Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Drittes Kapitel.

Georg befand sich mit Tagesanbruch schon wieder auf seiner Pilgerfahrt. In den Nebelmantel gehüllt, die Ueberschuhe am Riemen über die Schulter geworfen, maß er sieben Meilen um sieben Meilen weg.

Rechts und links rannten Land und Stadt, Berg und Thal, Feld und Wald, Fluß und See, wie die Bilder in einem Guckkasten, dessen Walzen ruhelos gedreht werden, an ihm vorüber.

Die hohen Gletscher der Schweiz stiegen jetzt wie Geistergestalten leuchtend vor seinen Blicken aus der Erde empor.

Vergebens bemühte sich ein Lämmergeier, mit ihm zu fliegen; nach wenigen Secunden sank der Luftcorsar ermattet auf eine Felsenspitze nieder.

Das Getön von Glocken und verlorene Klänge des Kuhreigens schwammen dann und wann leise und schnell an seine Ohren wie Mückengesumme.

Das war die Schweiz! rief er für sich, und stand auf einem Berge still.

Zu seinen Füßen dehnte sich der Lago maggiore zwischen den Hügeln mit seinem tiefblauen Spiegel aus. Entzückt schaute er hinab auf Isola bella und madre und in die duftigen Landschaften hinaus, welche zum See heraufblickten mit Schlössern und Dörfern.

Unfern winkte von Arona herauf die Riesenbildsäule des Borromeo mit weit ausgestreckter Hand wie zur Begrüßung, des Pilgrims.

Italia! Italia, daß ich dich wiedersehe! sprach Georg, und schritt von Neuem aus. Mailand mit seinem weißen Dome zog vorüber; er stand am Tyrrhenischen Meere.

Kaum vermochte Georg die schnell auf ihn einstürzende Welt der Erscheinungen zu ertragen.

Aquilina, sprach er für sich, Aquilina! aber wo finde ich dich? Bin ich nur ein lächerlicher Spielball des Wunderbaren und des Zufalls, oder hat dieses Alles Zweck und finde ich sie? –

Mit über einander geschränkten Armen ging er an der Kette der Appenninen vorüber.

Wie eine liebliche Nymphe im vielfarbigen Gewande, das großfaltig im Winde zu flattern schien, flog ihm die schöne Toskana vorüber. –

Wem wird das Herz nicht voll und weit, hört er den Namen: Rom? Wer denkt nicht dabei an das alte Forum, um welches sich Jahrhunderte lang die Weltgeschichte wie um eine stählerne Achse gedreht hat? und an den Dom Sanct Peters mit seinem Vaticane, in welchem das Kreuz des alten Schwertgriffs noch als wunderthätiger Talisman die Welt von Neuem einst gebannt hielt? Rom! – welcher Zauber scheint nicht schon in diesem Worte zu liegen?

Georg saß dort gedankenvoll vor dem Volksthore und zog die Ueberschuhe an. Eine ungezählte Volksmenge wogte auf der Strada di Ripetta dahin. Abenteuerliche Trachten! – Hier zogen mit rothen Mänteln und weißen spitzigen Filzhüten die düsteren Männer der Abruzzen, dort in blauen Jacken die munteren Gärtner aus naheliegenden Weilern; vor ihnen die rüstigen Mädchen aus Albano mit Madonnengesichtern, die Häupter mit weißen Tüchern leicht verhüllt, in freien, schwebenden Dianenschritten.

Die ganze Menge der Menschen zog auf den Dom St. Peters zu. Georg folgte den bunten Menschenwogen.

Ueber den von Säulenkreisen umzingelten Vorhof der Kirche mit seiner himmelanragenden ägyptischen Spitzsäule und seinen Springbrunnen, welche gewaltsam ihre Wasserstrahlen emporsprühten, wandelte Georg über die mit Blumen bestreute majestätische Treppe empor zur Kirche, in angenehme Rückerinnerungen vertieft.

Wie oft hatte ihn früher dieser Weg zu den Denkmälern alter und neuer Kunst im Vaticane geführt! – zu den Werken des Titanensohnes Michael Angelo, zu den Gemählden des göttlichen Jünglings Raphael, – zur ganzen Götterwelt des schönsten Himmels! –

Georg aber trat jetzt in die gold- und marmorstrahlende Kirche hinein.

Mit rothseidenen Teppichen waren alle die hohen Pfeiler behangen, tausend und aber tausend Lampen brannten um den Hochaltar herum angezündet, und Blumenguirlanden prangten von Säule zu Säulen gezogen. Weihrauchwolken lagen süß betäubend auf der ganzen Gemeinde, während ferne Orgeltöne geisterhaft das unermeßliche Gewölbe durchwehten. Wie leuchtende Johanniskäfer schienen vor den Seitenaltären Messe lesende Priester aus der Menge heraus.

Bei dem Hochaltare auf sammetnen Stühlen saßen in mächtigen Prachtgewändern blau bestrumpfte Cardinäle mit brennendrothem Mützchen auf schneeweißen Köpfen, und Bischöfe mit ihrer spitzigen golddurchwobenen Mitra.

Die Kirche feierte eben einen gewonnenen Prozeß.

Es wurde ein wunderthätiger Kapuziner, welcher vor einigen Jahrhunderten bereits verschieden war, canonisirt. Der Teufelsadvocat war angebrachter Maaßen abgewiesen worden.

Die Wunderthaten des Mönchs waren in großen Bildern ausgehängt. Dort konnte der Gläubige sehen mehr, als er sich träumen mochte.

Aus einem Büchelchen, worauf das bärtige Bildniß des neuen Heiligen in Holzschnitt erbaulich zu sehen, seine Wunderthaten zu lesen und die Gebete um seine Vermittelung bei verschiedenen Angelegenheiten zu finden waren, betete die fromme Menge auf die Kniee dahin gestreckt.

Wohlgenährte freundliche Kapuziner in ihren braunen Kutten und leicht hingleitenden Sandalen wandelten wohlbehäglich durch die Menge einher in dem angenehmen Bewußtsein der Ehre, welche ihrem Orden durch diese Anerkennung eines Glaubenshelden aus ihrer Mitte widerfahren war.

Georg stand an eine Säule gelehnt. Er fühlte einen Schlag auf seine Schulter, und Pater Rossi, welchen er bei seinem früheren Aufenthalte in Rom kennen gelernt hatte, gab sich ihm zu erkennen.

So sehe ich euch doch wieder, rief er, nach langer Zeit, und auf dieser heiligen Stelle? – aber verändert vom Kopf bis auf die Füße! – Gewiß habt ihr, vortrefflicher Freund, große Seelenleiden unterdessen ertragen! – Warum sucht ihr auch nicht eueren Frieden im Schooße der Kirche?–

Wie wollt ihr mir Frieden mit mir selbst verschaffen? fragte zweifelnd Georg.

Wir haben Gewalt, die Sünden von euch abzuwaschen! versetzte der Römer; die heilige Kirche hat einen unermeßlichen Ueberfluß an sündenlöschenden Werken, an dem Blute der Märtyrer, an den Büßungen heiliger Männer und Frauen, über welchen sie zu verfügen die Macht hat zu Gunsten der Gläubigen. Doch ihr, mein Freund, stoßt die rettende Hand mit den Gnadenmitteln nicht von euch!

Pater Rossi, sprach Georg, behaltet mich lieb und lebt wohl! –

Erzürnt wandte sich der Priester von dem Aufgegebenen; – Georg aber verließ die prächtige Wohnung der Heiligen und die alte Stadt der Welt.


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