Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Fünftes Buch. .

Erstes Kapitel.

An der Morgendämmerung des nächsten Sonntags trat Heinrich, völlig angekleidet, einen Stock in der Hand und die Jagdtasche umgehangen, in Georgs Zimmer. Guten Morgen! rief er munterer, als sonst, seinem Freunde, welcher eben aufstand, entgegen; heute giebt es Waldleben und Waldfreuden! Wirf dich schnell in die Kleider, du sollst unterdessen erfahren, was ich vorhabe.

Unsere ganze schöne Gesellschaft, Mathilde an der Spitze, dann Karoline und die übrigen Mädchen haben sich heimlich beredet, diesen Nachmittag hinaus in das Jägerhaus zu ziehen, um Milch zu trinken. Ich habe es zufällig herausgebracht.

Mich hat es schon längst gelüstet, im Walde einen schönen Sommertag zu genießen. Nunmehr habe ich bei den Aeltern unsere Waldfahrt angekündiget, eine kleine kalte Mahlzeit hier in die Jagdtasche gepackt; und nun ziehen wir im Walde nach Herzenslust herum, und wenden uns am spätem Nachmittage in das Waldthal hinunter zum Jägerhaus, wo wir die muntere Gesellschaft zusammen antreffen! –

Schnell war Georg angekleidet, und heiter zog er mit Heinrich hinaus in das Freie und Grüne. Eine gelbrothe Lohe stand im Osten an dem Himmel, und mächtig zuckten die Strahlen der Sonne herauf, und zündeten die entfliehenden Wolken an.

In der Nähe und Ferne grüßten die Morgenglocken mit den hellsten Klängen dieses aufsteigende Strahlenmeer; und mit voller Brust schlug im säuselnden Waizenfelde die Wachtel. Flüchtiger Nebel zog durch das Thal auf silberweißer Straße des Flusses dahin.

Jetzt hob die prächtige Sonnenkugel sich vollends heraus, und vergoldete die Spitzen der Kirchtürme, welche hier und da über die Hügel herüberschauten. Ein rothes Feuer schien glitzernd über die Gerstenfelder dahin zu laufen; während der Thau zu einer Freudenthräne zusammengeronnen in den Kelch aufblühender Feldröslein herabträufte.

Entzückt in der allgemeinen Wonne der Natur zogen die beiden Freunde einen grünen Feldweg hinauf, und auf blumigen Rainen in die Laubwaldung hinein.

Ein vielstimmiger Chor zahlloser Vögel empfing sie mit jubelnden Liedern. Das Eichhörnchen jagte sich freudig mit seinen Genossen auf den hohen Buchenbäumen herum. Durch das Laub herein wurden mit getheiltem milderen Sonnenlichte die üppig wuchernden Waldpflanzen übergossen und kleine blaue Schmetterlinge gaukelten munter den Strahlen nach.

Je tiefer die Freunde in den Wald hineinkamen, desto friedlicher, desto stiller wurde es nun um sie her. Jetzt hörten sie nur noch das Geplätscher einer Quelle auf einem nahen, mitten im Walde gelegenen Wiesenflecke.

Leise aufgetreten! ermahnte Heinrich. Geräuschlos gingen sie auf das Quellengeriesel zu und alsdann sich bückend gewahrten sie durch das Laub des Gebüsches, wie ein Rudel Rehe, wovon das Edelste und Schlankste mit vielzackigem Geweihe, hereinschritt. Mit scheuen, dunklen Augen hoben sie witternd die Köpfe, da sie aber nichts Unheimliches zu verspüren schienen, grasten sie umher.

Eben so leise, wie sie gekommen waren, zogen sich, um die Friedlichen nicht zu stören, die beiden Freunde wieder zurück, und erst, nachdem sie eine gute Strecke weiter im Walde vorgedrungen waren, sprach Georg: »wie hat mich doch dieses Bild des Friedens in dieser Einsamkeit so innig gerührt! Aber ist es doch hier überall in diesen gründüsteren Hallen der riesigen Baumgewächse so herrlich!« –

Ueberhaupt hat an einem Sonntage für mich die ganze Natur ein schöneres, ja! ein verklärteres Ansehen! Ueber Alles scheint mir ein freudiges Feiern ausgebreitet zu sein. Mit ganz anderen Gefühlen streiche ich dann durch Flur und Wald, ganz anders, als sonst, tönen mir die Gesänge und das Zwitschern der Vögel.

In dem Worte Sonntag lag von jeher für mich ein unbeschreiblicher Inbegriff aller Wonne. Ich erinnere mich noch, daß ich als Knabe nur eine allgemeine, feststehende Hoffnung, und zwar blos von einem Sonntage auf den andern hegte. Die ganze Woche war für mich ein einziger Tag. Im hellsten und unerfreulichsten Lichte stand mir die Mittwoche, als Mittag; der Sonnabend aber als Sonnenuntergang um so deutlicher vor den Augen, je öfter ich an diesem Tage mit meinem Vater hinausflüchtete in das Freie, bis uns die Abendglocke wieder heimrief. Nun dunkelte der Sonnabend stille fort; und vom Gesimse funkelte heimlich schon der Sonntag in den blankgescheuerten Zinngeschirren herunter auf mich.

Im heimlichen Freuen schlüpfte ich in mein Bett, und unter den herzlichsten Gebeten schlief ich zu den buntesten Träumen ein.

Ehe ich mir es versah, guckte der Sonntag leuchtend zum kleinen Kammerfenster herein, zum fröhlichen Beten und Singen den Langschläfer aufzuwecken.

Soll ich dir, mein Freund! das heimlich süße Grausen beschreiben, wenn ich wohlgeputzt darauf in der Kirche saß, vor Andacht nicht beten konnte; und wie dann neben mir der Choral in mächtigen Accorden aus der Orgel hervorquoll, und durch das Kirchengewölbe hinüber, hinunter und empor brauste? während die Frauen des Dorfes duftende Sträußer von Federnelken, und Gesangbücher, worauf zierlich die weißen Taschentücher zusammengelegt waren, in den Händen, mit sittig niedergeschlagenen Augen zur knarrenden Thüre hereinzogen.

In meiner kindlichen Träumerei glaubte ich ernstlich, die vielen Engelsköpfe am Altare müßten nun lebendig sein, mit zum Gesange einstimmen, und mit ihren güldenen Flügeln im hellen Strahle der Morgensonne, welcher durch die gemalten Kirchenfenster hereindämmerte, an zu fliegen fangen.

Stets saß ich während des Gottesdienstes in einem finstern Winkel, an die Orgelwand mit dem Ohre hingeschmiegt, um das große Donnern der Töne durch alle meine Nerven beben zu lassen.

Wie oft habe ich da in mein vorgehaltenes Taschentuch Thränen des heiligsten Entzückens vergossen!

O, die Tage meiner Kindheit, rief Heinrich laut, daß sie auf ewig dahin sind! –

Sie kommen wieder! entgegnete Georg; aber nur auf der Jacobsleiter des Traumes steigen sie herunter zum seeligen Menschenherzen.


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