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Noch lag Georg im sanften Schlafe, als ihn Scirocco aufweckte. Erschrocken schlug er die Augen auf. Scirocco stand vor ihm ganz verändert.
Mit einem feinen schwarzen Fracke, weißer Weste, grauseidenen Beinkleidern, weißen Strümpfen und Schnallenschuhen war er zierlich angethan. Seine schneeweißen, langfingrigen Hände saßen in seinen Manschettennestern. Gleich einer geöffneten Muschel standen zwei Busenstreife, mit einem güldenen durchstochenen Herzen auf seiner Brust. Das Krötengrau seines Gesichtes kroch unter angeschminkten Rosen hin, während sein Haupthaar im angepuderten Blüthenweiß stand.
Georg sah ihn betroffen an. Es wird Zeit, daß wir uns aufmachen; denn der Weg ist weit! sprach Scirocco. – Was starrst du mich an? Habe ich doch nur meine Wetterhosen an! –
Ade! liebes Mütterchen, sprach er flüsternd zur lesenden Sibylle, und vergiß mich nicht! –
Gehe nur! Gehe nur! – und führe deinen Gefährten sicher zum Ziele seiner Wallfahrt! –
Auch Georg nahte sich Ihr.
Erhabene, mächtige, weise Mutter, sprach er, zürne nicht dem armen Menschen, welcher in das Allerheiligste deiner Wohnung drang, von dem Sporn seiner Sehnsucht getrieben! – In Dank und Demuth beugt sich mein Herz vor dir.
Gleich einer weißen Regensäule stand die Riesin vor ihm emporgerichtet und sprach: du bist fromm und kühn, und dein Stern will dir wohl! – Hochbegnadigt bist du vor vielen Menschengeistern. Hüte dich vor dem Hochmuthe, der sich selbst genug ist; denn der Sturz und das Elend treten ihm nach! – Reise glücklich!
Das Thor stand weit offen, so daß man in die unermeßlichste Ferne sehen konnte! –
Kind! nun strecke deine Füße aus und hüpfe mir nach, sprach mit heiserem, höhnischem Lachen Scirocco zu Georg; siehst du dort fern, fernhin das weiße Wölkchen?
»Wohl!«
Es ist eine Bergspitze! Dort triffst du mich! und mit einem Schwarme Raben, welcher ihm kreischend hinterdrein flog, fuhr Scirocco dahin über Berg und Thal.
Von sich warf jetzt Georg seine Ueberschuhe, that den Mantel um, und schritt auf das bezeichnete Gebirge zu. Bald hörte er vor sich die Flöte des Scirocco schreckhaft gellen, und doch wieder so lieblich und lockend, daß ihm thränenweich zu Sinn wurde.
Die Flüsse und Seen zerrissen vor freudigem Erschrecken bei diesen Klängen ihre eisigen Gewänder, und gossen ihre Fluthen tosend über die lauschenden Auen. Die fröhlichen Wassergeister tanzten kreiselartig in langen Nebelmänteln durch die Thäler. Die ganze Natur riß wiedererwachend das weiße Leichentuch von ihrem Gesichte und blickte mit froherstaunten Augen empor.
Aber alles dieses Tönen, Ringen, Jammern und Jubeln wurde endlich nur eine weiche, traurige Stimme, welche Georg nachrief: du willst nicht bei mir bleiben, und habe es doch so gut mit dir gemeint? Böser Knabe, so gut mit dir gemeint!
Oben auf dem bezeichneten Berge angelangt, setzte er sich hin auf ein Felsenstück und schaute schwermuthsvoll und traumsinnig dem einherwandelnden Flötenspieler entgegen.
»Wo steckst du denn? Venlot! Venlot! rief es herüber zu ihm. Ha! Ha! alberner Geselle, wo bist du denn?«
Hie da! rief er hinunter.
»Du?«
Hie da! Georg that seinen Mantel von sich und Scirocco sprang herauf zu ihm.
»Was bist du für ein wunderbarer Mensch! rief Er erschöpft. Was ist das, daß du schneller laufen kannst, als ich? Was ist das, daß du neben mir und vor mir einherwandelst, ohne daß ich dich sehe? – Siehst du dort die ferne Bergspitze? Dort triffst du mich wieder.«
Scirocco zog mit diesen Worten schnell vorüber. Georg that wieder seinen Mantel um und schritt auf das bezeichnete Gebirge zu.
Bald hatte er den wunderlichen Flötenspieler, welcher rings um sich her aus dem Boden Schneeglöckchen und Veilchen und aus den starren Bäumen schwellende Knospen lockte, mit seinen Siebenmeilenstiefeln wieder eingeholt. Blaue Blitze zischten und knisterten über das Gesicht des Erdfahlen, und im furchtbaren Farbenprisma glommen seine Augen.
Georg hatte ihn endlich weit hinter sich zurückgelassen. Auf dem jenseitigen Gebirgsgipfel angelangt, sah er seinen Reisegefährten in einer Wetterwolke, aus deren Mitte sein graues Gesicht hervorstach, flüchtig herüberkommen.
»Venlot! Venlot! wo bist du?« rief es grollend.
Hie da!
»Voraus?« Wohl!
Georg öffnete den Mantel und Scirocco stand vor ihm mit seiner Flöte. Er rief: ich muß es dir lassen, laufen kannst du auf eine merkwürdige Weise. Du könntest von London einen eben aus dem Tiegel gehobenen Pudding noch so heiß nach Pecking bringen, daß der erste beste Chinese sich den Mund daran verbrennen könnte. Ich wünschte, du bliebst im Thale der Erde, dem du angehörst! Hörst du nicht den Weheruf, der aus der Brust deiner Mutter schallt? Unten auf Ceylon sitzt sie und weint und schluchzt ohne Unterlaß. Bleibe bei ihr und lege dich wieder an ihr bewegtes Herz. Wie ich eben herüberging, sagte sie mir in das Ohr, in Schmerzen vergehend, wie du ihr Liebling vor Allen bist. Sie will dich wiegen und herzen dein Lebelang in ihren Armen, und tränken mit ihrer süßesten Milch! – Doch mich bannt dein Ring, den du am Finger trägst, dir zu dienen! Entscheide!«
Zeige mir Aquilina's Behausung! sprach Georg entschlossen. »O, was wird dieß für Lärm geben, erwiederte Scirocco, wenn du so mit zwei fleischlichen Füßen dort in die poetische Gesellschaft hineinspringst! Blicke auf! Siehst du in der Ferne den Nebelpunkt? Laß, uns einmal dorthin um die Wette laufen!«
Mit diesen Worten war der Schnelle auf und davon; Georg, in seinen Mantel gewickelt, ihm nach.
»Wo steckst du?« rief Scirocco, hinter sich sehend. Hie da! antwortete auf der entgegengesetzten Seite Georg. »Das verstehe ich nicht!« murmelte der Düstere vor sich hin, und schritt langsam herüber.
Wie er bei Georg angekommen war, sprach er ermattet: »nun ist es mir unmöglich, weiter mit dir zu gehen; drei Tage lang muß ich hier im Sonnenscheine liegen, bis ich mich wieder erhole. Erblickst du nach Nordost hin den weißen Glanz? Es ist Aquilina's Wunderschloß. Ich aber will noch aus der Ferne dir mein schönstes Flötenstück nachblasen.«
Ich danke dir, Scirocco! rief in bebender Freude Georg, und flog in seinem Nebelmantel verborgen auf das leuchtende Krystallschloß zu.