Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Sechstes Kapitel.

Das lockende Flötengetön durchzuckte Georgs Nerven mit allen Wonneschauern der Erde. Farbigglänzende Ringe und Schlingen schien es um seine Füße zu werfen; eine schreckliche Gewalt ihn zurückzuziehen. Ein wildes, verzehrendes Leid warf ihn zu Boden. Er raffte sich wieder empor.

Ueber ihm schwebte fortwährend eine Lerche mit ängstlichem, schmerzentzücktem Frühlingsgesange. Todesschweiß träufte von seiner Stirne. In unendlicher Angst erreichte er endlich das Bereich des Schlosses.

Zitronenvogel und tausend andere bunte Schmetterlinge gauckelten vor ihm einher. Himmelhohe Rosenlauben blühten in Lenz und Wonne ihm entgegen. Er that von sich die Zauberstiefel, und betrat mit entblößten Füßen das heilige Land seiner Sehnsucht. Inbrünstig weinend warf er sich nieder, und küßte den Boden dieser seiner ewigen Heimath.

Unerkannt schritt er in seinem Nebelmantel durch all die tönenden Hallen in die Wohnung der Herrlichkeit und Seeligkeit.

Nachdem er durch mehrere Gemächer gegangen war, sah er endlich auf einem goldstrahlenden Sesselthrone die Heißersehnte sitzen. Im sternengestickten blauen Schleiergewande, mit blutglühendem Rosenkranze, um welchen Nachtigallenklänge zu zittern schienen, das milde Haupt bekränzt, war sie wunderherrlich zu schauen! Unaussprechlich fühlte er sich vor den Wonnen ihres Anblickes in Wohl und Wehe beklemmt; denn, ach! vor ihm saß dennoch nur die verklärte Lina, und doch Aquilina selbst in ewiger Urschöne. Er wagte es noch nicht, den Nebelmantel von sich zu thun.

Mehrere himmlische Jungfrauen, welche Ihr dienten, standen umher. Die Eine von ihnen sprach zu Aquilina: Du bist immer noch traurig? Warum gingst du auch hinunter in die trüben Thäler?

Ich werde immer trauern müssen! sprach im verhallenden Flötentone ihr purpurleuchtender Mund. Ob Er mich gleich durch seinen Wortbruch zum Erdenleben hinabgebannt hat, daß ich, meines Selbstes unbewußt, von Neuem für ihn menschlich fühlen und leiden mußte; wenn er endlich in arger Verblendung mein liebendes Herz gebrochen, und mich dem Menschentode hingegeben hat, so muß ich ihn dennoch, dennoch ewig lieben.

Ohne daß Sie es merkte, war zu ihrer Seite Georg in die Kniee gesunken und badete sein Auge in Thränen.

Eine Jungfrau brachte jetzt eine mächtige, durchsichtig goldene Weintraube herein. Herrin! sprach sie, die kleinen Feuergenien haben mit ihren diamantenen Eimerlein die Beeren übervoll vom flüssigen Feuer gegossen; ich mußte sie brechen, sollte nicht der köstliche Saft verderben.

O, wehe mir! rief Aquilina, so ist die Traube, nachdem sie Jahrhunderte lang gereift hat, dennoch nicht zum neuen Unsterblichkeitstranke für ihn, den Einzigen, bestimmt? So wird ein anderes Jahrhundert zu schmerzlichen Sehnen beginnen. Georgs Gedanken vergingen in Entzücken und Wehmuth.

Während Aquilina in einen Kelch, welchen eine rothglühende Schlange aus Karfunkeln umschloß, den Saft der Traube hineindrückte, ließ er den Ring, welchen er einst von Ihr erhalten hatte, vor ihren Füßen hinkreiseln.

Ach! rief sie, Er gibt mir das Zeichen, daß er von Neuem als Mensch sterben muß. Sie stellte den Becher neben sich und weinte bitterlich.

Georg, noch immer in seinen Nebelmantel verhüllt, nahm den Becher, trank ihn aus und setzte ihn umgestürzt an seine Stelle. Er fühlte eine Gotteskraft durch Seele und Leib beben.

Die Jungfrauen waren vor dem leeren Becher erschrocken zurückgebebt und hatten sich in ihre Schleier gehüllt.

Laßt mich jetzt allein mit meinem Leide! jammerte Aquilina. Wenn wird nun je die Stunde meines Heils nahen?

Die Jungfrauen verließen die trauernde Herrin. Auf die Lehne des Thronsessels den elfenbeinglänzenden Arm gestützt, saß Sie, das edle Haupt mit verschlossenen Augen zu schmerzlichen Träumen geneigt.

Der entzückte Jüngling schlug seinen Arm um ihren Nacken und küßte ihren lieblichen Mund. Sie fuhr erschrocken empor, aber er hatte sich wieder verhüllt. O, wie ich träume! flüsterte sie, neigte wiederum ihr Haupt und schien die Augen zu schließen. Indem sie aber heimlich durch die langen Wimpern vorblickte, bemerkte sie, wie der Geliebte den Mantel zurückschlug, lieblich, liebend und sichtbar vor ihr stand, den Arm um sie legte und wiederum seinen Mund zum verrätherischen Kusse neigte.

Schnell schlang sie ihre Arme um seinen Leib und rief: Georg, wie schlimm hast du gethan! Georg, in unsterblicher Jugend und Liebe bist du mein!

Der Nebelmantel war zu Boden gefallen und die zwei göttlichen Gestalten umfingen sich im Entzücken ewiger Liebeswonnen.

Um sie herum kreiste in Orgeldonnertönen und mit siebenfarbig zuckenden Blitzstrahlen das Weltall.


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