Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Zweites Kapitel.

Georg ließ sich in Göttingen zu dem Professor Jacob Grimm geleiten. Ein ernster Mann mit einer freien, offenen Stirne trat ihm wohlwollend entgegen. Georg erzählte ihm das Wesentliche seiner Schicksale.

Das ist ja die unglaublichste Geschichte! rief verwundert Jacob Grimm; aber ihr ehrliches Gesicht und ihr bewegtes Wesen möchten gern glauben machen, daß so etwas geschehen könne. Junger Freund! ich glaube nur, daß Sie sich eine fixe Idee in den Kopf gesetzt haben. Es wäre traurig, wenn ihr edler Geist also untergehen sollte! –

In diesem Augenblicke trat Jacobs Bruder, der treffliche Wilhelm herein.

Eine eigene Herzlichkeit lag in den Worten, in den Blicken, in dem ganzen theilnehmenden Wesen dieser Brüder.

Nachdem Wilhelm Grimm in das Gespräch mit eingeweiht war, sagte er: wohl giebt es Mancherlei, das wir nicht begreifen können, und doch da ist! Aehnliche Gedanken, wie es eine solche Wunderwelt geben möchte, streiften einstmals meinem Geiste vorüber. Uebrigens erinnere ich mich, von einer Fee Aquilina vor längerer Zeit etwas vernommen zu haben.

Georg drückte die Hand des sinnigen Mannes, und rief: ja, Sie glauben noch an das wirkliche Dasein eines höheren Geisterreichs! bei Ihnen, sonst nirgends finde ich Rath, so wie mein trauriges Schicksal nur bei Ihnen Theilnahme erregt.

Wilhelm Grimm ging nachdenkend eine Weile das Zimmer auf und ab, bis er in die Worte ausbrach: ich kann Ihnen, Herr Venlot, mit nichts dienen, als mit einem Mährchenanklange.

Mir ward von einem Wallfischfänger erzählt, daß im äußersten Norden, wo die Erde, alter Cometennatur getreu, noch im eigenen Lichte leuchtet, wo die Wunder des Magnets ausströmen, mitten zwischen ungeheueren Eisbergen ein grünes Eiland läge. Dort wohne ein uraltes Weib in einer Clause. Wenn aus irgend einer Himmelsgegend ein Wind daselbst angelangt wäre, so nähme er menschliche Gestalt an, und kehre in dieser Herberge ein, um vor langer Reise auf kurze Zeit dort auszuruhen. Dort, meinte der Wallfischfänger, könne man Alles erfahren, was es nur Geheimes auf der ganzen Welt gäbe.

So eine Art überirdischer Salon! schaltete Jacob ein. Auch wollen hoch oben vom Norden her, fuhr Wilhelm fort, verwegene Seehundsjäger ein Waldhorn mächtig klingen und räthselhafte Stimmen gehört haben.

Lieber Venlot, setzte der Erzähler hinzu, das ist Alles, was ich weiß! Machen sie daraus, was sie wollen. Uebrigens aber würde ich an ihrer Stelle mit festem, treuen Auge einer Wissenschaft herzhaft in das Angesicht schauen, damit sich der Geist der Mährchenwelt, welcher wohl sinnenverwirrend werden kann, zusammt ihrer regen Einbildungskraft, so viel als möglich, durch den Geist des Forschens, beruhigte.

Georgs Gesicht war freudig verklärt. Seinem Schicksale gemäß genöthiget, an das Unbegreiflichste zu glauben, war er überzeugt, daß sich nur dort am letzten Marksteine der Erde sein Schicksal gänzlich entwickeln würde.

Er nahm von den wackern Brüdern Abschied; hing die Ueberschuhe über den Arm, warf den Nebelmantel um sich, und schritt nordwärts vor.

In Gedanken versunken, ging er eine Weile vorwärts.

Er stand jetzt an dem Ufer der Nordsee und starrte hinaus in den schäumenden Wogenbraus. Im heimlichen Schmerzen zuckte ihm das Herz. Das Vaterland galt es zu verlassen. Welchem Deutschen läge nicht das theuere, uralte Vaterland zunächst mit an der Seele! –

Weiß Gott! rief er, Vaterland, wie so gerne hätte ich dir mein Herzblut hingegeben, wenn du es nur gewollt hättest! Weiß es Gott! für dich wäre ich gern in die Schlacht, in den Tod, freudig wie zum Traualtare geschritten; ob du mich gleich hast um Brod betteln lassen! –

Und jetzt muß ich nun von dir scheiden, dich nicht mehr zu sehen! Vaterland! Deutschland! Ich werde dich nicht mehr wieder sehen, nicht deine Küsten, nicht deine Berge mit den leuchtenden Eiskronen, nicht deine wonnigen, schattenkühlen Thäler, und nicht mehr all die theueren Seelen, welche dein sind, und die du beherbergst! Fahre wohl, mein Herz! sei glücklich frommes Heldenland! Auf Nimmerwiedersehen! –

Er weinte jetzt, wie ein Kind, und saß noch lange da, und sah hinaus auf die See, wo die Schifflein vorüberschwankten im Winternebel mit grauen Seegeln gleich Geistergestalten, von Möven, welche mit heiserem Kreischen sich um die Mastbäume drehten, begleitet. Dort saß er lange und sprach mit der heimlich wilden Brandung, welche gewaltig toste in wüster Klippeneinsamkeit.

Endlich stand Georg auf, wandte sich noch einmal zurück, hob einen rundgedrehten Stein am Ufer auf, sah ihn recht lange an, und barg ihn in dem Gewande auf seiner Brust.

Hoch über ihm kreiste ein Adler; noch einmal wandte er sich zurück und rief mit schmerzerstickter Stimme: gehe glücklicher Zeit, und stets deinem Heile entgegen, Vaterland! Ade! Ade! –

Der Adler zog schnurgrade über die See vor ihm hin, als wolle er ihm den Weg zeigen. Er schritt aus. Unter seinen Füßen wurden die Wogen der stürmischen Nordsee zu grünsammetnen Teppichen. Island hob sich empor.

Als er an dem Hekla vorüberzog, sah er Voland über dem Krater des Vulkans stehen. Mit entsetzlicher Stimme rief dieser herüber: eile nur! eile nur, Thor! ruhelos! ruhelos!

Island und der Hekla mit seinem Donnern verschwand.


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