walther zu kämpfen hatte – er irrt sich!
Die schwersten Prüfungen, die uns treffen, sind Nichtigkeiten.
Sie überfallen uns täglich, immer wieder, dauernd, und sie finden uns meistens waffenlos. Auch ist keine Ehre zu holen in solchem Kampfe. Moses und der Herr wußten das Wohl. Sie plagten Ägypten nicht mit Tigern, sondern mit Heuschrecken.