Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Viertes Kapitel.

Wie der heilige Gangesstrom aus den wüsten und unfruchtbaren Felsen von Serenegar sich gierig hinunterstürzt in das glückseelige Hindostan, so eilte auch Georg über die eisigen Häupter des Himalayagebirges nach Ruhe dürstend herunter in das alte Mährchenland und Mutterhaus der Menschheit. –

Indien! du stiller Zaubergarten mit deinen dunkelfarbigen Kindern, sprach Georg für sich, indem er die Augen rings umher kreisen ließ, ja, bei dir finde ich gewiß, was mein brennendes Herz gesucht hat – wenn nicht Sie, die hohe, schöne Geistesbraut; doch Ruhe – Frieden – Vergessen! Hier – wo die Gottheit in den weichen Thon des Landes ihre Ferse gedrückt hat, wo das Herz der Erde pulset, hier will ich mein müdes Haupt hinlegen, und schlafen – schlafen! – Hier, wo die weisen Braminen in stiller Betrachtung dem großen Weltgeheimnisse lauschen, hier schlage ruhig, du mein unbändiges Herz! –

Georg band seine Schuhe an den Füßen fest, und wandelte längst des Gangesstrandes dahin im werdenden Morgen.

Die schlanken, hohen, schattigen Kokosbäume mit Palmen und saftigem Grün ihre Gipfel geziert, mit großen Früchten geschmückt, Himmel und Erde entzückend, schwankten und säuselten von kühlenden Lüftchen umzittert in sanften fortwährenden Bewegungen, und schienen sich an die Ufer des Stromes zu drängen, ihre Füße in der seegengeschwängerten Fluth zu baden. An den Stämmen hinauf, und durch die leichten Fächer ihrer Wipfel schwangen sich kletternd braune, flinke Aeffchen mit klugen Diebsgesichtern, oder saßen lauschend in den grünen Wipfelhäusern, und steckten flüsternd die Köpfchen zusammen, als raunten sie unter einander von uranfänglichen Geschichten.

Der Vogel Boulboul saß in den Büschen des Nagakesar und sang in schmelzenden Weisen, als spräche die Gottheit dieses Eilandes seelige Worte durch seine liederreiche Kehle. Es schien als wiegte sich die allum blühende Lotosblume träumerisch in diesen Melodien, leicht wie der Frühlingsodem mit ihren röthlichen schimmernden Lilienkelchen, welche der Mondstrahl in der Nacht heimlich angezündet hatte, und bestreute mit ihrem Blüthenstaube, geängstigt von dem anbrechenden Tage, das brütende Weibchen des purpurroth gefiederten Flamingo's, im Neste unter ihrem Laubbusche.

Georg stand wie ein freudezitterndes Kind in der Mitte dieses Paradieses. Nicht länger vermochte er sich auf den Füßen zu erhalten; er lagerte sich ruhebedürftig unter einen blühenden Amra, der von der Madhawiwinde wie ein Bräutigam von seiner Geliebten umschlungen, und von ihren Blumen, wie mit glühendrothen Küssen bedeckt war. Dort lag der unstäte Waller unter Duft und Blüthen begraben. Durch alle seine Fibern strömte ein bewegendes, drängendes, neues Leben. Es war ihm, als erwache er von einem langen Schlafe. Aquilina's Bild erblich vor dieser äußeren Gluth in ihm mehr und mehr. Es ist schlimm, sprach er, wenn mein vergangenes Leben und alles andere nur ein Zauberspuk gewesen wäre – ein recht langer, seltsamer Traum, ein Traum! –

Unfern von seinem Ruheorte bemerkte er jetzt eine Hütte, halb hinter dichtlaubigen Platanen verborgen. Eine schlanke, weiße Gestalt trat eben daraus hervor. Sie näherte sich dem Rasenplatze, auf welchem er sich befand und rief mit heller, sanfter Stimme den Taubenpfauen, welche aus den Büschen auf sie zuschwirrten.

Es war ein Hindumädchen. Ein einziges, blendendweißes Stück Zeug war um den zarten Leib geschlungen, zog sich von da über die rechte zur linken Seite, den Busen leicht bedeckend, hinauf, und diente endlich zur Schärpe, womit es über den Hüften festgeschlungen war.

Leicht und hoch, die Arme nackt, und geziert mit Armbändern von den Fasern der Wasserlilienstengel, die röthlichen Füße bloß, über die dunklen geflochtenen Haare einen Kranz von verschiedenen Blumen, kam die Jungfrau einher.

Sie bemerkte nicht den Lauscher in seinem Nebelmantel. Sie fütterte vor ihm mit Körnern aus ihrem Körbchen, welches sie trug, die Taubenpfauen, welche zahm auf die Würfe des Futters bald harrten, bald wieder die gestreuten Körner auflasen.

Ein anziehenderes Bild hatte Georg noch nicht gesehen. Die kleinen Pfaue girrten und schimmerten um sie herum mit ihrem azurenen Gefieder, und schlugen Räder mit ihrem violet und gelb marmorirtem Schweife.

Wie eine Fee in ihrem Wunderreiche stand sie da, umgeben von ihrer ganzen Herrlichkeit. Ihr dunkles Antlitz mit den großen Feueraugen, der ganze Guß ihrer edel ausgeprägten Formen, selbst die einfachen lieblichen Wendungen ihrer Gliedmaßen, welche schlummernde Wollust heimlich umwob, zeugten von überschwänglicher Milde, womit der Gott des Landes die Tochter der Einsamkeit ausgestattet hatte.

Georg getraute sich kaum zu athmen; im glühenden Sinnen wurden alle Gefäße seines Herzens weiter.

Fliehe! sprach seine innere Seele, fliehe, daß du dich rettest! – Er aber floh nicht.

Aquilina! schien ein Vogel aus blauer Luft herabzurufen, Aquilina – Er sprang auf und ging einige Schritte.

Am nächsten Zweige fütterte ein grünes Papageienweibchen seine Jungen, während das Männchen mit altklugen Augen unfern davon saß, und die Worte, welche ihm vielleicht ein Bramine einst gelehrt hatte, hervorstieß: groß ist Koma, und seine Wonne – süß – süß die Liebe! –

Was plauderst du wieder, Smara? rief das lauschende Mädchen, hast du den rastlosen Gott mit seinen Blumenpfeilen gesehen? – Smara! Smara! lockte es mit schmeichelnder Stimme. Der Papagei drehte den glänzenden Hals, zupfte sich an der rothen Brust und schrie: Koma! Koma!

So komm doch, Närrchen! komm! schmeichelte listig das Mädchen, indem es die Fingerspitzen der ausgestreckten Hand leise und zweigartig bewegte.

Der Vogel hüpfte von Baum zu Baum herüber zu dem Mädchen, bis es endlich auf seiner Schulter saß.

Der Vogel ließ sich von der Vertrauten in die Hand nehmen, duckte sein Häuptchen, welches sie kraute, an ihren Busen hin und blähte behaglich sein buntes Gefieder aus.

Das Papageienweibchen, als wäre es eifersüchtig, schoß jetzt schnell herüber vom Neste, und hackte giftig auf das gekirrte Männchen los. Aber das lose Mädchen faßte es auch und koste: ei, Herzchen! ich will deinem Männchen kein Leid, sondern euch Beiden Etwas zu gute thun.– Mit den Zuckerbröckchen, welches es aus dem Körbchen nahm, beschwichtigte es fütternd das zahme Pärchen, indem das glückliche Wesen auf den Rasen knieete, um die unruhigen Thierchen in seinem faltigen Gewande einzuhägen.

Könnt ihr mir nicht sagen, flüsterte Sie ihren Pfleglingen zu, warum es mir im rechten Auge zuckt? – sagt mir, was bedeutet das Gutes?

Koma! Koma! schrien die beiden Papageien zu gleicher Zeit.

Koma! sagte lächelnd das Mädchen und wiegte traurig das bekränzte Haupt; ach, mir ist dieser Gott nicht hold gesinnt; denn mein Herz gehört nicht dem Manne der Liebe, wenn ich einen solchen fände. Ich muß euch nun bald verlassen! –

Also unterredete sich das Mädchen mit den Papageien, als hätten diese ihre jungfräuliche Sehnsucht verstehen können.

Georg aber stand und vermochte kein Auge von dem Mädchen zu verwenden. Es war ihm, als wenn die Erde unter seinen Füßen vor Wonne zitterte.

Er that einen Schritt, und noch einen; ging zögernd noch einige Schritte vorwärts, und stand vor dem schönsten Kinde der Natur.

Mit unsicheren Händen nahm er den Nebelmantel von seinen Schultern. Die Papageien flatterten kreischend auf, und kaum hatte das Mädchen die Augen emporgeschlagen, so fiel es auch hin auf sein Antlitz, die Hände vor die Stirne geschlagen.

Herziges Mädchen! sprach Georg, fürchte dich nicht vor mir! Ich bin nicht hier, um dir ein Leid zuzufügen. Laß mich dein geliebtes Antlitz und deine Sonnenaugen sehen!

Sie aber hob ihr Haupt nur um ein Weniges und betete mit zitternder, eilender Stimme:

Rettender, immerdarschaffender, erhaltender, wiederbelebender, wandelnder, großer Wischnu! erbarme dich über mich, deine beängstigte Magd, und handle mit mir nach deiner Barmherzigkeit, da du nun zum zehnten Male heruntergestiegen bist, ein Mensch gewordener! –

Georg sprach: fasse dich, frommes Mädchen! ich bin deiner Verehrung nicht werth.

Die Jungfrau aber ließ sich nicht stören und fuhr fort: du weißt es ja, allmächtiger Schöpfer und Allwalter, wie ich dich als Krischna, der du einst auf den Matten von Agra mit den neun Milchmädchen, den seeligen Geschöpfen, getanzt hast, immerdar verehrt habe.

Ich bitte dich, holdes, wahngläubiges Kind, laß ab! bat Georg, und stehe auf. Sie ließ sich von ihm emporheben.

Wie sie nun so vor ihm stand, und in sein Antlitz sah, da bebte sie vor Wonne und große Thränen blitzten aus ihren Augen.

Er faßte ihre Hand; da sank sie plötzlich zusammen, und an seine Brust; der Kranz fiel ihr von der Stirne und die langen Haare wallten um sie, wie ein wehender Schleier.

Georg hob ihr Haupt, es sank zurück. Ihre Augen glommen verlöschend, gebrochen und wie sterbend. Er suchte sehnend ihre Lippen. Das Mädchen brach in ein unnennbares Weinen aus.

Der lauschende Papagei aber saß auf dem Amrabaume und schrie: Koma! Koma! –


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