Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Zweites Kapitel.

Wie zwei gewaltige Bergströme im engen Thale sich vereinigen, und nun in einem Gusse bald wild aufgeregt dahin stürzen über Klippen und Felsblöcke und durch schauerliche Schluchten brausend und tosend ziehen, bald wieder sanft mit den Blumen am Ufer spielen, das ganze klare Bild des Himmels in sich aufnehmen, während kleine kräuselnde Wellen mit dem Moose an den Erlenbäumen, mit den Gräsern und Halmen, welche hie und da zum Silbergusse der Fluth hinunternicken, zögernd, ja! weilend zu flüstern scheinen; – so ohngefähr fanden sich die Seelen beider Freunde bald zu dem gewaltigsten Aufschwunge kühnster Ideen, bald zum traulichsten Hinträumen und freundschaftlichen Plaudern verschmolzen, so daß jeder in dem Andern nur sich selbst wieder zu finden glaubte.

Endlich gelangten sie berauscht in Berg- und Lenzesluft über Chiavenna hinunter zum Comersee. Kaum waren sie in Sorrigo, angelangt, so dingten sie einen Schiffer, welcher sie auf seiner Barke der lieblichen Mainacht und Como entgegenfahren sollte.

Sanft trieb die Barke mit ihnen dahin auf der smaragdnen Fluth des Sees. Eben neigte sich die Sonne zum Untergange. Mit fröhlichen Matten, üppig blühenden Bäumen, und den weißen Villen, welche wie Feenschlösser daraus hervorleuchteten, traten die Hügel heran, und wehten ihnen Düfte und Blütenblätter herüber.

In langgezogenen, schmerzlich wollüstigen Tönen schienen ringsumher die Nachtigallen ersterben zu wollen; während in der Ferne glühende Rosen auf den Firnen anglommen.

Allmählich legten sich die Schleier der Abenddämmerung, einer nach dem andern, über Land und See.

Ein heiliger Sabbath lagerte sich über die Natur, welche in melancholischen Tönen, Düften und verdämmerten Farben dahinträumte.

Heinrich war in ein langes, trübes Schweigen versunken, während Georg den entblößten Arm, über den Rand der Barke gelehnt, hinein hielt in das warmlaue Bad des Sees.

Jetzt stieg der Mond goldgelb, wie eine Sonnenblume, über die östlichen Kastanienhügel herauf, und gleich weißen Feuerfunken sprühte unter dem raschbewegten Ruder die Fluth des Sees empor. Heinrich schaute mit thränenerfüllten Augen unablässig empor in das milde Mondangesicht.

Mit klarer, klagender Stimme begann er endlich zu singen:

Ein bleiches Weib da drüben steht,
Könnt' es nur einmal weinen.
So lang' die Sterne scheinen,
Bis ganz die stille Nacht vergeht.

Süß ist der jungen Küsse Lust,
Süß alle Wonnen trinken,
In Seeligkeit versinken
An Liebchens glutherfüllter Brust.

Gar schön, ist Schlaf, gar süß der Tod,
Wenn Röslein ist geknicket,
Wenn Schand und Kummer drücket,
Zerstörten Herzens Pein und Noth.

Gebrochen ist des Weibes Herz,
Die Ruhe gar verloren,
Die Thräne eingefroren,
Geblieben nur der dumpfe Schmerz.

Drück zu, die trüben Augen zu,
Laß Glücklichen das Weinen,
Laß all' die Sterne scheinen,
Geh' armes Weib! geh' heim zur Ruh'!

Die seltsame, traurige Melodie dieses Gesanges tönte fremdartig durch die stille Nacht dahin.

Georg faßte seines Freundes Hand, und sprach in milder Theilnahme an dem, ihm unbekannten, Schmerz zu ihm: wie hart muß dich die Hand des Schicksals getroffen haben, du Armer, bis dein Leid ausbrechen konnte in die Klage dieses Liedes!

Heinrich ruhte an seiner Brust. – Freund! rief er, wo hin uns auch das Schicksal schleudern mag, bleibe meiner eingedenk! Bei dem Odem des Lenzes, der mit seinem Balsame uns anweht, bei dem goldenen Sternenhimmel, welcher von oben herunter, und von unten aus dem See herausschaut, bei allem, was wir Heiliges und Gemeinsames empfinden, bewahre mir deine Freundschaft!

Nachdem ich mein ganzes Lebensheil unwiederbringlich untergegangen glaubte, ging mir es von neuem in dir, mein Freund, herrlicher als je, auf; laß mir diesen Stern nicht wieder erlöschen, meinen wiedererrungenen Glauben an Menschenglück nicht wieder vergehen!

Was ist die Liebe des Weibes gegen die Freundschaft, welche zwei Männerherzen auf ewig verbrüdert?

Nun aber, auf dem höchsten Punkte meiner Erdenglückseeligkeit, – denn schon schaut von drüben herauf wieder das alte Leid, – laß uns von einander scheiden, scheiden in dem seeligsten Gefühle meines Daseins! –

Theurer! versetzte Georg, was fällt dir bei?

Jetzt, versetzte der Begeisterte, stehst du vor meiner Seele, wie ein edles unvergängliches Götterbild! – jetzt laß uns trennen, damit ich eine große Erinnerung, lebendig sie festhaltend und nicht verdunkelt von anderen Eindrücken, mit hinüber rette in mein Leben.

Wenn du der Wanderung müde und der Ruhe bedürftig bist, so suche mich heim! Vielleicht gefällt es dir in meinem stillen Thale. –

Er hieß den Schiffer landen.

Vergeblich suchte Georg den bewegten zu halten. Die Barke legte an, und Heinrich sprang an's Land. Georg folgte ihm.

Lebe wohl! sprach Heinrich aufgeregt, lebe wohl!

Zu langer Umarmung wuchsen die trefflichen Jünglinge zusammen; sie traten von einander, sahen sich an, umarmten sich wieder, und sagten sich scheidend ein schmerzliches Lebewohl!

Traurig fuhr Georg die Villa des Plinius vorbei hinunter zum weinumrankten Como.


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