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Bald war das Schloß von Gästen leer. Alles entfloh dem Hause des Schreckens. Die Gräfin war außer sich. Georg hatte der Schmerz betäubt; seine ganze Mannheit schien dem Entsetzen unterlegen zu sein. In einer finsteren Stube, welche an den Saal stieß, von Niemand bemerkt, lag er auf den Fußboden hingestreckt.
Nachdem sich Heinrich wieder einigermaßen erholt; denn ein fast ähnlicher ungeheuerer Schmerz hatte ihn den jetzigen mehr ertragen gelehrt, suchte er ihn auf.
Georgs Schmerz aber blieb bei allen den, mehr herausgeweinten, als gesprochenen Worten seines Freundes starr und ungeheuer. Als aber Heinrichs Aeltern, welche vor Kurzem auf einem Wagen schnell herbeigeholt worden waren, nun auch jammernd zu ihm hereinstürzten, so richtete sich sein unbewegtes eisiges Gesicht, ein Bild unerhörten Jammers, empor.
Da aber Heinrichs Mutter ihm schluchzend um den Hals fiel, und schrie: und wie hat sie dich geliebt, du lieber, theurer Mensch! Wie gehörte sie nur dir in der letzten Zeit ihres Lebens so ganz an! da sank er wie ein weinendes Kind sprachlos an ihre Brust, und dann in die Arme seines Freundes.
Vergeblich bat er, ihn noch einmal zu Lina's Leiche zu führen. Der Graf, welcher jetzt auch herbeigekommen war, gestattete es nicht. Man muß so wenig, als möglich, sprach er, das Antlitz des Todes anstarren, denn es macht unser Herz freudlos und leidlos und versteinert dasselbe, sondern vielmehr das Bild des Dahingeschiedenen in seiner schönsten Glorie gefühlvoll in sich bewahren.
Jetzt schien auf einmal ein Entschluß Georg empor richten zu wollen. Noch immer sprachlos küßte er Heinrichs Aeltern, faßte diesen selbst beim Arme, und in langsamen und weiten Schritten zog er ihn mit zum Schlosse und zum Dorfe hinaus in entgegengesetzter Richtung des Städtchens hin.
Georg, rief endlich Heinrich, was willst du? Fasse dich, sei ruhig und laß uns heimgehen!
Ich muß fort, entgegnete er mit erstickter Stimme, fort! fort! Unglück heftet sich an meine Ferse, der schlimme Geist der Nacht stellt meiner Seele nach, und vergebens suche ich mich loszuringen. Freund, daß ich so von dir scheiden muß! begleite mich nur noch eine kleine Weile; denn nur zu bald werde ich mit mir und meinem Leide allein sein! – Ich habe sie ermordet, ich bin der Elende, welcher sie mit vornehmer Weisheit zu Tode gequält hat.
So schritten sie dahin durch die unfreundliche, stürmische Nacht. Vergeblich suchte Heinrich den Unglücklichen zur Rückkehr zu bewegen, nur wenigstens sich umzukleiden; denn noch immer befand er sich in der romantischen Theaterkleidung, welche ihn gegen die Kälte nicht zu schützen vermochte.
So geht denn, klagte Heinrich, das letzte Gestirn am Himmel meines Lebens unter. Um die Seligkeit der Liebe habe ich mich selbst, und um den Genuß der Freundschaft hat mich der Freund betrogen. Nicht du, ich bin der Unglückliche; du wirfst dich wieder hinaus in die Welt, Glück sowohl als Unglück giebt dir Zerstreuung; aber ich, einsam, verlassen von dir und Lina, muß im trüben, langen Grame mein Leben hintrauern. So wende dich denn von mir, und nimm die Ueberzeugung mit dir, daß du deines Freundes Glück und Frieden mit davon trägst.
Georg hing an seinem Halse. Ich weiß und fühle es wohl, fuhr Heinrich fort, daß es besser für dich ist, du verlässest die Gegend, wo so herber Kummer für dich emporwuchs!
Ach, nicht das! versetzte Georg; nein, deswegen, weil ich fühle, daß mir Ruhe nimmermehr im Leben gegönnt ist, bis ich sattsam meine Sünden abgebüßt habe; weil ich merke, daß jedes Elend des Lebens mich und die mit mir Verbundenen treffen muß, so lange ich zu rasten begehre, muß, ich fliehen, mich hinausstürzen in, die Welt, und in neue Aengste. Weil ich mich der Freundschaft, ja! selbst der Liebe menschlich hingab, mußte Lina für mich ein unschuldiges Opfer wieder heimgehen.
Endlich standen die beiden Freunde auf der Anhöhe bei dem Kreuze, wo Heinrichs Vater ehemals Lina gefunden hatte.
Hier laß uns scheiden! rief Georg. Sie drückten Brust an Brust im tiefsten Schmerze fest an einander, daß ihnen der Odem stockte. Das schneidende Gefühl ihres Abschiedes war stumm. Endlich verließ Heinrich seinen Freund, und ging den Berg hinunter. Georg starrte ihm nach, da hörte er ihn in der Ferne vernehmbar schluchzen, und noch einmal rief er: Heinrich! stürzte dem Weilenden nach und umarmte ihn noch einmal, um sich dann, vielleicht auf ewig, von ihm zu trennen.